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Still Smashing Modern Times (Teil 2) (S8:Ep2)

von | 2022 | 31. Oktober | Die Serie, Staffel 8 - Fallen Leaves

Teil 2 – Rubrifikation

 

 

„Thoughts pass by like a river flow.
Must be hard to keep track.
Where you came from
I’d float down.
Stand right next to you,
but something is causing a lull
in the traffic.
An empire is moving the grass overgrown.
I’d blow this whole world to pieces
to not be alone.“

(Further Seems Forever: Blank Page Empire. 2003.)

 

 

Wie versprochen,
dreht sich heute alles,
mehr oder weniger,
um den Sinn und Unsinn von Rubriken.
Nein, das wird keine Medienschelte,
keine Anklage
der Fragmentierung unserer Gegenwartswahrnehmung,
kein Verfluchen
des dadurch entstehenden Relativismus
und auch kein Runterputzen
der erschöpften Postmoderne;
die sind doch alle schon gebeutelt genug.
Und außerdem,
was wäre dieser Text hier
denn bitte ohne Rubriken?
Richtig,
ein heilloses Durcheinander
irgendwelcher Meldungen,
das doch nur den Eindruck verstärken würde,
die Welt wäre ein einziges Chaos,
und nur ich würde mir anmaßen,
da noch irgendwie rot schimmerndes Licht
im Dunkel zu erkennen.
Deswegen zur Einstimmung
erst ein kleiner Rückblick,
dann ein wenig Theorie,
dann eine kurze Einordnung;
Struktur durch und durch,
auch danach dann,
wenn sie nur um so nötiger wird.

#DieDoppeltenZwanziger
können sich (Stand heute) rühmen,
bereits mindestens zehn neue Rubriken erfunden zu haben,
beziehungsweise behaupten sie das,
mensch weiß ja nie,
wann etwas wirklich genuin neues erdacht wurde.
Da wären also:
Das nervige „London Calling“,
die schizoiden „Briefe an Morpheus“,
die Covid-19 Satire „Tanz mit dem Tiger“,
das launige „Unterdessen“,
das frustrierende „In other wars“,
die empörte „Empörung über Empörung“,
die neunmalklugen „Erklärung von Demomaterial“
und „Lektorat von Nazikram“,
die eskapistischen „Hidden Stories“
und „Game Stories“,
zuletzt die metametameta Rubrik:
„Relativismus und Postmoderne – der Podcast“,
und sicher noch einige mehr,
die mir selber gar nicht aufgefallen sind.
Denn eigentlich habe ich so meine Probleme
mit der Rubrizierung,
das größte davon ist,
dass es ohne nun mal nicht geht.

Schließlich ist das hier
nicht irgendein NewsFeed
auf irgendeiner SocialMedia Plattform,
dem einzigen Medium,
das anscheinend ganz ohne Ordnung auskommt,
jedenfalls keiner,
die nicht nur dem jeweiligen Algorithmus
bekannt ist.

Rubriken sind so alt,
wie das Schriftwesen selbst,
also fast.
Denn den meisten Chronisten
wird ebenso schnell wie mir aufgefallen sein,
dass sich Relevanz ohne Einordnung
schlecht bewerkstelligen lässt.
Besonders, wenn Autor*innen
auch nur irgendeinen Wert darauf legen,
dass eventuelle Leser*innen
halbwegs folgen können.
Das Wort selbst geht letztendlich
auf die lateinische Bezeichnung für „rot“ (ruber) zurück,
denn die ersten bekannten Rubrifizierungen
waren die roten Überschriften in längeren,
meist liturgischen Texten,
damit die Liturgen wussten,
wann der nächste Teil
des Gottesdienstes beginnt.

Sind also die scharlachroten Buchstaben
Schuld daran,
dass wir heutzutage vermeintlich ohne Probleme
zwischen den einzelnen Versatzstücken,
aus denen unsere Wirklichkeit besteht,
hin und herspringen
und uns einbilden,
diese dadurch zu begreifen?
Gibt es gar keinen Zusammenhang?
Ist wirklich alles nur Konstruktion?
Alles nur Erfindung
von Menschen,
die lesen und schreiben gelernt haben?
Nicht mehr als der Fluch der Ariadne,
deren roter Faden
nur aus dem Labyrinth herausführt,
wenn er gewissenhaft weitergesponnen wird?

