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Twin Mirror (Teil 1 – Vorderseite) (S4:Ep10)

von | 2021 | 16. Januar | Die Serie, Staffel 4 - The times they are a changing

Der Blick in den Spiegel
dürfte demnächst für viele Männer
eine mittelschwere Krise darstellen.
Denn was im Herbst schon
in der Bronx für Panikattacken gesorgt hatte,
wird nun auch bei uns Wirklichkeit:
FFP-2 ist das Sars-Cov-2 B.1.1.7
für Vollbärte und Barbiere.
Gleichzeitig aber auch
die glorreiche Rückkehr
des Doppelkinns.
Nur noch auf Bildern der Vergangenheit
werden wir unseren vertrauten Blick
in den Spiegel wiedererkennen.
Wer schreibt schon mal den Funeral Song?
Woodkid?
Iron and Wine?
Grandaddy?
Oder doch wieder
Marc Forster?

Aber wie immer, 2021,
geht es bei weitem immer
noch schlimmer.
Wenn die CDU ab heute
morgens in den Spiegel schaut,
dann steht da
hinter der Kanzlerin
bereits der Schatten eines alten weißen,
blank rasierten Mannes.
Vermutlich war es Sarah Bosetti,
die heute als erste geschrieben hat,
was eh alle dachten:
„Armin Laschet,
oder wie er seit heute heißt:
Wenigstens nicht Merz.“

Der Gegenkandidat von Markus Söder
auf die kommende Kanzlerschaft
steht also fest.
Erleichterung von neoliberal bis ganz links,
alle gratulieren herzlich
und freuen sich auf
die gute Zusammenarbeit.
Die einzigen, die sich mal gemeldet
und darauf aufmerksam gemacht haben,
das wir uns hier immerhin über
den NRW-Ministerpräsidenten freuen,
waren „Fridays for future“.
Genau, NRW, das sind die
mit der Kohle, ne?
Und auch wenn sich alle
gerade nicht am Schnee sattsehen können:
2020 war das zweitwärmste Jahr
seit Beginn der Aufzeichnung,
2016 das bis heute wärmste.
Die globale Temperaturkurve
zeigt seit 1950 steil nach oben,
da ist das ganze mit der Kohle
eher so mittel.
Na ja, wahrscheinlich hoffen einfach alle,
dass sich darum dann schon
der letzte verbliebene Bartträger
unter den restlichen Kanzlerkandidaten,
Robert Habeck, kümmern wird.
Das wird ja ein suuuuper Wahljahr.
(Erste steile Prognose: Ampelkoalition vs. RRG)

Moment, London ruft schon wieder an;
das geht jetzt schon seit Wochen so,
sorry.
„Was? … Was soll ich machen?“ …
Eine Serie gucken? … Noch eine? …
Was? Die Zukunft? … Aber ohne Corona? …
Ich bin ganz Ohr! …
Was? Dafür aber mit Trump? … Hm. …
Ach! BBC? Ok, überzeugt. …
Was? … Das wollten sie aber gar nicht sagen? …
Was dann? …
Kathedralen werden zu Impfzentren umgebaut?
Die St. Pauls Kathedrale etwa auch? …
Achso, verstehe, das dauert noch. …
Warum? …
Ach ja. … Was? …
700.000 Arbeitskräfte verlassen gerade das Land?
Ja, das ist … ja, sorry, ne? …
Aber die Serie,
die werd ich gucken. …
Thanks for the heads up. …
Bis später.“

Gut, dann kommen wir jetzt
doch noch endlich
zu dem eigentlichen Riesending
der ersten zwei Wochen des neuen Jahres.
Auch, weil es anscheinend
doch endlich vorbei ist,
denn seit einigen Tagen hört man
wirklich nichts mehr vom Frisurensohn;
die Umzugswagen parken schon
vor dem Weißen Haus.
Und was war das auch für ein Finale!
Der 6. Januar ist mindestens
der nächste 11. September,
wenn nicht sogar der neue 4. Juli.
Die endgültige und jämmerliche
Niederlage der Trumparmy
im Kapitol von Washington.
Gettysburg war dagegen ein schlechter Witz,
denn davon gibt es ja nicht mal Selfies.
Die Bilder der Selbstermächtigten
sind immer noch atemberaubend
in ihrer Absurdität und Lächerlichkeit.
Und jede dieser Witzfiguren
ist inzwischen festgenommen
und erwartet eine lange Haftstrafe.
Das FBI bedankt sich für
die Mitwirkung per Handykamera.

Sich selbst live dabei zu filmen,
wie man wortwörtlich
die Demokratie mit Füßen tritt,
das ist schon next level Faschoidiotie.
Außerdem ist es bezeichnend für Trump,
dass es genau diese Show war,
die für seinen Abgang inszeniert wurde.
Als ob die USA noch ein letztes Mal
in ihr hässlichstes Spiegelbild schauen sollten,
bevor endlich das Licht wieder angemacht wird,
und alle aus diesem Albtraum aufwachen dürfen.
Um zum Beispiel mitzukriegen,
dass der 6. Januar
eigentlich ziemlich gut war.
Die größte Gefahr
war bereits am Vorabend gebannt,
als man den Kopf der Proud Boys
noch vor den Ausschreitungen
verhaften konnte;
er hatte sich dabei filmen lassen,
wie er ein Black Lives Matter Transparent anzündete.
Und der totale Sieg der Demokraten
stand ja ebenfalls schon fest,
nachdem in Georgia beide Republikaner
ihren Senatssitz verloren hatten.
Die „Blue Wave“ war bereits an ihr Ziel gekommen.
Weswegen die angekündigte Revolte
nur um so erbärmlicher war.
Und apropos erbärmlich:
Bei Trumps Wahlverwandtschaft
in Ungarn
hieß es sogar danach noch,
Bidens Präsidentschaft bringe das Chaos.
Orban ist wirklich die personifizierte
europäische Spiegelneurose,
inklusive Doppelkinn,
wenn überhaupt.

So,
und jetzt hab ich wirklich
zum letzten Mal über Trump geschrieben,
ab heute ist er höchstens noch
der Schattenpräsident
hinter den schwarzen Bildschirmen
der Massenspiegelneurose.

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