„Could everyone
just be quiet
for a second?
You’re getting me all detached
from the present.
Now I’m focussing
on what I can’t control.
While you talk on
what you don’t know.
Could everyone
just shut the fuck up
for a second?“
(Bears in Trees: Your Favourite Coat. 2024)
So.
Die nächste
letzte Woche
vor dem Dritten Weltkrieg
beginnt morgen.
Aber dazu später.
Die Deadline liegt momentan
noch maximal entspannt (Sonntag Mittag)
mit der Fernbedienung auf der Couch
und gibt mir kluge Ratschläge
für morgen,
fragt, woran ich noch denken muss,
macht sich über meinen Stundenplan lustig,
lacht sich jetzt schon schlapp
über die Termindichte im nächsten Mai (Abiturprüfungen)
und zappt nebenbei durch die Nachrichtensender,
um mir bloß noch mehr Input aufzudrängeln.
Mich allerdings beschäftigt eher die Frage,
die alle am ersten Schultag eines neuen Schuljahres umtreibt:
Was ziehe ich an?
Welches pädagogische Mäntelchen
trage ich über die Türschwelle?
Und welches habe ich über der Schulter,
lange bevor ich die Schule wieder verlasse?
Nein,
Spaß.
Allein diese wöchentlichen schriftlichen Hausarbeiten hier
sind ja leider mehr als Beweis genug,
inwieweit ich wirklich vorbereitet bin.
Und auch wenn es wirklich stimmt,
dass der Großteil der Gen Alpha
den Vergleich meiner Berufstätigkeit
mit einem Plattenspieler
nicht mehr als Witz versteht,
wird der ab morgen wieder
mit dem neuesten heißen Scheiß belegt.
Und auch in diesem Jahr
werde ich den Lautstärkeregler zu Beginn
bis fast auf Anschlag drehen müssen.
Denn es hat sich nichts daran geändert,
dass der Zeitgeist
momentan nicht anders aussieht
als ein Raum
voll mit 13jährigen,
die man nach den Sommerferien
erstmal quatschen lässt.
Zwar nicht annährend so fröhlich,
aber was das Grundkommunikationsmuster angeht
doch sehr sehr ähnlich:
Es ist (noch) gar nicht (mehr) so wichtig,
was die anderen sagen,
sondern man hört/sieht/liest/sagt nur
was man selbst meint,
um sich selbst zu versichern,
um nicht heillos
im Informationsozean zu ertrinken.
Und dann postet man es im Status,
um sich auch hinter den Schwarzen Spiegeln
selbst gewiss sein zu können:
So bin ich,
das ist meine Meinung,
und die kennen die anderen
jetzt auch!
Warum sind Menschen so?
Warum bin ich so?
Und warum denke ich,
dass es bei mir ok ist,
aber bei den anderen Hohlbirnen
halt nicht?
Und wo sind die Grenzen
der ironischen Selbstreflexion?
… Boy, oh boy,
keine fünf Minuten in der Episode
und schon schreie ich die Wände
meiner ganz eigenen Echokammer an;
21, 22, 23, …
Also, eins nach dem anderen.
Das ist ja der schöne Unterschied
zwischen Denken und Schreiben:
Die Auswahl.
Literatur ist nun mal zweidimensional
und Chroniken folgen nun mal einer Chronologie.
One Armageddon at a time.
Und in #DieDoppeltenZwanziger
wird die Gegenwart
immer noch und weiterhin
von drei Ober“themen“ beherrscht:
Klima, Krieg und Katastrophen.
Darauf wird sich auch heute wieder konzentriert,
wegen Gründen,
und außerdem haben Wiederholungen
ja auch den Reiz des Vertrauten.
Damit es aber auch nicht zu eintönig wird,
gibt es zwischendrin das ein oder andere „Meanwhile“
(mit ein paar der anderen unwichtigen News).
Und es gibt: Keine Faschos,
weil: momentan wieder uninteressant genug.
Schlimm genug,
dass sich das in spätestens vier Wochen
wieder ändern wird.
Zwei Erfolgsgeschichten nur,
dann bleibt die rechte Ecke weiter ungeputzt:
Martin Sellner kriegt reichlich Gegenwind in Marburg,
wo er bei einer Burschenschaft lesen will.
Und Sven Liebich geht endlich in den Knast;
way too little way too late,
aber besser als nichts.
Das Grundmotiv dieser Episode
dürfte aber auch ohne diese beiden Rumpelstilzchen
schnell klar werden:
Es geht schon wieder um abstürzende Männer.
Ich kann nichts dafür,
und man soll ja aber
„über das schreiben, was man kennt“.
