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#DieDoppeltenZwanziger gibt es übrigens auch als durchgestylte .pdf-Datei für Euren Breitbildschirm!

Und jetzt sogar Band 5 !!

Wer also Lust hat, sich den Speicher damit vollzuhauen, der melde sich doch einfach. Und für die ganz eisernen gerne auch wieder mit Widmung.

Fanservice: Falls jemand auch noch Interesse an den Bänden 1, 2, 3 und 4 hat, ich krame auch gerne noch mal im Papierkorb.

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Über den Autor

Springer

Der 1981 in Berlin geborene und in Quedlinburg/Sachsen-Anhalt lebende, 44jährige Mathias Schück ist Sternzeichen Skorpion, nicht religiös, in keiner Partei, oder durch Stammbäume patriarchisch an sinngenerierende Institutionen gebunden.

Eingeschult in der Ostprovinz, kurz vor den Baseballschlägerjahren der Neunziger, irgendwo zwischen Pionierausweis und Westfernsehen, zwischen Grunge, Techno und den Onkelz, zwischen Skins und Zecken, dürfte er dabei gelernt haben, die populistischen (Anti-)Ismen der Zeit an die Leine zu legen. Streber, Sorgenkind und Aushängeschild zugleich. Mit Hassliebe, Verachtung und Bewunderung, die skeptisch und immun machen gegen das Mitlaufen.

Sein Ton: Ein Ergebnis aus andauernden Fragen und Antworten. Neugier essen Angst auf – eine Strategie die funktioniert, zumindest beim Lesen seiner Texte.

Ein Springer zwischen Pop- und Peer-Welten; denn wer senden will, sollte Mut haben zu empfangen. So ergeben sich thematische Bandbreite und Haltung, Position und Spielraum zur Veränderung. Um von der Gegenwart zu erzählen sicherlich kein Nachteil. Warum die anderen nicht mitspringen können oder wollen, ist seine fortlaufende Grundfrage, die einlädt über sich selbst und die Gegenwart fachzusimpeln. Seine Antworten sind Plädoyers gegen das Festfahren und für den Diskurs. Zeitzeugnisse von der Front, die sich Leben nennt.

Ob er an Sternzeichen glaubt, weiß ich nicht, wohl aber, dass ich ihn fragen werde. Und dass wir bei der Erörterung der Tierkreiszeichen ganz bestimmt auch japanisch/amerikanische Comicsprache, Medium-Form-Diskussionen des Sozialen, als auch Spielergebnisse der NBA und den akuten Kleinstadttratsch erledigen werden. Inklusive der Frage, was das alles mit uns zu tun hat.

Viel Spaß beim Mitspringen

Tobias Peuke, Berlin, 2021.

 

***

 

NachwortWarum ich springe

Als eines der letzten Wendekinder, das sein Abitur dann auch noch exakt im Jahr 2000 abgelegt hat, gehöre ich zudem also auch zu den allerersten Millenials, die sich selbst schon zu viele Stempel aufgedrückt haben, weil ihnen doch immer gesagt worden war, ihnen würden alle, aber wirklich alle Türen offen stehen.

Und, wieder als einer der letzten, folglich auch die des Langzeitstudenten (mit Abschlüssen). Nach acht prägenden Jahren Lehramtsstudium (Germanistik und Philosophie) an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale) und diversen Nebenjobs (Pflegeeinrichtungen, Tankstellen, Verwaltungen, Supermärkte), gehe ich seit 2009 an einer Gemeinschaftsschule im Landkreis Harz als Vollblut meinem Beruf nach und wohne downtown Weltkulturerbe.

Bis auf zwei kleine Erzählungen in einer Quedlinburger Erinnerungen-Sammlung („Durch meine Brille“, Letterado Verlag, 2005 und 2007) sind bis heute keine Texte von mir publiziert. Der kurze Fast-Debut-Roman („Fingerübungen“) liegt seit fünfzehn Jahren in der Schublade neben den Gedichten, die ich schreibe, seit ich die „Dead Poets Society“ kenne.

Deswegen habe ich auch sehr bewusst nie die Nähe von Literatenkreisen gesucht, Kurse für kreatives Schreiben belegt, mich für Stipendien oder auf ein Volontariat beworben, noch bin sonderlich davon überzeugt, dass meine Stimme unbedingt gehört werden sollte, oder eine Karriere als Schriftsteller irgendwie erstrebenswert sei. Wenn ich bei Beruf und Hobbys Lesen und Schreiben angebe, dann ist das schließlich doppelt ernst gemeint.

Ob der Literaturkanon also will oder nicht: Ich höre nun mal liebend gerne zu, singe mit und weiß oft nicht, welches davon lieber. In drei Regalen stapeln sich die Vorbilder, welche mir zudem noch so viel Ehrfurcht einjagen, dass sich meine Stimme in meinen eigenen Ohren auch nach gut 30 Jahren noch viel zu dünn anhört, um neben Mark Z. Danielewski, David Mitchell, Margaret Atwood, Markus Zusak, Ben Lerner, Jonathan Safran Foer, Suzanne Collins, Orson Scott Card, Naomi Klein, Dave Eggers und Karl Kraus, Georg Simmel, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, George Orwell, Christa Wolf, Philip Roth, Sibylle Berg, Juli Zeh, oder gar Mircea Cartarescu und Mo Yan irgendwas anderes zu tun als zuzuhören und mich zu fragen, was es denn bitte noch für ein Buch sein söllte, das von mir geschrieben werden wöllte.

Die Antwort darauf kann nur sein: Kein Buch.

Die Antwort darauf kann nur

das hier

sein.

 

#DieDoppeltenZwanziger.

Springer

Springer

Wenn ich bei „Beruf“ UND „Hobbys“ „Lesen“ und „Schreiben“ angebe, dann ist das schließlich doppelt ernst gemeint.

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Neu hier? – Leseguide

Wie? Was? Warum?

Rückblick

Genau vor ungefähr einem Jahr

3. November 2025

Pest oder Cola
(S11:Ep9)


Zu Beginn der Woche
fliegen 100 israelische Jets
mehr oder minder ungehindert
Präzisionsangriffe auf den Iran.
Kurz darauf gibt die Knesset bekannt:
Das UNRWA Palästineserhilfswerk)
darf nicht mehr auf israelischem Boden arbeiten,
akuter Terrorverdacht.
Als nächstes kündigt Israel
für das nächste Jahr
den „Laser Iron Dome“ an,
der Iran muss sich also beeilen,
wenn er nicht auch
auf Real Life Star Wars vorbereitet ist.
Nach der Hinrichtung eines Deutsch-Iraners
werden drei iranische Generalkonsulate in Deutschland geschlossen,
was den Iran alles andere als davon abhält,
weitere Angriffe anzukündigen,
worauf die USA
den Iran warnen,
sie würden Israel
dann nicht zurückhalten können;
was sie also bis jetzt anscheinend erfolgreich getan haben,
holy fuckin’ shit.
Unterdessen fliegt die Türkei
mal wieder vermehrt
Angriffe auf Kurdistan,
und in Afghanistan dürfen Frauen
nicht mehr mit anderen Frauen sprechen;
der Kulturkampf des Westens
lief auch schon mal besser.

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Genau vor ungefähr einem Jahr

3. November 2025

Pest oder Cola
(S11:Ep9)


Zu Beginn der Woche
fliegen 100 israelische Jets
mehr oder minder ungehindert
Präzisionsangriffe auf den Iran.
Kurz darauf gibt die Knesset bekannt:
Das UNRWA Palästineserhilfswerk)
darf nicht mehr auf israelischem Boden arbeiten,
akuter Terrorverdacht.
Als nächstes kündigt Israel
für das nächste Jahr
den „Laser Iron Dome“ an,
der Iran muss sich also beeilen,
wenn er nicht auch
auf Real Life Star Wars vorbereitet ist.
Nach der Hinrichtung eines Deutsch-Iraners
werden drei iranische Generalkonsulate in Deutschland geschlossen,
was den Iran alles andere als davon abhält,
weitere Angriffe anzukündigen,
worauf die USA
den Iran warnen,
sie würden Israel
dann nicht zurückhalten können;
was sie also bis jetzt anscheinend erfolgreich getan haben,
holy fuckin’ shit.
Unterdessen fliegt die Türkei
mal wieder vermehrt
Angriffe auf Kurdistan,
und in Afghanistan dürfen Frauen
nicht mehr mit anderen Frauen sprechen;
der Kulturkampf des Westens
lief auch schon mal besser.

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Letzte Episode

Bad Dippenword (S13:Midseason Review) (Chronicle 23)

Bild: 100 Jahre Wilde Bode. (Karte und Markierungen: Stadtarchiv Quedlinburg/Hr. Hahn)

 

 

 

„Geht’s nur mir so,
oder schweigen wir
zu laut?“

(Von Wegen Lisbeth: Am wenigsten zu sagen. 2019)

 

 

 

Teil 1 – Schneeball 0

 

Der letzte Montag vor Weihnachten nahm in diesem Jahr den Zauber der stillen Tage in all seiner Schönheit einfach schon vorweg, als ob sich sogar das Wetter dachte: Irgend ein Zeichen der Hoffnung muss es doch noch geben! Wozu gab es denn alternative Dimensionen, wenn nicht dafür? Also hatte es über das vierte Adventswochenende geschneit wie in einem tiefwinterlichen Gebirgsrandroman. Die Stadt lag unter einer knöchelhohen Pulverschneedecke, Kinder wurden auf Schlitten durch die Gassen gezogen. Den ganzen Tag über rieselte es leise vor sich hin, und die Flocken glitzerten im Lichterschein des geschmückten Sequoias auf dem Weihnachtsmarktplatz.
Kurz nach dem Mittag warteten die vier Thalenserinnen am Ende der Steinbrücke auf die beiden Quedlinburger, die beide in beiden Händen Wegverpflegung hielten, Schmalzgebäck, kandierte Äpfel, gebrannte Mandeln und Zuckerwatte. Rosa und Violetta warfen sich vielsagende Blicke zu, machten sich zeitgleich von den Händen ihrer Mutter und Tante los und liefen ihrem Vater und dem Brillenträger lachend entgegen. „Sagt mal, eigentlich müssten wir doch gar nicht springen. Konnte ja keiner ahnen, dass es in diesem Jahr schon vor Weihnachten mal klappt.“ Der Buchträger gab den anderen schnell zu verstehen, dass ihm bewusst war, wie zu nahe liegend diese Bemerkung gewesen war. Karoline nahm Rosa wieder an die Hand. „Ja. Aber. Und außerdem wisst ihr noch nicht, was ich schon weiß.“ Violetta sah ihre Tante skeptisch an. „Noch mehr Weiß?“
„Ja, noch viel mehr! Vor hundert Jahren hatte es schon wochenlang geschneit, alles lag im tiefsten Winter. Was meint ihr, was damals rund um die Altenburg los war. Winterrodelwunderland!“ Die Mädchen klatschten aufgeregt in ihre Fäustlinge. „Wo springen wir?“

Eine halbe Stunde später kamen sie hundert Jahre früher aus den dichteren Bäumen des Stadtwalds. Überall waren Menschen auf Skiern oder Holzschlitten zu sehen, Familien, Pärchen, Cliquen. Schneebälle flogen weiter oben über den Wanderweg. Und trotzdem war es seltsam still. Als trauten die Menschen dem Frieden auch nach sieben Jahren immer noch nicht. Als ob die nächste Katastrophe nur eine Flussbiegung entfernt lag.
Nach mehr als zwei Stunden, in denen die Erwachsenen sich beim Wiederhochziehen der Schlitten abgewechselt hatten, waren die Mädchen zum Schneemannbauen übergegangen, wobei sie bereits erstaunlich gut ohne die Hilfe der anderen zurechtkamen. Karoline saß neben dem Brillenträger auf dem Schlitten, beide rauchten unauffällig und wärmten ihre Hände an warmen Kaffeetassen. Marie und der Buchträger saßen ihnen gegenüber und hörten den beiden schon seit einigen Minuten gespannt zu. Gerade fasste Karoline die in diesem Augenblick erst noch kommenden Ereignisse zusammen: „Niemand, wirklich niemand hatte damit gerechnet. Wir sind hier gerade die einzigen, die davon bereits wissen. Von unserem Heute aus betrachtet kann das Hochwasser 1925 ganz sicher als Vorbote nicht nur der Klimakatastrophe gesehen werden. Wer denkt daran, dass ausgerechnet hier, nur eine Woche nach so viel Winterweihnachtswunderland kurz mal die Welt untergeht, und zwar die ganz eigene, die vor der Haustür. … Und wo wir schon mal dabei sind: Meint ihr, wir schaffen noch einen Spaziergang?“
„Wir haben noch gute zwei Stunden Licht. Wo soll’s denn noch hingehen?“

