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Wind of Change (S6:Ep14)

von | 2022 | 20. Februar | Die Serie, Staffel 6 - Peace or Love

„So sound the alarms
and the sirens,
the bells in the churches!

Bring your parents
and your kids
into the street,
throw open the hatches.“

 

So.
Was für eine Woche!
Schon wieder!
Wenn sich jetzt nicht alles ändert,
dann weiß ich auch nicht mehr.
Es war ja wirklich
mehr als alles auf einmal:
Ultrawichtige
Telefonate,
Konferenzen,
Dialoge,
Trialoge,
Gipfel.
Und Olympia.
Und der Dritte Weltkrieg
steht immer noch vor der Tür.
Über all das hinweg aber
zogen die Stürme.

Ylenia und Zeynep
haben versucht Europa mal so richtig durchzulüften:
Schulschließungen zum Wochenende
in mehreren deutschen Bundesländern,
der BER macht dicht,
in Berlin herrscht immer mal wieder Katastrophenalarm,
in Brandenburg fallen eine große Menge Bäume um,
auch auf fahrende Autos,
wenn die nicht vorher
von der Straße geblasen wurden.
Im Harz sowieso.
In Bayern sind zehntausende kurzfristig ohne Strom,
in Tschechien sogar hunderttausende,
genauso in Frankreich.
Die Nordseeküste erwartete stündlich Sturmfluten.
Und in Quedlinburg sind sogar
umgestürzte Müllkübel
einfach liegengeblieben.
Es gibt natürlich auch schon
einen eigenen tagesschau-Liveticker,
denn nächste Woche soll es weiter gehen,
Antonia ist im Anmarsch.
Wie überkrass die Lage auch hier war/ist,
kann man an der offiziellen Warnung
des hiesigen Kreisbrandmeisters ablesen:
„Die Feuerwehren sind
auf eine Mehrbelastung vorbereitet.
Nutzen Sie die nächsten Stunden,
um an Haus, Hof und im Garten
noch Gegenstände wie Gartenmöbel
oder Grills
sturmfest zu machen.
Bringen Sie vorsorglich
alles in Sicherheit,
was Sie behalten wollen.
Achten Sie besonders
auf herabstürzende Gegenstände.
Schließen Sie alle Fenster und Türen.
Halten Sie Abstand von Gebäuden,
Bäumen oder Hochspannungsleitungen.“
Nach dem Desaster im Ahrtal letztes Jahr
ist man anscheinend deutlich vorsichtiger geworden.
Am Freitag wird dann
in ganz Norddeutschland
der Personenverkehr komplett eingestellt.
Aber noch ist es nur Wind.
Im UK reicht der immerhin schon,
um die Londoner O2-Arena abzudecken,
hier heißt der Megaorkan
allerdings Eunice.
Das Wasser
spart sich seine Kraft
jedoch noch etwas auf,
auch wenn die Bode
die erste Hochwasserwarnstufe erreicht hat.
Samstag Vormittag
werden sämtliche Unwetterwarnungen
dann schon wieder aufgehoben.
Oder wie es die nette Kassiererin
gestern im Mettehof gesagt hat:
„So schlimm war‘s dann och nich‘,
die Dachziegeln sind alle noch drauf.“
Alles nur halb so wild,
zum Glück.
Nicht so aber
zeitgleich in Brasilien,
wo Erdrutsche
mindestens ein vollständiges Ahrtal
angerichtet haben.
Das stand aber
deutlich weiter unten bei der tagesschau.

Nämlich ungefähr auf der gleichen Höhe,
auf der es am Montag um den Superbowl ging,
also kurz nach dem Wetter.
Neben Olympia gibt es nämlich auch noch
blütenreine Megasportveranstaltungen,
bei denen alle happy sind,
und alle woke,
und alle erfolgreich,
und gutaussehend,
und auf der richtigen Seite der Geschichte.
Deswegen war die Topstory auch nicht,
dass die L.A. Rams die Trophäe geholt haben,
sondern dass Eminem
in der Halbzeitshow
auf‘s Knie gegangen ist.
Snoop Dogg stand daneben.
Und hat wahrscheinlich darüber nachgedacht,
wie viel mehr BlingBling er bald haben wird,
wenn sich seine Investitionen
in eine hessische Cannabisfirma
bald auszahlen werden.