Immerhin passiert das aber
im Spiegel der aufsteigenden Frauen.
Denn Kamala Harris steht seit vorgestern
als Präsidentschaftskandidaten fest.
Und Beyoncé und Taylor Swift
beherrschen den guten Rest des Westens.
Part 1: Men and US-Elections
Und?
Ist er geläutert?
Hat die Hand Gottes,
als sie ihn vor der Kugel bewahrte,
vielleicht doch ein wenig Weisheit
in seinem Toupet liegenlassen?
Ähm, nein.
Donald Trump bleibt der Frisurensohn
und marschiert weiter in Sieben-Meilen-Stiefeln
in Richtung Theokratie:
Anfang der Woche verspricht er seinen Wähler*innen,
dass sie nur noch einmal wählen müssten,
denn über das Wahlrecht sagt er:
„It will be fixed!“,
und das kann wenig gutes bedeuten.
Die Gegenkampagne hat sich in dieser Woche
die Weirdness der Trumpisten vorgenommen,
was bei Fox News
zu geistesabwesenden Relativierungen führt,
die alles nur noch weirder erscheinen lassen:
Wer hat sich denn bitte noch nie mit seiner Couch vergnügt?
Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner J.D. Vance?
Ich denke, die Antwort ist ja,
also was Fox News betrifft.
Kamala Harris gilt den Propagandatools
als „the next Barack Obama“,
und gleichzeitig hetzen sie gegen Kamalas Identifizierung als schwarz.
Und um sich völlig
in einem völlig verdrehten Rassismusdiskurs zu entblöden,
mansplaint Trump dann
auf der NABJ (National Association of Black Journalists)
über „Black Jobs“,
was ihn ihn für seine Rassistenanhänger*innen
wahrscheinlich als mutig erscheinen lassen soll.
Auf seiner letzten Rally ist dann mal wieder alles egal,
selbst ob jemand applaudiert oder nicht:
Er gratuliert Putin (und nicht Biden)
zu einem Gefangenenaustausch
zwischen Russland und dem Westen.
Er rantet gegen E-Autos
und bedankt sich bei Elon für die Wahlspende.
Seine Auslassungen zu Israel
werden nicht mal bei Fox News besprochen.
Dass seine Platten alle einen Sprung haben,
das war auch vor Jahren schon so,
aber so langsam wird’s wirklich nur noch langweilig.
Zumal er politisch
ja original nichts bewirkt hat in dieser Zeit.
Im Gegensatz zu einem potenziellen Gegner,
der beweist,
dass man auch als weißer Mann
etwas auf die Ketten kriegen kann.
Links neben Josh Shapiro
wird gerade noch Tim Walz
als Vize von Kamala Harris gehandelt.
Der Gouverneur von Minnesota
hat eine beeindruckende Legislaturperiode vorzuweisen,
bedenkt man,
dass seine Partei nur einen Sitz mehr im Parlament hat;
da scheint jemand diplomatisches Talent zu haben.
Und damit kommen wir,
wie versprochen,
zur gegenteiligen Variante vom potenziellen Vizepräsidenten,
von der in der letzten Episode
schon die Rede sein musste.
J.D. Vance
hat sich seinen Platz
sogar in dieser Chronik ertrotzt.
Und ich muss zerknirscht zugeben,
dass seine Nominierung mich auf dem richtigen Fuß erwischt hatte,
denn ich steckte eben gerade bis zum Hals
in dem Roman
über die Opioid-Krise in den USA,
genauer in Appalachia,
dem Herzen des Gebirges an der Ostküste
in Virginia, West Virginia, Kentucky, Tennessee und North Carolina.
Und eben daher
stammt auch ganz zufällig
die Familie von J.D.
Deswegen heißt sein verfilmter Mega-Bestseller
ja auch „Hillbilly Elegy“,
der allerdings deutlich schlechter als sein Ruf ist
(Olaf Scholz sagte mal in ein Mikrofon,
er habe bei der Lektüre weinen müssen,
was allein schon ein Roman für sich wäre…).
Geboren wurde J.D. allerdings in Ohio,
als James Donald Bowman,
wohin seine Mutter (geborene Vance)
mit ihm zu ihrer Mutter geflohen war,
ohne dass das für sie (Opiumsucht)
wirklich was gebracht hätte.
Außerdem soll es im Rust Belt
seit den Achtzigern
auch allgemein nicht viel besser gewesen sein.