Die beiden Quedlinburger sahen sich ratlos an, als sie eine halbe Stunde später an der letzten großen Flussbiegung der Bode standen, bevor diese geradewegs auf Quedlinburg zufließt. „Wo sind wir hier? Was ist das?“ Der Buchträger hatte zuerst begriffen: „Nein, nein. Was war das?“
Karoline hatte den schmalen Hefter bereits aus ihrem Rucksack geholt. „Bereit für noch eine kleine Geschichtsstunde?“ Sie stellten ihre Schlitten an der kleinen Flussuferpromenade vor der kleinen Ausflugsgaststätte ab, vor der ein paar Leute an ein paar Tischen saßen, die Beine in Wolldecken eingewickelt und vor sich Kaffee und hausgemachten Kuchen. „Aber ich muss euch vorwarnen, damals hatte ich ein ziemliches Schreibtief.“ Der Brillenträger horchte auf: „Ich glaube, ich erinnere mich. … Der Ort hier hatte sogar einen Namen. … Ach, ich komm nicht drauf. Siptenhort? … Bad Siptenhort?“ Karoline schüttelte amüsiert den Kopf. „Fast.“

 

22. Dezember

Schneeball 1
(Babylon Münzenberg 402)

Sogar der Schnee
vermag es nicht
mehr,
meine Stimmung aufzuhellen.
Zu lange schon
sind die Tage kürzer geworden,
und die längste Nacht
fühlt sich an
als gehe sie nie zu Ende.
Noch nie,
seit ich hier bin,
habe ich Wien mehr vermisst,
die Kleinstadt setzt mir zu
mit ihren engen, kalten Gassen
und ihrer gespielten Sorglosigkeit,
auf die ich nicht einmal mehr neidisch sein kann.
Als würde schon alles gut gehen.
Was sollte denn jetzt noch passieren?
Schlimmer als vor ein paar Jahren
kann es doch wohl nicht werden.
Ich solle das Weihnachtsfest
mal nicht unterbewerten.
Immer öfter antworte ich nicht mal mehr,
wenn die Menschen im Laden
mir schon mal vorsorglich ein frohes Neues wünschen.
Als ob die letzten Wochen und Monate
nicht passiert wären.
Keiner spricht mehr
als er muss
über den Zustand der Reichsregierung.
Oder die Räumung von Köln.
Oder über Locarno.
Immerhin
mehr gute als schlechte Nachrichten.
Wer nichts sagt,
hat genug gelobt.
Sehen sie nicht kommen,
was nicht zu übersehen ist?
Oder bin ich nur
die armselige Kassandra geworden,
die ich nie werden wollte?
Ein halbes Jahr nach Erscheinen
dieses Machwerks
müssten doch genug Leute
Bescheid darüber wissen,
was passieren wird,
wenn wir es nicht rechtzeitig verhindern.
In einem Jahr
soll bereits der zweite Teil erscheinen,
und sogar hier in der Provinz
wird schon ganz offen danach gefragt.
Nicht mal ein Jahr nach der Neugründung
seiner unsäglichen „Partei“
hat der „Volkskanzler“
die Aufmerksamkeit der Zeitungen
und somit das Ohr der Masse
wieder für sich.
Und womit?
Mit Hass, Hetze und roher Gewalt.
Das wird sich nicht durchsetzen?
Dass ich nicht lache,
das wird sich genauso schnell durchsetzen
wie es das immer tut,
wenn die Not nur groß genug ist.
Und der GDJB
will sich im nächsten Sommer umbenennen:
Hitlerjugend.
Meine Besorgnis war selten größer.

Aber mir bleibt nichts weiter
als ebenfalls einzustimmen
in den scheinheiligen Gesang
der Kirchenchöre ringsumher.
Ich packe Geschenke ein,
ich backe Plätzchen,
ich putze den Baum,
ich summe Weihnachtslieder,
wenn ich im Laden die Bücher abstaube.

Und ich gehe spazieren.
Immer öfter wünsche ich mir dabei
einen Hund,
dem ich das alles erzählen könnte,
ohne eine resignierte Antwort zu bekommen;
wirkliche Freunde habe ich im Winter kaum
und damit bin ich nicht allein.
Wie in jedem Winter
stelle ich mir dabei den Sommer vor:
Ich spaziere die Bode hinauf,
durch den voll ergrünten Brühl,
der Bärlauch ist sein Wochen verblüht,
ich laufe die Chaussee entlang,
links neben mir spielen Hunde auf der großen Wiese.
Unter der Schafsbrücke
plantschen Kinder in der sanften Strömung,
und ich biege nach rechts ab.
Bis zum Sommerbad sind es nur noch wenige Minuten,
über die Brücke eilen andere Badegäste
auf die große Flussbiegung zu,
wo Eiskaffee und Schatten auf sie warten.

Nur vor dem nächsten Sommer,
und vor denen danach,
fürchte ich mich.
So sehr,
dass ich heute lieber Schneebälle geformt habe;
ein ganzes Munitionslager Pazifismus
wartet hinter dem Schuppen
auf Bad Dippenword.

 

Karoline saß noch einige Minuten alleine auf dem Schlitten. Der Brillenträger und die anderen spielten am Flussufer, die Mädchen warfen Schneebälle in die sich biegende Strömung. Vor hundert Jahren hatte sie sich direkt nach dem Schreiben dieses Textes für nur wenige Stunden hingelegt und war dann doch noch spontan zum Bahnhof gegangen, um am nächsten Morgen in Wien anzukommen, wo sie bis kurz nach Weihnachten geblieben war, bevor sie beinahe beseelt wieder zurückkehrte. Ihrer Familie ging es noch gut und auch ein paar alte Freunde hatte sie noch getroffen. Die Stimmung war jedoch wie überall, wo nicht aktiv weggeschaut wurde oder gar schlimmeres. Was aber dann geschehen war, hatte ihre gesamte Aufmerksamkeit gefesselt und sie bereute es auch hundert Jahre später noch, den Roman über diesen Vorboten der Katastrophe nie begonnen zu haben. Bis diesen Text und einige Notizen und Zeitungsberichte war der Hefter zum Hochwasser 1925 leer. Denn sie konnte die Ereignisse jederzeit heraufbeschwören, ohne auch nur nachlesen zu müssen. Jahrhundertkatastrophen tragen ihren Namen mit gutem Grund:
Kurz nach dem Weihnachtsfest überschlagen sich die Meldungen über eine akute Hochwassergefahr. In allen Zeitungen. In ganz Europa. Kurz vorm Jahreswechsel rollt auch nördlich der Alpen eine ungewöhnliche Wärmewelle über den Kontinent, die zudem begleitet wird von ungewöhnlich starken Niederschlägen. Die Flüsse halten der rapiden Schneeschmelze und dem massiven Regen nicht lange Stand und treten massenweise über die Ufer. Rhein, Mosel und Donau, sowie sämtliche Zuflüsse überschwemmen ganze Länder. Die erste große Schreckensmeldung kommt aus Siebenbürgen, in Klausenburg sterben mehr als achtzig Menschen in den Fluten. Am 29. Dezember erreicht dieses Wetter auch den Harz und Quedlinburg, auf dem Brocken liegen zu diesem Zeitpunkt 130 Zentimeter Schnee bei 3°C und Sonnenschein. Die nächsten Tage sollen „mild, trübe und regnerisch“ werden, so steht es im Quedlinburger Kreisblatt. Am nächsten Tag tritt der Rhein in Köln über die Ufer, die Mosel in Koblenz. Die Katastrophe hat nicht nur Deutschland erreicht, Hochwasser in London, Brüssel, Paris, Warschau, Bukarest und Budapest: „Das fruchtbare Komitat Bekes an der ungarisch-rumänischen Grenze ist in den Weihnachtstagen von der größten Überschwemmungskatastrophe heimgesucht worden, die Europa in den letzten 30 Jahren erlebt hat. Das Dorf Vesztö, das sich unmittelbar an der Überschwemmungsstelle befindet, ist vollkommen vernichtet. Das Wasser steht hier so hoch, dass die Häuser vollkommen unter Wasser sind und nur der Kirchturm und einige hohe Hausdächer aus dem Wasser ragen. In den einsamen Pustagehöften, deren Einwohner von der Flut im Schlafe überrascht worden sind, dürften viele im Wasser umgekommen sein. Der Schaden ist ungeheuer. Hunderte von Häusern sind in den überschwemmten Dörfern bereits eingestürzt. Die Verbindungen nach Rumänien sind vollkommen unterbrochen. Die Telefon- und Telegraphenleitungen sind unbrauchbar. Auf den Eisenbahnstationen stehen überall Sonderzüge bereit.“ – „Die Schreckensnachrichten von der Hochwasserkatastrophe an der rumänischen Grenze werden immer erschütternder. Der weiße, der schwarze und der stille Körös haben über 200 Hektar Land überschwemmt. Die Katastrophe hat über 100 Menschenleben gefordert. Tausende Stück Vieh kamen in den Fluten um. Nach Bukarest verkehrt keine Bahn mehr, da zahlreiche Eisenbahnbrücken von den Fluten zerstört wurden. Der von der Regierung eingesetzte Kommissar hat über das heimgesuchte Gebiet das Standrecht verhängt.“ – Bukarest, 29. Dezember: „Die Überschwemmungen in Siebenbürgen dauern an und verursachen außerordentlichen Schaden. Zahlreiche Truppen sind an die Unglückstellen gesandt worden. Man verwendet Artillerie, um die Brücken von den verstopften Eismassen zu befreien.“
Den Bericht vom darauf folgenden Tag in Quedlinburg überfliegt Karoline nur flüchtig, während sie die letzte Zigarette raucht, bevor die Mädchen nach Hause wollen, nicht ohne dabei festzustellen, dass Liveticker anscheinend auch vor hundert Jahren schon ein untrügliches Zeichen für großes Unheil waren:
Quedlinburger Kreisblatt, 30. Dezember. „Hochwasser. (Die) Untere Bode, die im Sommer so gemächlich dahin plätschert, hat sich infolge der plötzlichen Schneeschmelze im Harz in einen reißenden Gebirgsstrom verwandelt. Wer heute in den frühen Morgenstunden die Bahnhofs- oder Oeringer Brücke überschritt, dem fiel der außerordentlich hohe Wasserstand und die große Geschwindigkeit der enormen Wassermengen auf, die sich zu Tal wälzten. Seitdem ist das Wasser im Bodelauf erheblich gestiegen und es ist bei der Indruckgabe dieser Zeilen noch beständig im Steigen begriffen. Gegen 9¾ Uhr vormittags wies der Pegel an der Oeringer Brücke einen Wasserstand von 1,90 Meter auf, hatte sich jedoch bereits ¼ Stunde später auf 2 Meter erhöht. An der Bahnhofsbrücke reichte der Wasserspiegel um diese Zeit etwa 70 Zentimeter unterhalb der Brückenbogen. Ein Gang bodeaufwärts ließ den bedeutenden Umfang des Hochwassers aber erst richtig erkennen. Waren schon zwischen der Bahnhofsbrücke und dem sogenannten „Itchensteg“ die Flußufer soweit unter Wasser gesetzt, dass Bäume und Sträucher ziemlich hoch umspült wurden, und die am „Itchensteg“ befindliche Einfahrt in das Bodebett bis an den Ausläufer der Bismarckstraße in Wasser getaucht, so bildete die Stelle am Wasserwerk bereits einen breiten Strom, der von der sonst dort sichtbaren kleinen Insel nichts mehr entdecken ließ. Über die unmittelbar am Bodeufer entlangführenden Wege leckte um diese Zeit bereits das Wasser, ebenso wie über einen Teil des an der Turnstraße gelegenen Turnplatzes und den großen Restaurationsgarten des Brühlrestaurants. Ein Teil der Wegstrecke war um diese Zeit bereits unpassierbar. Auch die Tennisplätze im Brühl zeigten schon hier und da Wasserlachen. Die große Wiese von Bäntsch war ein einziger großer Teich, durch den sprudelnd und rauschend der Bodefluss hindurchströmte. Hinter der bäntschschen Wiese verengte sich das Bodebett wiederum, doch betrug die Breite des Bodelaufs immerhin circa 30-35 Meter. Diese Breite hat die Bode etwa bis Dippenword. Wie uns um diese Zeit aus Neinstedt und auch aus Thale gemeldet wurde, ist die Bode in den dortigen Feldmarken aus ihren Ufern getreten und hat weite Flächen überschwemmt. Wer von den zahlreichen, um diese Zeit im brühl befindlichen Schaulustigen, seinen Rückweg an den Tennisplätzen vorbei antreten wollte, dem war etwa eine halbe Stunde später der Weg abgeschnitten, denn das Wasser war inzwischen derart gestiegen, dass es die in der Nähe liegenden Weg bereits überflutete. Um ½11 Uhr war der Wasserstand kaum mehr 25 Zentimeter niedriger, als bei dem Hochwasser vom 12. Januar 1920, als bekanntlich die Wasserhöhe ein Plus von 1,22 Meter des normalen Standes erreichte. – Um 11.45 Uhr erhalten wir aus Weddersleben die telephonische Nachricht, dass das Hochwasser auch dort bereits einen bedrohlichen Umfang angenommen hat, so dass die Feuerwehr mit Pumparbeiten eingreifen musste. In Quedlinburg hat das Wasser um 11.45 Uhr bereits einen Teil der Turnstraße überschwemmt, die an dieser Stelle ungangbar geworden ist. Die dortigen Gärten stehen vollkommen unter Wasser; auch hier ist die Feuerwehr fieberhaft tätig. Die uns auf telephonischen Anruf erteilten Auskünfte der Firmen Bienert und Kratzenstein lassen den Umfang des Hochwassers sehr bedenklich erscheinen. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn teilt uns auf Anfrage mit, dass, falls das Wasser noch um 30 Zentimeter steigen sollte, der betrieb auf einer Teilstrecke eingestellt werden müsse. Infolge eines Dammbruchs zwischen Neinstedt und Weddersleben ist die Papierfabrik Keferstein(?) zur Stunde ebenfalls stark gefährdet. Aus allen vorliegenden Meldungen kann der Schluss gezogen werden, dass das Hochwasser um 12 Uhr mittags bereits höher ist, als am 12. Januar 1920. Hoffentlich sind die riesigen Wassermengen im Harz erschöpft, ehe die Überschwemmung noch bedrohlichere Formen annimmt. Besonders bodeabwärts muss sich Hochwasser bedenklich auswirken, da dort das Bodebett weitaus flacher ist als bei uns. Stand des Hochwassers um 12½ Uhr nachmittags: der größte Teil des Brühls ist überschwemmt. Ein Zugang zum Brühl ist nur noch von der Brühlstraße aus möglich, während der Weg vor dem Brechtdenkmal unter Wasser steht. Der Hauptweg im Brühl ist zur Zeit noch passierbar. In Dippenword ist man beim Bau von Notdämmen. Stand des Hochwassers um 12¾ Uhr: der rechts vom Hauptweg befindliche Teil des Brühls ist überschwemmt. Das Mühlgrabenwehr am Wasserwerk ist überflutet. Das Bodewasser trat durch den Kanal im niedrig gelegenen Teil des Neuen Weges aus, überschwemmte den Neuen Weg in voller Breite und versperrte den Eingang zum Dippeschen Gehöft. Eine große Menschenmenge verfolgt das Steigen des Hochwassers. – Wie uns kurz vor Redaktionsschluss noch gemeldet wird, ist die gesamte Feuerwehr zur Hilfeleistung auf Bad Dippenword alarmiert.

