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Hammer und Tanz (S3:Ep3)

von | 2020 | 23. August | Die Serie, Staffel 3 - Cope

Hoffnung,
dein Name sei Heparin! (?)
Schon mal gehört, ja?
Genau, das ist ein
ganz normaler Thrombosehemmer.
Wird jedes Jahr
hundertausendfach verabreicht,
zum Beispiel bei
nicht mehr ganz so leichten Fußverletzungen.
Um einen Blutstau
in den verletzten Gefäßen zu verhindern,
wird das Blut daran gehindert zu gerinnen
und somit die Venen zu verstopfen.
Die Folge davon wäre,
dass die Körperzellen nicht mehr
mit Sauerstoff versorgt werden können,
also ersticken und sterben.
Passiert so was im Fuß,
muss dieser im schlimmsten Fall
amputiert werden.
Wie gesagt,
Heparin hilft dagegen ganz gut.

Wem das bis hier zu medizinisch war,
der sollte vorsichtshalber
wikipedia nebenbei aufmachen.
Denn jetzt wird es interessant:
Anfang August veröffentlichte
das englische Fachjournal „The Lancet“
eine Studie,
die möglicherweise erklärt,
woran die Menschen,
die an Covid-19 erkranken,
genau sterben.
Die Studie nennt das Phänomen
eine Immunthrombose.
Kurz erklärt handelt es sich dabei
um eine Art Überreaktion des Immunsystems.
Bei einer Infektion schickt das nämlich gleich
seine krassesten Fighter raus,
die das Virus wortwörtlich einfangen.
Mit so einer Art Netz.
Und das machen sie so gut und so oft,
dass die weißen Blutkörperchen
dabei die Venen zusetzen.
Die Folge davon ist die selbe
wie im Beispiel weiter oben.
Nur eben nicht im Fuß,
sondern im Brustkorb,
wo Sars-Cov2 nun, wie bekannt,
besonders gern rumlungert.
Mit den Lungenzellen passiert also
das selbe wie mit den Menschen,
zu deren Lunge sie gehören:
Sie ersticken.

Bemerkenswert an dieser Erkenntnis
ist nicht nur,
dass es berechtigte Hoffnung auf eine
vielleicht sogar sehr unproblematische
Therapieform macht.
Da ja im Moment alle nur
über Impfstoffe sprechen,
gerät also die zweite Variante
vom Ende der Pandemie aus dem Blick.
Die Kurve muss ja nur
so lange flach gehalten werden,
bis ein Weg gefunden ist,
einer völlig neuen Krankheit
effektiv zu begegnen.
Das kann eine Impfung sein,
oder eben eine wirksame Behandlung.

Sollte mit Heparin also ein gutes
und verfügbares Medikament
gefunden worden sein,
wäre das die Nachricht
auf die alle gewartet haben.
Noch krasser allerdings
ist der Zeitraum in dem das passiert ist,
es hat nur ein halbes Jahr gedauert,
bis jemand darauf gekommen ist.
Zum Vergleich:
Die Identifizierung von Keimen
als Auslöser für Wundentzündungen
dauerte Jahrhunderte.
Erst um 1850 dachten ein paar Leute
in die richtige Richtung.
Und konnten so,
mit einfachen
aber revolutionären Maßnahmen (Hygiene),
viele Füße
und Menschen retten.
Acht von zehn Sterbefällen in Krankenhäusern
zu dieser Zeit waren mit schweren,
aber heute nicht mehr tödlichen
(dank der modernen Chirurgie)
Verletzungen eingeliefert worden
(offene Brüche nach Stürzen, zum Beispiel).
Bis dahin wurde alles mögliche
für die Entzündungen verantwortlich gemacht:
Fäulnisdämpfe, böse Geister, Schicksal.
Auf Mikroorganismen war keiner gekommen.
Aber Mikroskope waren damals
auch eher noch Spielzeuge.

Also: Normalerweise dauert es etwas,
bis die richtige Lösung gefunden ist,
da ist ein halbes Jahr schon ziemlich gut.
Aber wie bei allem wissenschaftlichen Fortschritt
braucht es Fehler und deren Korrekturen,
um wirklich etwas zu wissen.
Weswegen auch mit dieser
scheinbar bahnbrechenden Erkenntnis
sehr vorsichtig umgegangen werden muss,
und weswegen sie es bis jetzt
noch nicht wirklich über
das Deutsche Ärzteblatt hinaus geschafft hat.
Nicht dass dann gleich
das ganze #TeamDrosten
nach Berlin fährt,
um vor der Charité
das Ende der Pandemie zu feiern.