Der Rest dieser wirklich anrührenden Geschichte
wurde sogar recht ansehnlich in Hollywood verfilmt,
immerhin mit reichlich ausgezeichneten Superstars
in den Hauptrollen der beiden Mütter
(Amy Adams und Glenn Close),
die ihre Kunst in diesem Film
auch erneut eindrücklich unter Beweis stellen.
Also ja,
irgendwie war ich erstmal irgendwie hooked,
ich kann damit aber auch vielleicht
einfach besser relaten
als andere.
Mindestens aber war ich positiv gespannt,
was sich ja sonst,
auf die Inhalte und Personen der Trump 24-Kampagne bezogen,
schon etwas länger nicht mehr sagen ließ.
Was inzwischen die allermeisten wissen:
J.D. hatte bis vor wenigen Jahren
tatsächlich noch so was wie ne coole Haltung,
so sehr das für Emporkömmlinge
bei den Republikanern eben möglich ist.
Er kämpft sich durch die Pre-, Middle- und High School,
ohne in die Co-Abhängigkeit zu rutschen
(wobei seine Mammaw entscheidend ist),
meldet sich dann als Marine
und wird sogar angenommen.
Ein halbes Jahr später beginnt er zu studieren,
und besucht bald darauf
die Law School
in Yale,
wo er seine bezaubernde Frau Usha kennenlernt.
Also schon sowas
wie die gute Version
eines Son of a Bitch.
Eigentlich ein Vorzeige-Good Boy,
oder wie seine Mammaw ihn nannte,
ihr „Good Terminator“.
Vom White Trash
zum US-Senator von Ohio,
und zwar seit knapp mehr als einem Jahr.
Nur wenige davon vorher
gelangte er kurz zu weltpolitischem Fame,
als er Donald Trump öffentlich
mit Adolf Hitler verglich.
Wie gesagt,
trotz allem Trubel ums Attentat:
Damit hatten die Republikaner
mich tatsächlich mal wirklich abgeholt.
Aber:
Der Schein hielt nicht lange.
Bereits zwei Wochen später
wird er einzig noch als Lachnummer
von seiner Couch runter
durchs Internet gezerrt.
Und daran ist er auch selber Schuld.
Abgesehen von ein paar Mountain Dews zu viel
hat er, was Drogen angeht,
trotz seiner Herkunft,
auch noch eine ziemlich weiße Weste
(in der Biographieverfilmung
gerät er mehrfach in Versuchung,
wird aber entweder abgelenkt
oder der Schnitt erspart uns die Wahrheit).
Und das ist was wert,
wenn es um die Stimmen
von Trumps Kernwählerschaft geht.
Evangelikale Christ*innen
hassen wenig mehr
als Drogen.
Jesus würde bei seiner Wasser-zu-Wein-Nummer
in verständnislose Gesichter schauen.
Der „War on Drugs“
(republikanisch für „Ausländer raus“)
hätte also mit J.D. Vance
ein dann doch erstmal ernstzunehmendes Gesicht bekommen;
einige Fanatiker*innen sehen in ihm fast den Eminem der Maga-Sekte.
Aber, noch ein Aber,
vielleicht sogar auch noch eins mehr:
Wie jeder Emporkömmling,
der was auf sich hält,
ist er Protegé
eines Multitrilliardärs.
Nein, nicht von Elon,
sondern ja fast noch gruseliger,
von Peter Thiel.
Spätestens bei dieser Info
war bei mir auch noch die allerletzte Sympathie
restlos verflogen.
In seiner geistigen Heimat,
also im Post-Katastrophengebiet
unter den Blue Ridge Mountains
ist sein Ruf sogar noch beschissener:
„Class Traitor“ und „Fraud“
sind nur seine nettesten Spitznamen.
Gut, wer auch behauptet,
dass George Soros(!)
schwarze(!) Frauen(!)
nach L.A.(!) fliegt,
damit sie dort abtreiben(!) können,
der sollte sich darüber
tatsächlich noch freuen.
Ich denke,
ich kann den akuten Rant
gegen „weiße Männer mit Macht“
für’s Erste abschließen.
Schlimmer wird’s erst
nach der Unterbrechung wieder.
Meanwhile (Sports)
Nach der ersten Woche
sind die Olympischen Spiele von Paris
bereits genauso legendär wie ihre Vorgängerinnen
vor 100 Jahren.
Im Unterschied zu denen und allen anderen
ergehen sie sich aber von Anfang an
etwas weniger in Wiederholungen,
sondern probieren auch wirklich mal was neues.
Die Eröffnungsfeier ist nur ein Beispiel dafür.
Wie auch immer
das so lange geheim gehalten wurde,
damit es die Welt wirklich noch überrascht,
aber es ist gelungen.
