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Erdbeerkuchen (S9a:Ep6) (Teil 2)

von | 2023 | 20. August | Die Serie, Staffel 9a - Little Oblivions

 

Teil 2 – Live, Teach, Love, Sleep, Repeat

 

„Wenn ich wüsste,
was ich tun kann
Würd ich das dann tun?
Ich frag mich:
„Worauf wart ich?“
Vielleicht fehlt mir der Mut.
Es sind immer die gleichen geblieben,
die Worte,
die ich biege.
Die Worte,
die wir geben und kriegen.
Die Worte,
die wir immer
wieder
biegen.“

(AMK: So laut so leer. 2020)

 

So.
Noch eine Woche Hochsommer,
ungefähr.
Noch eine Woche
voller Chancen
auf Kaffee und Kuchen
im Schatten, bei 30+°C
(aka Hitzewelle).
Immerhin sind die Nächte
schon ganz gut auszuhalten,
denn noch kann der August sowas.
In den meisten Schulen
stehen die Stundenpläne
so ungefähr,
und die Stoffverteilungspläne
nehmen Gestalt an.
Was erwartet uns also
im neuen Jahr?

Klar,
alles aus den letzten paar
(roundabout „Zeitenwende“),
was ja immer noch genug ist.
Oder?
Oder kommt
spätestens im nächsten Frühling
mal wieder was neues dazu?
Laut des dekadendefinierenden
Katastrophenrhythmus’
(alle zwei Jahre –
2020: Pandemie, 2022: Krieg)
wäre das ja eigentlich dran.
Nur,
ist denn noch was übrig?
– Ja,
ich würde auch gerne Nein denken,
dem ist aber nicht so.
Es ist allerdings so,
dass die Ereignisse,
die noch nicht in dieses Jahrzehnt eingetreten sind,
dann doch noch
die noch gruseligeren sind.
Als da wären:
Welt/Atomkrieg,
(wirklicher) Hunger außerhalb der „Dritten Welt“,
eine/mehrere für ausnahmslos alle gefährliche Seuche/n,
die Machtübernahme der Faschisten,
politische Morde im Wochenrhythmus,
der wirkliche Zusammenbruch
des Öffentlichen Dienstes,
eine wirklich für alle fatale Weltwirtschafts/finanzkrise,
eine Rammstein-Welttournee.

Langweilig wird es also schon mal nicht;
mir geht der Thrill
aber weiterhin zunehmend auf den Geist,
und das schlimmste daran ist,
dass das auch bloß nichts neues ist…

Aber!
Nicht doch!
Es gibt ja bald was neues!
Und zwar
die anscheinend letzte Lösung
für das alle belastende
und zum default mode gewordene
Anxiety-Syndrom,
gegen das keine Obsttorte mehr hilft.
Wirklich neu
ist die Lösung ja auch nicht,
nur halt
ab bald
ein bisschen legaler.
Karl Lauterbach
hat man den Spliff zu viel
am Abend vor der PK
noch deutlich angesehen.
Für einige gab es anscheinend
etwas zu feiern.
Bis zum Jahresende nämlich
soll die versprochene Cannabislegalisierung
umgesetzt sein.
Um das neue Gesetz nicht zu kapieren,
braucht man nicht mal stoned zu sein:
Der Besitz von 25 Gramm
soll ab 2024 straffrei sein.
Okay.
Woher kommen diese 25 Gramm,
wenn nicht vom Schwarzmarkt?
Die sind ab nächstes Jahr
in „Cannabisclubs“ zu erwerben,
die maximal 500 Mitglieder haben dürfen,
die außerhalb einer „Schutzzone“ von 200 Metern
um Schulen und andere Kinderhorte
liegen müssen.
Das dort selbstangebaute Cannabis
darf dort an die Mitglieder verkauft werden.
Die Namen dieser Clubs
versprechen lustig zu werden:
1. Ganjanossenschaft Vorharz e.V.,
1. KC Spandau-Nord e.V.,
Freiburger Hecke e.V.,
Eimer und See Vorderhavel e.V.,
Rasensport Merseburg e.V.
Flankiert wird dieses Gesetz,
das viel deutscher kaum hätte sein können,
mir einer riiiieeesen Aufklärungskampagne
für alle unter 25
(mögliche Hirnschäden,
Psychoserisiko, Suchtgefahr).
Und für alle,
die bereits wissen,
wie gut das mit den Clubs
bis jetzt funktioniert hat
(beispielsweise in Barcelona
und den Niederlanden)
und/oder die wissen,
wie eine wirkliche Freigabe
(inklusive eines „freien“ Marktes)
aussieht
(beispielsweise in großen Teilen der USA),
die können sich noch damit trösten,
dass Karl Lauterbach vor lauter Highsein
nicht vergessen hat,
auch eine „zweite Säule“ anzukündigen;
die zukünftigen Großmärkte
kriegen noch ein paar Jahre Vorlaufzeit.
Nur hier in Sachsen-Anhalt geht es
vielleicht mal wieder
schon etwas früher los.
Sebastian Striegel meldet sich
schließlich schon seit Jahren
in der ersten Reihe,
wenn es um die Vergabe der Modellregionen geht.