In diesem Sinne,
und apropos Spinnen:
Auf Euch kommt damit ein
nur scheinbar chaotisches Potpourri
der Rubriken zu,
bestehend aus alten bekannten
und neuen, hoffentlich nicht sehr langlebigen.
Den Zusammenhang
spinnt Ihr Euch dann bitte selber zurecht;
ich habe immerhin immer noch Ferien
und bin eigentlich mit Aufgeregtsein beschäftigt:
Der Kurzurlaub scheint
wirklich Wirklichkeit zu werden,
das angekündigte Wetter in Glasgow
will halten, was es verspricht
und das Heimspiel von Biffy Clyro
ist noch nicht abgesagt.
There. We. Go.

 

Tägliche Katastrophenmeldungen,
die früher mal
wochenlang ausgeschlachtet wurden,
heute aber nicht länger
als einen Newscycle überleben

Auf den Philippinen
zerstört eine weitere biblische Flut
das Leben und den Lebensraum
unzähliger Menschen.
In Seoul sterben weit über 100 Menschen
in einer vier Meter breiten Gasse
beim Halloweenfeiern.
In Indien fallen weit über 100 Menschen
zum Ertrinken von einer kaputten Hängebrücke
in den Machchhu.

 

Das ZDF Magazin Royale
rasiert

Nach der Veröffentlichung
der als ultrageheim eingestuften „NSU-Akten“
schafft es Jan Böhmermann
bereits für einige Stunden
in die Top 3 der Tagesschau
und der Verfassungsschutz
bleibt die Lachnummer,
die er seit mindestens zehn Jahren ist.
In der gleichen Ausgabe
gibt es eine lupenreine Rubrikenparodie.

 

Neues vom Weltwirtschaftskrieg

Die EZB ist erneut gezwungen,
den Leitzins schon wieder anzuheben,
nicht dass der Dollar
(„ökonomische Massenvernichtungswaffe“spiegel online)
noch allen davonläuft.
Gegen die Inflation
im Euroraum
soll das angeblich das einzige Instrument sein,
mit dem noch was auszurichten wäre.
Aber, für alle, die es gerne kompliziert mögen:

 

„Die Inflation gerät somit außer Kontrolle und eine Rezession zeichnet sich ab, während die in den neoliberalen Jahrzehnten vermittels der Finanzialisierung des globalisierten Kapitalismus akkumulierten Schuldenberge zusammenzubrechen drohen. (…) Die politischen Funktionsträger können systemimmanent entweder die Option weiterer Gelddruckerei und Verschuldung bis zur Hyperinflation wählen oder den Weg harter Sparmaßnahmen einschlagen, die in eine Rezession mitsamt einsetzender Deflationsspirale führen. Die Notenbanken müssen also die Zinsen zugleich senken und erhöhen – Ausdruck jener Ausweglosigkeit kapitalistischer Krisenpolitik, in der sich die kapitalistische Verwaltung der Systemkrise am Ende des neoliberalen Zeitalters befindet.“

(Tomasz Konicz: Globales Griechenland. 2022.)

 

Das klingt,
als ob es am Ende des Weltwirtschaftskrieges
definitiv keine Gewinner mehr geben wird.
Bis dahin
geben aber alle weiter ihr bestes,
um, wenn es soweit ist,
wenigstens nicht ganz unten
im Elend angekommen zu sein:
China kauft sich per Cosco
in den Hamburger Hafen ein,
vielleicht.
(Olaf Scholz aber gefällt das schonmal.
Abhängigkeit? Von China?
Wie das denn?)
Die USA markieren derweil
China zum x-ten Mal als Hauptfeind.
Der Vorwurf:
Das Land der Mitte
würde „das internationale System so umgestalten“,
dass es „zu seinen Interessen passe.“
Und damit noch nicht genug der Ironie:
Die US-Firma Westinghouse
baut ab sofort ein AKW
an der polnischen Ostsee.
Aber auch Natokollege Türkei
hat einen Weg aus der Krise gefunden:
Das Land mit der immer noch
brutal höchsten Inflationsrate weltweit
baut jetzt zum ersten Mal überhaupt
eigene Autos.
Am 99. Geburtstag der Republik
beginnt der Bau der „Toggs“,
Elektrokutschen im oberen Preissegment
für den verarmten Mittelstand.
Im kommenden Jahr
zunächst nur knapp 20.000,
danach dann bis zu 45.000
neue Vorstadtpanzer pro Quartal.