Die Sportgeschichte des Jahres
haben allerdings dann doch wieder
die Olympischen Spiele im Programm.
Die tragische Heldin
des Dramas heißt
Kamila Valieva,
ist 15 Jahre alt
und tanzt so schön auf dem Eis,
dass sogar ich nicht umschalten konnte.
Nach ihrem Triumphlauf
am Anfang der Woche
wird allerdings bekannt,
dass sie zwei Monate vor den Spielen
ein mal positiv
auf ein leistungssteigerndes Mittel getestet wurde.
Das IOC lässt sie trotzdem weiter laufen,
und die Welt muss dabei zuschauen,
wie sie mit jedem weiteren Lauf
mehr unter dem öffentlichen Druck zerbricht,
bis sie bei ihrer Kür mehrfach stürzt,
nicht auf dem Podest landet
und schlussendlich von ihrer Trainerin
zusammengeschissen wird.
Ein kalter Wind
hat den olympischen Geist fest im Griff.

Aber, es gibt ja wohl wichtigeres.
Und besseres!
Denn die Pandemielage „entspannt“ sich,
ganz, ganz ehrlich!
Der Freedom Day ist nur noch eine Formalie.
Berlin war sogar mal kurz
wieder unter einer Inzidenz von tausend.
Es gibt in Deutschland 200 Opfer täglich;
im Vergleich zur Vorwoche
gab es wieder mehr Todesfälle.
Im Harzkreis steigt die Zahl
der Krankenhauseinweisungen
seit ein paar Tagen wieder.
Und jeder, der es noch nicht hatte,
fragt sich nur noch,
wann es endlich soweit ist.
Die Öffnung wird schon die Wende bringen.
Da kann Karl Lauterbach
noch so deutlich sagen:
„Das ist alles auf Kante genäht“,
das kann ja nur klappen.
So wie, z.B. gerade in
Hong Kong,
das sich im „vollständigen Kampfmodus“ befindet.
Völlig überfüllte Krankenhäuser,
Stillstand des wirtschaftlichen Lebens,
sogar ohne Quarantänen.
Es erkranken einfach zu viele.
Aber hey, das ist ja in China,
und das ist ja weit weg, ne?
In Europa wird sogar die Queen das noch überleben,
die just heute positiv getestet wurde
(fingers crossed!).
Und der von einigen
angeblich so lang ersehnte Totimpfstoff von Novavax
ist ab morgen auch endlich lieferbar.
Ach ja, und verdienen tun wir
auch noch alle für eine gute Weile,
denn die Patente für Afrika,
die gibt es auch auf dem EU-Afrika-Gipfel,
der diese Woche auch noch stattfand,
wieder nicht.
Das hat der Bundeskanzler dort
höchstpersönlich verkündet.
Alles also Null Problemo
bis hierhin.
Der Wind hat sich gedreht,
volle Fahrt voraus.

Nur ein Problem bleibt vorerst weiter.
Zum Beispiel in Halberstadt:
Am Montagabend
waren „Gegner der Corona-Politik“,
angeführt von
den Neonazis der „Harzrevolte“,
mit Transparent und Pyro
bis vor das Wohnhaus
des Bürgermeisters gezogen.
Als ob der was machen könnte!?
Egal, denn es geht ja
schon lange nicht mehr um Politik,
sondern um deren Zerstörung.
Dafür drischt man sich
auch gerne mal mit der Staatsmacht
vor laufenden Kameras.
Oder steht grölend daneben,
wenn die Nazis das für einen machen.
Und da sage mal noch einer,
spazieren gehen ist langweilig.
Aber, liebe Sheeple,
fürchtet Euch nicht!
„Es wird keine Corona-RAF geben!“ (Söder)
Telegram wird vielleicht doch noch abgeschaltet!
Und sogar unser Landrat hat reagiert!
Bis zum nächsten März
sind unangemeldete „Spaziergänge“
nämlich verboten!
Nicht, dass für die Polizei
am Wochenende doch auch
mal frei wäre.

