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Running up that hill (2) (Teil 2) (S7:Ep7)

von | 2022 | 6. Juni | Die Serie, Staffel 7 - Half a world away

Teil 2 – Du brauchst nichts zu tun, sagt Adorno

 

I called it!
Again!
Was ich hier
erst vorletzte Woche nur vermutet,
ja fast nur erspürt hatte,
war eben nicht nur
so ein diffuses Gefühl,
sondern der Anklang
des nächsten Levels
der Neuen Normalität.
Denn die Nachrichtenlage
wird tatsächlich
proaktiv entschärft.
Anscheinend haben irgendwelche Medienmacher
endlich erkannt,
dass der Informationsoverkill
absolut nichts ändert,
geschweige denn verbessert.
Deswegen hat jetzt
das erste große Newsoutlet
besondere Regeln eingeführt.
Es scheint zwar nur
eine symbolische Angelegenheit zu sein,
aber das ist ja wenigstens nicht nichts.
CNN hat seit vier Tagen
die Verwendung des Disclaimers
„Breaking News“
deutlich eingeschränkt.
Kurz gesagt:
Die inflationäre Benutzung
des Anscheins von höchster Wichtigkeit
soll um einiges
zurückgefahren werden.
CNN-Chef Chris Licht
kann sogar erklären,
warum das notwendig ist:
„It (Breaking News)
has become such a fixture
on every channel and network
that its impact
has become lost
on the audience.“
Auf Deutsch:
Breaking News sind
nichts besonderes mehr.
Alles ist inzwischen
gleich wichtig.
Johnny Depp,
Championsleague,
Bundeshaushalt,
Waffengesetze,
Gendern,
Klimakatastrophe,
Krieg,
Geburtstag der Queen,
Welthunger,
Bundesparteitag der AfD,
Zugunglücke.
Und, ich denke,
dass ich mich wiederhole,
genau deswegen
ist nichts mehr wichtig.
Höchstens noch der eigene Dunstkreis.
Alles andere drumherum
sind höchstens noch
schale Wiederholungen
von mehr oder weniger
bekannten Schlagzeilen.
Die wir erfolgreich ausblenden (müssen),
was uns allerdings
durch das Training der letzten Jahre
erstaunlich gut gelingt.
Also manchmal.
Und jetzt helfen die Nachrichtensender
uns auch noch dabei!
Indem sie die Newscycle verlangsamen,
beziehungsweise,
der Komplexität der Lage geschuldet,
einfach noch strenger auswählen,
was jetzt wirklich wichtig ist.
Das kann man
indirekte Zensur nennen.
Das kann man
aber auch Vernunft nennen.
Denn es ist lange genug versucht worden,
die Fragmentierung der Informationsgesellschaft
durch noch mehr Information aufzuhalten.
Und wer den immer gleichen Fehler
ständig wiederholt,
der gilt,
nicht nur unter Pädagogen,
als dumm.

So.
Nach so viel philisterhafter Belehrung
(sorry, not sorry)
wiederhole ich jetzt schnell noch,
ganz selbstkritisch,
dass mir klar ist,
dass ich gut reden habe,
und man mir
mit einigem Recht vorwerfen könnte,
dass ich ja auch bloß nichts ändere
(was so natürlich nicht ganz stimmt,
aber dazu vielleicht an anderer Stelle),
außer vielleicht zu versuchen,
das kritische Denken nicht zu verlernen.
Kann mir dafür
mal bitte jemand
auf die Schulter klopfen?

 

Du bist kritisch,
du bist okay,
du brauchst nichts zu tun,
die Revolution,
sagt Adorno,
führt eh in den Faschismus.“

(Stefan Ripplinger. 2022)

 

Aber, noch eine Wiederholung:
Das interessiert
#DieDoppeltenZwanziger
herzlich wenig.
Chroniken sind ja schließlich
nichts anderes
als Wiederholungen,
die in seltenen Fällen
einfach nur vorgeben,
irgendetwas anderes zu sein.

Zwei Gedanken noch,
dieses Mal zur
Ehrenrettung der Wiederholung,
und dann ist es auch endlich mal gut
mit den Wiederholungen,
zumindest mit den frustrierenden.
Denn vielleicht gibt es ja doch noch
irgendwie neue Entwicklungen.
Denn zum Einen ist die alltägliche
Ausdrucksform der Wiederholung (aka Routine)
irgendwie doch auch ein Zeichen dafür,
dass man noch nicht aufgegeben hat,
daran zu glauben,
dass wir doch noch eine Chance haben,
auf dem Abhang zum Stehen zu kommen.
Wozu würden wir denn sonst
immer wieder von vorne anfangen?
Nur weil wir nicht wissen,
was wir sonst machen sollen?
Das glaube ich nicht.
Zum Anderen
steht die Wiederholung
der folgenden Wahrheit
dann sinnbildlich
für den Sinn
der letzten ca. zehn Seiten:

 

„Glück ist der Wunsch nach Wiederholung.“
(Milan Kundera, 20. Jh.)