Eigentlich verwunderlich also,
dass ausgerechnet die CDU
sich so schwer damit tut;
ja, es ist geradezu irrational.
Auf der einen Seite
ist es denen als Wahlkampfthema
für die Alkoholfraktion
einfach zu wichtig,
auf der anderen
fordert gerade eben erst Jens Spahn,
dass alles(!)
hinter dem Wachstum 
zurückstehen müsse.
Eine Kommerzialisierung und Besteuerung
drängt sich da ja eigentlich mehr auf,
als ein vorgerollter Joint vom Vorabend…
Na ja, CDU halt.
Für eine baldige Koalition mit der FDP,
unter Kanzler Wüst,
wird es schon noch reichen.

Ja doch, ich finde auch,
der Boden der deutschen Innenpolitikstorte
schmeckt irgendwie angeschimmelt.
Also, schnell weg damit,
im Kühli liegt
noch Eis von vorgestern.
Eine beeindruckende Auswahl
an Geschmacksrichtungen sogar;
was sich über so einen nassen Sommer
eben so ansammelt:

Sich weiterhin ausdehnende Waldbrände
führen inzwischen in
Griechenland,
auf Tenerifa
und in weiten Teilen West-Kanadas
zur Evakuierung zehntausender Menschen.

Im Mittelmeer wurden 600 Fliehende gerettet,
dafür ertranken dutzende im Ärmelkanal.

Benjamin Netanyahu
dreht das Rad der Geschichte weiter:
„Israel wird nicht
noch einen Holocaust erlauben.“
Der Hintergrund dieses Satzes:
Deutschland kauft für vier Milliarden
das Raketensystem Arrow 3,
anscheinend zum Schutz
gegen noch einen Holocaust.
Häh?

Im Niger
gab es ein/e Revolution/Putsch/whatever.
Martin Sonneborn
ist einer der wenigen,
der das ganze im Grunde
als postkoloniale Selbstverständlichkeit bezeichnet.
Seit zwei Wochen ist der Luftraum gesperrt,
ein Premierminister wurde ernannt,
der alte Präsident und seine Familie
sind in einer Art Isolationshaft.
Heute kündigt die neue Regierung an,
höchstens drei Jahre im Amt bleiben zu wollen,
bis dahin soll die neue Verfassung stehen.
Dabei wünscht man sich keine Einmischung,
vor allem nicht durch die Nachbarn (ECOWAS).

Die USA
fallen in gar nicht so alte Muster zurück:
Gegen Joe Biden
werden erstmalig Articles of Impeachment eingereicht
(High Crimes and Misdemeanors),
mit besten Grüßen aus Florida (Rep. Greg Steube,).
Gegen Donald Trump
wird in Georgia Anklage erhoben,
wegen versuchter Wahlmanipulation.
Das macht dann bald 1000 Jahre Festungshaft.
Der Frisurensohn hat die Hose allerdings gestrichen voll
und fordert deswegen eine Verlegung
aller seiner Prozesse (aktuell vier)
auf nach der Wahl.
Auch weil er weiß,
dass er sich für einige der Urteile
nicht begnadigen können wird.

