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Orange Crush (S3:Ep8)

von | 2020 | 12. September | Die Serie, Staffel 3 - Cope

Mensch, das Comeback
der Goldenen Zwanziger
ist ja auch so richtig komplett
in die Hose gegangen, oder?
Den heiß ersehnten
„Neuen Tanz auf dem Vulkan“
hatten sich die Charlestonfans,
Koksdealer und
Tanzparkettverleger
bestimmt auch anders vorgestellt.
Die Großstädte beginnen schon
sich zu wandeln.
Die Kleingärten sind alle belegt,
das Lagerfeuer und
die Wohnstuben (oder Küchen)
feiern ihr 100. Comeback.

Aber tief in der Provinz
strömen hunderte
zu einer Veranstaltung
in einer ehemaligen Nazi-
bzw. Kreisparteischule.
Das Gelände ist verkommen,
obwohl Investoren
aus China und Österreich
hier Sanierung angekündigt hatten.
In den engen Fluren
drängen sich die Menschen
mit und ohne Atemschutz,
jeder wie er denkt.
Vornehmlich Rentnerinnen und Rentner
stellen Fragen, haben Anmerkungen,
wissen auch, wie die Parole lautete:
„Ein Volk, ein Reich, ein … ?“
Die wenigsten können sich
gerade noch so beherrschen.
„Aber das war hier keine Nazischule!
Das war eine Staatsschule!
1934 als erste und einzige
Kaderschmiede von Grund auf neu erbaut.
Hitler selbst hat den Turmbau überwacht.
Aber, wichtig: Eine Staatsschule,
keine Nazischule!“
(An dieser Stelle
überkam mich
massive Fremdscham,
zumal der Erklärbär
ein Kollege zu sein angab.)
Interessant war es trotzdem.

Sämtliche Innenräume sind unbrauchbar,
überall prangen Graffitis,
nur das Parkett im Ballsaal
hat seltsamerweise
ganz gut durchgehalten.

Parkett gibt es ja überhaupt
nur noch selten.
Leider auch nicht mehr
beim Basketball,
jedenfalls nicht in Sachsen-Anhalt.
Dabei passt es doch farblich
so schön zum Spielball.
Die Hallenneubauten der späten 90er Jahre
haben alle meist blaugraue Kunststoffböden.
Nix mit dem Tanz um die orangene Kugel.
Gespielt wird aber seit heute wieder:
Das erste größere Event
in Quedlinburg seit fast einem halben Jahr:

Die Guts-Muths Panthers
veranstalten das
4. Zillibiller/Paetzmann-Gedächtnisturnier.
Kurz: ein voller Erfolg.
Neun Teams aus
Aschersleben, Stendal, Bernburg
Halle und Quedlinburg,
von U14 bis Alte Herren.
Am Vormittag wurde
auf allen drei Feldern gespielt.
Das reinste Paradies.
Alle auf dem Hallenboden
machten, was Basketballer halt so machen:
Meistens sehr fair sein,
ihre jeweiligen Talente
in den Dienst der Mannschaft stellen,
verliebt in den Ball sein,
an jede Grenze gehen,
in alle Richtungen gleichzeitig schauen,
Entscheidungen treffen,
treffen (wichtig!),
rennen, stehen,
sich drehen,
bis die Schuhe quietschen.
Die Hallenmusik
(die 90er sind wirklich wieder da!)
wäre gar nicht nötig.
Hier ist also alles so normal und gut
wie nur irgend möglich;
wenn die Tanzparkette auch verstauben,
die blaugrauen Hallenböden werden
wieder ge(s)wis(c)ht.

„I’ve had my fun
and now it’s time
to serve your conscience
overseas“

(R.E.M.: orange crush. 1988.)

Wie sich ein Tanz auf dem Vulkan
aber wirklich anfühlen muss,
das erleben Millionen von Menschen
gerade in Kalifornien:
Über 100.000 Quadratkilometer Land
stehen dort momentan in Flammen.
Das ist erst mal ein Viertel des Staates,
und sonst ungefähr so,
als würden der Harz,
ganz Brandenburg und Berlin,
ganz Niedersachsen,
das komplette Saarland und
ganz Sachsen-Anhalt
gleichzeitig
brennen.
Und ja,
es gibt riesige Feuertornados
in freier Wildbahn.
Der Vulkan hat zum Tanz geladen.

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