Genug Gegenwind
bläst inzwischen auch
den Truckern in Ottawa entgegen.
Trudeau erlässt ein Notstandsgesetz,
die Rädelsführer und dutzende Mitfahrer
werden verhaftet,
der Rest mit Pfefferspray aus der Stadt getrieben.
Endlich können die Anwohner
wieder das Fenster aufmachen
und mal auf Durchzug schalten.
Wäre da nicht Elon Musk,
der deswegen den kanadischen Premier
hinter den Schwarzen Spiegeln mit Hitler vergleicht.
Keine Pointe.

Sorry,
das hätte ich fast vergessen,
es gibt da doch noch
ein anderes Problem:
Morgen sind hierzulande
die Winterferien vorbei,
und in den Schulen
geht das Testroulette
(aka Durchseuchung) weiter.
Karin Prien, immerhin die
Vorsitzende des Kultusministerkonferenz,
hat den Vorwurf einer „Politik der Durchseuchung“
an den Schulen allerdings weit von sich gewiesen.
„Wir setzen immer noch
auf strikte Hygiene-Maßnahmen,
auf Testpflicht,
auf Masken.
Der Vorwurf ist schlicht falsch.“
Hat die so gesagt.
Nur weil irgendeine Schülerinitiative
(„WirWerdenLaut“)
im Internet was von
einem „Durchseuchungsplan“ schreibt,
heißt das doch nicht,
das offene Fenster und frische Luft
nicht auch gesund sind.

Aber, wie so oft:
E-ga-hal!
Mitte der Woche
wird der „Freedom Day“ verkündet,
auch wenn alle das Wort natürlich vermeiden.
Bis 20. März ist also
das Gröbste überstanden.
Irgendwie.
Erstmal.
Vielleicht.
Im Formatradio
glaubt man schon wieder
Klaus Meine pfeifen zu hören.

Und weil also außer
diesen paar Stürmen in Wassergläsern
sonst nicht wirklich was los war,
können wir uns also wieder
über den richtig gefährlichen Kram
Sorgen machen:
Die bis jetzt spannendste Woche
im Neuen Kalten Krieg ist vorbei.
Anders als chronologisch
ist der Sache nicht beizukommen,
und auch mit der Satire
halte ich mich mal etwas zurück,
es wird wohl gerade noch so
zum gepflegten Zynismus reichen.
Lustig ist daran nämlich
gar nichts.

Am Montag ist der deutsche Bundeskanzler also in Kiew
und bekräftigt, dass es so bald
keinen Nato-Beitritt der Ukraine geben wird,
auch wenn die Tür natürlich offen bleibt.
Das wird ihm der ukrainische Präsident
später in München
noch vor die Füße werfen.
Geschenkt, die Ukrainer wollen nämlich
erst mal lieber 12.000 Panzerabwehrraketen.
Und weil Montag ist,
rutscht die Börse pflichtschuldigst ab,
der Dax fällt zum ersten Mal
seit Ewigkeiten unter 15.000 Punkte.
Nicht dass noch jemand denken könnte,
die Lage wäre nicht ernst.