 

 

 

Teil 2 – Schneeball 2

 

Zwei kleine Schneebälle zerplatzten neben Karoline an den Hörnern des Schlittens und rissen sie aus ihren Erinnerungen, die für alle anderen um sie herum noch in der Zukunft lagen, abgesehen von denen, die sie gerade beworfen hatten. Rosa rief sie zu sich ans Ufer. Marie begrüßte sie mit einem Treffer am linken Knie. „Na, wieder aufgetaucht? Was ist denn hier nun genau passiert? Ich kannte die Stelle selbst in hundert Jahren noch nicht.“ Karoline blickte wehmütig über das ruhig dahinfließende Wasser und dachte ein letztes Mal an den vorletzten letzten Sommer. Wie sie sich von der Bode um die Biegung hatte tragen lassen, bevor sie ihr Herz hier vergrub. „Das erzähle ich euch auf dem Rückweg. Am besten wir springen gleich, bevor das Licht ganz weg ist. Vielleicht nur noch ein kleines Stück die Bode hinauf. Keine Beobachter.“

Hundert Jahre später überquerten sie erneut die Schafsbrücke, und bogen nach rechts ab auf die hohen Bäume zu, die Mädchen saßen ruhig auf den Schlitten und beobachteten den Schnee dabei, wie er im letzten Abendlicht anfing zu schmelzen; im Laufe des Tages war es unerwartet warm geworden.
Karoline hatte gerade noch davon erzählt, wie auch sie zum Jahreswechsel 1925/26 immer öfter die Familien gesehen hatte, von denen in den Zeitungen berichtet wurde. Die Obdachlosigkeit hatte sogar in Thale solche Ausmaße angenommen, dass ganze Kommunen wie Nomaden durch die Gegend zogen, auf der Suche nach Schutz vor der Kälte. Nicht wenige davon hatten ihr Lager auch im Brühl aufgeschlagen. Jetzt hielt sie einen kleinen Zeitungsausschnitt in der Hand und blieb kurz stehen, um den anderen vorzulesen: „Und ja, der Text ist hundert Jahre alt. Mal sehen, wer den Unterschied zu heute bemerkt. Oder eben nicht. – Beilage zum Quedlinburger Kreisblatt, 2. Januar 1926. Das Schicksal aber bedient sich manchmal harter Maßnahmen, die Menschen zum Nachdenken und auch zu der Dankbarkeit zu bringen, die er(sic) dem Lenker aller Lebenswege schuldet. Oft aber scheint es in unserer im Übermaß auf Unterhaltung und Vergnügen gerichteten Zeit auch, als sei den Menschen nicht anders beizukommen als durch tieferschütternde Ereignisse, die alles und alle mit sich zu reißen drohen, wie sie vor allem in entfesselten Naturgewalten uns begegnen.“ Der Brillenträger kratzte sich an der Stirn: „Himmel, wie schlimm ist es denn noch geworden?“ Auch die Mädchen waren auf ihren Schlitten wieder hellwach. Karoline ging voran. „Es hätte deutlich schlimmer kommen können. So weit ich bis heute weiß, gab es keine Todesopfer, auch wenn es wohl einige Male sehr knapp gewesen sein muss. Am Nachmittag des 30. war es für die meisten noch lustig genug, um sich die steigende Flut persönlich anzuschauen. Auf der Oeringer Brücke standen noch Menschen als die Gischt schon über die Fahrbahn spritzte. Am Abend dann lachte aber niemand mehr. Im neuen Jahr stand in den Zeitungen über Quedlinburg das gleiche wie über so viele Städte in den letzten Tagen. Am Abend war die Bode im Brühl bald 25 Meter breit. Um acht Uhr erreichte die Flut vom Word aus den Markt. Gegen neun Uhr standen so gut wie alle Keller in der Innenstadt unter Wasser, der Kleers war ein großer See. Mit der Nacht kam auch noch der Sturm, die Wellen an der Schafsbrücke sind meterhoch, bevor sie von ihnen mitgerissen wird. Zwei Menschen sollen dabei richtig Glück gehabt haben. Noch vor Mitternacht wird mit der Räumung einiger Teile der Innenstadt begonnen, die Menschen im Neuen Weg müssen sich ein höher gelegenes Nachtquartier suchen, das Erdgeschoss der Mummentalschule wir ebenfalls komplett geräumt, es wird versucht, so viel ins neue Jahr zu retten wie nur irgend möglich. Sämtliche Hoftiere der Stadt stehen die ganze Nacht bis zum Hals im Wasser. Kurz nach Mitternacht bricht die Bahnhofsbrücke unter Last der angeschwemmten Bäume zusammen, und wieder gibt es dabei keine Opfer. Auch die Menschen, die immer noch Brühlwärterhäuschen eingeschlossen waren als die Pegel ab drei Uhr nachts wieder fielen, überstanden die Katastrophe, vom Sachschaden mal abgesehen.“ Karoline blieb stehen, denn sie hatten eben genau dieses Brühlwärterhäuschen gerade erreicht. „Mit den Aufräumarbeiten konnten wir erst fünf Tage später beginnen, erst dann gab es deutschlandweite Entwarnung.“
„Und was war mit dem Laden?“, der Buchträger kannte seinen Einsatz. „Der Laden? Na ja, wir sind mit ein paar feuchten Bänden davon gekommen; nichts was ich vermisst hätte.“
„Und Bad Dippenword?“
„Das vermisse ich seitdem. Jeden einzelnen Sommer.“

Am letzten Abend vor Weihnachten saß der Brillenträger in seiner Küche und passte auf, dass das Gulasch nicht zu früh anschmorte, für den ersten Weihnachtstag hatte er die anderen zu sich eingeladen. Nebenbei suchte er mit seinem Notebook nach einer Antwort auf die Frage, die ihm der Buchträger vor guten drei Stunden gestellt hatte: „Warum hatte es auch 1925 noch keinen Damm oberhalb des Bodetals gegeben, obwohl doch schon seit 1891 genau dieser Damm gefordert und geplant worden war? Bad Dippenword könnte heute noch existieren.“ Bevor er das Gulasch ein vorletztes Mal umrühren wollte, schrieb er zurück: „Es kommt noch schlimmer: Gebaut wurde die Rappbodetalsperre sogar erst ab 1952, fertiggestellt erst sieben Jahre später.“ Die Antwort zog einen ausufernden Nachrichtenwechsel nach sich: „Wie viel verzerrte Analogie kann so eine Geschichte eigentlich noch aushalten?“
„Rede! Hätte irgendjemand daraus einen Roman gemacht, hätte er sogar die berühmte Kästner-Metapher noch eingeholt.“
„Oh, wieder ganz bescheiden heute, was?“
„Im Ernst. Mehr als dreißig Jahre vorher die Gefahr sehen, und mehr als dreißig Jahre später erst die Konsequenz ziehen. Sounds pretty german to me.“
„Stimmt schon. Und „braune Fluten“ passen auch ganz gut. Anyways, welches Kästner-Zitat überhaupt?“
„Dein Ernst?“
„Ja?“

 

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens(!) 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen: Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.“

(Erich Kästner. 10. Mai 1958)

 

