„Mit der Tasche voll Bücher
Die nichts von unserem Leben wissen
Überwinden wir die Treppen
Wendeln uns an Niemand
Traun uns einen Spalt
Stottern uns durch
Haspeln eine Begriffsstörung
Sie zerstaubt als traurig taumelnder
Schwarm Buchstabenmücken
Die letzte erschlag ich
Vor meinen Augen
Mit schwarzen Lippen sitzen wir hinten
Wieso sollten wir deine Kreide fressen?
Und immer nur lernen was wir nicht wissen“
(Hans Unstern. Mit schwarzen Lippen sitzen wir hinten. 2012)
Huch,
die Schule geht ja schon wieder los.
Und ziemlich genau so
scheinen fast alle
im Moment zu reagieren,
und das obwohl in den meisten Bundesländern
schon vor Wochen Ferienende war.
Aber: In Deutschland
sind die Sommerferien erst dann wirklich vorbei,
wenn sie auch in Bayern zu Ende gehen.
Und die sind traditioneller immer die letzten.
Dieses Jahr sind aber auch wir mal dabei,
und in Sachsen-Anhalt wird
erst mal locker angefangen.
Schließlich sind die Inzidenzen noch gut überschaubar
(Harzkreis, Stand heute: <10).
Pünktlich zum letzten Termin
hebt also bundesweit das Geheule an,
und ich habe nicht zum ersten Mal
in den letzten 18 Monaten
das Gefühl,
in einer einzigen großen Kreisdiskussion gefangen zu sein.
Einig sind sich sämtliche relevanten Verbände
nur in einem Punkt:
Um Himmels Willen
nie wieder Homeschooling!
Schülerverbände, Elternverbände,
Lehrerverbände, Kulturverbände.
Die ganze Zeit zu Hause alleine im Internet:
Das ist weitaus schlimmer
als fünf Tage die Woche
ins Virenkarussell Schule einzusteigen.
Und auch wenn Jens Spahn
lieber einheitliche Regeln hätte,
hat der Flickenteppich sein nächstes Comeback.
Der Grundtenor klingt dabei nach
bewusster Durchseuchung;
und es fühlt sich nicht richtig an,
dabei eine aktive Rolle spielen zu müssen.
Denn bei jedem Kind unter 12,
das in den nächsten Monaten schwer erkrankt,
müssen sich alle Verantwortlichen hässliche Fragen stellen.
Von den Mitschüler*innen ganz zu schweigen,
von denen sich die meisten ihrer Verantwortung
noch gar nicht einmal bewusst sein können.
Es ist und bleibt ein fieses Dilemma.
Dementsprechend planlos
sind dann auch die Lösungsansätze.
Berlin schreitet dabei voran:
Schulsenatorin und Amtsärzte wollen die Durchseuchung,
und geben sich nicht mal große Mühe,
dafür wenigstens hübsche Euphemismen zu finden.
Beinah die einzige,
die sich momentan noch öffentlich dagegen stemmt,
ist Franziska Giffey, ehemalige Familienministerin
und wahrscheinlich zukünftige Oberbürgermeisterin
mit Plagiatsaffärenhintergrund.
Lediglich noch der Verband Bildung und Erziehung (VBE)
weist darauf hin, dass Infektionen verharmlost werden.
Ansonsten hat man sich dem Pragmatismus ergeben:
Die Kultusministerin appelliert
an die Solidarität der Erwachsenen
(heißt: sich impfen lassen!).
Dem Schülerverband fällt auch nichts wichtigeres ein,
als 1 Milliarde für Luftfilter zu fordern.
Die Bundesregierung zuckt mit den Achseln
und sagt: Ländersache.
Ist ja auch besser so.
Weiter mit dem Status Quo.
Unterschiede gibt es bei fast allem.
Masken,
Tests,
Quarantäneverordnungen.
Zu viele,
um sie alle aufzuzählen.
Ein paar Schlaglichter müssen
der Chronik Genüge tun:
In Baden-Württemberg müssen sich
alle Kontaktpersonen nach einem Infektionsfall
für eine Woche täglich testen (lassen),
brauchen aber nicht in Quarantäne,
solange das Ergebnis negativ ist.
