Foto: Transfasgarasan, 04. Juli 2024
Brasov, 5. Juli
„Hi there stranger!
Welcome to the best chillax place in Brasov’s city centre.
Let’s give you the tastiest drinks you’ve ever had
and a big smile to brighten your day.
Sit back and enjoy the urban surrondings.
We are friends forever now.“
(Karte des News Caffe. Brasov.)
Tag 4 und 5: … and the livin’ is easy
Beim Aufwachen heute Morgen
ist mir der Hauptgrund
für meine momentane Schlaflosigkeit
klar geworden:
Zu viel Allmännlichkeit!
Mein Gehirn befand sich
bis gestern Abend
in immer fortdauernden Dauerschleifen:
Wenn ich das gemacht habe,
dann mach ich als nächstes das,
danach das,
dann das,
erst danach dann das,
und dann schreibe ich auch noch über das alles,
bevor ich weiter darüber nachdenke,
was ich danach dann mache.
Sobald ich aber besonders das Schreiben
einfach auf heute verschoben hatte,
war ich innerhalb von zehn Minuten eingeschlafen.
Gut, der Schlafmangel der letzten Tage
wird ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen haben.
Und dabei hätte ich doch gestern,
auf den Tag genau, so gerne noch
über meinen zweiten ganz eigenen Independence Day geschrieben
(treue Leser*innen wissen Bescheid,
alle anderen müssten nur 366 Tage zurückscrollen).
Auch weil das Partyviertel in Bukarest
wirklich alles gegeben hat,
mich zum Feiern anzustiften,
denn die überlaute Musik mitten in der Stadt
wurde erst zum Sonnenaufgang langsam leiser.
Im Moment (kurz nach 11 Uhr)
sitze ich nun also im hipsten Straßencafé von Brasov,
an der Ecke des zentralen Parks der Altstadt.
Neben mir auf dem Stuhl schläft
eingerollt eine schwarze Katze,
die vermutlich von ihrem weißen Kater träumt,
der Eisstand für die Touris wird gerade schick gemacht,
und im Park laufen die Vorbereitungen
für einen vielversprechenden Freitagabend,
die kleine Bühne wird für ein Jazz- und Bluesfestival klargemacht.
Hier angekommen bin ich gestern Abend gegen halb 10
und musste die Rezeption meines Hotels anrufen,
weil natürlich niemand mehr am Schalter war.
Prompt wurde ich in ein nahegelegenes Haus umquartiert.
Bevor ich aber schreibe,
was heute noch so ansteht
(um später nicht mehr darüber schreiben zu müssen),
hier erstmal der Bericht von gestern,
es gab circa 350 Kilometer zu erfahren.
Da ich genug Zeit hatte,
versuchte ich, mit der Metro zum Flughafen zu kommen,
wo ich kurz vor Mittag meinen Mietwagen übernehmen wollte.
Ich kam genau 10 Stationen weit,
denn die letzte Linie
existiert bis heute nur auf dem Plan.
Also wartete ich mitten in einem Stadtviertel,
das es locker mit Magdeburg-Olvenstedt oder Berlin-Marzahn aufnehmen kann,
auf ein Uber.
Am Flughafen wartete ich dann nochmal eine halbe Stunde,
bevor mich mein Vermieter zum Auto shuffelte.
Ich hatte mich für einen Kleinwagen entschieden,
bekam auch einen, brandneu,
mit Computertechnik, wie ich sie noch nicht selber benutzt habe:
Navi, Spotify, Klimaregulierung auf Klavierlack und das alles in Lasergarfik.
Um das alles zu studieren,
hatte ich genug Zeit,
denn bis ich aus dem Großraum Bukarest raus war,
hatte ich mich drei mal verfahren,
stand lange im Stau
und staunte über Kreisverkehre auf Autobahnen
und Pferdekutschen auf dem Seitenstreifen.
Die riesigen Plattenbausiedlungen ziehen sich ewig
und gehen dann nahtlos in ländliche Gegenden über.
Beim Mittagstop an einer Raststätte (bei Stonesti)
wurde ich von der jungen Bedienung angeschaut wie ein Alien,
sie nickte zwar, als ich darum bat English zu sprechen,
unsere Verständigung lief dann aber über Blicke und Gesten.
Die A1 führt zunächst weiter durch plattes Land,
das Wetter wurde wieder besser,
ich fuhr an endlosen Sonnenblumenfeldern vorbei,
bog bald auf die Landstraße ab
und rollte durch Dörfer,
eins schöner und verschlafener als das andere.
Es gibt einige schicke, wenige verfallene
und reichlich fast fertige Häuser;
im Mansfelder Land und dem Salzlandkreis
wird es in 20 Jahren nicht so aussehen.
Langsam ähnelt die Umgebung dem Harz,
und in nicht allzu weiter Ferne
erblicke ich die ersten Gipfel der Karpaten;
auf hohe Berge zuzufahren
wird seinen Zauber nie verlieren.
An den Straßenrändern
rudeln sich zunehmend Straßenhunde zusammen,
wie ich sie ab diesem Moment immer häufiger zu sehen bekam.