Gut.
Nur eine kleine Pause,
Luftholen und Innehalten
im Rubrikendschungel:
Gerade eben,
zum Geläut der Mittagsglocken
am Reformationstag
gab es hier, vor meinem Wohnzimmerfenster,
in der einzigen Quedlinburger Hölle,
ein kleines Orgelkonzert
beim thüringischen Außenbüro
des Protestantismus.
Sakrale Klänge
im Sonnenschein
einer deutschen Kleinstadtgasse.
Aber das gehört schon wieder
in eine andere Rubrik,
zu der kann ich erst am Abend
noch etwas mehr hinzufügen.

Und Leute, ich sag’s gleich:
Auf die nächste Rubrik
habe ich auch keinen Bock.
Die Gründe dürften inzwischen genau so bekannt sein,
wie die Namen von Promis,
die wir alle schon längst
wieder vergessen haben wollten.

 

Dudes,
die nicht aufhören wollen,
allen auf die Nerven zu gehen

Elon Musk hat endlich Twitter gekauft.
Für dann doch 44 Milliarden Dollar.
Was passiert als nächstes?
Rausschmiss von allen,
die etwas gegen seinen Umbau haben könnten;
„the bird is freed!“
Und Twitter kostet demnächst natürlich Geld.
Meinungsführer können schon mal
ihr Haushaltsbuch erweitern.
Wahrscheinlich bedeutet
diese Befreiung der Meinungsfreiheit
auch das Comeback des einstigen Twitterkönigs:
Donald Trump steht kurz
vor der digitalen Begnadigung.
Dass zeitgleich in New York
das Verfahren
gegen seine Hauptfirma
eröffnet wird,
das kann er dann bald wieder
in aller Öffentlichkeit abstreiten.
Also genau dort,
wo sein Buddy Kanye West
in der letzten Woche abgeschmiert ist.
Und zwar komplett.
Am Ende ist er persönlich
in irgendeiner Skeechers-Filiale aufgelaufen,
um denen seine,
von adidas gekickten Sneaker anzudrehen.
Hatten die keinen Bock drauf.
Antisemitismus gehört eben mit Füßen getreten.
Was demnächst auch
unser ganz eigener Vorzeige Hate-Entrepeneur,
Attila Hildmann, erleben dürfte,
wenn er nicht sogar in den Knast wandert.
Der Stern behauptet nämlich,
ihn ausfindig gemacht zu haben.
Die Öffentlichkeit interessiert das allerdings so wenig,
dass es eine größere Meldung ist,
dass Boris Johnson etwas nicht macht,
nämlich doch nicht noch mal anzutreten.

 

London Calling

London! … Good to hear your voice again! …
… Could you just wait a minute? … There is another call. …
Hello? This is #DieDoppeltenZwanziger speaking.
Who are we listening to? …
Say that again? … India? … Yeah, nice speaking to you too. …
We’re sorry, but we have London calling right as we speak. …
Come again? … You will have us deliviring a message? …
Sure, speak up, we’ll listen …
Yes, we repeat: „Indias son is rising above the empire.“ …
Okay. … Yes … Thank you for calling.
London? … Are you still there? …
You’ll never guess … we have a message for you …
Quote: Indias son is rising above the empire. …
London? … Do you copy? … London? … Hello? …

Rishi Sunak,
der nächste Primeminister des ehemaligen Empires,
der ist jedenfalls schlappe 730 Millionen schwer
(und damit doppelt so reich wie King Charles III,
praktizierender Hindu
und ansonsten nur das nächste,
immerhin hübschere Gesicht
des britischen Neoliberalismus.
Hätte London eben nicht einfach aufgelegt,
hätte ich noch fragen wollen,
warum es immer noch keine neuen Riots gibt.

