„Chronic town,
poster torn,
reaping wheel.
Stranger,
stranger to these parts.“
Bode Hero!
Na awer!
Helau!
Und wegen mir auch
Alaaf!
Nein,
keine Sorge,
nur Spaß.
Vom Fasching schreibe ich
natürlich nichts,
also auch nichts
über Brauchtumszonen
oder ähnlichen Quatsch.
Und auch nicht darüber,
dass die Credit Suisse
schon seit über 80 Jahren
ein Scheißladen ist.
Oder über den Launch
von „Truth Social“.
Und, nein,
auch nicht
über den ganzen anderen Scheiß
der letzten zwei Jahre.
Das sind alles
bloß noch
olle Kamellen.
Tä-tää,
Tä-tää,
Tä-tääää!
Denn worüber
#DieDoppeltenZwanziger
im Moment
schreiben müssen,
das ist ja klar.
Beziehungsweise,
das ist alles andere als klar;
wie das
mit Krieg
nun mal so ist.
Denn Krieg,
Krieg
ist immer gleich.
Und weil ich ja schon angekündigt hatte,
null Ambitionen zu haben,
aus #DieDoppeltenZwanziger
jetzt auch noch
eine Kriegschronik
machen zu müssen,
an dieser Stelle
nur so viel:
Sollte im Geschichtsunterricht,
irgendwann in ein paar Jahrzehnten,
mal gefragt werden,
wann der erste europäische Krieg
des 21. Jahrhunderts begonnen hat,
da wird die Antwort sein müssen:
Am frühen Morgen des 24. Februar 2022,
als das russische Militär
mit einem der heftigsten Erstschläge
des modernen Bellizismus
begonnen hat,
die Ukraine zu besetzen.
Die Präzision des Einmarschs
ist ja fast schon ehrfurchterregend,
mindestens aber angstmachend;
auch weil alles genau so eingetroffen ist,
wie von den USA vorhergesagt,
nur eben eine Woche später.
Und sollte die Ukraine,
in Anbetracht der Tatsache,
dass ihr momentan
niemand mit wirklichem Beistand helfen wird,
nicht schnell das einzig richtige machen
und kapitulieren,
dann
müssen sich
#DieDoppeltenZwanziger
eh noch eine Weile
damit beschäftigen,
und nach nichts anderem sieht es aus.
Deswegen schert
diese Chronik
heute auch
mal wieder aus.
Noch bevor die Geister des Krieges
wieder erwacht waren,
hatte ich mir vorgenommen,
so eine Art Frühjahrsputz zu machen.
Getragen von der
(ebenso zynischen wie dummen)
Euphoriewelle um den
immer näher rückenden
sogenannten Freedom Day,
wollte ich gleich noch
ein paar andere Altlasten entsorgen.
Und, wie ihr wisst,
sind das inzwischen
ja ganze Umzugswagen
voll bis oben hin
mit Gespenstern,
die wir nicht mehr loswerden.
Aber hey,
was soll man mit Gespenstern machen,
wenn man sie nicht vertreiben kann?
Richtig,
ihnen ins Gesicht lachen.
Und weil das eben alles
so naheliegend ist,
erwählt sich diese Chronik
in diesen verrückten Tagen
den Karneval als Motiv.
Genauer gesagt,
den Karnevalsumszug;
auch weil heute
(Kriegsbeginn)
auch noch die letzten Faschingsfeiern
abgesagt wurden,
und jetzt durch Friedensdemonstrationen
ersetzt werden,
auf denen die Umzugswagen
aber trotzdem mitfahren werden.
Das niemals verfilmbare Drehbuch
zu diesem tragischen Kulturversagen
würde dann
in meinem Kopf
in ungefähr so aussehen:
My head‘s a fuckin‘ carnival
Kurzfilm in zwei Akten
Erster Akt
Tag/außen
Quedlinburg, westliches Ende der Kleerswiese
Vormittags
Drei Einstellungen,
keine zusätzliche Beleuchtung:
1 – Weitwinkelaufnahme
mit Blick Richtung Bossewiese und Lindenstraße
2 – Halbtotale
der Menschenmengen, die auf Höhe der Metteschule auf beiden Seiten der Straße stehen
3 – Großaufnahmen (Steadycams)
der Umzugswagen und Details daran,
sowie der Gesichter der Beistehenden
Es ist noch leicht bewölkt, im Westen verdunkelt sich der Himmel jedoch zusehends.
Beide Menschenmengen sind halbherzig kostümiert.
Die Gesichter wirken großteils bedrückt, nur wenige zwingen sich zur Fröhlichkeit.
Vom östlichen Ende der Lindenstraße nähern sich die Umzugswagen.
Soundtrack 1:
„The age of miracles,
the age of sound.