Am Dienstag wissen die USA
dann aber endlich Bescheid.
Angeblich geht es am Mittwoch los,
mit der russischen Invasion.
Scholz‘ heutiger Besuch in Moskau
ist also die nächste
letzte Chance auf Frieden.
Am besten solle der mal gleich
ein Ultimatum stellen.
Zeitgleich wird die US-Botschaft
weiter nach Westen verlegt.
Aber schon vor Scholz‘ Landung
vermeldet Russland
einen ersten Teilabzug der Truppen.
Die Manöver sind beendet,
die „Aufgabe erledigt.“
Deshalb ist Scholz beim Treffen mit Putin
auch ganz relaxt,
selbst nachdem er
vier Stunden lang
an diesem krassen Tisch sitzen musste
(laut heute-show heißt das Modell
„Krimvik“, was allerdings sehr lustig ist).
Seine ersten Worte
auf der anschließenden Pressekonferenz
betreffen deswegen auch
das eigentliche „Menschheitsthema“,
den Klimawandel!
Nicht etwa die Klimakatastrophe,
so viel Normalisierung versteht sich
bereits von selbst.
Ansonsten setzt er voll auf Diplomatie,
und wirkt dabei richtiggehend souverän.
Putin lässt sich aber nicht beeindrucken,
holt das Völkerrecht
und den Jugoslawienkrieg wieder raus
und sagt, der Nato sei eben nicht zu trauen,
als er gefragt wird,
ob er einen Krieg in Europa ausschließt.
Scholz kontert:
Damals musste schließlich
ein Völkermord verhindert werden.
Steilvorlage für Putin:
Im Donbass gebe es doch gerade
auch bloß einen Genozid!
Schließlich einigt man sich vorerst wieder
auf die Minsker Vereinbarungen,
das niemals wirklich umgesetzte Waffenstillstandsabkommen
zwischen den Separatisten und der Ukraine.
Und Putin hat noch ein Ass im Ärmel,
denn die Duma (so eine Art russisches Parlament)
hatte am Vormittag die Anerkennung
der Autonomie des Donbass gefordert.
Alles super demokratisch also,
wie damals (2007) in Georgien.
Oder eben wie die Sache mit der Krim.
Dann wird‘s aber noch mal
so richtig interessant:
Angesprochen auf die drohenden Wirtschaftssanktionen
erklärt Putin,
die Deutschen, ach ganz Europa,
müssten halt wissen,
ob sie für ihr Gas
demnächst drei bis vier mal
mehr bezahlen wollen,
oder eben fünf mal
weniger.
Altkanzler Schröder sei ja nicht umsonst
der de facto Chef von Gazprom.
Da kann der Olaf nur schelmisch grinsen,
Wasserstoff hin oder her.

Wenige Stunden später
spricht Joe Biden in Fernsehkameras:
Er und die Nato sehen keine Truppenbewegungen,
und wenn dann eher in Richtung der Ukraine;
die Drohkulisse bleibt aufrecht erhalten.
Scholz wird zum Friedenskanzler der Herzen.

Am Mittwoch wird nachgelegt,
auch wenn die Invasion
überraschenderweise ausbleibt.
Die Nato will weiter aufrüsten
und will einen echten Truppenabzug.
Da erholt sich sogar der Dax ganz schnell wieder,
die Rüstungsindustrie atmet auf,
und nicht nur die deutschen Medien
sind sich einig:
„Russland hat sich verkalkuliert.“

Am Donnerstag
melden die russischen Staatsmedien
weitere Truppenabzüge,
dieses Mal von der Krim.
Die Nato aber sieht immer noch nix.
Fakt aber ist seit heute:
Die Waffenruhe ist endgültig
mehr als gebrochen:
Erste Berichte über„shelling“ (Granatenbeschuss)
an der Grenze zur Ukraine machen die Runde,
ein in Trümmern liegender Kindergarten in Luhansk
sorgt für allgemeine Bestürzung;
offen bleibt,
wessen Granaten denn nun
aber wirklich von wo nach wo geflogen sind.
Biden erwartet inzwischen schon wieder
den russichen Einmarsch „in den nächsten Tagen.“
Dieses Vor-der-Situation-sein
klappt noch ganz gut.
Und wenn dann die ukrainische Armee
wirklich in den Donbass einrückt,
dann ist es inzwischen auch egal,
man hat es ja vorher gewusst.
Russland bleibt der Provokateur.