 

Burning Democracy

Heiß ist es also hergegangen
im Frühling in Brasilien.
Die Wahl ist entschieden!
Lula obsiegt.
Mit gerade mal so
ein bißchen mehr als der Hälfte der Stimmen.
Bleibt das Land also auch gespalten.
Nur ein Stückchen weiter links;
was nach Bolsonaro alles
außer rechtsextrem heißt,
also noch weit entfernt von links.
Und bis zur Amtsübernahme
ist auch noch Zeit.
Wir wissen was das heißt.
Vor allem wenn nicht nur Neymar,
sondern auch der Frisurensohn
zu Bolsonaros größten Fürsprechern zählen.
Die Wahlnacht war quasi eine Kopie
der letzten US-Wahl,
nur eben viel schneller,
weil: alles elektronisch.
Erst sah es nach dem Tropenfascho aus,
dann holte der Tropensozi auf,
am Ende war es so knapp,
dass die Rufe nach Wahlbetrug
keine 24 Stunden auf sich warten ließen.
Und auch der erste Tote nicht.
In Belo Horizonte
wurde nach einem Streit auf einer Wahlfeier
ein Mann erschossen.
Die Welt gratuliert schleunigst
auf Twitter,
solange das noch geht.
Auch Olaf Scholz freut sich,
vor allem auf die Zusammenarbeit
in Sachen Klimaschutz.
Dazu hat der neue Klimabeauftragte unter Lula
auch gleich die beste aller Ideen:
Der Amazonas soll wieder regeneriert werden,
in dem man ihn in einfach Ruhe lässt.

 

Tanz mit dem Tiger

Momentan sind irgendwie alle krank,
andauernd.
Ob es die Grippe und/oder doch
noch/wieder Covid-19 ist,
ist dabei zweitrangig geworden.
Dass die gesamte Infrastruktur
immer noch nicht zusammengebrochen ist,
ist eigentlich ein Wunder.
Seit dem Beginn der Pandemie
sind weltweit
vierzig Millionen Arbeitsplätze
vernichtet worden.
Tendenz weiter steigend.
Und während in Italien
auch noch der letzte Rest von Impfpflicht abgeschafft wird,
und Hessen und Baden-Württemberg weiter „voran gehen“,
in dem sie die FFP2-Maskenpflicht in Pflegeheimen kippen,
sitzen in China mal wieder
200 Millionen gesunde Menschen
im harten Lockdown.
Was ist denn passiert?
Mehr als 1.000 Neuinfektionen an einem Tag!
In Deutschland sind es
gerade mal
160.000.

 

Sozial, National, Scheißegal

Der Deutsche Bundespräsident hat gesprochen.
Zu uns allen.
Im Schloss Bellevue.
Vor ein paar Tagen.
Vor erlesenem Publikum
und vielen, vielen Kameras.
Steinmeier schwört die Deutschen ein,
ach was, die gesamte Menschheit.
„Raue Jahre liegen vor uns“ echot es
durch den globalen Blätterwald;
die Almans also wieder
mit der ganz messerscharfen Analyse,
Sherlocks united.
Ihre Antwort:
Einigkeit.
Und Recht.
Und ein bisschen Freiheit.
Vor allem für uns.
Nichts wirklich neues also.
Hat ja aber auch schon ein paar mal geklappt.
Für uns.

Uneinigkeit hingegen
bei Pegida.
Ja, ich weiß,
das interessiert keinen mehr,
aber ebendrum ist die Meldung so schön.
Beim achten Geburtstag
der Almans gegen die Salamisierung des Abendbrots,
wollte keine rechte Stimmung aufkommen.
Lediglich ein paar Hundert Hartgesottene
haben sich am letzten Montag
noch in Dresden versammelt.
Die Zahl der Gegendemonstranten
ist nach all den Jahren deutlich gestiegen,
inzwischen wird in der Überzahl
zu fetten Bässen getanzt,
während Lutz Bachmann in sein Mikro nuschelt.
Oder Siggi Daebritz.
Dabei gehen auch die Grüße
vom „zukünftigen thüringischen Ministerpräsidenten“ unter,
die irgendein Laufbursche verkünden darf.
Bei Bachmanns Abschlussrede
hört schon fest keiner mehr zu.
Vielleicht, weil man sich nicht sicher sein kann,
warum Bachmann sich ausgerechnet
über die kürzliche Verschärfung des §130 StGB
echauffiert.
Ist es, weil er schon bei der laschen Variante
nicht wusste, wie man ihn umgeht
(zwei Jahre Bewährung für Volksverhetzung)?
Oder hat er einfach nur
die nächste Themenkarte der Neonazis gezückt?
Hier die Fakten dazu:
Nach EU-Rüge (zu lasch),
haben die Institutionen 14 Jahre
(und einen Regierungswechsel) gebraucht,
um den Paragraphen den Zeitumständen anzupassen:
Volksverhetzung in Deutschland
ist jetzt nicht nur,
wenn man den Holocaust leugnet,
sondern gegen egal welche Minderheit hetzt.
Das ist sogar mir zu schwammig,
obwohl es eigentlich glasklar ist.
Lutz Bachmann allerdings ist gar nichts klar:
Die „Umvolkung“ seit Merkel
sei dann auch bloß Völkermord.