 

Also.
Was wird das nächste große Ding?
Doch wieder nur ein Retro-Ding?
Was machen denn
die wirklich wichtigen Trendsetter so?
Sämtliche (Bürger-)Bewegungen weltweit
enden entweder im (molekularen) Bürgerkrieg
oder versanden im Parlamentarismus.
Politische Entscheidungen
erschöpfen sich
fast ausschließlich in Symbolik,
denn morgen kann die Lage
ja schon wieder ganz anders sein,
man muss flexibel bleiben.

Selbst Fridays for Future
geht am kommenden Freitag
in die 200. Woche.
Mitgemacht wird
schon lange nicht mehr richtig.
Wozu auch?
Hat ja nichts gebracht.
Außer Knatsch.
Das 1,5°C-Ziel wird letztendlich
nur noch schneller erreicht.
Um sich aber nicht
in den nächsten 200 Wochen
auch nur ständig zu wiederholen,
geht der Wokismus,
voran eine ihrer Leitfiguren (Greta Thunberg),
wenigstens einen Schritt weiter.
Einsichtig wie nur was,
geht es jetzt
nicht mehr darum,
die Klimakatastrophe zu stoppen,
sondern darum,
die jetzt anstehenden Aufgaben
gerecht zu verteilen.
Was im Klartext heißt,
der „Globale Norden“
muss deutlich mehr Aufwand betreiben
als die Hauptleidtragenden
sämtlicher multiplen Krisen.
Dieses Konzept nennt sich Verantwortung.
Und es sagt alles aus
über die Weltlage,
dass es die mit der wenigsten Verantwortung sind,
die sich dafür stark machen müssen.
Und die das mit dem kritischen Denken
nicht mal mehr lernen müssen,
sondern einfach so machen.
Ein Beispiel?
Bereits im Oktober des letzten Jahres,
während einer Podiumsdiskussion,
hatte Greta Thunberg keine Mühe,
eine klare Antwort zu finden.
Zu Debatte stand,
ob man den „Globalen Norden“
als eigentliche Kolonialmacht der Welt
bezeichnen sollte,
oder ob das nicht ungerecht wäre.
Die Schwedin
(Globaler Norden,  maximale Reichweite)
antwortete schlicht:
Ja, das sollte man.
Offenbar wollte sie keine
überflüssigen Debatten wiederholen.
Massiver Fortschritt.

So weit sind wir Millenials
aber offensichtlich nicht.
Denn wir lieben alte Debatten.
Sieben Wochen lang
haben wir uns mitansehen müssen,
wie sich ein Mann
und eine Frau
gegenseitig
mit Dreck beschmissen haben,
um nach der Trennung
wenigstens noch
ein bisschen mehr Kohle einzuheimsen.
Dabei haben wir alles
noch mal durchgekaut:
Täter sind meistens Männer.
Opfer sind meistens Frauen.
Außer sie sind instabile Persönlichkeiten.
Was wiederum zwar ein sexistisches Klischee ist,
aber weswegen auch Amber Heard
ja trotzdem Täterin gewesen sein könnte.
Und Lügnerin.
Und überhaupt.
Das ist schon wieder viel zu komplex.
Johnny ist nun mal Publikumsliebling.
Und die Jury hat entschieden.
Beide haben gelogen.
Interessiert aber keinen,
denn Johnny kriegt jetzt
mehr Geld von Amber
als sie von ihm,
deswegen hat Johnny gewonnen.
Männer sind eben doch nicht
immer nur Täter.
Und alle,
wirklich alle,
von der Incel-Ecke bis zum Faz-Abnicker,
können endlich wieder ein bisschen misogyner sein,
ohne gleich als Frauenhasser dazustehen.
Das wird man ja wohl noch meinen dürfen.
Ergebnis diese Prozesses ist also:
#metoo muss wieder
von ganz vorne anfangen.
Danke Internet.

Unterdessen:
gewinnt auch Boris Johnson
sein kurzfristig anberaumtes
Misstrauensvotum.
„Partygate“ ist endlich vom Tisch.
Das Ergebnis stand lange fest.
Die Abstimmung musste
nicht mal wiederholt werden.

Heute dann mal nicht
das Klima
(fast) zum Schluss.
Sondern schon wieder
eine neue (Unter-)Rubrik,
wenn auch aus einer vertrauten Kategorie:
NBA-Basketball.
Warum?
Lest selbst:
Eine Gamestory
ganz wie das echte Leben,
nur doppelt so gut.