„Ach das! Wenn wir doch bloß wüssten, dass die Jahreszahlen auch wirklich analog funktionieren, dann hätten wir noch knapp drei Jahre Zeit.“
„Wofür?“
„Hast du Die letzte Anstalt schon gesehen?“
„Nein.“
„Okay. Sogar die haben jetzt endgültig und eindeutig eine Seite der Geschichte gewählt.“
„Ich komm immer noch nicht drauf?“
„Partei. Verbot. Verfahren.“
„Haben sie das? Und haben sie dabei wenigstens gleich auch an das Schicksal derer erinnert, die vor hundert Jahren auf der gleichen Seite standen? Keine zehn Jahre später stand da fast niemand mehr. Außer Kästner vielleicht.“
„Ja. Aber.“
„Eben.“
„Aber was sagen denn deine Schattenmonster dazu?“
„Till und Konsorten?“
„Eben die.“
„Das willst du nicht wissen.“
„Doch. Will ich.“
„Na die sind weiterhin am Feiern und Geschehenlassen. Die können selber kaum glauben, wie weit sie dem Zeitplan voraus sind.“
„Glaub ich.“
„Besonders wie die Neugründung der Parteijugend abgelaufen ist, hat für große Zuversicht bei der Parteispitze gesorgt.“
„Ah ja, „Parteijugend“. Verstehe. 85% lonesome Incels. Und es heißt Parteiführung.“
„Mir egal, wie das heißt. Till meint auch, Kalle Hohn ist der richtige Mann.“
„Der Brandenburger?“
„Eben der.“
„Aber haben sich nicht alle über diesen Eichwald mokiert?“
„Sollten sie ja auch. Sagt Till. Kalle jedenfalls ist ein ganz sauberer Fascho. Bestens vernetzt mit dem Casa Pound, den Identitären, und sogar mit der Revolte Rheinland. Wahrscheinlich auch noch mit anderen Revolten. Kalle will „kontrolliert rebellisch sein“, wie es sich für einen jungen Sturmbannführer gehört.“
„Vorsicht, nicht mehr reinlesen als da ist.“
„Wie meinen?“
„Na, wer als „Generation Deutschland“ so dumm ist, sich diesen Namen nicht schützen zu lassen, mit dem kann’s nicht allzu weit her sein.“
„Für 40% könnte es reichen.“
„Meinst du? Trotz Höcke?“
„Wegen Höcke?“
„Nee. Ey, der erfindet im Thüringer Landtag einfach mal so einen Schuldstolz. Aus welchem Stroh ist der Mann gemacht?“
„Das spielt auf Social Media aber keine Rolle. Checkst du?“
„Kannst du das mit der Jugendspracheparodie bitte lassen? Das scheint mir doch stark unangemessen.“
„Six-Seven my ass! Till meint übrigens auch, dass es eine super Idee von Frohmeyer war, zum MAGA-Treffen in die USA zu reisen, um sich von denen einen Preis verleihen zu lassen.“
„Faschismus geht auch transatlantisch.“
„Sagt Till?“
„Sagt Orwell.“
„Also kommt die Flut tatsächlich?“
„Letzter Deutschlandtrend sagt: Ja.“
„Und wieso zögern wir wieder?“
„Weil Schweigen und Beobachten bequemer ist?“
„Oder unauffälliger.“
„Ja, vielleicht werden wir ja doch noch verschont.“
„Von der Flut?“
„Das hast du jetzt geschrieben. … Ich kümmer mich mal wieder um mein Gulasch und die letzten Geschenke.“
„Mach das. Bis morgen.“
„So viel Heimlichkeit, … „

Karoline saß am nächsten Morgen als erste unter dem Baum in Thale und kämpfte mit der Lichterkette. Auch sie freute sich auf die beginnenden Feiertage. Die stillen Tage, wie sie diese für sich selbst immer noch nannte. Denn auch wenn die Welt nie still stand und jeder Tag weiterhin neue Nachrichten mit sich brachte, die auf das Gegenteil hindeuteten, hatte die Weihnachtszeit bis heute überdauert, egal welche Seite gerade gegen sie Krieg führte. Vor hundert Jahren war ihr diese Gewissheit schon einmal begegnet und sie hatte sich deren Trost zum ersten Mal seit vielen Jahren wirklich hingegeben. Wie schön die Tage dann waren. Wie unbeschwert und sorgenfrei. Alles ging seinen gewohnten Lauf, die nächste neue Zeitung erschien erst in ein paar Tagen. Die Zeit verlangsamte sich. Wenn sie schon nicht stehen bleiben konnte. Karoline graute beim ersten Gedanken daran, wie oft dieser Trost sie in den dann folgenden Jahren immer wieder enttäuscht hatte, die Katastrophe hatte gerade erst wieder begonnen, seine nächsten Anfänge zu finden. Damals konnte sie nur ahnen. Heute wusste sie, dass auch das Wissen darüber nicht ausgereicht hätte. Lawinen oder Fluten, beides hält nichts und niemand auf, sobald es zu spät dafür ist.
Als die Mädchen ins Wohnzimmer kamen, hatte sie die fertig angehängte Lichterkette gerade wieder ausgemacht. „Na ihr? Bis heute Abend müsst ihr noch warten. Schafft ihr das?“ Violetta und Rosa zogen beide die Augenbrauen zusammen, sagten aber nichts. „Sehr gut. Vorfreude muss trainiert werden.“ Sie warf einen letzten Blick auf den Baum und rief dann: „Marie? Der Baum könnte noch ein paar Kugeln gebrauchen. Meinst du, die Mädchen schaffen das allein?“ Aber da hatte Violetta schon die erste Kugel in der Hand und gab sie Rosa, die zielsicher den größten Ast auswählte.

In der letzten hellen Stunde des Tages saß Karoline dann erneut an der Flussbiegung kurz vor der Schafsbrücke. Die letzten Schneereste harrten unter den Bäumen am Ufer aus. Wäre ihr Leben ein Zeitreiseroman, der es mit der Physik nicht allzu genau nimmt, hätte sie sich hier und jetzt selbst begegnen müssen. Kurz bevor sie nach Wien aufgebrochen war, war sie ein letztes Mal hierher gekommen, wie um Abschied zu nehmen. Niemand war in diesen frühen Morgenstunden hier gewesen, die Bode floss fast flüsternd durch den Schnee. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur knapp selbst verpasst, denn zu ihrem Weihnachtsritual gehörte von je her, an den stillen Tagen so wenig wie möglich auf die Uhr zu schauen.
Im letzten Licht des Heiligen Abends schrieb sie die letzten Karten, die für die anderen. Auf jeder fand sie einen neuen Anfang, nur das Ende beließ sie immer gleich: „Und ich werfe die letzten Schneebälle ins tauwarme Wasser. Mit liebsten Grüßen von der Biegung des Flusses!“

 

 

P.S.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an das Stadtarchiv Quedlinburg und besonders an Herrn Hahn für Zeit und Insight.

Chronicle (letztes Kapitel)

Bad Dippenword (S13:Midseason Review) (Chronicle 23)

Bild: 100 Jahre Wilde Bode. (Karte und Markierungen: Stadtarchiv Quedlinburg/Hr. Hahn)

 

 

 

„Geht’s nur mir so,
oder schweigen wir
zu laut?“

(Von Wegen Lisbeth: Am wenigsten zu sagen. 2019)

 

 

 

Teil 1 – Schneeball 0

 

Der letzte Montag vor Weihnachten nahm in diesem Jahr den Zauber der stillen Tage in all seiner Schönheit einfach schon vorweg, als ob sich sogar das Wetter dachte: Irgend ein Zeichen der Hoffnung muss es doch noch geben! Wozu gab es denn alternative Dimensionen, wenn nicht dafür? Also hatte es über das vierte Adventswochenende geschneit wie in einem tiefwinterlichen Gebirgsrandroman. Die Stadt lag unter einer knöchelhohen Pulverschneedecke, Kinder wurden auf Schlitten durch die Gassen gezogen. Den ganzen Tag über rieselte es leise vor sich hin, und die Flocken glitzerten im Lichterschein des geschmückten Sequoias auf dem Weihnachtsmarktplatz.
Kurz nach dem Mittag warteten die vier Thalenserinnen am Ende der Steinbrücke auf die beiden Quedlinburger, die beide in beiden Händen Wegverpflegung hielten, Schmalzgebäck, kandierte Äpfel, gebrannte Mandeln und Zuckerwatte. Rosa und Violetta warfen sich vielsagende Blicke zu, machten sich zeitgleich von den Händen ihrer Mutter und Tante los und liefen ihrem Vater und dem Brillenträger lachend entgegen. „Sagt mal, eigentlich müssten wir doch gar nicht springen. Konnte ja keiner ahnen, dass es in diesem Jahr schon vor Weihnachten mal klappt.“ Der Buchträger gab den anderen schnell zu verstehen, dass ihm bewusst war, wie zu nahe liegend diese Bemerkung gewesen war. Karoline nahm Rosa wieder an die Hand. „Ja. Aber. Und außerdem wisst ihr noch nicht, was ich schon weiß.“ Violetta sah ihre Tante skeptisch an. „Noch mehr Weiß?“
„Ja, noch viel mehr! Vor hundert Jahren hatte es schon wochenlang geschneit, alles lag im tiefsten Winter. Was meint ihr, was damals rund um die Altenburg los war. Winterrodelwunderland!“ Die Mädchen klatschten aufgeregt in ihre Fäustlinge. „Wo springen wir?“

Eine halbe Stunde später kamen sie hundert Jahre früher aus den dichteren Bäumen des Stadtwalds. Überall waren Menschen auf Skiern oder Holzschlitten zu sehen, Familien, Pärchen, Cliquen. Schneebälle flogen weiter oben über den Wanderweg. Und trotzdem war es seltsam still. Als trauten die Menschen dem Frieden auch nach sieben Jahren immer noch nicht. Als ob die nächste Katastrophe nur eine Flussbiegung entfernt lag.
Nach mehr als zwei Stunden, in denen die Erwachsenen sich beim Wiederhochziehen der Schlitten abgewechselt hatten, waren die Mädchen zum Schneemannbauen übergegangen, wobei sie bereits erstaunlich gut ohne die Hilfe der anderen zurechtkamen. Karoline saß neben dem Brillenträger auf dem Schlitten, beide rauchten unauffällig und wärmten ihre Hände an warmen Kaffeetassen. Marie und der Buchträger saßen ihnen gegenüber und hörten den beiden schon seit einigen Minuten gespannt zu. Gerade fasste Karoline die in diesem Augenblick erst noch kommenden Ereignisse zusammen: „Niemand, wirklich niemand hatte damit gerechnet. Wir sind hier gerade die einzigen, die davon bereits wissen. Von unserem Heute aus betrachtet kann das Hochwasser 1925 ganz sicher als Vorbote nicht nur der Klimakatastrophe gesehen werden. Wer denkt daran, dass ausgerechnet hier, nur eine Woche nach so viel Winterweihnachtswunderland kurz mal die Welt untergeht, und zwar die ganz eigene, die vor der Haustür. … Und wo wir schon mal dabei sind: Meint ihr, wir schaffen noch einen Spaziergang?“
„Wir haben noch gute zwei Stunden Licht. Wo soll’s denn noch hingehen?“

Die beiden Quedlinburger sahen sich ratlos an, als sie eine halbe Stunde später an der letzten großen Flussbiegung der Bode standen, bevor diese geradewegs auf Quedlinburg zufließt. „Wo sind wir hier? Was ist das?“ Der Buchträger hatte zuerst begriffen: „Nein, nein. Was war das?“
Karoline hatte den schmalen Hefter bereits aus ihrem Rucksack geholt. „Bereit für noch eine kleine Geschichtsstunde?“ Sie stellten ihre Schlitten an der kleinen Flussuferpromenade vor der kleinen Ausflugsgaststätte ab, vor der ein paar Leute an ein paar Tischen saßen, die Beine in Wolldecken eingewickelt und vor sich Kaffee und hausgemachten Kuchen. „Aber ich muss euch vorwarnen, damals hatte ich ein ziemliches Schreibtief.“ Der Brillenträger horchte auf: „Ich glaube, ich erinnere mich. … Der Ort hier hatte sogar einen Namen. … Ach, ich komm nicht drauf. Siptenhort? … Bad Siptenhort?“ Karoline schüttelte amüsiert den Kopf. „Fast.“

 

22. Dezember

Schneeball 1
(Babylon Münzenberg 402)

Sogar der Schnee
vermag es nicht
mehr,
meine Stimmung aufzuhellen.
Zu lange schon
sind die Tage kürzer geworden,
und die längste Nacht
fühlt sich an
als gehe sie nie zu Ende.
Noch nie,
seit ich hier bin,
habe ich Wien mehr vermisst,
die Kleinstadt setzt mir zu
mit ihren engen, kalten Gassen
und ihrer gespielten Sorglosigkeit,
auf die ich nicht einmal mehr neidisch sein kann.
Als würde schon alles gut gehen.
Was sollte denn jetzt noch passieren?
Schlimmer als vor ein paar Jahren
kann es doch wohl nicht werden.
Ich solle das Weihnachtsfest
mal nicht unterbewerten.
Immer öfter antworte ich nicht mal mehr,
wenn die Menschen im Laden
mir schon mal vorsorglich ein frohes Neues wünschen.
Als ob die letzten Wochen und Monate
nicht passiert wären.
Keiner spricht mehr
als er muss
über den Zustand der Reichsregierung.
Oder die Räumung von Köln.
Oder über Locarno.
Immerhin
mehr gute als schlechte Nachrichten.
Wer nichts sagt,
hat genug gelobt.
Sehen sie nicht kommen,
was nicht zu übersehen ist?
Oder bin ich nur
die armselige Kassandra geworden,
die ich nie werden wollte?
Ein halbes Jahr nach Erscheinen
dieses Machwerks
müssten doch genug Leute
Bescheid darüber wissen,
was passieren wird,
wenn wir es nicht rechtzeitig verhindern.
In einem Jahr
soll bereits der zweite Teil erscheinen,
und sogar hier in der Provinz
wird schon ganz offen danach gefragt.
Nicht mal ein Jahr nach der Neugründung
seiner unsäglichen „Partei“
hat der „Volkskanzler“
die Aufmerksamkeit der Zeitungen
und somit das Ohr der Masse
wieder für sich.
Und womit?
Mit Hass, Hetze und roher Gewalt.
Das wird sich nicht durchsetzen?
Dass ich nicht lache,
das wird sich genauso schnell durchsetzen
wie es das immer tut,
wenn die Not nur groß genug ist.
Und der GDJB
will sich im nächsten Sommer umbenennen:
Hitlerjugend.
Meine Besorgnis war selten größer.