Und wenn wir einmal bei Nationalmythen sind:
Auf der Neofaschodemo heute in Wittenberg
soll doch tatsächlich ein Thesenpapier
an die Kirchentür angeschlagen werden,
wahrscheinlich von Jürgen Elsässer selbst.
Bevor wir zur „Montagsdemo“ in Quedlinburg kommen,
hier noch schnell eine ganz andere Variante,
wir der heutige Tag begangen werden kann.
In Thale ist schon seit drei Tagen „Hexoween“.
Volksfest wie immer,
nur mit noch mehr Gruselgestalten.
Mit viel mehr:
Ich habe den schier unendlich großen Hüttenparkplatz
das erste mal komplett voll gestellt erlebt.
Kein Wunder.
Geilstes Wetter,
coole Fressbuden,
bisschen Markt im Park,
Tom Astor im Kaffeeloch.
Und dann auch noch der Harzlauf.
Einfach alles zusammenschmeißen,
umso mehr Leute bringen ihr Geld in die Stadt.

Hier in Quedlinburg
ging es ebenfalls hoch her;
Touris like it’s the summer holidays.
Nur eben heute Abend dann
doch wieder ein wenig flacher:
Bewacht von nur noch einer halben Hundertschaft
waren das dann heute bloß noch gut hundert Menschen
auf der „Montagsdemo“.
Ich hab mir den Jux gemacht
und mir diesen schlechten Witz von Auftaktkundgebung
mal angeschaut.
Und es bleibt eigentlich nur zu sagen:
Alter, Digga!
Un.an.genehm.
Kurz nach sechs
rollt die obligatorische Teufel-Box
über den Markt auf das Rathaus zu
(über die sich Johann Tetzel bestimmt auch gefreut hätte,
hätte er nicht so gerne geschrien):
„Steht auf, wenn ihr …“
… irgendwas mit frei, oder deutsch oder so.
Eingerahmt von einer schwarz-weiß-roten Fahne,
auf der in Fraktur „Sachsen-Anhalt“ steht,
einer Preussenflagge
und einem „Raus aus der Nato“-Demofähnchen,
spielt ein halbes Hähnchen am Mischpult rum:
Von einer KI-Stimme ausgespuckte „Neins“
schallen über den Markt.
Nein zu allem.
Protestantismus für Puristen.
Der selbsternannte „Kasper,
der hier immer durch die Stadt rennt“
stimmt die Anwesenden dann am Mikro ein,
die Stirnlampe auf sein Publikum gerichtet:
Heute neue Route durch die Wallstraße.
Die Polizei begleitet uns wieder gerne.
Aber erst will der „Manfred“
uns noch eine Rede halten.
Danach gibt es heute sogar noch ein Lied,
wegen Feiertag und so.
„Manfred“ reißt wirklich alle mit,
am Ende seiner Rede
klatschen vielleicht 5 Menschen
nicht ironisch.
Wirres Towubahu von den Gefahren des Krieges.
Kurzer Abriss des letzten Jahrhunderts;
„wann lernen wir endlich aus der Geschichte and so on“,
der Mikrosound ist gräßlich.
„Manfred“ hat schnell keinen Bock mehr,
oder steht kurz vor einem narkoleptischen Anfall.
Fazit:
Die Grünen sind Schuld.
Aber eigentlich alle.
Außer „Manfred“.
Und dann der absolute Horror:
Während immer wieder
kostümierte und maskierte Gruselgestalten
auf der Suche nach dem nächsten Candy vorbeiziehen,
erklimmt „Sassy aus Hamburch“
die dunklen Rathaustreppen.
Sie sei die „Nichte“ von irgendwem
und würde sich freuen
hier und heute,
am Reformationstag,
etwas von der Liebe singen zu dürfen.
Was das folgende Lied jetzt genau
in diesem Kontext verloren haben soll,
das erschließt sich mir nicht.
Interessant ist auch der Kommentar
eines alten weißen Dudes,
der noch hinter mir stand,
und das hier in seinen Schnauzer faselte:
„Die soll wenichstens was auf deutsch singen!“
Nach den ersten paar Takten
bin ich dann gegangen.
Zu gruselig.