Well there’s a Golden Age
comin‘ round,
comin‘ round,
comin‘ round.“
(TV on the Radio: Golden Age. 2008)
Der erste Wagen scheint auf den ersten Blick ein völlig normaler, mittelgroßer Laster zu sein, mit einer scheinbar leeren Ladefläche.
Die Menschen schauen sich ratlos an.
Mit der musikalischen Untermalung weiß auch niemand etwas anzufangen.
Dann aber blicken immer mehr Menschen wie gebannt auf die eben noch unscheinbare Ladefläche des Transporters.
Ein circa drei Meter hohes Hologramm beginnt flackernd, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Grell gold glänzend werden die groben Umrisse eines Bildschirms erkennbar.
Einige Menschen scheinen ihren Augen nicht trauen.
Andere lächeln wissend.
Die Umrisse des Bildschirms beginnen zu verschwimmen, aus der Mitte schweben der Menge Buchstaben in immer schneller werdender Geschwindigkeit entgegen, die immer wieder das gleiche Wort bilden, jedes mal in einer anderen Sprache.
Truth.
Verdad.
Hakikat.
Prawda.
Zhēnxiàng.
Saty.
Wahrheit.
Dann erlischt das Hologramm.
Die Menschenmengen wirken zunächst sprachlos.
Nicht wenige Augenbrauen bleiben hochgezogen.
Einige vermuten bereits eine Dramaturgie, ein Narrativ, eine Idee.
Der zweite Wagen sieht deutlich aufwendiger und beeindruckender aus: ein völlig überdimensionierter mattschwarzer Jeep, am Steuer eine Art Hulk Hogan mit spiegelnder Sonnenbrille, zieht einen mehr als fünf Meter langen, ebenfalls matt schwarzen Anhänger, auf dem ebenfalls völlig überdimensionierte Smartphones zu einer Art Spiegelkabinett angeordnet sind. Das ganze macht einen ziemlich instabilen und zerbrechlichen Eindruck.
Die riesigen LED-Flächen bleiben zunächst leer.
Auch Musik ist nicht zu hören.
Die Menschenmenge wirkt bereits wieder gelangweilt.
In einer Massenübersprungshandlung holen alle ihre eigenen Smartphones raus.
Die meisten fotografieren den Wagen immer und immer wieder, der Rest wischt und tippt fast manisch darauf herum.
Plötzlich leuchten die LED-Flächen doch noch auf und die gerade erst gemachten Bilder und getippten Kommentare und Nachrichten erscheinen auf den Bildschirmen, wild durcheinander und in UltraHD16K.
Spürbare Unruhe macht sich breit.
Einige versuchen den Wagen zu stoppen und bewegen sich auf den Fahrer zu.
Der aber schließt das Fenster der Fahrertür und fährt einfach stur weiter.
Die ersten Flüche werden laut, darunter Worte wie: Frechheit und Datenschutz.
Einer malt schnell sein mitgebrachtes Plakat um: Gebt mir mein Leben wieder!
Das erste faule Obst fliegt in Richtung des Anhängers.
Dann erschallt doch noch Musik.
Soundtrack 2:
„Hey!
Wait!
I got a new complaint!
Forever in debt
to your priceless advice.“
(Nirvana: Heart Shaped Box. 1993)
Als der dritte Wagen ins Blickfeld rollt, macht sich bald entnervtes Stöhnen breit.
Der Anhängeraufbau, der von einem schwer lädierten Krankenwagen gezogen wird, ist die Attrappe einer großen Wand, die von unzähligen feinen Rissen durchzogen ist.
Ohne weitere Vorwarnung schreit die gesamte Wand auf einmal „Disco“: unzählige kleine Glühbirnen blinken wie wild durcheinander.
Langsam werden darin Muster deutlich.
Die Menschen schauen sich kurz erschrocken an.
In immer greller werdenden Farben, von hellem grün, über gelb, orange, rot, braun, pink, lila bis hin zu dunklem Indigo werden gezackte Kurven deutlich, die immer wieder hoch und runter schwappen.
Darüber erscheinen immer öfter Zahlen, die immer höher werden, bis am Ende, in alarmierendem Rot, erst eine Sechs und dann sechs Nullen erkennbar werden.
Für einen kurzen Moment halten alle die Luft an, atmen dann aber erleichtert wieder aus und nicken sich gegenseitig aufmunternd zu. Einige beginnen sogar kurz zum laut dröhnenden Beat zu tanzen.
Soundtrack 3:
„And if I recover
will you be my comfort?
Or it can be over?
Or we can just leave it here?
So pick any number!
Choose any color!
I’ve got the answer.“
(Chvrches: Recover. 2013)
Als der vierte Wagen folgt, kehrt das entnervte Stöhnen umgehend zurück.
Einige erkennen auf dem Anhänger eines Kleinsttraktors die Kostüme des Auftritts auf der Rathaustreppe im letzten November wieder: Kinder als Viren verkleidet und andere Kinder, die mit großen Pappspritzen hinter ihnen herlaufen.