In Curtea de Arges tankte ich Wasser auf,
die Fahrt über die Transfogarasche Hochstraße
sollte länger werden als angenommen.
Meine erste Fahrt durch die Transsilvanischen Alpen
ließ natürlich kein Auge trocken.
Gleich zwei mal geht es
in engen und weiten Serpentinen
weit nach oben und genauso wieder nach unten,
insgesamt ungefähr knapp 6.000 Höhenmeter
in guten vier Stunden.
Und kaum um die erste Kurve:
Bärenalarm!
Den Bewohner*innen des Urwaldes
macht der Verkehr hier aber gar nichts aus.
Lediglich den kleinen wird recht robust beigebracht,
dass es auch rücksichtslose Fahrer gibt,
ansonsten werden sie etwas ungläubig bestaunt.
Rasen ist aber eh nicht drin,
die Kurven sind zu eng,
die Straßen werden weiter schlechter;
alles aber nichts,
was ich nicht von vor einem Jahr kennen würde.
Steht die erste Gebirgskette noch voller sattest grüner Bäume,
verschwinden diese bei der zweiten Auffahrt fast unverzüglich
und geben den Blick auf endlose Bergketten frei,
die mit grünsten Wiesen bedeckt sind;
Montana, in meinen Erinnerungen
bist du nicht mehr allein.
Auf der letzten Passhöhe wurde es schnell frisch,
kaum noch 10°C,
und dicke Wolkenfetzen sammelten sich.
Im Tunnel Richtung Norden
schien es zu regnen,
so sehr drückten die Schwaden von der anderen Seite hinein.
Und da dann:
dickste Nebelsuppe.
Im Touridorf sahen sich die Motorradfahrer*innen und Wohnmobilkapitän*innen
nur unter sehr viel Anstrengung.
Die Abfahrt nach Siebenbürgen
hätte ich mir schöner nicht ausmalen können:
Ich rollte auf weite, goldgelbe Felder zu,
die umgeben und durchschnitten sind
von hügeligen Wäldern.
Egal wohin ich meinen Blick wendete,
überall waren Berge am Horizont,
im Norden von Wolkenriesen zugedeckt,
welche von der untergehenden Sonne beleuchtet wurden.
Auf den Weiden grasten Schafe,
auf den Laternenmasten an den Dorfstraßen putzten sich Storchenpaare,
im Rückspiegel blendete mich die goldene Stunde.
„Yellowstone“ hätte ebenso gut auch hier gedreht werden können,
das Paradise Valley und Transsylvanien
ähneln sich beinahe erschreckend.
Und das alles am 4. Juli;
geplant bleibt geplant;
die Wirklichkeit übertraf sich selbst.
Gut,
es ist kurz nach Mittag,
der Wind streift gemütlich durch den Park,
die Katze neben mir ist gerade aufgewacht
und beäugt die Vorbeilaufenden,
und ich mache mich wieder auf die Strümpfe.
Gleich geht es vorbei am Starbucks
(neben dem ein weiteres Café
mit diesem Spruch hier wirbt:
More Coffee, less Bucks),
den Tampa rauf;
der große Brasov-Schriftzug auf dem Gipfel
sieht wahnsinnig einladend aus.
Wieder runter geht es dann mit dem Lift.
Dann vielleicht noch in die Schwarze Kirche,
dann zum Festival,
und danach dann …
nein, schreiben werde ich heute nicht mehr,
höchstens ein paar Karten in die Heimat.
Summertime …
Brasov/Bran/Sinaia/Brasov, 6. Juli
Tag 6: Kein Interview mit einem Vampir
Leute!,
ich habe so gut geschlafen
wie seit Ewigkeiten nicht,
nämlich: durch.
Das Morgenlicht weckt mich erst gegen halb 7.
Das muss am Wandern gelegen haben;
an dieser Stelle kurz zwei Korrekturen zu gestern:
Ich bin doch nicht mit dem Lift wieder vom Hausberg runtergefahren,
sondern habe noch ein paar Kilometer bergab drangehängt,
wurde mit grandiosen Aussichten auf die Karpaten belohnt
und scheine wieder voll genesen zu sein,
es tut nichts mehr weh.
Und: Es gab auch kein Jazzfestival gestern Abend,
anscheinend hatte ich die Plakate verwechselt.
Stattdessen gab es auf der Parkbühne Comedy,
auf rumänisch,
klar, dass ich es nicht lange ausgehalten habe.
Die beiden Viertelfinalspiele liefen dann im Hotelfernsehen,
ebenfalls auf rumänisch,
weswegen ich noch vor dem Elfmeterschießen im zweiten Spiel
das Licht und den Fernseher ausgemacht habe.
Wie mir mein Reiseführer
und der gesunde Menschenverstand geraten haben,
bin ich dann kurz vor 9 in Bran angekommen,
um trotzdem eine gute viertel Stunde lang einen Parkplatz zu suchen.
Die wenigen vor den vielen, vielen Gasthäusern
sind natürlich alle belegt oder gesperrt,
die restlichen Bordsteine werden gerade mit Kegeln zugestellt,
es ist Samstag,
die anderen Touris und ich sind früh dran.
