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A certain shade of green (S5:Ep3)

von | 2021 | 25. April | Die Serie, Staffel 5 - How does it feel?

„There is a crack,
a crack in everything.
That‘s how the light gets in.“

(Leonard Cohen: Anthem. 1992.)

Mitte der Woche hatte ich eigentlich
schon den Mut gefasst,
mit guten Gründen
mal eine etwas optimistischere
Episode schreiben zu wollen.
Durch den Erlass der Bundesnotbremse
waren die Länder
endlich auf den Topf gesetzt worden,
Samstag schon war
das Infektionsschutzgesetz
in Kraft getreten.
Auf den letzten Kilometern
kehrt also Ordnung ein.
Dazu kam die Aussage von Karl Lauterbach,
dass es realistisch ist,
ab Ende Mai
von einer 50%igen Durchimpfung auszugehen,
was die entscheidende Wende
im Pandemieverlauf ist,
wie man in einigen anderen Ländern
bereits deutlich erkennen kann.
Das Licht am Ende des Tunnels
ist keine rhetorische Figur mehr,
sondern wirklich zu sehen
(fingers crossed).

Und dann kam
#allesdichtmachen.
Ein kultureller Eklat,
der mit jeder Stunde
abgründiger wurde,
und mindestens die Theater- und Medienwissenschaftler
noch in Jahrzehnten beschäftigen wird.
Fast den ganzen Freitag war ich auf 179.
Ich hätte 100 Sätze ins Internet schreiben wollen,
jeder davon intelligenter und lustiger
als diese komplette Scheißkampagne,
und dabei hätte ich mir nicht mal
besonders viel Mühe geben müssen.
Liefers, den Wolf Biermann der Wendeyuppies konnte ich eh noch nie leiden,
Tukur allerdings hätte ich mehr humanistische Bildung zugetraut,
denn sein „Beitrag“
war der mit Abstand zynischste.
Aber wenigstens haben
inzwischen einige der Beteiligten
richtig reagiert.
Ich hatte kurz noch die Hoffnung,
die Aktion sei ein Honeypot,
und alle die dafür applaudiert haben,
würden danach von den selben Schauspielern
durch den Dreck gezogen.
Aber es war wohl wirklich „ernst“ gemeint.
Deswegen:
Alle Werke von
Regisseur Brüggemann
(der die Kritik an seinem Machwerk
in perfektem Trumpistisch
als „faschistoid“ bezeichnet)
und Produzent Wunder
sind ab sofort auf unbestimmte Zeit
auf meinem Kulturkalender
aber sowas von gecancelt.

Das im besten Falle naive Handeln der Schauspieler
am besten kommentiert
hat selbstverständlich ein Schauspieler,
und zwar einer von den vielen,
die gerade wirklich schwer
Geld verdienen können.
Florian Hacke parodiert:

„Ich könnte berechtigte Kritik äußern,
ohne die Narrative der Querdenker zu bedienen,
aber
differenziertes Denken
emotionalisiert halt nicht so schön.

Immer, wenn ich das Gefühl habe,
dass ich nichts zu sagen habe,
sage ich,
dass man ja nichts mehr sagen darf,
dann hab ich immerhin was gesagt.
Und wenn mich dann jemand kritisiert,
dann weiß ich:
Ich habe Recht.“

Promis, die sich wissentlich
in die rechte Diskurskultur einklinken
und dann auch noch
genau null Lösungen anbieten,
haben nichts anderes mehr verdient
als Spott und Häme;
dass das auf dem Rücken
von wirklich Leidenden geschieht,
das ist es, was nicht nur mich
darüber so wütend sein lässt.
Wenn das also ein akzeptables Verständnis
von solidarischer Kultur sein soll,
dann nutze ich hier
mal die allgemeine Meinungsfreiheit:
Fuck you!

So.
Gott sei Dank gibt es ja Gartenarbeit.
Die Böden haben gerade
genau den richtigen Aggregatszustand,
um sie kräftig durchlüften zu können,
einige Pflanzen in andere Beete zu versetzen
und die ersten Saaten auszubringen.
Der Rasen hat bereits ein sattes Grün.
Da lehnt es sich beim Zeitunglesen
schon bequemer zurück,
und die Blicke finden schneller
die guten Nachrichten.
Und von denen gab es
in dieser Woche
wirklich ungewöhnlich viele.