Die Menschen auf der einen Straßenseite schütteln verschämt mit dem Kopf, die Menschen auf der anderen beginnen laut zu buhen.
In diesem Moment beginnt es zu regnen.
Bunte Schirme werden aufgespannt.
Einer davon ist mit sehr vielen OP-Masken beklebt, vereinzeltes Lachen ist zu hören.
Nur wenige Momente später verstummt die Musikanlage.
Das Schauspiel wird nüchtern fortgesetzt.
Techniker machen sich hektisch an Mischpult und Boxen zu schaffen.
Aber da kommt schon der fünfte Wagen.
Ein Barkas, auf dessen Dach eine burlesk gekleidete Frau mit einem Akkordeon steht, spielt und singt, um sie herum mehrere Filzhüte, in die bereits nach wenigen Sekunden die ersten Münzen geworfen werden.
Auf beiden Seiten des Barkas ist ein großer Schriftzug angebracht: „Der sterbende Einzelhandel grüßt alle Jecken! Vergesst nicht: Wir leben von Euch!“
Auf der Heckscheibe kleben viele kleine Aufkleber mit Firmenlogos und den Namen der hiesigen Geschäfte.
Der Regen nimmt dramatisch zu, aber die Frau singt unverdrossen weiter.
Auch einige Menschen auf beiden Seiten stimmen überraschend textsicher mit ein.
Soundtrack 4:
„Petrus schließt den Himmel zu,
alle Englein geh’n zur Ruh.
Nur der schlaue Petrus wacht,
Weil der alte Bengel
heut mit einem Engel
einen kleinen Bummel macht.“
(Hermann Frey: Bummel-Petrus. 1920)
Der sechste Wagen trübt die Stimmung umgehend wieder ein.
Ein schwarzer Leichenwagen zieht einen riesigen gläsernen Sarg, in dem eng aneinander gequetscht mindestens zehn, teils doppelt belegte Pflegebetten stehen.
Träge und viel zu langsam laufen zwischen diesen Betten auch noch Pflegerinnen hin und her, mit schwarzen FFP2-Masken und in schwarzer Schutzkleidung.
Auf ihren Rücken sind große, weiße griechische Buchstaben zu lesen.
Die Menschenmengen schweigen, einige schauen betreten zu Boden, andere schon wieder auf ihre Handys.
Nur einer schreit: Plandemie!
Dann setzt der Beat ein, der irgendwie nicht dazu passen will, der sich sträubt und der dagegen hält.
Nur ein paar Köpfe, unter ein paar Kapuzen, beginnen dazu zu nicken.
Der Regen wird kurz noch stärker und hört dann schlagartig auf.
Soundtrack 5:
„Man kann so vieles hören,
wenn der Tag lang ist.
So viele große Reden von Plänen,
doch tun sie gar nichts.
Denn Worte sind nur Luft,
bis sie zu Taten werden.
Buchstaben die aus einem Mund
ausgeatmet werden.“
(Kontra K: Alphabet. 2012)
Der siebte Wagen scheint irgendwie nicht so richtig voran zu kommen.
Immer wieder hält er, fährt dann wieder ruckelnd an, kommt erneut zu stehen.
Die Menschenmenge weicht wieder etwas von der Straße ab, denn es handelt sich um einen Drei-Kammer-Jumbotankwagen mit 58 Kubikmeter Fassungsvermögen.
An die Seiten des Sattelaufliegers sind verschiedene Versionen der Erde gemalt:
Ein brennender Planet.
Ein verbrannter Planet.
Ein schwarzer Planet.
Ein explodierender Planet.
Ein gefrorener Planet.
Ein blauer Planet.
Nicht wenigen Menschen steht buchstäblich ins Gesicht geschrieben:
Ach ja, scheiße, das is ja auch noch.
Die ersten gehen einfach, sie haben genug gesehen.
Da springen plötzlich, von beiden Straßenseiten aus, mehrere als Hipster verkleidete Kinder auf die Straße und setzen sich auf die Fahrbahn, einige haben Transparente dabei.
Deren Aufschriften sind aber zunehmend schlecht zu entziffern, denn der Tankwagen ist kurz vor der Straßenblockade endgültig zum Stehen gekommen, und dichter schwarzer Rauch hüllt das Führerhaus ein.
Eine geschlagene Minute starren alle Anwesenden wie in Trance auf die Szene, niemand ist in der Lage sich zu bewegen.
Die Kinder der Straßenblockade sind inzwischen aufgestanden, bewegen sich aber ebenfalls nicht von der Stelle.
Der schwarze Rauch verschluckt sie innerhalb weniger Sekunden.
Es herrscht vollkommene Stille.
Dann beginnen die Glocken der Stadt zwölf zu schlagen.
nach Schwarz ausblenden
To be continued

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