Bild: Richtung?
„The walls are built up
stone by stone,
the fields divided
one by one.“
(R.E.M.: Driver 8. 1985)
Dann unterbrechen wir
den Rhythmus
doch ganz
einfach
mal:
Zum Einen,
weil es so ganz ohne Schreiben
wohl doch nicht mehr geht,
und zum Anderen,
weil das in fahrenden Zügen so viel Spaß macht.
Mal schauen,
ob irgendwas anderes bei rauskommt,
sonntags am Schreibtisch
oder dienstags im interregionalen Personennahverkehr.
Denn, jawohl!,
es geht das erste Mal mit einem Deutschlandticket
in den wilden Westen,
und das nur einen Tag nach dem 74. Geburtstag der Zone;
Alles Liebe noch nachträglich.
Warum?
Nun ja,
die Vorwände sind
beginnende Alterssehschwäche
bei gleichzeitigem Verlangen
nach einem neuen Brillengestell,
außerdem war ich noch nie in Düsseldorf.
Der eigentliche Grund allerdings
sind gut und gerne 25 Jahre
wirkliche Freundschaft.
Los geht’s
nach einem kurzen Besuch
bei der Polizeidirektion Halberstadt
(Bürgerpflichten),
und schon der erste Zug
nach Goslar
ist sofort rammelvoll,
mal abgesehen von ein paar Sitzen,
auf denen neben älteren Menschen
Rucksäcke oder große Taschen flätzen,
noch muss niemand stehen,
aber auch das wird sich wahrscheinlich noch ändern.
Ich sitze maximal bequem auf dem Boden,
links vor mir Fahrräder,
in meinem Rücken große Reiserucksäcke,
bis auf das leise Gespräch
zwischen einer Mutter und ihrem Sohn
sind nur die Betriebsgeräusche des Zuges zu hören.
Im Süden liegt das Brockenmassiv
in einer großen,
aber hellgrauen Wolke,
kurz lässt sich vorstellen,
die Berge wären viel höher
als sie es wirklich sind.
Kurz vor Wernigerode
leeren sich einige Sitze
ganz vorne im Zug,
ich könnte sogar an einem Tisch schreiben,
nehme aber mit
dem übergeschlagenen Bein vorlieb.
Auf Goslar folgt
dann Hannover,
dann Minden (Westfalen),
dann Dortmund
und endlich Iserlohn;
Niedersachsen,
Ruhrpott,
Sauerland;
ganz tief rein
ins Herz des ehemaligen Klassenfeinds.
Würde ich jetzt nicht schreiben,
wofür ich mir Notizen zurechtgelegt habe,
würde ich wahrscheinlich,
wie die meisten hier,
Sudokus oder Kreuzworträtsel lösen,
die Mitreisenden beobachten
und auf meinem Schwarzen Spiegel rumwischen.
Und da würde ich dann auch nur sehen,
was ich auch schon
in den letzten Tagen,
Wochen,
Monaten,
Jahren
zu sehen bekommen habe:
Was die Arschlochfront angeht,
gibt es seit Kurzem
aber wenigstens einen neuen Hauptcharakter,
und dieses Mal ist es eben kein
alter, weißer Mann,
sondern ein, ja, doch
schon älterer, schwarzer Mann.
Die globale Hip Hop/R’n’B-Community,
und noch eine ganze Menge mehr Communitys,
reiben sich gerade schockiert die Augen
wegen P. Diddy,
immerhin
immer noch
der Top Produzent
von „schwarzer Musik“.
Und Leute,
was für einen Megaabfuck der sich,
über Jahrzehnte hinweg,
geleistet hat,
und wie wieviele Menschen er jetzt mit ganz nach unten zieht,
das ist echt bodenlos,
wirklich,
die Liste mit Top Shelf Promis,
die auf einer oder vielen
der jetzt noch viel freakigeren „Diddy Partys“ waren,
umfasst locker mehr als drei Viertel der aktuellen US-Superstars,
von Beyoncé bis LeBron,
und die müssen jetzt alle
von nichts gewusst haben.
Wenn Rammstein das #metoo des Metal waren,
dann ist es Puff Daddy für den Hip Hop,
vielleicht sogar inklusive
Menschenhandel, Missbrauch, Vergewaltigungen und Auftragsmorden;
Gangster Endboss.
Die Frage ist nur noch:
Wann geht es auch in Deutschland los?
Und wer wird als erstes gecancelt?
Sido?
Smudo?
DJ Bobo?
Und schwups,
steige ich in Goslar aus
und gleich wieder ein:
Der Zug ist deutlich leerer,
ein Vierersitzplatz verspricht Beinfreiheit,
eine ältere, Whatsapp lesende Dame
ermahnt eine jüngere, telefonierende Dame,
doch bitte leise zu sein.
Aber bleiben wir doch beim Thema,
es ist ja nicht so,
als wollten die anderen Arschlöcher
einfach so kampflos ihren Titel abgeben,
noch dazu an einen „Rap(p)er“.