Aber mir bleibt nichts weiter
als ebenfalls einzustimmen
in den scheinheiligen Gesang
der Kirchenchöre ringsumher.
Ich packe Geschenke ein,
ich backe Plätzchen,
ich putze den Baum,
ich summe Weihnachtslieder,
wenn ich im Laden die Bücher abstaube.

Und ich gehe spazieren.
Immer öfter wünsche ich mir dabei
einen Hund,
dem ich das alles erzählen könnte,
ohne eine resignierte Antwort zu bekommen;
wirkliche Freunde habe ich im Winter kaum
und damit bin ich nicht allein.
Wie in jedem Winter
stelle ich mir dabei den Sommer vor:
Ich spaziere die Bode hinauf,
durch den voll ergrünten Brühl,
der Bärlauch ist sein Wochen verblüht,
ich laufe die Chaussee entlang,
links neben mir spielen Hunde auf der großen Wiese.
Unter der Schafsbrücke
plantschen Kinder in der sanften Strömung,
und ich biege nach rechts ab.
Bis zum Sommerbad sind es nur noch wenige Minuten,
über die Brücke eilen andere Badegäste
auf die große Flussbiegung zu,
wo Eiskaffee und Schatten auf sie warten.

Nur vor dem nächsten Sommer,
und vor denen danach,
fürchte ich mich.
So sehr,
dass ich heute lieber Schneebälle geformt habe;
ein ganzes Munitionslager Pazifismus
wartet hinter dem Schuppen
auf Bad Dippenword.

 

Karoline saß noch einige Minuten alleine auf dem Schlitten. Der Brillenträger und die anderen spielten am Flussufer, die Mädchen warfen Schneebälle in die sich biegende Strömung. Vor hundert Jahren hatte sie sich direkt nach dem Schreiben dieses Textes für nur wenige Stunden hingelegt und war dann doch noch spontan zum Bahnhof gegangen, um am nächsten Morgen in Wien anzukommen, wo sie bis kurz nach Weihnachten geblieben war, bevor sie beinahe beseelt wieder zurückkehrte. Ihrer Familie ging es noch gut und auch ein paar alte Freunde hatte sie noch getroffen. Die Stimmung war jedoch wie überall, wo nicht aktiv weggeschaut wurde oder gar schlimmeres. Was aber dann geschehen war, hatte ihre gesamte Aufmerksamkeit gefesselt und sie bereute es auch hundert Jahre später noch, den Roman über diesen Vorboten der Katastrophe nie begonnen zu haben. Bis diesen Text und einige Notizen und Zeitungsberichte war der Hefter zum Hochwasser 1925 leer. Denn sie konnte die Ereignisse jederzeit heraufbeschwören, ohne auch nur nachlesen zu müssen. Jahrhundertkatastrophen tragen ihren Namen mit gutem Grund:
Kurz nach dem Weihnachtsfest überschlagen sich die Meldungen über eine akute Hochwassergefahr. In allen Zeitungen. In ganz Europa. Kurz vorm Jahreswechsel rollt auch nördlich der Alpen eine ungewöhnliche Wärmewelle über den Kontinent, die zudem begleitet wird von ungewöhnlich starken Niederschlägen. Die Flüsse halten der rapiden Schneeschmelze und dem massiven Regen nicht lange Stand und treten massenweise über die Ufer. Rhein, Mosel und Donau, sowie sämtliche Zuflüsse überschwemmen ganze Länder. Die erste große Schreckensmeldung kommt aus Siebenbürgen, in Klausenburg sterben mehr als achtzig Menschen in den Fluten. Am 29. Dezember erreicht dieses Wetter auch den Harz und Quedlinburg, auf dem Brocken liegen zu diesem Zeitpunkt 130 Zentimeter Schnee bei 3°C und Sonnenschein. Die nächsten Tage sollen „mild, trübe und regnerisch“ werden, so steht es im Quedlinburger Kreisblatt. Am nächsten Tag tritt der Rhein in Köln über die Ufer, die Mosel in Koblenz. Die Katastrophe hat nicht nur Deutschland erreicht, Hochwasser in London, Brüssel, Paris, Warschau, Bukarest und Budapest: „Das fruchtbare Komitat Bekes an der ungarisch-rumänischen Grenze ist in den Weihnachtstagen von der größten Überschwemmungskatastrophe heimgesucht worden, die Europa in den letzten 30 Jahren erlebt hat. Das Dorf Vesztö, das sich unmittelbar an der Überschwemmungsstelle befindet, ist vollkommen vernichtet. Das Wasser steht hier so hoch, dass die Häuser vollkommen unter Wasser sind und nur der Kirchturm und einige hohe Hausdächer aus dem Wasser ragen. In den einsamen Pustagehöften, deren Einwohner von der Flut im Schlafe überrascht worden sind, dürften viele im Wasser umgekommen sein. Der Schaden ist ungeheuer. Hunderte von Häusern sind in den überschwemmten Dörfern bereits eingestürzt. Die Verbindungen nach Rumänien sind vollkommen unterbrochen. Die Telefon- und Telegraphenleitungen sind unbrauchbar. Auf den Eisenbahnstationen stehen überall Sonderzüge bereit.“ – „Die Schreckensnachrichten von der Hochwasserkatastrophe an der rumänischen Grenze werden immer erschütternder. Der weiße, der schwarze und der stille Körös haben über 200 Hektar Land überschwemmt. Die Katastrophe hat über 100 Menschenleben gefordert. Tausende Stück Vieh kamen in den Fluten um. Nach Bukarest verkehrt keine Bahn mehr, da zahlreiche Eisenbahnbrücken von den Fluten zerstört wurden. Der von der Regierung eingesetzte Kommissar hat über das heimgesuchte Gebiet das Standrecht verhängt.“ – Bukarest, 29. Dezember: „Die Überschwemmungen in Siebenbürgen dauern an und verursachen außerordentlichen Schaden. Zahlreiche Truppen sind an die Unglückstellen gesandt worden. Man verwendet Artillerie, um die Brücken von den verstopften Eismassen zu befreien.“
Den Bericht vom darauf folgenden Tag in Quedlinburg überfliegt Karoline nur flüchtig, während sie die letzte Zigarette raucht, bevor die Mädchen nach Hause wollen, nicht ohne dabei festzustellen, dass Liveticker anscheinend auch vor hundert Jahren schon ein untrügliches Zeichen für großes Unheil waren:
Quedlinburger Kreisblatt, 30. Dezember. „Hochwasser. (Die) Untere Bode, die im Sommer so gemächlich dahin plätschert, hat sich infolge der plötzlichen Schneeschmelze im Harz in einen reißenden Gebirgsstrom verwandelt. Wer heute in den frühen Morgenstunden die Bahnhofs- oder Oeringer Brücke überschritt, dem fiel der außerordentlich hohe Wasserstand und die große Geschwindigkeit der enormen Wassermengen auf, die sich zu Tal wälzten. Seitdem ist das Wasser im Bodelauf erheblich gestiegen und es ist bei der Indruckgabe dieser Zeilen noch beständig im Steigen begriffen. Gegen 9¾ Uhr vormittags wies der Pegel an der Oeringer Brücke einen Wasserstand von 1,90 Meter auf, hatte sich jedoch bereits ¼ Stunde später auf 2 Meter erhöht. An der Bahnhofsbrücke reichte der Wasserspiegel um diese Zeit etwa 70 Zentimeter unterhalb der Brückenbogen. Ein Gang bodeaufwärts ließ den bedeutenden Umfang des Hochwassers aber erst richtig erkennen. Waren schon zwischen der Bahnhofsbrücke und dem sogenannten „Itchensteg“ die Flußufer soweit unter Wasser gesetzt, dass Bäume und Sträucher ziemlich hoch umspült wurden, und die am „Itchensteg“ befindliche Einfahrt in das Bodebett bis an den Ausläufer der Bismarckstraße in Wasser getaucht, so bildete die Stelle am Wasserwerk bereits einen breiten Strom, der von der sonst dort sichtbaren kleinen Insel nichts mehr entdecken ließ. Über die unmittelbar am Bodeufer entlangführenden Wege leckte um diese Zeit bereits das Wasser, ebenso wie über einen Teil des an der Turnstraße gelegenen Turnplatzes und den großen Restaurationsgarten des Brühlrestaurants. Ein Teil der Wegstrecke war um diese Zeit bereits unpassierbar. Auch die Tennisplätze im Brühl zeigten schon hier und da Wasserlachen. Die große Wiese von Bäntsch war ein einziger großer Teich, durch den sprudelnd und rauschend der Bodefluss hindurchströmte. Hinter der bäntschschen Wiese verengte sich das Bodebett wiederum, doch betrug die Breite des Bodelaufs immerhin circa 30-35 Meter. Diese Breite hat die Bode etwa bis Dippenword. Wie uns um diese Zeit aus Neinstedt und auch aus Thale gemeldet wurde, ist die Bode in den dortigen Feldmarken aus ihren Ufern getreten und hat weite Flächen überschwemmt. Wer von den zahlreichen, um diese Zeit im brühl befindlichen Schaulustigen, seinen Rückweg an den Tennisplätzen vorbei antreten wollte, dem war etwa eine halbe Stunde später der Weg abgeschnitten, denn das Wasser war inzwischen derart gestiegen, dass es die in der Nähe liegenden Weg bereits überflutete. Um ½11 Uhr war der Wasserstand kaum mehr 25 Zentimeter niedriger, als bei dem Hochwasser vom 12. Januar 1920, als bekanntlich die Wasserhöhe ein Plus von 1,22 Meter des normalen Standes erreichte. – Um 11.45 Uhr erhalten wir aus Weddersleben die telephonische Nachricht, dass das Hochwasser auch dort bereits einen bedrohlichen Umfang angenommen hat, so dass die Feuerwehr mit Pumparbeiten eingreifen musste. In Quedlinburg hat das Wasser um 11.45 Uhr bereits einen Teil der Turnstraße überschwemmt, die an dieser Stelle ungangbar geworden ist. Die dortigen Gärten stehen vollkommen unter Wasser; auch hier ist die Feuerwehr fieberhaft tätig. Die uns auf telephonischen Anruf erteilten Auskünfte der Firmen Bienert und Kratzenstein lassen den Umfang des Hochwassers sehr bedenklich erscheinen. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn teilt uns auf Anfrage mit, dass, falls das Wasser noch um 30 Zentimeter steigen sollte, der betrieb auf einer Teilstrecke eingestellt werden müsse. Infolge eines Dammbruchs zwischen Neinstedt und Weddersleben ist die Papierfabrik Keferstein(?) zur Stunde ebenfalls stark gefährdet. Aus allen vorliegenden Meldungen kann der Schluss gezogen werden, dass das Hochwasser um 12 Uhr mittags bereits höher ist, als am 12. Januar 1920. Hoffentlich sind die riesigen Wassermengen im Harz erschöpft, ehe die Überschwemmung noch bedrohlichere Formen annimmt. Besonders bodeabwärts muss sich Hochwasser bedenklich auswirken, da dort das Bodebett weitaus flacher ist als bei uns. Stand des Hochwassers um 12½ Uhr nachmittags: der größte Teil des Brühls ist überschwemmt. Ein Zugang zum Brühl ist nur noch von der Brühlstraße aus möglich, während der Weg vor dem Brechtdenkmal unter Wasser steht. Der Hauptweg im Brühl ist zur Zeit noch passierbar. In Dippenword ist man beim Bau von Notdämmen. Stand des Hochwassers um 12¾ Uhr: der rechts vom Hauptweg befindliche Teil des Brühls ist überschwemmt. Das Mühlgrabenwehr am Wasserwerk ist überflutet. Das Bodewasser trat durch den Kanal im niedrig gelegenen Teil des Neuen Weges aus, überschwemmte den Neuen Weg in voller Breite und versperrte den Eingang zum Dippeschen Gehöft. Eine große Menschenmenge verfolgt das Steigen des Hochwassers. – Wie uns kurz vor Redaktionsschluss noch gemeldet wird, ist die gesamte Feuerwehr zur Hilfeleistung auf Bad Dippenword alarmiert.