 

I love this game

Alle down mit Tinseltown?
Die Los Angeles Lakers
legen den schlechtesten Saisonstart
aller schlechtesten Saisonstarts hin.
0 Siege in 5 Spielen.
Wer jetzt nicht purple and gold blutet,
der vergeht sich an Kobes Vermächtnis.
Immerhin hat’s im sechsten Spiel dann geklappt,
immerhin gegen die Nuggets.
Das individuelle Scoring
hat erneut neue Dimensionen erreicht,
was da bereits an 40-Punkte-Spielen eingereicht wurde,
dürfte historisch sein.
So wie Luca Doncic.
37 Punkte, 8 Rebounds, 8 Assists
im Schnitt.
Wenn die Mavs verlieren,
geht das nur noch auf seine Kappe.
Sagt The Don sogar selbst,
aber wenn der sich gerade was leisten kann,
dann ja wohl ne große Klappe.

 

Generationenbeef

Die Akademie hat entschieden.
Na ja, eigentlich nur irgendein Buchverlag.
Aber der macht das inzwischen schon so lange,
dass seine Entscheidungen schon nicht mehr sus sind.
Sollte hier irgendjemand unter 25 mitlesen:
Wer ist hier nochmal cringe?
Leute, wir haben damals auch
ganz viel Englisch in unsere „Jugendsprache“ eingebaut,
aber niemals so beschissen verkehrt.
Zu Eurer Ehrenrettung sei gesagt,
dass ich niemanden im besagten Alter kenne,
was nicht wenige sind,
die/der das „Jugendwort 2022“
so verwendet,
wie der Buchverlag uns das weis machen möchte:
„Smash“ soll angeblich
u.a. bedeuten,
mit jemandem Sex zu haben.
Ich sag mal so,
falls diejenigen,
die die Übersetzung des Anglizismus kennen sollten,
das Wort tatsächlich für „Sex haben“ verwenden,
dann werden die wohl nie wirklichen Sex haben.

 

So.
Sind #DieDoppeltenZwanziger
also tatsächlich bis in die niedersten Niederungen
der Rubrikenlandschaft
(„Irgendwas mit Sex“) vorgedrungen.
Aber keine Sorge,
es schließt sich keine Rubrik mehr an.
Für heute gibt es nichts mehr zu sagen.
Nichts modernes jedenfalls.
Denn im Iran, in der Ukraine, beim Klima,
also den drei wirklich akut wichtigen Rubriken,
gibt es nichts wirklich neues:
Alles wieder nur Kategorisierung des Untergangs,
nichts als ermüdende Analyse des Zerfalls.
Keine sinnvollen Überleitungen mehr möglich,
nicht mal mehr sinnlose.
Die Zeitgeistfäden sind unverknüpft,
das Webschiffchen ist steckengeblieben,
der Stoff bleibt unvollendet,
die Postmoderne
trägt weiter
die alten Kleider.
Und hofft,
dass die Flicken
die kommende Kälte abhalten werden.

Aber so haben sich
#DieDoppelten Zwanziger
heute also mit Rubrikenfetzen,
oder wenigstens Rubrikenfetzentiteln eingedeckt.
Der Winter kann kommen.
Komme was wolle.

 

„Die Antimodernen wie die Postmodernen
haben das Terrain ihrer Gegner akzeptiert.
Ein anderes Terrain hat sich für uns geöffnet,
das sehr viel größer und weniger polemisch ist:
die nichtmodernen Welten.
Sie sind das Reich der Mitte,
genauso groß wie China,
genauso unbekannt.“

(Bruno Latour: ebenda.)

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