Das letzte Eis aus dem Kühli
ist made in Sachsen.
In Dresden wird eine
nicht kleine
Halbleiterfabrik gebaut.
Von einem Unternehmen aus Taiwan.
Ein Spitzenziel übrigens,
wenn China dann im Dritten Weltkrieg
den Endsieg herbeiführen will.
Zu viel Zynismus?
Erzählt das lieber mal den Investoren,
die sich gerade
über die staatlichen Subventionen hermachen.
Und außerdem:
Leere Zukunftsmusik!
Ganz so,
als wäre die Gegenwart
nicht schon viel zu lange
laut genug.

 

Kriegsprotokoll. Schreibtisch. Deutsche Heimatfront. Letzte Reihe. Woche 76.
Der Krieg in der Luft lenkt zunehmend vom Sterben am Boden ab. Montag: Sumy und Saporischschija stehen weiter unter heftigem Beschuss, Odessa wird erneut mit Drohnen attackiert. Lindner besucht zum ersten Mal Kiew. Die deutsche Linke stellt sich weiter gegen Taurus-Lieferungen und fordert stattdessen ein Schuldenschnitt für die Ukraine. Bei Bachmut hat die Gegenoffensive inzwischen 40 Quadratkilometer befreit. Der Rubel verliert weiter an Wert. Die USA stellen die nächsten 200 Millionen Dollar Hilfe bereit. Selenskyj bereist die Front. Dienstag: Schwere Luftangriffe auf Lwiw und Luzk. Die russische Zentralbank erhöht den Leitzins auf 12%. Schoigu: Ukrainische Kräfte sind trotz „totaler Unterstützung“ fast erschöpft. Polen feiert den „Tag der Armee“ mit einer großen Militärparade. Selenskyj verteilt Orden in Saporischschija. Russland testet den „digitalen Rubel“. Mittwoch: Drohnen überfliegen die Donaumündung. Bei Odessa wird ein Getreidelager beschädigt. Ein deutsches Containerschiff verlässt den Hafen (trotz angekündigter Gefahr). Über der russischen Kaluga-Region werden sie abgeschossen. Uroschajne wird von der ukrainischen Armee zurückerobert. Belgorod wird wieder beschossen. 375 Jahre nach dem Westfälischen Frieden soll in Münster eine Friedenskonferenz stattfinden (nächsten Monat). Rosneft wehrt sich gegen die Treuhandverwaltung der deutschen Tochter. Selenskyi kündigt eine „erhebliche“ Steigerung der Drohnenproduktion an. Donnerstag: Kuleba verspricht erneut, dass westliche Waffen nur in der Ukraine eingesetzt werden. China und Belarus einigen sich auf eine engere militärische Zusammenarbeit. Russland zerstört zum ersten Mal US-Panzer und trifft zwei Drohnenkommandozentralen bei Donezk. Selenskyj ist nicht zum nächsten G-20 Treffen in Indien eingeladen. Die neu aufgestellte Asow-Brigade kämpft in der Ostukraine. Die Ukraine beginnt eine neue Rekrutierungskampagne und bombardiert Donezk. Freitag: In Deutschland ist noch eine knappe Mehrheit gegen Tauruslieferungen. Die USA geben ihr OK für F-16-Kampfjets (Dänemark, Niederlande). In Moskau wird eine Gebäude durch einen Drohnenangriff beschädigt. Kiew denkt, bis Oktober bereit für einen EU-Beitritt zu sein. Das deutsche Containerschiff erreicht unbeschadet Istanbul. Strack-Zimmermann drängt bereits zur Eile bei den Taurus-Lieferungen. Ein deutscher Kriegsexperte sieht das Ende des Krieges frühestens 2025. Ukrainische „Sabotagegruppen“ überschreiten kurzzeitig das Dniproufer. Samstag: Ein weiterer Raketenangriff auf die Krim wird abgewehrt. Lawrow sieht sich genötigt, den Besitz von Atomwaffen zu verteidigen. Putin trifft sich unangekündigt und ohne Presseunterrichtung mit der Militärführung in Rostow. Rheinmetall nimmt das Geschäft in der Ukraine in den nächsten Tagen auf (Panzerwartung). Die ukrainische Luftabwehr im Westen und Norden bekommt auch etwas zu tun. Selenskyj berichtet von einem Raketeneinschlag im zentrum der Stadt Tschernihiw und ist wieder on tour, heute in Schweden (Kampfjets, Rüstungsabkommen). In Belgorod treffen Drohnen einen Militärflugplatz. Am Dnipro laufen 150 ukrainische Soldaten in russisches Feuer. Kuleba glaubt weiterhin an den Erfolg der Gegenoffensive. Die Ausbildung ukrainischer F-16 Piloten hat bereits begonnen. Sonntag: Selenskyj kündigt Vergeltung an, für Tschernihiw (bislang 10 Tote). Zwei Moskauer Flughäfen stellen in der Nacht den Betrieb ein. Die deutsche „Welt“ zitiert einen russischen Militärblogger, der behauptet, bei dem Angriff auf eine Drohnenausstellung in Tschernihiw seien Nato-Generäle getötet worden. Selenskyj ist bereits in den Niederlanden, von wo er endlich F-16 mitbringt. Die Drohnenangriffe gleichen sich inzwischen aus. Dänemark zieht mit den Niederlanden gleich, auch von hier werden Kampfjets versprochen. Selenskyj kommt direkt zum Dankesagen vorbei.