Am Freitag ist man sich dann
auf der Münchner Sicherheitskonferenz
wieder herrlich einig.
Die tagesschau bleibt wenigstens sachlich:
„Der Westen redet mit sich selbst.“
ACAB warnt sich eins zurecht,
weigert sich aber immerhin,
beim Krieg mitmachen zu wollen,
wegen „unserer Vergangenheit.“
Na, zu irgendwas muss die ja auch was Nütze sein.
Als uneingeladene dreizehnte Fee
zieht Putin deswegen auch erst mal
die lange angekündigten (Atom-)Raketentests durch.
Hm.
Deeskalation sieht anders aus.
Am Abend nimmt die Spannung
immer noch weiter zu:
Russische Medien berichten
über einen mutmaßlichen Anschlag
auf das Separatistenhauptquartier in Donezk,
ein Auto ist davor explodiert.
Klingt für uns virtuell Terrorgewohnte normal,
die Separatisten aber
rufen die Zivilisten
in den von ihnen kontrollierten Gebieten auf,
nach Russland zu fliehen.
Allein im Gebiet Donezk sind das
700.000 Menschen.
„Frauen, Kinder und Senioren
werden als erste in Sicherheit gebracht.
Eine zeitweise Ausreise
bewahrt Ihnen und Ihren Verwandten das Leben.“
Im benachbarten Gebiet Rostow,
im Süden Russlands,
werden Unterkünfte bereitgestellt.
Auch in Luhansk schrillen die Glocken:
„Um zivile Opfer zu vermeiden,
rufe ich die Einwohner auf,
schnellstmöglich
Richtung Russische Föderation aufzubrechen“,
sagt der dortige Separatistenfüher.
Dann, 17 Uhr Ortszeit Washington:
Biden sagt (wieder in Kameras),
die USA würden glauben,
Putin hätte eine Entscheidung getroffen
und Russland plane einen Angriff,
und zwar direkt auf Kiew!

Am Samstag fragt man sich
dann endlich:
Was sagt eigentlich die Ukraine dazu?
Dazu gleich noch mehr.
Klitschko, ja einer der Ex-Boxer,
der Bürgermeister von Kiew,
sagte bereits am Freitag auf der „Siko“
erst mal nur so viel:
Wir brauchen Waffen!
Wozu?
Das wird noch am Vormittag klar:
Die Separatisten rufen
zur Generalmobilmachung
aller Truppen im Donbass auf,
und ein Soldat sei bereits
durch ein ukrainisches Schrapnell
getötet worden.
Derweil ist Scholz schon in München angekommen
und hat schon deutlich martialischere Töne im Gepäck:
„Es droht wieder ein Krieg in Europa.“
Stoltenberg wird noch deutlicher:
„Wenn das Ziel des Kremls ist,
weniger NATO an seinen Grenzen zu haben,
wird es nur mehr NATO bekommen.“
Auch hier also maximale Deeskalation.
Der ukrainische Präsident Selenskyj
und die US-Vizepräsidentin Harris
wollen aber auch
in dieser späten Stunde
immer noch reden.
Etwa auch mit Russland,
oder gar dem Donbass?
Da, rumms, fliegt jedenfalls
am frühen Samstagabend
die erste Ölpipeline
in den Separatistengebieten
in die Luft.
Da kann in München
sogar Xi
noch seinen Senf dazu geben;
Frieden jedenfalls
ist das im Donbass
schon mal offensichtlich
nicht.