Aber vielleicht wird ja
aus dem verordneten Stehblues
mit noch ein bisschen mehr Geduld
bald wieder ein tobender Moshpit.
Dann gerne auch vor der Charité.

Denn die Hammer und Tanz – Strategie
hat bis jetzt nicht nur das schlimmste verhindert,
sondern auch den Blick von vielen
für so vieles geschärft.
Da im Februar kaum jemand mehr
über Covid-19 wusste
als gar nichts,
und einfach in sehr kurzer Zeit
sehr viele Menschen erkrankt
und gestorben sind,
gab es gar keinen anderen Weg
als möglichst viele Kontakte zwischen Menschen
auf einen Schlag zu unterbinden
(der Hammer).
So wurde zumindest die Ausbreitung verlangsamt,
wenn man schon nicht wusste,
warum die Menschen sterben.
Seitdem sind wir alle live dabei,
wie unzählige Menschen versuchen,
genau das herauszufinden
und bis dahin zu lernen,
mit dem Virus zu leben
(der Tanz).
Besonders geduldig oder lernbereit
sind dabei die wenigsten.
Und am allerwenigsten die,
die eher bereit sind,
an finstere Pläne der globalen Eliten zu glauben,
als daran, dass menschliche Antikörper
auch mal was nicht ganz richtig machen.
So wie das Berghain.
Jahrelang ein top notch Virenkarussell,
demnächst eine überdimensionierte Galerie.

Vorgestern ist dann der Hammer
auch in Magdeburg gefallen,
und nächste Woche
kann der Tanz also beginnen.
Die Schulen in Sachsen-Anhalt
reihen sich ein,
zwei Schritte vor,
einen zurück.
Schenkt Euch Kaffee nach,
es folgt eine kleine Übersicht
der jüngsten Kuriositäten
aus den Laborschulen der Welt
(2020 ist Bielefeld überall).
Wie schon vor den Sommerferien
wurden hierzulande mal wieder Forderungen
nach Samstagsunterricht laut.
In der selben Woche
denkt der Bundes-Arbeitsminister
ebenfalls laut über die 4-Tage Woche nach.
Ähm, das wären dann ja gleich
zwei Arbeitstage mehr
im Vergleich zur „Wirtschaft“
(soll ich für nen Freund schreiben…).
Das wäre wohl sinnvoll,
um das Verpasste aus
dem letzten Halbjahr aufzuholen,
und um eine Möglichkeit zu haben,
die Beschulung zu entzerren.
Zustimmungswert: 4/10.

Kommen wir dann gleich zu den Masken,
dann können wir die schnell wieder
in die Tasche stecken:
Wenn zwei der größten
wöchentlichen Leitmedien
nacheinander das gleiche Thema
auf der Titelseite haben,
dann weiß der gebildete Alman:
Empörung und Debatte sind gewollt.
Die Zeit und Der Spiegel haben
sich also herabgelassen,
um dem Bildungsbürgerchen mal zu sagen,
wie er das eigentlich zu finden hat.
Hier erst mal am nahen Beispiel:
In allen Schulen in Sachsen-Anhalt gilt
an den ersten beiden Schultagen
Maskenpflicht, mit Ausnahme des Klassenraumes.
Dafür sind dort die Klassen vollständig
(also bis zu 30 Schülerinnen und Schüler plus Lehrkraft).
Ab der ersten vollen Woche
gibt das Bildungsministerium die Entscheidungen
dann weitestgehend an die Schulen
und Gesundheitsämter ab.
Ganz ehrlich?
Angesichts des Infektionsgeschehens
(7-Tages-Durchschnitt Landkreis Harz aktuell: 0)
ist das eine ziemlich clevere Variante.
Außerdem zwingt es
jeden Beteiligten
aktiv zur Solidarität.
Mal schauen,
wie lang das Daumendrücken
dann reicht.
Sogar Klassenfahrten sind erlaubt.

In den Bundesländern, die bereits gestartet sind,
läuft es im Grunde auch ziemlich gut
(wenn gut bedeutet, dass die
allermeisten Schulen noch nicht wieder zu sind),
auch wenn natürlich nicht klar ist,
welche Rolle sie
bei den aktuell wieder steigenden
Infektionszahlen einnehmen.
Und mal ganz abgesehen
von dem einsamen Grundschulleiterwolf
in Rathenow, der sich
mit seiner selbstgerechten Entscheidung,
die Maskenpflicht auszusetzen,
nicht nur eine erwartbare Suspendierung,
sondern auch den Applaus
von Xavier Naidoo erspielt hat.
Sorry, not sorry.