In Bayern startet man,
wie fast überall,
mit einer Sicherheitsphase (3 Tests pro Woche)
und Maskenpflicht auch im Unterricht.
In Sachsen trägt das gleiche dazu bei,
dass wer einen Atemschutz getragen hat,
nicht als Kontaktperson gilt.
(Nebenbei wurde da übrigens
das Gendersternchen
in schulrelevanten Schriftstücken „abgeschafft“.)
Thüringen macht‘s auch irgendwie so,
aber hat immer noch ein viel größeres Problem:
Es fehlen weiterhin hunderte Lehrer.
Hier im Harzkreis
wird auch erst mal auf Nummer sicher gegangen (3 Tests),
dafür werden im Unterricht keine Masken getragen.
Denn: Laut Studie
sind in den allermeisten Schulen hierzulande
tip top Lüftungsbedingungen.
Die meisten davon wurden übrigens
während des Sozialismus gebaut.
Für den Winter rüstet man sich
mit CO2-Messgeräten,
die dem überforderten Personal dann per Ampel
mitteilen, wann es wieder mal Zeit zum Stoßlüften ist.
Die Maskenpflicht, auch im Unterricht,
ist aber wohl trotzdem nur eine Frage der Zeit.
Ich tippe auf spätestens Mitte Oktober.
Klingt alles nach richtig Bock auf Schule
und Spaß am gemeinsamen Lernen/Lehren?
Nein?
Ansichtssache.
Denn die Aussichten sind hier doch ganz ok,
mal abgesehen von dieser Durchseuchung.
Und dass es irgendwie weitergehen muss,
ist unstrittig.
Aber auch global könnten kaum
unterschiedlichere Strategien verfolgt werden.
In den Niederlanden, zum Beispiel,
laufen zumindest die Unis schon wieder ziemlich normal,
in Skandinavien auch.
Ganz anders: Kuba.
Dort machen sämtliche Schulen
erst dann wieder auf,
wenn alle über 3 Jahren (sic!)
geimpft sind.
Dafür hat man gleich zwei eigene Impfstoffe.
Und bis dahin gibt es Unterricht
über das Fernsehen.
Und der Rest der Welt
hat auch bloß keine bessere Idee:
WHO und Unicef fordern
die Priorisierung von Lehrer*innen beim Impfen
und sprechen von der
„katastrophalsten Störung
im Bildungswesen
in der Geschichte“.
Von zwanzig Jahren Rückschritt (im Schnitt)
ist da die Rede.
Passend dazu
holt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde (CDC)
eine Story aus dem Mai raus.
In Kalifornien war damals
ein ungeimpfter Lehrer
ohne Maske,
der in einigen Grundschulklassen vorgelesen hatte,
für einen ziemlich großen Ausbruch
(50 Infektionen in einer Woche)
in einer Grundschule verantwortlich.
Ob das die Lehrer*innen im Hinterland überzeugt,
wird sich erst noch zeigen müssen.
Fakt ist:
Auf der großen In-and-Out-Liste
steht Schule eindeutig auf der In-Seite.
Bei allen Beteiligten.
Und bei denjenigen, die es nötig hatten,
zu lernen, dass das Lernen bei Menschen
nur gemeinsam Sinn macht,
dürfte der Groschen dann auch gerutscht sein.
Da, wo vor wenigen Wochen
nicht wenige Schulen wortwörtlich zusammengerutscht sind,
in den Hochwassergebieten des Ahrtals,
fand heute ein Staatsakt statt.
Am Nürburgring
wurde der Opfer der Flutkatastrophe gedacht,
und der Bundespräsident fand,
wie fast immer, irgendwie
die richtigen Worte.
Derweil beläuft sich der Schaden an den Schulgebäuden
inzwischen auf einen dreistelligen Millionenbetrag.
Für viele Schüler*innen ist noch völlig unklar,
wo es weitergeht.
In einer Schule, das bedeutet,
sehr lange Schulwege zu Schulen anzutreten,
die viel weiter weg sind,
als es die letzte war.