Was Selenskyj dann in München sagt,
übrigens vor stehenden Ovationen;
und da hatte er noch nicht mal Hallo gesagt,
ist, nun ja,
dann doch eher ein
zweideutiges Bekenntnis
zum „Westen“,
und deswegen ganz eigentlich
eine wirklich tolle Rede.
Wenigstens der Versuch
von frischem Wind:
Die Ukraine sehnt sich nach Frieden,
Europa sehnt sich nach Frieden,
die Welt sehnt sich nach Frieden,
und sogar Russland sagt,
es will nicht eingreifen.
Die Wirklichkeit sieht anders aus,
wie man ja gerade sieht.
Also lügt hier irgendwer!
Die Separatisten und die ukrainische Armee
befinden sich inzwischen
schon zwei Jahre länger im
(Bürger-)krieg,
als der gesamte Zweite Weltkrieg gedauert hat.
Wie kann das sein?
Die Antwort Selenskyjs
ist so unangenehm,
wie sie richtig ist:
„Das Sicherheitsgefüge der Welt ist zerbrochen.“
Und zwar nicht erst seit heute.
Das wiederholt er später in der Rede
nochmals deutlich.
Das ist offene
und das ist vor allem
deutliche Kritik an der Nato.
Und das ist das altbekannte Motiv:
Der Westen hat die Ukraine vergessen.
Als ob.
US-Demokraten-Legende
Nancy Pelosi guckt in der ersten Reihe
schon ganz bedröppelt.
Selenskyj redet sich schnell heiß,
bleibt aber bei der Wahrheit:
Auch die UN versagt letztendlich,
wenn ein Mitglied
die UN-Charta verletzt.
Heftiges Kopfnicken
der EU-Kommisionspräsidentin,
das waren am Vormittag genau ihre Worte.
Ja, es muss eine neue Sicherheitsarchitektur geben,
will man einen Dritten Weltkrieg
mit Millionen von Toten verhindern.
Das Scheitern der letzten Versuche
einer globalen Sicherheitsarchitektur
(d.h. „Völkerbund“),
habe gezeigt
wohin Instabilität führt.

No shit, Sherlock!
Radikal gedacht
hieße das aber:
Auflösung der Nato
und Bildung eines ganz neuen Bundes.
Wenn da dann Russland und China
auch noch mitmachen dürften,
dann wäre das Problem gelöst.
Stell Dir vor es ist Weltkrieg,
aber es gibt keine Feinde mehr.

Selenskyj aber führt
den Gedanken leider nicht weiter,
sondern kommt zurück
zu den Waffen.
Danke für die 5.000 Helme,
aber sie könnten schon auch noch
andere Sachen gebrauchen.
Und auch wenn sie es
nicht bekommen sollten,
auch gegen eine Million
russische Soldaten
wird die Ukraine sich verteidigen.
Jetzt kriegt Scholz noch sein Fett weg:
Seien wenigstens sie
doch bitte ehrlich!
Offene Türen sind ja schön,
offene Antworten
wären aber besser.
Er wiederholt:
Seit acht Jahren ist die Ukraine
im Krieg
mit sich selbst.
Und deswegen fordert er nur das mindeste:
Ein Friedensabkommen,
an dem vor allem
die Nato
und
Russland zu beteiligen sind.
Solange der Westen dazu aber schweigt,
wird es im Osten der Ukraine,
im Osten Europas,
ja in der Welt,
keinen Frieden geben.
Und so isses.
Da hätte er sich seine abschließende
Legende vom toten Soldaten,
der in seinen letzten Sekunden
ganz genau gewusst hätte,
wer jetzt hier lügt,
eigentlich sparen können;
auch wenn er damit Claudia Roths Herz
wahrscheinlich ganz tief berührt hat.
Am Ende der Rede
sind übrigens
alle
sitzen geblieben.
Wenigstens schämen sie sich noch.

Nur ein paar Stunden später,
immer noch Samstag,
ruft die Bundesregierung
dann alle Deutschen in der Ukraine
dazu auf,
das Land „jetzt“ zu verlassen;
die Lufthansa fliegt ab morgen
nicht mehr nach Kiew.
Den Sack zu
macht dann
kein geringerer als Boris Johnson.
Die Nato sollte doch gerade jetzt
global expandieren,
am besten gleich bis nach Indo-China!
Warum warten,
wenn man den Dritten Weltkrieg
doch auch gleich haben kann.