Nur der offizielle Nike-Spot,
der arbeitet mit altvertrautem:
Kobe Bryant ist der Star des Kurzfilms,
wegen Gründen.
Und auch daran,
wer einer der Fackelträger der USA ist,
kann man erkennen,
dass sich die Erde noch dreht:
Snoop Dogg wird innerhalb weniger Tage
zum Nationalmaskottchen,
auch weil die Fackel dieses Jahr
einem schnell zusammengerollten Joint
nicht ganz unähnlich sieht.
Einen Tag vor der Eröffnung
herrscht schon mehr als des gewöhnliche Chaos:
Die Züge in und um Paris stehen stundenlang still,
Kapitalismusfeinde haben Anschläge verübt,
irgendwie aber auch nur der Form halber.
Für die Athlet*innen aber kein Problem:
Willkommen auf der Seine.
Der Fluss ist der zentrale Veranstaltungsort der Feier,
auf den kleinsten bis zu den riesigsten Ausflugsbooten
werden die Nationen eingeschifft.
Dabei wird ihnen (und der Welt)
ein Paris gezeigt,
das nur in der ersten Stunde
seine Klischeehaftigkeit abfeiert.
Direkt nach Lady Gagas Auftritt
schlägt die Stimmung brutal um:
Zur Musik einer Metal-Version
eines bekannten Revolutionsschlagers
singen gut 100 geköpfte Marie Antoinettes.
An dieser Stelle beginnt
die rechtskonservative Bubble im Internet
bereits ein erstes Mal überzuschäumen:
Satan und die Aufklärung
sind für einige ja das selbe.
Die Gegenwart schimmert kurz mal auf
als auf dem Boot des Irans
ein Frauenkopf den offiziellen Landesnamen
und die Flagge verdeckt.
Nebenbei bemerkt regnet es seit kurz nach Beginn der Feier,
und zwar in Strömen.
Bei Einbruch der Dunkelheit
wird daraus dann aber schnell
ein ausgelassenes Singing (and dancing) in the Rain,
und spätestens beim
von vielen absichtlich als Abendmahlverarsche missverstandenen
bacchukanten Cat-Walk über der Seine,
sollten die meisten doch aber verstanden haben,
was hier die Message ist:
Kurz bevor die Boote ihr Ziel erreichen,
den Trocadero unter dem Eifelturm,
passieren sie noch eine letzte, künstliche Insel,
auf deren LED-Floor
Menschen auf einem Vulkan tanzen.
Dazu wird an einem brennenden Piano
„Imagine“ gespielt,
„imagine there are no countries“.
Über alle Bildschirme
in allen Ländern
in aller Welt
flackern die Worte
„We stand and call for peace“.
Kurz hält die Welt
wohl tatsächlich den Atem an.
Das Finale beginnt
den Fluss runter:
Eine Art Silver Surferin,
nur auf einem Pferd,
reitet den Athlet*innen nach,
auf ihren Schultern
trägt sie die olympische Flagge.
Zunächst projezieren alle
eine Jean D’Arc der Neuzeit hinein,
aber schnell wird klar:
es ist Sequana,
die Göttin der Seine,
Unterkategorie: Heilgöttin.
Als diese dann das Flaggenspalier am Trocadero erreicht,
reihen sich nach und nach alle hinter ihr ein,
„Solidarité“ steht über allem.
Und die olympische Flamme
schwebt von der Erde losgelöst
über dem Fluss durch die Stadt.
Seitdem erfreut sich die Welt am friedlichen Wettstreit.
Die Reitwettbewerbe werden im Garten von Versailles ausgetragen,
die Fechtwettbewerbe im Grand Palais,
die Seine ist zu dreckig,
um bedenkenlos darin zu schwimmen,
und jeden Tag werden
sauber abgezählt
neue/alte Held*innen wiedergeboren.
Zum Beispiel Simone Biles,
die inzwischen synonym mit dem Turnsport an sich zu verstehen ist.
Passend dazu trägt sie nach ihrer sechsten Goldmedaille
eine silberne Kette um den Hals,
an der eine GOAT hängt.
Die letzten verbliebenen Kritiker
werden per Teamfoto auf Social Media kaltgestellt:
„Lack of talent, lazy Olympic Champions.“
Eiskalt haben es auch zwei türkische Pistolenschütz*innen
ins Memeuniversum geschafft:
Sevval Ilayda Tarhan und Yusuf Dikeç
gewinnen Silber
mit der Hand in der Tasche.
Wie gerne würde ich noch seitenlang
über ein so schönes Sportevent schreiben,
aber die Deadline,
weiterhin auf der Couch,
hat gerade umgeschaltet und den Ton raufgedrückt.