Denn während Kamala Harris
gefühlt bereits
die neue Präsidentin der USA ist,
und überall persönlich Hilfe vorbeibringt,
wo „Helene“ Existenzen und Leben mitgenommen hat,
liefern sich die Top Dudes
einen wahren Dog Fight,
den Dolch immer hinter dem Rücken:
J.D. Vance, zum Beispiel,
der soll wohl im Falle des Wahlsieges
das 25th Amendement nutzen,
um Trump wegen Unfähigkeit zum Amt
sofort abzusägen,
das Ganze wohl auch noch auf Geheiß
seiner Best Buddies,
Elon Musk und Peter Thiel.
Mindestens aber ist er auch willens,
das berüchtigte „Project 2025“ umzusetzen,
also die friedliche Übergabe der Regierungsgeschäfte
in die Hände von zwei Tech-Billiarderen;
was aus Pay Pal so alles werden konnte…
Der dunkle Lord dieses Scheißhaufens
hat sich demzufolge auch
Anfang der Woche erst selbst gekrönt:
Die einen nennen seinen Auftritt „cringe“,
die anderen erschrecken,
wie offensichtlich die Gefahr bereits ist:
Auf einer Trump Rally
in eben dem Butler, PA,
in dem inzwischen schon eine Statue steht,
weil eben dieser Trump
genau dort
vor Monaten angeschossen wurde,
begrüßt eben dieser Frisurensohn
eben jenen seinen Nachfolger in spe
auf der Bühne mit exakt diesen Worten:
„Take over, Elon, take over!“
Vor Freude hüpft Elon in die Luft,
sein T-Shirt rutscht hoch,
und er kann sich sicher sein,
dass es eben genau das ist,
worüber ab jetzt alle schreiben werden,
und eben nicht
über sein schwarzes Trump Cap
und erst recht nicht
über seine Selbsteinführung:
„As you can see,
I’m Dark MAGA.“
Trump müsse gewinnen,
„um die Verfassung zu bewahren.
Er muss gewinnen,
um die Demokratie
in Amerika
zu bewahren.“
Denn wenn Trump nicht gewählt werde,
werde dies die letzte Wahl sein,
das prophezeit Musk,
ohne es aber weiter auszuführen.
Trump hatte zudem
zuletzt angedeutet, dass Musk
im Falle eines Wahlsieges
an die Spitze eines Gremiums
zur Überprüfung der US-Finanzen
gesetzt werden könnte.
Da solle er dann
die Regierungsausgaben kürzen.
Und, alter!,
das wäre tatsächlich
doch noch mal eine neue Eskalationstufe
in einer Geschichte,
die ausschließlich aus eben solchen besteht;
… just imagine!
Das alles ist so weird,
dass Kamala Harris inzwischen einfach dazu aufruft,
sich die Trump Rallys anzuschauen,
alle Argumente gegen einen Präsidenten Trump
wären da doch auf offener Bühne zu sehen.
Bleibt eigentlich nur noch
die Antwort auf die Frage,
was die diesjährige „October Surprise“ sein wird.
Geht es nach Marjori Taylor Green,
dann ist klar:
Die Demokraten kontrollieren
mit jüdischen Space Lasern
das Wetter
und verheeren gerade ganze Bundesstaaten,
und das mehr als einmal.
Wieviel mehr Evil darf’s
denn bitte noch sein?
Und damit zur AfD.
Sogar Ex-Grünen-Chef Nouripour
ist jetzt für ein Verbotsverfahren.
Macht aber nichts,
denn Ex-Bundespräsident Gauck
ist lautstark dagegen,
Demokratie müsse Faschismus aushalten,
oder so ähnlich.
Die Faschos selbst
halten wieder auffallend die Fresse im Moment,
aber auch das macht nichts,
denn deren Job
machen ja eh schon länger die anderen,
zum Beispiel vorgestern erst
die FDP,
die in eins-zu-eins AfD-Sprech,
zusammengefasst in neun selektierenden Punkten,
eine drastische Verschärfung des Asylrechts fordert,
inklusive „Brot-Wasser-Seife“;
Kotzen kann so einfach sein.
Und gestern,
immerhin auch der Jahrestag
des Hamas Massakers im Süden Israels,
werden in Zeitz,
wo die AfD ihr einziges Direktmandat gewonnen hatte,
sämtliche Stolpersteine demontiert,
alle zehn in einer Nacht,
bei dichtem Nebel.
Und sogar in der Türkei
marschiert der Faschismus weiter voran,
dort werden jetzt sogar schon Denkmäler errichtet
von Fußballern,
die mit beiden Händen den Wolfsgruß zeigen.
Und zack,
fast schon Hannover,
Hauptbahnhof,
Mittagszeit;
Schluss für heute
und vor allem Schluss mit Arschlöchern/Faschos,
die zweite Tageshälfte
verbringe ich lieber mit Lesen,
das Schreiben im Zug macht Spaß,
ist aber deutlich unbequemer.