 

 

 

Teil 2 – Schneeball 2

 

Zwei kleine Schneebälle zerplatzten neben Karoline an den Hörnern des Schlittens und rissen sie aus ihren Erinnerungen, die für alle anderen um sie herum noch in der Zukunft lagen, abgesehen von denen, die sie gerade beworfen hatten. Rosa rief sie zu sich ans Ufer. Marie begrüßte sie mit einem Treffer am linken Knie. „Na, wieder aufgetaucht? Was ist denn hier nun genau passiert? Ich kannte die Stelle selbst in hundert Jahren noch nicht.“ Karoline blickte wehmütig über das ruhig dahinfließende Wasser und dachte ein letztes Mal an den vorletzten letzten Sommer. Wie sie sich von der Bode um die Biegung hatte tragen lassen, bevor sie ihr Herz hier vergrub. „Das erzähle ich euch auf dem Rückweg. Am besten wir springen gleich, bevor das Licht ganz weg ist. Vielleicht nur noch ein kleines Stück die Bode hinauf. Keine Beobachter.“

Hundert Jahre später überquerten sie erneut die Schafsbrücke, und bogen nach rechts ab auf die hohen Bäume zu, die Mädchen saßen ruhig auf den Schlitten und beobachteten den Schnee dabei, wie er im letzten Abendlicht anfing zu schmelzen; im Laufe des Tages war es unerwartet warm geworden.
Karoline hatte gerade noch davon erzählt, wie auch sie zum Jahreswechsel 1925/26 immer öfter die Familien gesehen hatte, von denen in den Zeitungen berichtet wurde. Die Obdachlosigkeit hatte sogar in Thale solche Ausmaße angenommen, dass ganze Kommunen wie Nomaden durch die Gegend zogen, auf der Suche nach Schutz vor der Kälte. Nicht wenige davon hatten ihr Lager auch im Brühl aufgeschlagen. Jetzt hielt sie einen kleinen Zeitungsausschnitt in der Hand und blieb kurz stehen, um den anderen vorzulesen: „Und ja, der Text ist hundert Jahre alt. Mal sehen, wer den Unterschied zu heute bemerkt. Oder eben nicht. – Beilage zum Quedlinburger Kreisblatt, 2. Januar 1926. Das Schicksal aber bedient sich manchmal harter Maßnahmen, die Menschen zum Nachdenken und auch zu der Dankbarkeit zu bringen, die er(sic) dem Lenker aller Lebenswege schuldet. Oft aber scheint es in unserer im Übermaß auf Unterhaltung und Vergnügen gerichteten Zeit auch, als sei den Menschen nicht anders beizukommen als durch tieferschütternde Ereignisse, die alles und alle mit sich zu reißen drohen, wie sie vor allem in entfesselten Naturgewalten uns begegnen.“ Der Brillenträger kratzte sich an der Stirn: „Himmel, wie schlimm ist es denn noch geworden?“ Auch die Mädchen waren auf ihren Schlitten wieder hellwach. Karoline ging voran. „Es hätte deutlich schlimmer kommen können. So weit ich bis heute weiß, gab es keine Todesopfer, auch wenn es wohl einige Male sehr knapp gewesen sein muss. Am Nachmittag des 30. war es für die meisten noch lustig genug, um sich die steigende Flut persönlich anzuschauen. Auf der Oeringer Brücke standen noch Menschen als die Gischt schon über die Fahrbahn spritzte. Am Abend dann lachte aber niemand mehr. Im neuen Jahr stand in den Zeitungen über Quedlinburg das gleiche wie über so viele Städte in den letzten Tagen. Am Abend war die Bode im Brühl bald 25 Meter breit. Um acht Uhr erreichte die Flut vom Word aus den Markt. Gegen neun Uhr standen so gut wie alle Keller in der Innenstadt unter Wasser, der Kleers war ein großer See. Mit der Nacht kam auch noch der Sturm, die Wellen an der Schafsbrücke sind meterhoch, bevor sie von ihnen mitgerissen wird. Zwei Menschen sollen dabei richtig Glück gehabt haben. Noch vor Mitternacht wird mit der Räumung einiger Teile der Innenstadt begonnen, die Menschen im Neuen Weg müssen sich ein höher gelegenes Nachtquartier suchen, das Erdgeschoss der Mummentalschule wir ebenfalls komplett geräumt, es wird versucht, so viel ins neue Jahr zu retten wie nur irgend möglich. Sämtliche Hoftiere der Stadt stehen die ganze Nacht bis zum Hals im Wasser. Kurz nach Mitternacht bricht die Bahnhofsbrücke unter Last der angeschwemmten Bäume zusammen, und wieder gibt es dabei keine Opfer. Auch die Menschen, die immer noch Brühlwärterhäuschen eingeschlossen waren als die Pegel ab drei Uhr nachts wieder fielen, überstanden die Katastrophe, vom Sachschaden mal abgesehen.“ Karoline blieb stehen, denn sie hatten eben genau dieses Brühlwärterhäuschen gerade erreicht. „Mit den Aufräumarbeiten konnten wir erst fünf Tage später beginnen, erst dann gab es deutschlandweite Entwarnung.“
„Und was war mit dem Laden?“, der Buchträger kannte seinen Einsatz. „Der Laden? Na ja, wir sind mit ein paar feuchten Bänden davon gekommen; nichts was ich vermisst hätte.“
„Und Bad Dippenword?“
„Das vermisse ich seitdem. Jeden einzelnen Sommer.“

Am letzten Abend vor Weihnachten saß der Brillenträger in seiner Küche und passte auf, dass das Gulasch nicht zu früh anschmorte, für den ersten Weihnachtstag hatte er die anderen zu sich eingeladen. Nebenbei suchte er mit seinem Notebook nach einer Antwort auf die Frage, die ihm der Buchträger vor guten drei Stunden gestellt hatte: „Warum hatte es auch 1925 noch keinen Damm oberhalb des Bodetals gegeben, obwohl doch schon seit 1891 genau dieser Damm gefordert und geplant worden war? Bad Dippenword könnte heute noch existieren.“ Bevor er das Gulasch ein vorletztes Mal umrühren wollte, schrieb er zurück: „Es kommt noch schlimmer: Gebaut wurde die Rappbodetalsperre sogar erst ab 1952, fertiggestellt erst sieben Jahre später.“ Die Antwort zog einen ausufernden Nachrichtenwechsel nach sich: „Wie viel verzerrte Analogie kann so eine Geschichte eigentlich noch aushalten?“
„Rede! Hätte irgendjemand daraus einen Roman gemacht, hätte er sogar die berühmte Kästner-Metapher noch eingeholt.“
„Oh, wieder ganz bescheiden heute, was?“
„Im Ernst. Mehr als dreißig Jahre vorher die Gefahr sehen, und mehr als dreißig Jahre später erst die Konsequenz ziehen. Sounds pretty german to me.“
„Stimmt schon. Und „braune Fluten“ passen auch ganz gut. Anyways, welches Kästner-Zitat überhaupt?“
„Dein Ernst?“
„Ja?“

 

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens(!) 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen: Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.“

(Erich Kästner. 10. Mai 1958)

 

„Ach das! Wenn wir doch bloß wüssten, dass die Jahreszahlen auch wirklich analog funktionieren, dann hätten wir noch knapp drei Jahre Zeit.“
„Wofür?“
„Hast du Die letzte Anstalt schon gesehen?“
„Nein.“
„Okay. Sogar die haben jetzt endgültig und eindeutig eine Seite der Geschichte gewählt.“
„Ich komm immer noch nicht drauf?“
„Partei. Verbot. Verfahren.“
„Haben sie das? Und haben sie dabei wenigstens gleich auch an das Schicksal derer erinnert, die vor hundert Jahren auf der gleichen Seite standen? Keine zehn Jahre später stand da fast niemand mehr. Außer Kästner vielleicht.“
„Ja. Aber.“
„Eben.“
„Aber was sagen denn deine Schattenmonster dazu?“
„Till und Konsorten?“
„Eben die.“
„Das willst du nicht wissen.“
„Doch. Will ich.“
„Na die sind weiterhin am Feiern und Geschehenlassen. Die können selber kaum glauben, wie weit sie dem Zeitplan voraus sind.“
„Glaub ich.“
„Besonders wie die Neugründung der Parteijugend abgelaufen ist, hat für große Zuversicht bei der Parteispitze gesorgt.“
„Ah ja, „Parteijugend“. Verstehe. 85% lonesome Incels. Und es heißt Parteiführung.“
„Mir egal, wie das heißt. Till meint auch, Kalle Hohn ist der richtige Mann.“
„Der Brandenburger?“
„Eben der.“
„Aber haben sich nicht alle über diesen Eichwald mokiert?“
„Sollten sie ja auch. Sagt Till. Kalle jedenfalls ist ein ganz sauberer Fascho. Bestens vernetzt mit dem Casa Pound, den Identitären, und sogar mit der Revolte Rheinland. Wahrscheinlich auch noch mit anderen Revolten. Kalle will „kontrolliert rebellisch sein“, wie es sich für einen jungen Sturmbannführer gehört.“
„Vorsicht, nicht mehr reinlesen als da ist.“
„Wie meinen?“
„Na, wer als „Generation Deutschland“ so dumm ist, sich diesen Namen nicht schützen zu lassen, mit dem kann’s nicht allzu weit her sein.“
„Für 40% könnte es reichen.“
„Meinst du? Trotz Höcke?“
„Wegen Höcke?“
„Nee. Ey, der erfindet im Thüringer Landtag einfach mal so einen Schuldstolz. Aus welchem Stroh ist der Mann gemacht?“
„Das spielt auf Social Media aber keine Rolle. Checkst du?“
„Kannst du das mit der Jugendspracheparodie bitte lassen? Das scheint mir doch stark unangemessen.“
„Six-Seven my ass! Till meint übrigens auch, dass es eine super Idee von Frohmeyer war, zum MAGA-Treffen in die USA zu reisen, um sich von denen einen Preis verleihen zu lassen.“
„Faschismus geht auch transatlantisch.“
„Sagt Till?“
„Sagt Orwell.“
„Also kommt die Flut tatsächlich?“
„Letzter Deutschlandtrend sagt: Ja.“
„Und wieso zögern wir wieder?“
„Weil Schweigen und Beobachten bequemer ist?“
„Oder unauffälliger.“
„Ja, vielleicht werden wir ja doch noch verschont.“
„Von der Flut?“
„Das hast du jetzt geschrieben. … Ich kümmer mich mal wieder um mein Gulasch und die letzten Geschenke.“
„Mach das. Bis morgen.“
„So viel Heimlichkeit, … „

Karoline saß am nächsten Morgen als erste unter dem Baum in Thale und kämpfte mit der Lichterkette. Auch sie freute sich auf die beginnenden Feiertage. Die stillen Tage, wie sie diese für sich selbst immer noch nannte. Denn auch wenn die Welt nie still stand und jeder Tag weiterhin neue Nachrichten mit sich brachte, die auf das Gegenteil hindeuteten, hatte die Weihnachtszeit bis heute überdauert, egal welche Seite gerade gegen sie Krieg führte. Vor hundert Jahren war ihr diese Gewissheit schon einmal begegnet und sie hatte sich deren Trost zum ersten Mal seit vielen Jahren wirklich hingegeben. Wie schön die Tage dann waren. Wie unbeschwert und sorgenfrei. Alles ging seinen gewohnten Lauf, die nächste neue Zeitung erschien erst in ein paar Tagen. Die Zeit verlangsamte sich. Wenn sie schon nicht stehen bleiben konnte. Karoline graute beim ersten Gedanken daran, wie oft dieser Trost sie in den dann folgenden Jahren immer wieder enttäuscht hatte, die Katastrophe hatte gerade erst wieder begonnen, seine nächsten Anfänge zu finden. Damals konnte sie nur ahnen. Heute wusste sie, dass auch das Wissen darüber nicht ausgereicht hätte. Lawinen oder Fluten, beides hält nichts und niemand auf, sobald es zu spät dafür ist.
Als die Mädchen ins Wohnzimmer kamen, hatte sie die fertig angehängte Lichterkette gerade wieder ausgemacht. „Na ihr? Bis heute Abend müsst ihr noch warten. Schafft ihr das?“ Violetta und Rosa zogen beide die Augenbrauen zusammen, sagten aber nichts. „Sehr gut. Vorfreude muss trainiert werden.“ Sie warf einen letzten Blick auf den Baum und rief dann: „Marie? Der Baum könnte noch ein paar Kugeln gebrauchen. Meinst du, die Mädchen schaffen das allein?“ Aber da hatte Violetta schon die erste Kugel in der Hand und gab sie Rosa, die zielsicher den größten Ast auswählte.