Das letzte Vorrundenspiel eines der Basketball Teams USA
beginnt gleich.
Die Bilanz bis hierher:
Ungeschlagen.
Zuerst ein Spaziergang gegen Serbien (m),
dann massive Größenvorteile gegen Japan (w),
anschließend drei Viertel „Dominanz“ (Durant) gegen den Süd-Sudan (m),
später Abgezocktheit gegen Belgien (f)
und nur ein ausreichendes Überviertel gegen Puerto Rico (m).
Was gegen Deutschland (w) passieren wird,
wird mir die Deadline wohl bald zurufen.
Bevor hier aber noch der Eindruck entsteht,
die Olympischen Spiele
hätten ihre politische Bedeutung
direkt nach der Eröffnungsfeier schon wieder vergessen,
nur zwei Memes,
die das Gegenteil beweisen:
Während ACAB nämlich auf Social Media
gerade nur mit gestellten Trampolinsalti auffällt,
stehen die Tischtennisspieler*innen
von Nord- und Südkorea gemeinsam auf dem Siegertreppchen.
Und die Kunstschwimmerinnen aus Israel
lassen sich ihre Botschaft ebenfalls nicht verbieten:
17 Frauen bilden im Olympiabecken den Satz
„Bring Them Home Now!“
Part 2: Men and War
Apropos Israel.
Allein schon für diese Ellipse
wird mensch im Internet momentan
sehr gerne
sehr schnell
falsch verstanden.
Selbst in der konkret
muss jeder Artikel zum „Thema“
mit einer Selbsterklärung beginnen.
Deswegen spare ich mir das
und lasse es auch noch dazu
von jemand anders erklären.
Und zwar von einem der obersten Erklärbären
des obersten Erklärbärengerichthofes,
John fuckin’ Oliver.
Die gerade noch aktuellste Ausgabe von „Last Week Tonight“
wurde innerhalb der letzten Woche
grob geschätzt von gut 100.000.000 Menschen gesehen,
was aber für Last Week Tonight-Verhältnisse
auch nicht soo ungewöhnlich ist.
Zu Beginn ordnet der US-britische Brillenträger
den Beitrag gleich mal ganz offen und offensiv
als Aufklärung/Bildung ein.
Glaubhaft, denn wenn John Oliver einen Beruf
genauso gut ausüben könnte
wie den den er ausübt,
dann wäre er ein Kollege.
Schwerpunkt des Beitrags
ist dementsprechend auch nicht das naheliegendste (Gaza),
sondern die West Bank.
Als erstes werden wir daran erinnert,
dass Ben & Jerry’s (ja, das Eis)
inzwischen keine Geschäfte mehr mit Israel macht,
aber das wird erst am Ende der Sendung noch mal wichtig,
denn es folgt eine 1A-Geschichtsstundensequenz,
an deren Ende
die aktuelle Karte der West Bank gezeigt wird,
zu der dem Kommentator nichts anderes mehr einfällt als:
„like Schrek jizzed in a puddle.“
Die israelischen Siedler
werden genauso sehr als unrechtmäßige Besatzer (Völkerrecht)
wie als Spoiled Suburbians dargestellt,
die sich eben überall gerne mit „Gesetzen“ rausreden.
Danach wird das schreckliche Checkpoint System geschildert,
und schnell wird klar,
dass Palästinenser*innen
ganz unter israelischem Militärrecht leben,
in ihrem eigenen Land.
Ein Militärrecht,
das momentan eine Verurteilungsquote von 99% aufweist;
solche Zahlen kennt man sonst nur
von den richtig krassen Militärdiktaturen.
Es folgt als Beispiel die Stadt Hebron (200.000 Einwohner*innen).
Dort leben die israelischen Siedler*innen (gut 500)
wortwörtlich über einem ehemaligen (palästinensischen) Basar,
den sie inzwischen auch als Müllhalde benutzen.
Seit 2008 sind in der West Bank
150 israelische Siedler*innen bei Anschlägen und Überfällen
ums Leben gekommen.
Im gleichen Zeitraum
verloren mehr als 1.500 Palästinenser*innen
durch sogenannte „Siedlergewalt“ ihr Leben.
An diesem Verhältnis wird dann auch erklärt,
wie die sogenannte „Price Tag Attack“ funktioniert,
die sich als Kriegsdoktrin Israels schon länger etabliert hat:
Eine deutliche Überreaktion der israelischen Seite,
wenn es um „Vergeltung“ geht.