Das wichtigste findet sich allerdings
erst nach Kanzlerkür,
Klimagipfel
und „Machtergreifung“,
im Minderheitenfeuilleton („Wissenschaft“).
In Oxford ist der Durchbruch
bei einem Impfstoff gegen Malaria
speziell für Kinder gelungen.
Seit ich denken kann,
wütet diese Krankheit in den Tropen,
und momentan sterben daran
700 Kinder unter 5 pro Tag.
Das wird sich ändern.
Und vielleicht endet das Pandemische Jahrzehnt
ja damit, dass wir Virusepidemien
ein für alle mal besiegt haben.

Das wird man ja mal wohl noch hoffen dürfen.

Die Gegenwart allerdings
fühlt sich gerade so an
wie der Moment der Nacht,
an dem es am dunkelsten ist.
Kurz bevor die Sonne wieder aufgeht.
Sogar in den Basiscamps auf dem Himalaya,
wo der Tourismus weiter abenteuerlich brummt,
ist Sars-CoV-2 inzwischen angekommen.
In Indien muss die ganze Welt beobachten,
was passiert,
wenn man einfach nichts macht.
Gestern ist dann auch noch,
ausgerechnet in der Schweiz,
der erste Fall der indischen „Doppelmutation“
nachgewiesen worden.
Selbst auf Hiddensee (!)
stieg die Inzidenz
nach einer privaten Feier
im Umfeld des Pfarrhauses
auf 300.
Seit gestern
gibt es das erste Mal
seit dem Zweiten Weltkrieg
in den meisten Teilen des Landes
echte Ausgangssperren.
Sämtliche Modellprojekte
sind mit sofortiger Wirkung
wieder eingestellt.
An den Schulen schaffen die Realitäten Fakten,
weil durch notwendige Quarantänen
und Befreiung von der Präsenzpflicht
gefühlt eh nie mehr als die Hälfte anwesend ist.
Und ich habe noch kein Wort über die Situation
auf den Intensivstationen
und bei den Bestattern geschrieben,
brauche ich auch nicht,
das haben sicher schon
irgendwelche solidarischen
Schauspieler mit viel mehr
Reichweite getan.

Apropos Schauspiel:
Vor diesem Hintergrund
hatten es die Medien schwer,
die entscheidenden Schlachten
um die Spitzenkandidaten
wie gewohnt aufzublähen
und breitzutreten.
Vielleicht ganz gut so,
der Wahlkampf wird so oder so
nichts anderes als historisch:
Da die Proben jetzt
den ganzen Sommer über öffentlich sind,
seien die Hauptfiguren
hier nur ganz kurz vorgestellt,
im Laufe des Dramas
werden wir sie noch gut genug studieren können:

Tatsächlich sagen die ersten Umfragen
nach dem Kandidatenkrimi
die erste grüne Bundeskanzlerin voraus.
Sogar für die grünen Linken
hat man sich was einfallen lassen:
Mit „ACAB“ hat sie einen
schicken Spitznamen bekommen,
der sie wahlfähiger macht
als Olaf „es hat bei G-20
keine Polizeigewalt gegeben“ Scholz.
Der fordert zum Auftakt
schon mal eine Strategie
für den Ausstieg aus dem Lockdown,
Pragmatiker durch und durch.
Nur doof war dagegen
das Hick-Hack bei der CDU/CSU.
Am Ende hat sich der alte Trott durchgesetzt:
Die Partei diktiert,
die Wähler dürfen folgen.

Am 20. April wurde das dann
offiziell bekannt gegeben,
wahrscheinlich wegen des besonderen Datums.
Das ist in Deutschland jetzt noch nicht so bekannt,
aber dafür umso erfolgreicher in den USA,
wo sowieso alle wieder
auf den höchsten Levels angekommen sind:
Angeblich fordern 4 von 10 US-Kiffern,
dass „4/20“ zum nationalen Feiertag erklärt wird;
um feiern zu können,
was sie an jedem anderen Tag auch tun.
In Kalifornien ist man inzwischen edgy genug,
zum Jab (Impfspritze)
gleich noch einen J anzubieten.
Und nein, das ist nicht
aus der x-ten Wiederholung
irgendeiner utopischen Hollywood-Hippie-Serie.