In der letzten hellen Stunde des Tages saß Karoline dann erneut an der Flussbiegung kurz vor der Schafsbrücke. Die letzten Schneereste harrten unter den Bäumen am Ufer aus. Wäre ihr Leben ein Zeitreiseroman, der es mit der Physik nicht allzu genau nimmt, hätte sie sich hier und jetzt selbst begegnen müssen. Kurz bevor sie nach Wien aufgebrochen war, war sie ein letztes Mal hierher gekommen, wie um Abschied zu nehmen. Niemand war in diesen frühen Morgenstunden hier gewesen, die Bode floss fast flüsternd durch den Schnee. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur knapp selbst verpasst, denn zu ihrem Weihnachtsritual gehörte von je her, an den stillen Tagen so wenig wie möglich auf die Uhr zu schauen.
Im letzten Licht des Heiligen Abends schrieb sie die letzten Karten, die für die anderen. Auf jeder fand sie einen neuen Anfang, nur das Ende beließ sie immer gleich: „Und ich werfe die letzten Schneebälle ins tauwarme Wasser. Mit liebsten Grüßen von der Biegung des Flusses!“

 

 

P.S.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an das Stadtarchiv Quedlinburg und besonders an Herrn Hahn für Zeit und Insight.

Letzte Kurzgeschichte

6/7 (S13:Midseason Break)

Bild: random 42. Tobias Peuke. 2025.

 

 

Der Brillenträger betrachtete die graue und wirklich überall beliebige Landschaft, die rechts und links an den Zugfenstern vorbeizog. Flaches Land, tief hängende Wolken. Brach liegende Felder warteten auf den ersten Frost. Die lichten Kiefernwälder atmeten den feinen Niesel tief ein und wieder aus. Den Namen des Dorfes, in das ihn der andere Brillenträger erst vor ein paar Stunden zum spontanen Sit-In eingeladen hatte, hatte er dabei wie alle anderen auch das aller erste Mal gehört: Junkenhof. Er hätte weniger lustig klingen können.

Die Gastbegerin stand gerade in der Tür des kleinsten Bauernhauses als er langsam auf den Dreiseitenhof rollte. Ihr Mantel wölbte sich stolz über ihrem Bauch und sie lachte das gleiche offene Lachen mit dem er sie vor so vielen Jahren kennengelernt hatte. Neben ihr stand der andere Brillenträger, seinen Sohn an der linken Hand, der beiden zu gleichen Teilen nicht ähnelte.
„Du bist ja doch da!“
„Hatte ich doch geschrieben!?“
„Äh, nee?“
„Oh, muss wohl in einem der Funklöcher der letzten Stunden passiert sein. Sorry.“ Die Freunde begrüßten sich wie sich Freunde begrüßen, die sich nur zwei bis drei Mal im Jahr sehen, dafür aber jedes Jahr seit mehr als 20 Jahren, also wie immer. „Wie lange geht euer Novemberbreak schon?“
„Wir sind seit Montag Abend hier. Das Dorf ist so voll wie immer. Du hättest nirgends noch ein Bett gekriegt.“
„Na, zum Glück kenne ich ja Herrn und Frau Sowieso aus dem Friedrichshain.“ Er trat sich die Schuhe ab und drängelte sich an den beiden vorbei in die warme Stube. Wir sollten nicht kalt werden, ich bin eh schon angeditscht“, schaffte er noch zu sagen, bevor er hastig nach einem Taschentuch suchte, in das er unangenehm laut hineinhustete. „So klingen in Berlin bestimmt auch gerade alle, was?“
„Frag nicht. Du kannst dir vorstellen was in der Kita los ist.“
„Kann ich. Das gleiche wie überall.“
„Und außerdem, du weißt schon: Mal wieder ne kurze Flucht in die Eindeutigkeit und och ma raus ausm scheen grau’n Berlin, mal raus aus der ganzen Randomness, wo immer alles so, na ja, irgendwie sowohl mit … als auch ohne Augenzwinkern ist. Dies. Das. Fascheeste?“
„Krass. Hast du das vorher aufgeschrieben?“
Der andere Brillenträger verdrehte nur die Augen und verschwand in der Küche, um den gerade fertig gezogenen Tee und den Sandkuchen zu holen, den die drei am Vormittag zusammen gebacken hatten.

Eine halbe Stunde später saßen sie ein Haus weiter am Kaffetisch, auf dem auch die Kuchen der anderen Familien standen, mit denen die beiden hier gemeinsam so etwas wie Herbstferien machten. Der andere Brillenträger erklärte ihnen gerade allen gerne und ausschweifend, warum es bald schon wieder nicht mehr angesagt sein würde, die Wochenenden hier draußen in der Mark zu verbringen. Schon letztes Jahr wären hier die meisten Ecken schon viel zu versnobt gewesen. Von wegen „Neue Hamptons“ und so. Nichts mehr übrig vom Provinzkunstcharme, in allen Kleinstgalerien nur noch Werke von irgendwelchen Berliner Alkoholiker*innen. Er hatte sich schnell ich Rage geredet, und der Brillenträger versuchte ihn mit Humor auszubremsen, schließlich saßen Kinder mit am Tisch. „Also ich hab ja neulich gelesen, dass die Uckermark eher so die „deutschen Catskills“ sein sollen, fand den Vergleich dann aber schnell doch ganz schön sch…äbig.“ Die Gastgeberin stupste ihre Nachbarin an und kommentierte augenzwinkernd: „Weder noch, oder? Wie weit wäre es denn zum Strand? Oder in die Berge? Die Herren verbringen definitiv zu viel Zeit im falschen Feuilleton.“ In diesem Moment liefen vor dem Fenster ein paar Kinder durch den Regen und fuchtelten mit den Armen als würden sie mit Tennisbällen jonglieren. Der andere Brillenträger stand vom Tisch auf, nahm den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse und ging zur Musikanlage. „Technics. Röhrenverstärker. Steht hier locker schon seit 30 Jahren. Der braucht mal was frisches.“ Und nur wenige Momente später schallten eindringliche Melodien durch den Raum, sein Sohn schwang begeistert die Arme im Takt, und die Tür nach draußen war fest verschlossen.

 

„Seine Angst ist mеine Angst.
Seine Wut ist mеine Wut.
Seine Liebe ist meine Liebe.
Sein Blut ist mein Blut.“

(Rosalia: Berghain. 2025)

 

Kurz bevor es zum Abendbrot in das dritte und größte Haus des Hofes gehen sollte, saßen die Männer der Wochenendgesellschaft unter einem Pavillon, der den Gelegenheitsrauchern eine Gelegenheit bot, und führten eine borderline cringe Unterhaltung über Post-Ironie, wobei sie den Begriff selbst, jedes Mal wenn sie ihn verwendeten, mit ihren Fingern in fingergroße Anführungszeichen setzten. „Also erstmal sprichst du das komplett falsch aus: Es heißt ,Six-Sääven’.“
„Du musst es ja wissen. Wie oft hast du das in den letzten Wochen gehört?“
„Viel weniger oft als ihr jetzt glaubt. Im Grunde ist das schon wieder durch.“
„Das glaube ich nicht.“
„Und wieso nicht?“
„Na, weil das die perfekte Metapher für alles ist.“
„Das sind nur zwei Ziffern. Die zufällig nebeneinander liegen. Jedes Kindergartenkind kann so lustig sein.“
„Eben!“
„Was meinst du mit ,eben’?“
„Alles ist, nur noch, random. Relevanz entsteht ausschließlich durch Kontext.“
„Oh, dann gebe ich euch mal Kontext“, schaltete sich die Gastgeberin ein, „und danach kommt ihr bitte wieder rein, die Suppe wird sonst kalt.“ Sie zeigte ihnen ein kurzes Reel auf ihrem Handy: Ein Grundschüler erklärt seiner Mutter widerwillig, was denn nun wirklich der Sinn hinter allem war: 6 mal 7 sei ja wohl bekanntlich 42! Und damit aber noch nicht genug, denn 2025 + 42 sind ja wohl 2067. Die Mutter lacht lauter als ihr Sohn. Aber der kannte den Witz ja auch schon und konnte deswegen post-ironisch lächelnd weiter seiner Dinge nachgehen. Die Männer konnten sich schwer auf ihren Stühlen halten. „Leute, dagegen ist das letzte Trump-Gerücht ja tatsächlich nur noch lame.“
„Und das wäre?“
„Ja, will ich auch wissen. Hab seit fünf Tagen keine Nachrichten mehr gelesen.“ Doch da kamen die Kinder auf den Hof, um ihre Väter und den Brillenträger wieder an den perfekt gedeckten Tisch zu holen.

Nach dem Essen, und nachdem alle Kinder in der oberen Etage des selben Hauses eingeschlafen waren, mühte sich die Wochenendgesellschaft mit der unvermeidlichen Ost-West-Diskussion ab, aber nicht einmal mit der grenzwertigsten Ironie konnten sie dem Thema heute noch etwas spannendes entlocken. Stattdessen verstiegen sie sich schnell auf eine Art Wochenendhaus/Urlaubsdorftratsch, denn jede und jeder von ihnen hatte in der letzten Woche entweder beim Bäcker, beim Fleischer oder im Café irgendetwas aufgeschnappt, das so weder in Berlin noch in der Provinz aufzuschnappen gewesen wäre. Da gab es die Geschichte mit den Spritzen auf dem einzigen Spielplatz in Junkenhof, die hier noch nach Wochen an jedem Tresen weitergesponnen wurde, bis es gestern zur folgenden Version reichte: Nein, eben kein Heroin. Auch kein Ivermectin. Nicht mal altes Astra-Zeneca. Die Spritzen gehörten angeblich dem Mann, der sich am oberen Ende des Dorfs eingemietet hatte, um innerhalb von drei Wochen mindestens 25 Kilo abzunehmen, ohne dass ihn groß jemand in Bewegung gesehen hätte. Oder da gab den handfesten Gooner-Skandal um die drei Burschenschaftler aus Bautzen. Nach einer Woche exzessiver Orgie sollen sie sich gegenseitig so dermaßen auf die Ketten gegangen sein, dass einer nach dem anderen durchs Dorf gelaufen war und allen erzählen wollte, was die jeweils anderen beiden als Vorlagen so benutzen würden. Die wildeste Behauptung sollte irgendwas damit zu tun gehabt haben, dass einer der drei dabei erwischt wurde, wie er ein Reaction Video aufgenommen hatte, wozu er KI-Pornographie benutzt haben soll, in der die anderen beiden eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hätten. Der Upload war aber wohl noch verhindert worden. Als letztes wusste der andere Brillenträger noch von den drei Paaren aus Stuttgart zu berichten, die gleich hier gegenüber im Vierseitenhof eine nicht unwesentliche Cannabisplantage betrieben. Im Dorf wurde sich erzählt, die Cannabis-Cocktails, die seit der Erntezeit ausgegeben würden, seien absolut kein Grund für eine Zurücknahme des entsprechenden Gesetzes. „In der Uckermark!“, fügte er gespielt empört hinzu, „hier hat die AfD im Frühling auch bloß 38% Prozent geholt.“
„Und? Habt Ihr mal probiert?“
„Trauen wir uns nicht, wegen der Kinder.“
„Würde noch jemand einen Espresso-Cremant nehmen? Es ist noch nicht mal Neun.“

Die uralte Standuhr im Wohnzimmer schlug 1 Uhr, und der Brillenträger saß alleine unter dem Pavillon, die anderen waren vor wenigen Minuten ins Bett gegangen; Kinder betrachten das mit dem Ausschlafen seit jeher eher post-ironisch. Er zündete sich eine letzte Zigarette an und wartete auf einen Hustenanfall, der aber niemals kam.

 

 

9. und 16. November

 

S13:Ep 9 und 10(u) – Who Cares About Anything For Real, Anymore?