Ich kann mich täuschen,
aber ich denke,
es heißt „Zahn um Zahn“
und nicht „Gebiß um Zahn“,
aber damit müssten sich die alttestamentarisch Gelehrten
ja eigentlich besser auskennen als ich.
Und wenn ich mich schon mal so weit außerhalb
meines Kompetenzbereiches bewege,
erlaube ich mir sogar noch die Frage,
ob „aber ,die Juden‘ haben jedes Recht dazu“
nicht eigentlich auch irgendwie antisemitisch ist.
So oder so,
im Urteil ist sich der Obererklärbär sicher,
und auch das ist ja keine wirklich neue Feststellung:
Israel ist und bleibt ein Apartheidsstaat.
In der zweiten Hälfte des Beitrags
wird dann die Rolle der USA beleuchtet.
Kein anderer als der Frisurensohn
hatte eigenmächtig abschaffen lassen,
dass Siedlerei gegen internationales Recht verstößt.
Was seine unheilvolle Allianz mit den Evangelikalen
(die sich ja für was besseres halten,
weil sie nämlich später (Armageddon) als Engel in den Himmel kommen
und „die Juden“ eben nicht,
sagt jedenfalls Johannes)
dabei für eine Rolle spielt,
dafür fehlt sowohl John Oliver
als auch mir gerade die Geduld.
Es gibt wichtigeres,
nämlich Haltung:
Israel wird momentan vom
„most right-wing government“
in Israels Geschichte regiert,
und damit dürfte die Vorstaatsgeschichte mitgemeint sein.
Die Menschenwürde ist Grundlage
für jede Verhandlung,
also nicht verhandelbar.
Das sagt auch der Ex-Bürgermeister von Ramallah.
Als Beispiel erzählt er seine Geschichte:
Ein 16jähriger israelischer Soldat
hatte ihn anhaltslos und mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen,
sich in der Öffentlichkeit nackt auszuziehen.
Da die Menschenwürde aber „nur“ die Grundlage sein kann,
muss auch Recht gesprochen werden,
sprich alle Seiten müssen
in gleichem Maße für gleiche Taten verurteilt werden.
Dabei differenziert John Oliver ähnlich beeindruckend
wie Shahak Shapira es getan hatte,
nur zwei Tage nach dem Massaker vom 7. Oktober.
Deswegen wird es zum Schluss der Sendung
auch ungewöhnlich deutlich politisch:
Benjamin Netanyahu sieht sich mit den Vorwürfen konfrontiert,
mit denen er konfrontiert werden muss,
und, sonst wäre es nicht Last Week Tonight,
ein paar warme Ratschläge gibt es gratis dazu.
Als letztes geht es dann nochmal ums Eis:
Der humoristische Schulterschluss mit Ben & Jerry’s
ist nicht schwer als Sympathie zur BDS
(Boycott, Divestment and Sanctions)
(miss-) zu verstehen.
Und noch am selben Abend,
an dem diese globale Volksaufklärung
die Runde macht,
tritt die Türkei zumindest verbal
in den Dritten Weltkrieg ein.
Erdogan droht Netanyahu (wird enden wie Hitler!)
worauf der zunächst nur zurückdroht (wird enden wie Hussein!);
Wie viele scheiß Witze man allein darüber machen müsste…
Als nächstes fordert Israel
den am besten sofortigen Natoausschluss der Türkei.
Im Libanon evakuiert die Hisbollah schon die ersten Stellungen.
Und bereits Mitte der Woche
ist schon wieder die nächste Eskalationsstufe erreicht,
und zwar gleich doppelt,
nicht dass noch jemand die „Vergeltung“ falsch versteht:
Der Hisbollah-Kommandeur in Beirut
wird ebenso gezielt getötet
wie der Hamas-Anführer (Hanija) in Teheran.
Der Iran kündigt natürlich eine „harte Bestrafung“ an,
und sogar Pro Sieben fragt schon,
ob es in Nahost jetzt eskaliert.
Seit Donnerstag fliegt die Lufthansa
nicht mehr nach Tel Aviv
und auch Nasrallah (Hisbollahchef)
hat jetzt lautstark Rache geschworen.
Israel bereitet sich also spätestens seit gestern
auf einen echten Großangriff vor,
bei dem es aus drei von vier Himmelsrichtungen
knallen wird.
Aus dem Westen schicken die USA
schnell noch mehr Jets und Schiffe
als die erste Raketensalve aus dem Libanon
in der Nacht zu heute
vom Iron Dome abgewehrt wird.
Der eigene Rachekrieg Israels
trifft in der selben Nacht
eine Schule und ein Krankenhaus in Gaza-Stadt,
wo eine bereits ausgebrochene Polioepedemie
gerade Gesellschaft von einem Hepatitisausbruch bekommt.