Aber hier vorläufig also
erst mal zwei Tage Maskenball
auf den Schulfluren.
Clevere Schulradios spielen
in den Pausen
Lieder im
Dreivierteltakt.
Zustimmungswert: 6/8.

Ganz anders läuft es in Thailand:
Da sitzen die Kinder momentan
(auch im Kindergarten)
in Würfeln aus Klarsichtfolie,
und tragen eine Maske.
Sofern die Schulen überhaupt geöffnet sind.
Immerhin, schließlich waren
vor den Sommerferien
zeitweise über 90% der Kinder weltweit
viele Wochen lang
überhaupt nicht in der Schule.
Aber stundenlang in Plasteboxen
rumhocken müssen?
Zustimmungswert: 0/10.

Weitere Schlagschlichter
im Wechselschritt:
Bhutan: Maskenpflicht und 1,5m,
auch im Unterricht. (6/10)
China (Kindergarten): Keine Masken,
viel Hygiene, Überprüfung von Symptomen,
Zuwendung. (10/10)
Elfenbeinküste: Masken und Einzeltische. (5/10)
Ägypten: Keine Masken,
dafür reichlich Abstand
und ständiges Händedesinfizieren. (6/10)
Laos (seit zwei Monaten keine neuen Ausbrüche):
Generelle Maskenpflicht. (5/10)
Vietnam: Maskenpflicht, Abstand,
Hygiene und Temperaturmessungen. (5/10)
USA: jeder wie er denkt. (6/10,
wenn man davon ausgeht,
dass der verantwortungsbewusste
Teil der Amerikaner,
angeblich mehr als die Hälfte,
sich zusammenreißt.)
UK: weiß noch keiner. (-/10).

Dort war es übrigens letzte Woche
wieder besonders surreal zugegangen.
Die Abiturnoten wurden durch
einen Algorithmus errechnet
(da die Prüfungen, wie in Frankreich,
einfach nicht durchgeführt worden waren),
was zur Folge hatte,
dass auf einmal über 40% der Absolventen
ihr Studium nicht hätte antreten können. (-101/101)
Zum Glück hat diese Koksidee
so viel Gegenwind hervorgerufen,
dass die Entscheidung zurückgenommen wurde,
und die Lehrerinnen und Lehrer
die Noten eigenständig vergeben konnten. (zehn/zehn)
Und da es der UK ist,
hatte natürlich genau dieses Szenario
auch der Gewinnertext
des Jugend-Orwellpreises
vor zwei Jahren.
O-Ton der Autorin heute:
„Ich bin in meiner eigenen Story aufgewacht.“

Zum Ende noch schnell etwas ganz anderes,
aber Schadenfreude muss geteilt werden:
Obermegasupernazi Steve Bannon
wurde heute verhaftet und
wegen Spendenbetrugs angeklagt.
Er hat wohl Geld veruntreut,
dass er über eine Kampagne zum Mauerbau
an der mexikanischen Grenze
eingeworben hatte.
Martin Sellner und Attila Hildmann
gefällt dieser Trick bestimmt gar nicht.
Vor allem weil Trump sie nicht begnadigen wird.

„I’m so tired of being tired
Sure as night will follow day
Most things I worry about
Never happen anyway.“

(Tom Petty: Crawling back to you. 1994.)

Ja, wir sind alle müde.
Auch wenn es jetzt
nicht mehr die Hitze ist,
die uns schlachalle macht,
so leiden doch viele
nun seit einem halben Jahr
an genereller mentaler Erschöpfung.
Wäre ich Bild-Redakteur,
würde ich daraus eine
Hammer-Story machen müssen:
„Die Wahrheit über die Corona-Müdigkeit
– alles, was sie eh schon wussten“.
Es wird zwar immer noch
zu wenig über die Spätfolgen gesprochen,
aber ein bisschen was
sickert ab und an mal durch:
Bekannt sind:
chronische Atemprobleme,
chronisch verminderter
Geruchs- und Geschmackssinn
und, absolut keine Überraschung für niemanden:
chronische Müdigkeit.
Dazu kommen dann noch
die psychische und kollektive Müdigkeit,
oder wie man bei Almans sagt:
„Nu is doch auch mal gut mit Corona.“