Dann heute,
am Sonntag:
Erst mal gute Nachrichten für die Ukraine:
Selenskyjs Rede bringt dem Land
immerhin 350 Millionen US-Dollar.
Die Weltbank will sich nichts nachsagen lassen.
Also, wer hat noch Waffen im Lager?
Estland, ja? Prima.
Noch irgendwer in München,
dem Waffenembargos
in Kriegsgebiete
nichts bedeuten?
Ah, der Herr Hinterbänkler,
ja, bitte sprechen sie doch:
„Deutschlands Kapitulation
vor Russland
bei Nord Stream 2
und anderen Themen
ist etwas,
bei dem sich der Rest der Welt
– vor allem die Amerikaner –
an den Kopf fassen.“
(Jim Banks, US-Kongress, Republikaner)
Nord Stream 2 sofort stoppen!
Waffen an die Ukraine liefern!
Appeasementpolitik vom Fach.
Zeitgleich in Moskau:
Die Duma meldet sich wieder zu Wort.
Der einzige Abgeordnete der Rodina
(eine „linksnationale“ Splitterpartei)
ruft die russische Bevölkerung auf,
„den Bandera-Lumpen
zu zeigen,
dass wir Russen
immer zusammenstehen.“
Das deutsche Handelsblatt
sieht darin einen Kriegsaufruf.
Sagen wir mal so,
dieser Kriegsaufruf
würde sich dann
gegen die Nazis
in der ukrainischen Armee wenden,
u.a. gegen das Asow-Regiment.
Und das kann ich, als Antifaschist,
jetzt nicht komplett blöd finden.
Klar scheint aber,
es wollen einfach zu viele Leute
Krieg
und viel zu wenige
Frieden.

Macron hat dann heute Mittag noch mal telefoniert.
Erst zwei Stunden lang mit Putin,
dann kurz mit Selenskyj.
Währenddessen reißen die Meldungen
über Granatenbeschüsse im Donbass
nicht ab.
Politikerkonvois und Journalisten
geraten zunehmend ins Kreuzfeuer.
Die ersten Soldaten sind gefallen.
Mehr als diskutiert wurde allerdings nicht
(und ja, ich war gerade
sehr kurz davor zu schreiben,
dass sei ja mal wieder
typisch französisch).
Putins Regierungssprecher jedenfalls
stellt am späten Nachmittag
im russischen Staatsfernsehen
noch mal klar:
Es ist nicht wahr,
dass Russland irgendjemanden angreift.
Er mahnt den Westen,
endlich zur Vernunft zu kommen.
Und, ohne Pathos geht es dieser Tage nicht,
die Welt solle sich doch bitte daran erinnern,
dass Russland noch nie (sic!)
irgendjemanden angegriffen habe.
Es sei doch eher so,
dass nur noch Russland
weder über Krieg reden,
noch das Wort überhaupt benutzen will.

So.
Und jetzt mal
ganz ehrlich:
Auf Geschichten aus dem Krieg
haben #DieDoppeltenZwanziger
mindestens
genau so wenig Lust.
Nämlich
überhaupt
gar keine;
wegen Gründen.
Aber vielleicht
dreht sich der Wind ja noch,
blättert die Seiten
in Ernst Blochs Bestseller
doch noch mal um,
und wir erleben ein weiteres Mal,
dass sich heutzutage
wirklich
alles
innerhalb einer Woche
ändern kann.

Fertig sind wir aber
mit dieser Woche hier
noch immer nicht.
Der Sturm ist noch nicht vorbei,
da kündigen sich selbstredend
schon die nächsten an.
Ungarn und Polen nämlich,
die beiden Topplatzierten
auf der Liste
der nächsten EU-Austrittskandidaten,
kriegen jetzt richtig
rechtsstaatlichen Stress
mit eben dieser EU;
immerhin haben sie
lange genug gebettelt.
Der EuGH hat gesprochen:
Aus dem Geldhahn
kommt bald weniger
bis gar nichts mehr.
Und weil das so gut läuft,
stellen sich gleich die nächsten an
und üben schon mal
ihre Abschiedsgesten:
Angel Dzhambazki,
Europaabgeordneter der bulgarischen VMRO,
dem parteigewordenen Arm
aller bulgarischen Faschofans,
wedelte nach seiner Brandrede
für die Naziversion von Rechtsstaatlichkeit
in seinen Bruderländern
ganz höflich
mit dem Hitlergruß.
Selbstverständlich
vor laufenden Kameras.
Mal voyage!