Pest und Cholera
würden nur noch wenig mehr Schaden anrichten können.
Die Spitzenmänner des MIK
feiern das ganze Wochenende durch,
einige wahrscheinlich
in einer der ersten Reihen in Paris.
Kriegsprotokoll. Schreibtisch. Deutsche Heimatfront. Letzte Reihe.
Woche 127
Die sechste, siebente oder achte Phase des Krieges (je nach Zählweise) beginnt. Montag: Selenskyj besucht die Front in Charkiw bei Wowtschansk und verteilt Orden. In Donezk werden die nächsten Dörfer aufgegeben (Wowtsche und Prohres). Moskau plant ein neues Gesetz für Einwanderer, das den Militärdienst als Teil der Staatsbürgerschaft vorsieht. Aus den USA kommen neue Militärhilfen (1.700.000.000$). Dienstag: Selenskyj schwört die Ukrainer*innen bereits auf den Winter ein. In Donezk fällt Piwdenne an die russische Armee. Erneut brennt in Kursk ein Öllager. An der Grenze zu Belarus besucht Selenskyj die ukrainischen Truppen und verspricht Verstärkung. Mittwoch: Über Kiew ist die Luftabwehr aktiv. In Kursk wird ein Waffenlager getroffen. Moskau verdoppelt die Sonderzahlung für neue Rekruten auf 4.200€. Die ersten F-16 sind in der Ukraine angekommen. Selenskyj denkt über Gebietsabtretungen nach, aber nur, wenn das ukrainische Volk dies „wünscht“. Danach setzt er per Gesetz sämtliche Zahlungen für Auslandsschulden bis zum Oktober aus. Donnerstag: Kiew und Charkiw werden von Drohnen und Raketen getroffen. Am Nachmittag findet der bis jetzt größte Gefangenenaustausch jemals zwischen dem Westen und Russland statt; Ukrainer sind davon nicht betroffen. Freitag: In Sewastopol schlägt eine ATACMS-Rakete in einem Wohnhaus ein. Im Donbas wächst der Druck weiter: Torezk, Kupjansk, Kurachowe und Pokrowsk werden immer stärker unter Beschuss genommen. Die Ukraine stellt sich auf wachsende Zahlen von Auswander*innen ein, die Infrastruktur des Landes ist inzwischen zu kaputt. Samstag: Die gegenseitigen Drohnenangriffe gehen ununterbrochen weiter. Der UK geht momentan von 1.000 toten oder verletzten russischen Soldaten täglich aus. Sonntag: Bodo Ramelow fordert einen Nichtangriffspakt für ganz Europa und Russland. Selenskyj will die weitreichenden Militärschläge gegen Russland fortsetzen. In Tschassiw Jar überschreitet die russische Armee den Siwerskyj-Donez-Donbass-Kanal. In vielen Gebieten in Donezk werden die Kinder evakuiert. Die ersten F-16-Angriffe der Ukraine laufen, obwohl die Piloten gerade erst lernen die Maschinen zu fliegen.
Meanwhile (Provinz)
Alles gut soweit.
Im Weltkulturerbe
ist weiterhin spitzen Sommerwetter,
inklusive ausreichend nächtlichem Regen.
Keine Hitze,
keine Tropennächte,
glücklich spazierende Touris
den ganzen Tag lang.
Ab morgen spazieren die Schüler*innen der Bosseschule
dann auch wieder
in ihre top neu sanierte Schule:
8.100.000€ wurden da neu verputzt.
Von wegen marodes Schulsystem.
Kulturell behält Quedlinburg auch die Nase vorn,
denn der andere Investitionsschwerpunktort der Region,
der Hexentanzplatz zu Thale
ist lediglich um eine kommerzielle Errungenschaft reicher:
Das Händlerdorf wird mit viel Medientamtam eröffnet.
Wenigstens hat man sich Mühe gegeben,
dem Fachwerkcharme der Nachbarn etwas nachzueifern.
Ansonsten das übliche,
nur noch mehr davon:
Fressbuden und Souvenirshops;
was sich mit Naturerlebnis eben so verdienen lässt.
Ansonsten wird sich eben mit Quedlinburg gemeinsam
auf das kulturelle Highlight des Sommers gefreut:
Italo-Schlagerstar Giovanni Zarella
lässt nicht mehr lange auf sich warten.
#DieDoppeltenZwanziger werden
nicht berichten.