Da hat Joe Biden sogar eine seltene Erleuchtung
und spricht in Wahrheitszungen
vom Völkermord an den Armeniern.
Erdogan notiert.
Die Zustimmungswerte zur neuen US-Regierung
sind inzwischen so hoch,
dass sogar die Neulinge
wieder ans Mikro dürfen:
Alexandria Ocasio-Cortez
stellt mit viel Tam-Tam den „Green New Deal“
noch mal vor,
falls jemand vergessen haben sollte,
was das eigentliche Problem noch mal war.
Gleichzeitig sagt Greta Thunberg
am Rande des diesjährigen Klimagipfels
vor dem US-Repräsentantenhaus aus.
Und zwar, wie nicht anders zu erwarten,
mit einer gehörigen Nackenschelte.
Die neuen Ziele, die jetzt beschlossen wurden
(Halbierung der Emissionen bis 2030,
Klimaneutralität in Europa bis 2050),
reichen bei Weitem nicht aus.
Besonders die Fortsetzung
der Subvention fossiler Energieträger
ist und bleibt eine Schande.
Angesichts dieses Planes,
der letztlich wieder nur in erster Linie
den entsprechenden Industrien
den Hals retten soll,
fragt sie sich,
wie die Gesetzesmacher
ihren Kindern erklären wollen,
das 1.5°C-Ziel aufgegeben zu haben,
ohne es überhaupt erst zu versuchen.
Der Rest der Bande
demonstriert aber Zuversicht,
von Biden, über von der Leyen
und Putin bis Xi,
alle haben jetzt richtig Bock auf Welt-
und Industrieretten,
und wie bei jedem Deal
kann man die Verhandlungen
auch prima in die Länge ziehen.
Klar, dass auch genau jetzt
die Naturfreunde
aus der „Waffenschmiede Wolfsburg“
von ihrem Ex-Chef Martin Winterkorn
eine Milliarde Schadensersatz fordern.
In Deutschland ist meistens
immer nur einer verantwortlich.
Das macht den anderen
das Weiterwurschteln leichter.

Wie auch im Fall George Floyd.
Schon zwanzig Minuten vor
dem Urteil über den Mörder
wurde in Ohio erneut eine 16jährige Schwarze
von einem Polizisten
mit mehreren Schüssen getötet.
Seine zukünftigen Verteidiger
sehen das Küchenmesser,
das Ma‘Khia Bryant in der Hand hielt,
als völlig hinreichenden Grund an.
#blacklivesmatter feiert trotzdem
zurecht, der nächste Durchbruch ist geschafft.
Die Anwälte stehen bereit:
Bürgerrecht kommt!

Womit sich ein Rechtsstaat
diesbezüglich befassen muss,
wenn nur alle paar Jahre mal
ein Schwarzer durch Polizeigewalt zu Tode kommt,
das ist in Deutschland dann doch noch
die eigentliche Wurzel des Übels:
Nämlich der als demokratischer Widerstand
verkleidete „Volkszorn“.
Und da auch Polizisten nur Beamte sind,
hilft die Zivilgesellschaft gerne mit:
Einer Anonymousgruppe ist es
erstaunlich leicht gelungen,
im Teich einer größeren
dieser „Bewegungen“ zu fischen:
„Die Basis“ ist in heller Aufregung,
jeder kann jetzt wissen,
dass sie Geld an Spendennazis verschleudert haben.
An Menschen, die neben Liebich
vor dem Holocaust Mahnmal in Berlin stehen
und finden, dass er
mit dem Tagebuch der Anne Frank in der Hand
doch schon auch irgendwie ein Stück weit recht hätte.
Oder mit Kalbitz durch die Menge flanieren,
Fiechtners neuestem Ausfluss applaudieren,
um dann hinterher bei Youtube
wieder was vom „Great Reset“ zu raunen.