Mein erster Gedanke,
als ich das angebliche Schloss Dracula sehe:
Oh, das ist aber klein.
Nach dem Eintritt
eröffnet sich zunächst ein regelrechtes Souvenirdorf,
mehr Kitsch und Volkstum
als sich in Jahren verkaufen lässt.
Die Menschen schleichen vorbei,
kaufen wenig
und stellen sich geduldig an der Trötzburg an.
Und, Dracula ja oder nein,
das Gebäude ist vor allem von innen
echt schön.
Wundert mich überhaupt gar nicht,
dass sich die letzten Königinnen des Landes
hier besonders gerne aufgehalten haben,
es stimmt alles:
Lage, Lage, Lage,
wirklich gemütliche Räumlichkeiten
und äußerst geschmackvolle,
beinahe schon bescheidene Inneneinrichtung.
Für so sensationsgeile Gruselfans wie mich
gibt es zwischendrin aber auch ein bisschen
modernst animierte Aufklärung
über allerlei (rumänische) Fabelwesen,
der Fokus liegt aber doch
auf der wirklichen Geschichte der Burg.
Übermütig wie mich dieser Morgen sein lässt,
habe ich auch noch den „Time Tunnel“ gebucht,
den ich aber erst betreten darf,
nachdem ich freundlichst auf einen der vielen Gift Shops hingewiesen wurde,
den ich nach Betreten des Tunnels nicht noch mal aufsuchen könne.
Macht aber nichts,
bis ich ganz runter bin vom Grundstück,
laufe ich noch an mindestens zehn weiteren vorbei.
Näher ran an ein Interview
mit den ehemaligen Bewohnerinnen des Hauses
als im „Time Tunnel“
komme ich aber nicht,
die hypermodernen LED-Tafeln
zeigen animierte Fotos und Gemälde,
wenigstens ein Augenzwinkern von Fürst Vlad dem Dritten
kann ich erhaschen.
Kurz vor 11 fahre ich dann zum nächsten,
diesmal aber wirklich echten Dracula-Schloss,
dem Castelul Peles,
das nur eine wunderschöne Stunde Fahrt
über einen Karpaten-Pass entfernt liegt.
Zwischendrin halte ich in Busteni,
dem Ischgl Rumäniens,
so fresh,
dass hier gerade erst ein KFC aufgemacht hat.
Überraschenderweise wirbt das Schloss Peles selbst
dann genau null mit irgendwelchen Blutsaugern.
Das ist auch nicht notwendig,
denn ringsrum befindet sich ein Edelskigebiet
mit mindestens drei Fünf-Sterne-Hotels pro Quadratkilometer.
Alles oberhalb des größten Ortes der Gegend (Sinaia),
bis zum wirklich echten Dracula-Schloss,
ist zugepflastert mit weiteren (schönen) Hotels und Pensionen,
Massen von Tagesausflügler*innen
schlendern bei schönstem Sonnenschein
an Massen von Nippes-Ständen vorbei,
an jeder Ecke gibt es gegrillte Maiskolben,
frische Beeren und endlos viel Schnickschnack.
Trotz allem herrscht hier weniger Rummelflair,
eher mehr Schickeria.
Also entscheide ich mich für einen spontanen Hike,
einfach mal noch ein Stück weiter die steilen Straßen rauf,
irgendwo weiter oben muss es ja in den Wald gehen.
Eine gute Stunde, knapp 800 Höhenmeter
und ein völlig durchgeschwitztes Shirt später
bewundere ich die Aussicht von der Franz Joseph Klippe
im Bucegi National Park:
Dichte, scheinbar unberührte und wahnsinnig gesunde Wälder,
gekrönt von riesigen Almen
unter strahlend blauem Himmel.
Auf dem Rückweg
kommen mir auffallend viele Wander*innen samt Familien entgegen;
so viele sieht man im Bodetal in einem ganzen Jahr nicht.
Und nicht ein Kleinkind ist am Quengeln,
was im Harz noch seltener sein dürfte;
von wegen Wandern ist der Volkssport der Deutschen.
Dieses Gerücht ist noch weniger haltbar
als dass Graf Dracula mehr als ein Schloss heimgesucht hätte.
Am Abend sitze ich dann wieder im News Caffe in Brasov,
schreibe diese Zeilen hier
und nehme schonmal Abschied
vom nächsten schönsten Flecken Erde,
den ich bis jetzt gesehen habe.
Nebenbei tausche ich mich
mit dem anderen Brillenträger
darüber aus,
ob der Harz das Montana von Sachsen-Anhalt ist
und bin mir sicher,
dass auch das nur ein Gerücht ist.
Und während ich dann gleich zurück im Hotel
darauf warte, dass das Berliner Olympiastadion
von grauen türkischen Wölfen in Fetzen gerissen wird,
werde ich den letzten Teil meiner Reise planen:
Das Donau-Delta und das Schwarze Meer
warten bestimmt nicht auf mich,
ich aber kann es kaum erwarten.

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