Übrigens auch nicht
über den dann darauf folgenden Stargast der Hochkultur:
Für das Oktoberfest in zwei Monaten
ist ein Andreas Gabalier Double angekündigt.
Meine Fresse.
In anderen Provinzen kann es demzufolge
nur wieder nur schlimmer sein.
Besonders schlimm,
und damit verlassen wir den Sarkasmus wieder,
in dieser Woche
im britischen Southport.
Nachdem eines der grausamsten Gewaltverbrechen des Jahres
halbwegs erfolgreich davon abgehalten wurde,
die Weltnachrichten zu dominieren,
übernimmt das dann die English Defence League
(gewaltbereiter Faschoverein)
und bildet einen fremdenfeindlichen Mob
nach dem anderen,
Polizeiwachen brennen,
noch mehr Menschen werden verletzt.
Part 3: Mankind and Climate
Die einzig guten Nachrichten gleich zu Beginn,
denn die sind nicht nur für’s Klima gut:
Rammstein stellen ihre Feuershows ein,
bis auf weiteres!
Musik für meine Ohren.
Ansonsten bleibt nur noch ein weiteres Mal zu betonen,
dass die folgenden Schlagzeilen
ausnahmslos nur
aus der vergangenen Woche stammen:
In Kalifornien und Kanada brennen
momentan dermaßen viele Wälder,
dass sich die Bären in Massen
in die Gärten der Menschen flüchten.
In Sibirien gibt es die (Gärten) so nicht,
aber da brennt genauso viel Wald.
Im Iran herrscht die weltweit massivste Hitzewelle ever,
mehrere Tage lang werden über 50°C im Schatten gemessen.
Über einen Monat schon dauert derweil
die Hitzewelle in Österreich,
also mehr als 30 Tage
täglich über 30°C.
Das Mittelmeer in der Toskana
erreicht gerade bis zu 35°C,
200 Tonnen tote Fische treiben auf den Wellen.
Große Teile der Adria-Küste brennen ebenfalls.
Nach einem Monster-Monsun
rutschen im indischen Kerala
hunderte Siedlungen von den durchweichten Hängen.
Und selbst hier, im Hinterland mit dem tollen Wetter,
fliegt das gelbe Löschflugzeug
am Mittwoch Abend mal wieder
Richtung Brocken.
Gut,
dann hoffe ich mal,
dass der morgige Schulstart,
die Länge (und damit auch die Menge)
der weltgeistlichen Echos in den Episoden
wieder zurechtstutzt;
viel mehr bleibt mir nicht übrig.
Und möglicherweise
geht es dann auch wieder mehr um meinen Beruf,
auch wenn die Neuigkeiten
gerade auch dort
wie altbekannte Echos klingen.
Nur ein Beispiel:
Das sogenannte „Startchancenprogramm“
geht an den Start,
um wirklich ganz in echt mal so richtig was zu ändern.
Ganze 20.000.000.000€
werden locker gemacht.
Hauptsächlich für Grundschulen,
was zumindest der richtige Ansatz ist.
“Neue, kreative Lernräume entstehen.
Das Geld ist aber auch für zusätzliche Sozialarbeiter,
Förderstunden, Therapeuten oder IT-Administratoren vorgesehen.“
Na ja, an den Symptomen rumzudoktern
ist nicht nichts.
Ich brüte dann also noch
ein bisschen über den Stoffverteilungsplänen,
notwendige von unnötige Wiederholungen trennen
(die Deadline ruft gerade:
87:68 für Team USA;
3 Viertel knochenharte Defense),
um irgendwie bewerkstelligen,
dass sich die Zukunftsaussichten der Gen Alpha
wenigstens noch ein paar Jahre lang
nicht zu schnell
noch mehr verdunkeln.
Zum Glück arbeite ich an einer Schule,
in der schon länger Handyverbot gilt;
zu viele Schwarze Spiegel,
die dabei sind, in den Informationswettkampf einzusteigen,
gibt es also erst mal nicht mehr
von Acht bis Drei.
Fächerübergreifendes Thema meiner Klasse
im kommenden Jahr:
Das lange 19. Jahrhundert.
Heimlicher Untertitel:
Erster Funkenflug.
„Die Geschichte ist zu einem Feuerrad geworden, das sich beständig dreht und die Flammen des Wissens und des Unwissens gleichermaßen entfacht. Man muss sich nur die verwüsteten Informationslandschaften auf Twitter oder Facebook mit ihrem Geblubber aus Vorurteilen und Verschwörungstheorien ansehen, um zu erkennen, wie sich die Geschichte durch digitale Verzerrung immer mehr zersplittert.“
(Montefiore: Die Welt. 2023)

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