 

Und Olaf Scholz ist dann auch endlich
vom Kaffeetisch aufgestanden,
wenn auch mit ein oder zwei Eierlikör zu spät:
Bei einer Wahlkampfveranstaltung in München
sorgt er gestern für fassungsloses Kopfkratzen:
Er bezeichnet auf offener Straße
Menschen mit Friedenstauben auf Flaggen
als „gefallene Engel aus der Hölle,
die letztlich einem Kriegstreiber
das Wort reden.“
Der kennt die anscheinend alle persönlich.
Immerhin soll er wohl klare Haltung
bei der Kindergrundsicherung zeigen,
wenn es ab morgen
im Bundestag wieder regelmäßig Häppchen gibt.

So.
Inzwischen steht die Deadline
neben dem Schreibtisch
und trommelt auf die Platte.
Aber, nicht doch!
Auf meinem schwarz spiegelnden Teller
liegen noch ein paar Krümel,
und die letzten sollen ja immer die besten sein.
Als erstes liegt da
ein Joke,
den ich nicht raffe:
Angeblich versteht
die „Gen Alpha“ (nach 2013 geboren)
den Humor der „Gen Z“ nicht (mehr).
Als zweites liegen da
die Erinnerungen an die Einschulungen,
die nicht allein wegen des Wetters
mehr als erinnerungswürdig gewesen sind.

Und als drittes liegt da
gar kein Krümel,
sondern tatsächlich
noch ein ganzes prächtiges Stück allerbester Erdbeerkuchen:
Bei allerbestem Hochsommerwetter
spielen Annenmaykantereit
an diesem Wochenende
zwei unvergessliche Konzerte
mitten in Berlin.
Und zwei Dinge übertönen dabei
noch den schönsten Chor:
Erstens:
Sie haben darauf verzichtet,
„Erdbeerkuchen“ zu spielen.
Und zweitens:
Sie beginnen das (zweite) Konzert
mit einem neuen Songfragment,
das nicht weiter kommentiert werden muss:
„Vielleicht
der letzte gute Sommer“.
Vielleicht.
Viellaaaaaeeeiiicht, vielleicht.

Gut.
#DieDoppeltenZwanziger
haben es sich also wieder
so bequem wie möglich gemacht
und beginnen schon mal
mit der mentalen Vorbereitung
auf den vierten Deutschen Herbst des Jahrzehnts.
Und hoffentlich erst der nächste
wird dann so richtig dreckig.
Bis dahin noch ein Jahr lang
neue wahre Geschichten erzählen,
wieder in neue Abgründe schauen,
immer wieder neuen Mut fassen
und immer wieder
und wieder
die Wörter biegen,
als ginge das.

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