 

Merz erklärt den Bürgerkrieg in Syrien für beendet,
vielen wöllten zurück und es gäbe keinen Grund mehr für Asyl,
Spahn sieht in der Rückkehr eine „patriotische Pflicht“,
Wadepfuhl aber stellt bei Besuch in Syrien fest,
dass dort niemand menschenwürdig leben kann

– Merz teasert Schutzzölle für Stahl an
– Merz muss der Jungen Union die Sache mit der Rente noch mal erklären

Streek sagt, alte Menschen brauchen keine teuren Medikamente mehr

Cop30:
Newsom kommt statt Trump
Merz verspricht Regenwald zu schützen
(neuer Fonds klingt tatsächlich ganz gut)
Indigene stürmen die Halle in Belem am ersten Tag,
den Vorplatz am zweiten Wochenende

– Kalmaegi wütet auf den Philippinen und über Vietnam (knapp 200 Tote)
– nachts kein Trinkwasser in Teheran
– nächster Taifun auf den Philippinen (knapp eine Million Menschen werden evakuiert)
CO2-Ausstoß weiter gestiegen

Bürgerkrieg im Sudan auch wieder interessant:
Gräueltaten in Al-Fashir

Kriegsprotokoll. Deutsche Heimatfront. Letzte Reihe.
Woche 187 und 188.

Montag: Pokrowsk und Kupjansk halten nicht mehr lange durch. In elf weiteren Orten schlagen Drohnen und Artilleriegeschosse ein. Dienstag: Kein Liveticker. Mittwoch: Kein Liveticker. Donnerstag: Kein Liveticker. Freitag: Bundeswehr General Sollfrank vermutet bereits morgen einen russischen Angriff auf die Nato. Samstag: Die Herbstoffensive läuft wie üblich: Die Energieinfrastruktur der Ukraine ist permanent am Limit. Sonntag: Die Ukraine schlägt zurück: In Belgorod sind 10.000e ohne Strom. Montag: Kein Liveticker. Dienstag: Wadepfuhl stellt weitere 40.000.000 Winterhilfe zur Verfügung. Mittwoch: Zwei ukrainische Minister müssen wegen Korruption ihr Amt niederlegen. Donnerstag: Kein Liveticker. Freitag: In der Nacht wird Kiew mit Raketen und Drohnen angegriffen. Merz bittet Selenskyj am Telefon darum, dass doch bitte nicht so viele wehrfähige junge Männer nach Deutschland kommen. Samstag: Der nächste Korruptionsskandal fliegt Selenskyj um die Ohren. Sonntag: Kein Liveticker.

– Neuer Wehrdienst:
freiwillig bis zum Spannungsfall,
ab nächstes Jahr werden wieder EKG-Griffe vorgenommen (aber nur nach Zustimmung)

– „Man braucht sich da nichts vorzumachen oder schönzureden: Die heute im israelischen Parlament in der ersten von mehreren nötigen Sitzungen beschlossene Ausweitung der Todesstrafe ist charakteristisch ein faschistisches und rassistisches Gesetzesvorhaben. Allein der Punkt, dass das Gesetz nur für Araber gelten soll, die Juden töten, nicht aber für Juden, die Araber oder andere Menschen töten, ist ein Irrwitz.“ (Torsch)

Gatsby-Party on the same night SNAP ended
(„a little party never killed nobody“)

NYC-Wahl:
Musk nennt Mamdani einen „charismatischen Schwindler“ (vor der Wahl)
Trump droht New York mit Streichung von Fördermitteln bei Demokratie
– Mamdani gewinnt (höchste Wahlbeteiligung seit 1960)
– Neben dem Erfolg bei der Bürgermeisterwahl in New York gewann die Demokratische Partei auch die Gouverneurswahlen in den beiden US-Bundesstaaten Virginia und New Jersey. Die drei Abstimmungen galten als wichtiger Stimmungstest für Trump rund ein Jahr nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten. Und auch die Abstimmung im Bundesstaat Kalifornien über eine von den Demokraten angestrebte Wahlkreisreform konnte die Partei US-Medien zufolge für sich entscheiden.
– Trumps Reaktion auf TS: …AND SO IT BEGINS!,
Trump is not talking and posting anymore, he is „truthing out“ (Fox),
laut Fox beginnt der Exodus der Immohaie gen Florida

Jon Stewart bleibt in 2026

Shutdown mit neuer Rekordlänge (43 Tage)
– President Donald Trump and his administration have until Friday to find funds for full SNAP benefits after a Rhode Island judge ordered the government to restore food aid payments halted by the government shutdown.
– 2. Novemberwochenende: 40 Flughäfen nur noch bedingt einsatzbereit
Trump bei Orban am Lügen über Walmart-Thanksgiving Packung
Epstein Files wohl noch viel belastender als vermutet (way more):
Among the more than 20,000 Jeffrey Epstein documents released Wednesday (November 12th), in one email Epstein writes, „would you like photos [sic] of donald and girls in bikinis in my kitchen.“, dann auch noch ein paar schwere Finanzskandale dabei, nächste Woche stimmt das House für full release?
– auch schlimm: nicht wenige Journalisten wussten also seit Jahren Bescheid und haben nichts gesagt, das gleiche gilt für Dems/Reps mit Insight
Trump befiehlt Untersuchungen, ausschließlich für Dems
MTG kriegt keine Love mehr

„The sleeping giant of America is roaring“ (Stimmung kippt contra Trump?)

Musk on its way to be a trillionaire (tesla shareholders)

Al-Sharaa (Syrien)
einen Tag nach Streichung von der Terrorliste
auf Staatsbesuch in den USA

Trump verspricht jedem US-Bürger 2.000 Zoll-Dividende
Trump begnadigt Giulliani und andere, von denen er viele gar nicht kennt
Trump wird bei NFL Game gnadenlos ausgebuht
Trump verklagt die BBC (wegen Doku über den 6. Januar), die entschuldigt sich halbherzig

– Dems caved on the Shutdown, a new vote on healthcare in December
– Shutdown ended after 43 days, next up: january
Noem verspricht 10k Bonus für TSA Workers, die ohne Bezahlung Pässe kontrolliert haben

– Gerüchte über eine Invasion Venezuelas werden laut
(bis jetzt noch „Operation Southern Spear“)

„Antifa Ost“ (Deutschland) jetzt Terrororganisation in den USA

Seattle just sent a political shockwave across the country — and the sound you heard was big-tech billionaires clutching their pearls as voters handed the keys to the city to a 43-year-old community organizer who rents a 600-square-foot apartment and doesn’t even own a car.

– Did Trump blow Clinton?

Nawrocki (Polen) will einfach mal keine guten Richter

Uhu am 9. November: „Noch nie waren Demokratie und Freiheit so angegriffen.“
– einen Tag später gibt Sahra W. ihren Parteivorsitz ab, Fabio rückt nach, Sahra bleibt aber in führender Position dabei…
Uschi Glas hat herausgefunden, dass ihr Vater bei der Waffen-SS war, als sie herausfinden wollte, dass sie jüdische Vorfahren hat

– „Als Treffpunkt haben sich die ca 15 bis 22 jährigen Neonazis den sogenannten „Tannenpark“ aka Mauerpark auserkoren. Von dort aus erstreckt sich eine regelrechte Graffiti-Wand aus rechtsextremistischen Parolen im Umkreis von 500 m und vereinzelt darüber hinaus. Und obwohl das Rathaus selbst Attacke der unschönen Farbattacken wurde, schweigen sich die Vertreter:Innen darin über die Problemlage aus.
Mittlerweile ist bekannt geworden, dass hier in Halberstadt und sogar direkt aus diesem Umfeld eine 15 – 20 Mann starke Schlägertruppe entspringt, die sich hinter ihrem Führer „Adolf“ zusammenraffen.“
Chupalla warnt vor … Polen
Erik Ahrens (der „neue Goebbels“) haut die AfD bei Zapp in die Pfanne

– Prozessauftakt zum Weihnachtsmarktattentat in MD

Quedlinburger Markt wird geschmückt, nach Karnevalsumzug zum Fremdschämen

– Horror Start für Cooper Flagg, nur am Losen, AD kaputt… dann fliegt GM Harrison endlich, sonst hätte wahrscheinlich demnächst die Arena gebrannt. Go Cooper, get your own!
Duke Running Mate Kon Knueppel im Moment Top Rookie
AR und The Don momentan bestes Backcourt-Duo der Geschichte (Offense),
auch wenn sie gegen OKC ganz schlecht aussehen

 

Gegen 4.20 Uhr zwanzig am Sonntag Morgen war er aus einem viel zu leichten Schlaf aufgewacht und hatte sich wieder unter den Pavillon gesetzt, so warm wie möglich angezogen, auch wenn er der zweiten Erkältung in diesem Herbst eh nicht mehr entkommen konnte. Vor ihm blinkte der Cursor auf dem hell erleuchteten Schwarzen Spiegel und wartete darauf, dass der Brillenträger seinen Traum von eben als Prompt in irgendein KI-Tool eingab. Stattdessen aber schwieg er diese noch nicht wahr gewordene Erinnerung und halluzinierte wortlos vor dem stillen Textdokument: Es muss 2028 gewesen sein. Er und die Suse. Und seine Kollegin vom französischen Untergrund. Und noch so viele mehr. Irgendwo in der Quedlinburger Innenstadt. Mal auf den Stufen des Rathauses, mal hinter den Stadtmauern, mal auf brennenden Barrikaden vor dem Studiokino. Auch das Wetter hatte ständig gewechselt. Schnee und Hagelschauer. Sengende Blitze und noch viel sengendere Sonne. Abgedeckte Dächer und glühendes Kopfsteinpflaster. Überall herrschten Chaos und Not. In nur drei Jahren waren ihre schlimmsten Albträume wahr geworden. Schlägertrupps patrouillierten durch die Gassen, Touristen gab es schon seit zwei Jahren nicht mehr. Die Faschisierung der Provinz musste eine unvorstellbare Dynamik entwickelt haben, seit die AfD die Regierung führte. Suse, die Kollegin vom französischen Untergrund und er bastelten verzweifelt Steinschleudern in den Kellern der Hölle. Keiner war weggegangen, alle waren geblieben. Die Schlacht dauerte eine Woche. Nur wenige überlebten. Der Brillenträger schrak plötzlich auf. Der Pavillon auf dem Dreiseitenhof war von einer Windböe umgeworfen worden und er saß unter einem nackten Sternenhimmel. Bis zum Sonnenaufgang schlief er dann so tief wie seit langem nicht.

Natürlich veranstalten sie alle gemeinsam einen Brunch am Sonntag Vormittag. Die Wolken hatten sich verzogen, und von Osten schien die Morgensonne durch die offene Seite des Hofs, erst am Horizont waren einzelne Bäume auszumachen, die nur beinahe im Dunst verschwanden. Die Gastegeberin und ihr Sohn saßen dem anderen Brillenträger und ihm selbst gegenüber. Der jüngste am Tisch malte mit einem tannengrünen Filzstift auf seine Serviette, nur für den Stamm fehlte ihm noch die richtige Farbe. „Oha, er weiß also schon, was Weihnachten ist?“
„Was glaubst du? Mindestens drei mal am Tag müssen wir ihn anlügen.“
„Das schafft ihr. Was sagt er zu deinem Bauch?“
„Das verraten wir nicht, weil es wahrscheinlich sogar ihr Name wird.“ Der Brillenträger lachte in seinen Kaffee. Da fragte ihn der andere Brillenträger, ob er bis Weihnachten durchhalten würde und brauchte nichts weiter in seine Stimme zu legen, so dass der Brillenträger wusste, wie ernst das trotz der frühen und heiteren Stunden gemeint war. „Ich denke ja. Und wenn nicht, dann eben nicht. Wäre keine Schande, oder?“ Der andere Brillenträger drehte seine beiden Handflächen nach oben und hielt sie vor seinem Zwerchfell parallel nebeneinander. Dann begann er langsam, seine Hände abwechselnd hoch unter runter zu bewegen, als wöge er jede mögliche Antwort behutsam ab. „Oder einfach mal blau machen nach dem Volkstrauertag? Der werfe die erste Kartoffel, der nicht schon selbst irgendwann mal …“ Er winkte ab. „Wann fährt dein Zug? Ich bring dich.“
Der Brillenträger zog sich sein Cap etwas tiefer ins Gesicht und rutschte im Stuhl etwas nach hinten: „Noch nicht.“