Die meisten werden diesen aber antreten,
und die meisten davon
vielleicht sogar ganz gerne.
Mal andere Menschen sehen, und so.
Und dann ist ja da noch alles andere.
Schule ist ja bekanntlich nicht alles.
Seit heute ist endlich mal wirklich ein Krieg vorbei!
Viele afghanische Mädchen haben jetzt
wieder Angst, in die Schule zu gehen.
Am Wochenende haben Biffy Clyro
erwartungsgemäß das Reading&Leeds Festival abgerissen.
Scheiß auf Infektionszahlen.
Kanzler Kurz kriegt heftigen Gegenwind
vom Präsidenten van der Bellen.
Es geht weiter,
Sachen werden besser.
Oder auch nicht.
Oh.
Ratet mal!
Richtig.
Telefon.
„London? … yes, I heard you calling. …
Yeah! … I‘m writing about Reading&Leeds at this very moment. …
How are things in good old Britain? …
I see. …
Ja, ja, Hier ist auch alles so mittel. …
Was? … Nee, leere Regale gibt‘s hier nicht. …
Bei Euch immer noch? …
In Schottland auch schon? …
Was? … auch keinen Plan? …
But, things get better… you know? …
Oh, you do? …
Yeah. No, sure … I get it. …
Ok. … yes, we hear from you. …
About our upcoming election? …
Fine. … Bye.“
London war aber schon wieder gar nicht gut drauf.
Muss an der Fresher‘s Week liegen.
Ja, auch in Großbritannien geht die Schule wieder los.
Also, genauso wie überall,
Anlass zu größter Sorge.
Denn mit Sicherheit kann niemand etwas sagen.
Nichts kann ehrlich ausgeschlossen werden,
auch keine weiteren Lockdowns.
Denn dazu kommen in dieser Woche zwei Meldungen
über Virusmutationen,
von denen erst noch geklärt werden muss,
wie sie auf die Impfungen reagieren.
Nur so viel:
Eine hat schon einen klassischen Namen (Mu)
und die andere ist eine der ersten
mit einem C vorne (C.1.2).
So,
in den letzten Minuten der ersten Stunde nach den Ferien,
noch schnell eine Story aus den Harzer Wäldern,
die leider auch was mit Schule zu tun hat.
Denn inzwischen wird es immer offensichtlicher,
dass hier Nazis
eine Gegenkultur
im Schatten der wenigen Bäume aufziehen.
Am Wochenende widmete die MZ
eine ganze halbe Seite einem Schreinerwerk
in der Nähe von Rübeland.
Eine gut zwei Meter hohe,
handwerklich astreine,
germanische Lebensrune aus Eichenholz
wurde dort auf einem Steinhügel errichtet.
Eine Kultstätte für moderne Faschos.
Schlimmer noch,
für deren Nachwuchs.
Ohne großen Zweifel
wurden bereits, oder sollten dort
Initiationsriten stattfinden.
Die Braunhemden versuchen also
im Harz Schule zu machen.
Das Teil ist übrigens schon wieder abgebaut worden.
Von Nicht-Nazis,
die nur auf ganz normale Schulen gegangen sind.
Ja, doch, ich hab das Pausenklingeln auch gehört.
Aber eins noch,
weil wichtig.
In drei Wochen ist wieder Streik,
bitte schon mal ins Hausaufgabenheft schreiben.
Fridays for Future
geht zwei Tage vor der Bundestagswahl
global auf die Straße.
In der Größenordnung
das erste Mal seit 18 Monaten.
Das gehört inzwischen auch
zu guter Schule dazu.
Die haben wenigstens einen Plan.
Und wir als Lehrer*innen haben echt
als letzte Probleme damit,
Pläne ständig zu ändern,
aber sehr wohl damit,
gar keinen erst zu haben.
In diesem Sinne:
Ich hab meine Hausaufgaben gemacht:
#DieDoppeltenZwanziger sind ab heute
satte 500 Seiten dick.
Und die neuen Hefter liegen natürlich schon
ordentlich auf dem Schreibtisch.
Cheers!

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