 

Al Horford is running up that hill (too)    (Hidden Story 2)

Die Finals sind endlich erreicht. Endlich. Nach acht Jahren Aufbauarbeit um ihren legendären Aufbauspieler, Marcus Smart, ist es ein Spieler, der länger als alle seine Mitspieler darum gekämpft hat, die Endspiele der besten Mannschaftssportliga aller Dimensionen zu erreichen. Nach 15 Jahren NBA-Karriere hat es Al Horford endlich geschafft.
Und damit geht die Game-Story erst richtig los: Im ersten Spiel der Serie hustlen sich die Boston Celtics nach großem Rückstand und gegen einen Stephen Curry in Topform unermüdlich zurück. Nicht nur in der ersten Halbzeit, sondern in der zweiten auch. Kurz vor der Pause erzielen sie per Dreier die erste Führung im Spiel (Al Horford). Das ganze wiederholt sich in der zweiten Halbzeit, fast spiegelgleich, nur das Al Horford diesmal nicht nur einen, sondern natürlich zwei Dreier, in Folge zur Führung trifft. Da kann Steve Kerr nur noch ratlos gucken…
Noch drei mal, Al, nur noch drei mal, dann sind die Celtics alleiniger Rekordmeister. Es winkt der 18. Titel der Vereinsgeschichte. Das ist einer mehr als wie  die Lakers am Haben sind.) Und weil das so eine perfekte Game-Story ist, leg ich mich jetzt schon fest: Die NBA-Champions 2022 spielen in Grün-Weiß. Völlig egal, ob die Golden State Warriors das zweite Spiel gewonnen haben. Warum? Einfach: Noch niemand in diesem Team saß schon mal auf dem Thron der Basketballwelt, auf dem die Warriors seit gefühlt einer Dekade sitzen. Die wollen das einfach mehr. Allen voran Al Horford. Die Warriors werden die Flamme weiterreichen, und die Challenge der neuen Dekade heißt für die Celtics: Dynastie. Ein Titel macht noch keine Legenden. Das muss schon noch auch wiederholt werden.

 

Und ganz zum Ende
heute dann etwas,
das nicht wiederholt werden kann,
auch wenn es sich jedes Jahr irgendwie wiederholt.
Und wovon es auch keine Aufnahmen gibt,
weil es eben einzigartig bleiben sollte.
Und ein seltenes Beispiel dafü ist,
dass eben doch noch mal was geschafft wird.
Dafür, dass nur genug Sisyphosse gemeinsam
am Felsen schieben müssen,
damit der wenigstens mal
einen Berggipfel erreicht.
Meine 10. Klasse
hatte am Freitag
ihren „Letzten Schultag“.
Und hat
wortwörtlich in den letzten Stunden
ein Abschiedsprogramm
auf die Beine gestellt,
von dem noch lange geredet werden wird,
eben weil es keine Wiederholung geben kann.
Das Rahmenthema
für die traditionellen Spiele
zwischen Lehrer*innen
und Schüler*innen,
war in diesem Jahr
„Haus des Geldes“.
Genau, diese spanische Kommunistenserie,
die mit „Bella Ciao“ als Erkennungsmelodie.
Ich sage dazu:
Meine Idee war das nicht.
Umso besser.
Für diejenigen,
die sich gerade kein Bild davon machen können:
Sinn der Spiele ist,
dass die Schüler*innen der 10. Klassen
nach ihren Prüfungen
symbolisch um ihre Freiheit kämpfen.
Dabei helfen ihnen die jüngeren Schüler*innen,
indem sie alle Arten von Wettkämpfen
gegen die Lehrer*innen bestreiten
(Quiz, Twister, Sackhüpfen,
Lieder erraten, Parcourslaufen, Schautanzen, …).
Haben die Schüler*innen am Ende
mehr Spiele gewonnen,
sind sie „frei“.
Am Freitag wurden diese gewonnenen Spiele
logischerweise durch Geldsäcke symbolisiert.
Im Normalfall sind die Spiele so gezinkt,
dass die Sieger von vornherein feststehen.
Dieses Mal allerdings
ging die Rechnung nicht auf,
auch weil die Lehrer*innen Ehrgeiz gezeigt haben.
Was also tun?
Spontan klauen die Schüler*innen
einfach alle Geldsäcke,
die meisten von ihnen in roten Schutzanzügen
und mit Dalí-Masken vor dem Gesicht.
Und während „Bella Ciao“ durch die Aula dröhnt,
ist auf der Leinwand zu lesen:
„We are the Resistance!“

Das meist gespielte Lied
am Abend zuvor
(Programmprobe, inoffizielle Abschlussfeier)
war übrigens …
… ich denke,
das muss ich jetzt
wirklich nicht noch mal
wiederholen.

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