Und weil das bis hierhin
alles schon wieder
viel zu positivistisch war,
zum Ausklang für heute
dann noch kurz was neues
von der Zukunft.
Die Gen Z,
also die, die den ganzen Rums hier
irgendwann mal erben wird,
hat nämlich endlich
ihren richtigen Namen gefunden.
Nee, nix mehr
mit „Lost Generation“,
viel woker,
viel endgültiger:
„Last Generation.“
Paradoxerweise aber
ist deren immer noch auffälligste Eigenschaft
ihre Sturheit,
ihr einfach-nicht-aufgeben-wollen,
ihr Weitermachen.
Von wem sie das nur gelernt haben?

Und manchmal bringt es ja auch was,
und nicht nur Geld:
Am Dienstag
haben in den USA
die Opferfamilien des Parkland High Massakers
(17 Tote, 15 Schwerverletzte
in knapp sieben Minuten,
am Valentinstag 2018)
also nach vier Jahren
endlich Recht bekommen.
Und 73 Millionen US-Dollar.
Remington Arms,
der Hersteller des Sturmgewehrs,
mit dem ein 19-Jähriger
die Bluttat begangen hatte,
ist somit bankrott.
Bleiben also nur noch
hunderte weitere Waffenfabrikanten,
dann braucht niemand mehr
ein Waffenkontrollgesetz.
Den Markt mit seinen eigenen Waffen schlagen,
sounds good to me.
Ach, und Sinn für Ironie
hat die nächste Generation
doch auch tatsächlich:
In der woke-of-the-art Version
vom Texas Chainsaw Massacre
bekommt eine Überlebende
eines Highschoolmassakers
die Chance,
sich als Finalgirl
mit einem Sturmgewehr
bis zum Abspann durchzuschießen.
Ob sie es schafft,
das weiß ich nicht.
Ich hab nach dreißig Minuten umgeschaltet.
Sturmgewehre,
Massaker,
Tragödie.
Es dürfte klar sein,
warum mir nach so etwas
gerade nicht der Sinn steht.

Lieber noch was gutes
von der letzten Klimafront:
Fridays for Future
streikt inzwischen in der
183. Woche.
Die neue Miss Germany
ist Klimaaktivistin.
Und neunmalkluge,
aber ernsthafte Weltverbesserer
legen immer noch
Hauptstadtkreuzungen lahm.
Hey, Giffey,
hey, Kretschmann!
Wisst ihr,
was ihr die mal könnt?
In Ruhe lassen.
Die haben wenigstens einen Plan.
Ja, inzwischen pegeln sich auch die Meeresküsten
der USA auf höchst unwirtlichen Höchstständen ein.
Das ist allen bewusst.
Aber die Sache mit der
tatsächlich halbwegs grünen Offshoreenergie,
die macht interessanterweise
genau deswegen auch Sinn:
Die aktuellen Stürme
haben gerade in den letzten Tagen
so viel Windenergie in die Netze eingespeist
wie noch niemals zuvor.
Vielleicht sollten wir mal
in diese Richtung weiterdenken.
Klingt jedenfalls alles besser
als Dritter Weltkrieg,
oder irgendsowas.

Ach ja,
dieser immer wieder
erfrischende
Westwind!
Nur gutes bringt der.
Und ganz, ganz weit aus dem Westen,
noch weit hinter dem Wilden Westen,
also aus Kalifornien,
bringt er die
wohl endgültig
beste Nachricht der Woche:
Beim diesjährigen Coachella-Festival,
dem Burning Man
für sonnenverwöhnte Superwokies,
wird es keine Impfnachweise,
keine Tests
und keine Maskenpflicht geben.
In der kalifornischen Wüste
ist schon im kommenden April
schon wieder alles
als wäre es
das erste Mal.

(Und in Euren Ohren
erklingt erst jetzt wieder
das zerbrechliche Pfeifen
von Klaus Meine.
Aus Hannover.
Westlich von Peine.)

 

„The first time
that the beat drops in the bar,
it’s gonna be biblical.
The second
that the sing-along starts,
it’ll be sensational.“

(Frank Turner: The Gathering. 2022)

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