Eine der Hauptstrategien der Neuen Rechten
ist es ja, dem politischen Gegner vorzuwerfen,
die Wahrheit zu manipulieren,
um im „Volk“ Gefolgschaft zu erzeugen:
Die sogenannte Meinungsdiktatur
und ihre Adoptivschwester, die Cancel-Culture.
Vor allem durch Panikmache
würden drastische Maßnahmen begründet.
Das ist der Wolf im Schafspelz,
der die anderen Schafe
vor dem Wolf im Schafspelz warnt.
Das perverse daran ist,
dass die Schreckensszenarien
im rechten Sumpf
noch viel bedrohlicher
als die Wirklichkeit selbst sind.
Es wird Panik verbreitet,
um die Panikverbreitung zu kritisieren:
Ihr dachtet
Klimawandel, Pandemie und neuer Weltkrieg
seien schrecklich?
Pah, laut Deagle-Liste
verlieren wir allein in Deutschland
in den nächsten vier Jahren
65% der Bevölkerung.
Warum?
Ist das wichtig? – 65%!!!1!
Wichtig zu wissen ist dabei vor allem,
dass auch das Sonnenfleckenminimum
2025 sein Maximum erreicht.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen,
was dann hier abgeht:
Der 30jährige Krieg
und die Pest
waren ein Witz dagegen…
Na? – Genau,
wenn das nicht Panikmache ist,
was dann?
So was schreiben Menschen ernsthaft ins Internet,
und würden sogar darauf wetten,
dass sie Recht behalten.
Was für Übermenschen das sein müssen,
die in einer Welt mit diesen schwarzen Zukunftsaussichten
trotzdem noch ruhig einschlafen können.

Wofür man noch so
Beifall aus der rechten Ecke kriegen kann,
zeigt gerade Marco Tullner.
Der Bildungsminister dieses Bundeslandes
hatte die famose Idee,
im Frühjahr 2021 (3. Pandemiewelle)
vorzuschlagen, man solle doch
die Zugangsberechtigungen für die Realschulen verschärfen.
Wer am Ende der 6. Klasse
auch nur eine 4 zu wenig ausgleichen kann,
solle danach nur noch die Hauptschule besuchen können.
Und ich hatte schon vergessen,
dass es so was selektierendes
wie Hauptschulen überhaupt noch gibt.
Und? Wer hat am lautesten geklatscht?
Der bildungspolitische Sprecher der AfD,
Hans-Thomas Tillschneider.
Bei so viel Fadenscheinigkeit
schwindet die Hoffnung zusehends,
die Haseloffsche Brandmauer
könne doch noch halten.
Die Tagesschau munkelt bereits
was von der AfD als möglich stärkster Kraft
bei den Landtagswahlen in gut zwei Monaten.
Ich sag mal so,
wenn sich kommunale
Stadt- und Kreisratsmitglieder dieser „Partei“
trauen, öffentlich davon zu schreiben,
dass man „kurz vor Umerziehungslagern
oder gleich KZ“ stehe,
dann kann ich
die Radikalisierungsgedanken nachvollziehen,
die zur Brandstiftung
an Versammlungsorten für Nazis in Thüringen
geführt haben sollen.
Hat Danger Dan also doch das richtige gesungen?

Oder mutiere ich
in diesem Jahr aus der Not heraus
doch noch zum Wähler der Grünen?
Zumindest auf Landesebene
wohl nicht nur deshalb.
Denn den Antifaschismus
in den Parlamenten
tragen hier die Grünen,
den Naturschutz sowieso.
Wirklich schlechter geworden
ist durch die Kenia-Koalition nichts,
aber einiges besser.
Außerdem ist grün meine Lieblingsfarbe,
wegen Gründen.

Für die Bundestagswahl allerdings
gelten andere Maßstäbe,
denn der Bund muss über andere Dinge entscheiden.
Über Krieg und Frieden, zum Beispiel.
Die Frage ist also für mich:
Wie viel Petra Kelly steckt in Anna-Lena Baerbock?
Die Antwort: Zu wenig.
Also werde ich mein Kreuz
wohl doch nicht strategisch setzen:
Die Linke hat immerhin
noch einen deutlich erkennbaren pazifistischen Flügel.
Bis September kann ja aber noch alles passieren,
wir haben ja noch immer nicht Mai.

Gut,
die Gartenarbeit ist gemacht,
die Zeitung ausgelesen,
die Sonne geht langsam unter,
und morgen wieder auf.
Es ist immer noch frisch draußen.
Bevor die Schlagzeilen im Eimer landen,
und die Zäune nochmal überprüft werden,
ein kurzer Blick in den Sportteil,
so viel Muße scheint langsam wieder zu sein.
Und siehe da,
auch im Fußball bewegt sich was!
Die nächste Koksphantasie der UEFA
wird von den Clubs und ihren Fans
über die Seitenauslinie gegrätscht.
Die Superleague ist nach 48 Sekunden
wieder ausgewechselt worden
und Fußballgeschichte wird immer noch
in England geschrieben.
Katar wird doch noch boykottiert.
Die EM kann kommen.
Ach nee … da war ja was.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Immerhin.

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