Nee, ist es eben nicht.
Aber müde bin ich auch.
Und in dieser Erschöpfung
fällt es nicht schwer,
nach Ausreden zu suchen
und auch welche zu finden.
Zumal die Zahlen im näheren Umfeld
wirklich gen Null gehen.
Aber eben nur hier.
Und eben nur noch.
Kurz mal über den Tellerrand geschaut,
und siehe da:
Inzwischen über 800.000 Tote,
jeden Tag kommen 5.000 weitere dazu,
und das sind nur die,
bei denen eine Infektion nachgewiesen wurde.
Und in Deutschland werden weiter munter
die jährlichen Grippetoten relativiert.
(Versucht es doch
zur Abwechslung mal mit AIDS:
2019 sind weltweit deutlich weniger
als 800.000 Menschen daran gestorben.
Da relativiert es sich auf einmal
nicht mehr so leicht, was?)
Über Atemschutzmasken
wird auch gerne diskutiert.
Aber darüber, dass inzwischen
in mehreren Dutzend Schulen in Berlin
schon weit über 300 Quarantänen
angeordnet werden mussten,
liest man nur im englischen Guardian.
Immerhin gibt es ernsthafte Hinweise darauf,
dass die neuen Mutationen des Virus‘
weniger gefährlich sind.
Oder liegt hier auch wieder nur
ein Betrachtungsfehler vor?
Da die Risikogruppen immer noch
weitestgehend abgeschirmt
vom öffentlichen Leben
auf das Ende der Pandemie warten,
infizieren sich also inzwischen
mehr jüngere Leute,
bei denen, wie bekannt,
die Gefahr geringer ist.
Sie infizieren sich aber,
was auch heißt,
dass sich das Virus weiterhin ausbreitet.

Und da kommt dann wieder
die Grippe ins Spiel,
denn die kommt
im Herbst und Winter wieder.
Zwei Infektionen auf einmal
findet aber auch das beste Immunsystem
eher doppelt anstrengend.
Zumal das bei vielen
wegen des hintergründigen Stresses,
der so wahnsinnig ermüdend ist,
auch schon mal besser zurecht war.
Soweit, so schlecht, so müde.

Seltsam eigentlich,
wie wir alle trotzdem weitermachen.
Vielleicht ist Müdigkeit
ja doch gar nicht so übel.
Wenn 120bpm Discoschritt
nur noch anstrengend sind,
fühlt sich ein langsamer Walzer
doch auch mal ganz gut an.

Und dann hat man auch
kurz mal wieder Kraft,
sich zu vergegenwärtigen,
was noch so wichtig ist.
„Ach ja jenau,
wenn Corona vorbei is,
is wieder Klima, wa?
Und denn kommt die Greta wieder.“

Nein, Almännchen,
dann ist immer noch Klima,
und sogar schlimmer als vorher.
Aber ja, Greta ist wieder da,
vorgestern in Berlin
bei der Kanzlerin.
Und anschließend vor dem Brandenburger Tor,
„Fridays for future“ läuft in der 105. Woche.
Das sind zwei Jahre,
Müdigkeit kann ihr also
niemand andichten.
In den USA kann man gerade wieder
die Dringlichkeit des Problems beobachten:
100.000 Menschen sind auf der Flucht
vor Waldbränden in Kalifornien.
Verheerende Derecho Stürme ziehen über Iowa
(langanhaltende Zusammenballungen
mehrerer heftiger Gewitter,
wodurch Unmengen an Ernten
vernichtet werden).

Das Gegenteil in China:
Einer der größten Dämme des Landes
droht wegen übermäßigem Starkregen
überzulaufen.
Und wer jetzt denkt,
das wäre ja auch alles
zum Glück wieder woanders,
der war lange nicht im Harz.

Vor lauter Müdigkeit
wollen mir partout
keine originellen Überleitungen mehr einfallen,
aber wie will man auch gewitzt
zu der weiterhin chaotischen Weltlage gelangen,
wenn diese immer noch
absurder werden kann.
Nur ein Beispiel:
Die Vereinigten Arabischen Emirate.
Der mittelgroße Staat am persischen Golf,
der wichtigsten Ölhandelsroute der Welt,
macht der Tage doppelt von sich reden.
Auf der einen Seite zeigen sie sich
Israel gegenüber freundlich,
das sich deswegen dann
auch gleich die Freiheit nimmt,
den Gazastreifen dauerhaft
mit Angriffen zu überziehen.
Auf der anderen Seite gewähren sie
dem ehemaligen König von Spanien Asyl,
der wegen Kapitalverbrechen
hierher geflohen ist.
Und der #Frisurensohn macht genau was?
Richtig: applaudieren und
sich mit fremden Federn schmücken.
Der Wahlkampf im Trumpismus
kennt keine Scham.
Und das dann auch noch
für die nächsten 10 Wochen.
Alles zusammen genommen:
Nichts anderes als ein Tanzmarathon
auf mehreren Festen gleichzeitig.
Was wird das für ein Winterschlaf!

Also: Alles auf Anfang,
und
– eins, zwo, drei
– eins, zwo, drei
– eins, zwo, drei.

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