Während der Vormittag
zum Nachmittag wechselt,
die Sonne nicht mehr von Osten kommt,
sondern jetzt nach Westen geht,
blättere ich in Stanišićs „Herkunft“,
denke an Oma
und an endlose Basketballspiele mit besten Freunden,
irgendwann in den Neunzigern,
irgendwo in der Provinz,
die keine Zone mehr war.
Am nächsten Tag,
heute wird u.a. der größten Demonstration
der „Friedlichen Revolution“
vor 35 Jahren gedacht,
sitze ich um halb 10
schon wieder im dritten Zug,
heutiges Ziel:
Düsseldorf.
Die Wolken liegen schwer
auf den Bergen und den Städten,
der Stand der Sonne ist nur schwer zu erahnen.
Im Vierer gegenüber blättert ein Rentner
durch die „Westfälische Rundschau“,
überfliegt die Überschriften,
blättert weiter,
neben sich eine kleine Reisetasche,
er wird/hat heute woanders (ge)schlafen.
Im Bahnhof von Hagen
habe ich mir auch bedrucktes Papier gekauft:
„The Economist“ fasst das letzte Jahr zusammen:
Die Titelseite ist eine Karte des Nahen Ostens,
die, von Israel ausgehend,
völlig zersplittert ist,
die groben Risse in der Oberfläche
sehen aus wie
Flugbahnen ballistischer Geschosse,
links darunter der Titel:
„The Year That Shattered the Middle East“; hier nur die letzten Entwicklungen:
– Die Luftstreitkräfte der USA
bombardieren den Jemen.
– Die IDF weiten die „lokal begrenzte Operation“
nach wenigen Tagen schon
bis in den Nordlibanon aus.
– Beirut wird täglich bombardiert.
– Emanuel Macron fordert halblaut den Stopp
von Waffenlieferungen an Israel
und rudert nur wenige Stunden schon wieder zurück.
– Donald Trump lässt sich von der Idee begeistern,
die IDF könnten doch auch gleich
iranische Atomanlagen beschießen.
– In Gaza wird eine Moschee bombardiert,
Notunterkunft oder Hamaszentrale,
kommt ganz darauf an,
wer berichtet.
– Die Hizbollah schießt zurück,
aber alles nichts,
das den Iron Dome vor größere Herausforderungen stellt.
– Und erst heute Nacht
greift der Krieg auch auf Syrien über,
nahe Damaskus fallen israelische Bomben.
– Unterdessen informiert Netanyahu Biden,
der Gegenschlag gegen den Iran
steht kurz bevor.
In Wuppertal fallen die Regentropfen
jetzt fast geräuschlos auf die Dächer über den Bahnsteigen,
wir halten nur kurz,
kaum jemand steigt ein,
auch in Wuppertal-Vohwinkel
bleibt die Bahn nicht mal halbvoll,
der Rentner gegenüber wischt inzwischen
auch auf seinem Schwarzen Spiegel herum.
Die ersten Ziele in Düsseldorf
sind dann die Heinrich-Heine- und die Königsallee.
Im „Café Extrablatt“ genießen
die ersten Büroarbeiter*innen ihre Frühstückspause
oder ziehen die Mittagspause vor.
Vor dem Eingang der Kö-Galerie gegenüber
sitzt ein Mann
müde an einem Poller
und hält ein Schild in die Höhe.
Die Wolkendecke scheint langsam dünner zu werden,
nach Schinken, Rührei, Brötchen und Kaffee
steuere ich den nahen Rhein an
und suche mir irgendwo in Carlstadt
ein Brillengestell aus.
Ergebnis nach drei Stunden Rundlauf
durch die Düsseldorfer Altstadt:
Null.
Okay, im ersten Laden
habe ich mir ein Gestell zurücklegen lassen,
aber den Weg dorthin werde ich
nicht nochmal antreten,
zumal ich die letzten drei Stunden
vornehmlich durch stärker werdenden Regen flaniert bin;
Innenstädte bei Scheißwetter im Herbst
sehen alle gleich aus:
Echt traurig.
Genau jetzt sitze ich in der dritten Etage
der hiesigen Thalia Buchhandlung,
es ist warm,
es weht kein Wind,
die Geräusche und Gespräche wirken wie gedämpft,
die Tonnen an bedrucktem Papier um uns herum
lauschen neugierig.
Der Theke gegenüber,
in der pink eingefärbte Baguettes lagern,
stillt eine junge Mutter ihr Kind.
Nach einem Wasser muss ich fragen,
auf den mit weißer Kreide beschriebenen Tafeln
hinter den Kaffeeautomaten
stehen nur Getränke angeschrieben,
die nach irgendetwas schmecken.
Unten, vor dem Eingang,
bittet eine ältere Frau,
dick eingepackt in eine schmutzige Decke,
um Hilfe mit Essen,
nur fünfzig Meter weiter über die Königsallee
steht ein Diamantcollier im Schaufenster,
für lachhafte 565.000 Euro;
der Regen perlt ab
am Panzerglas.
Am Tisch gegenüber,
hier in der dritten Etage,
ebenfalls umgeben von Büchern,
schaut ein älterer Herr
auf seinen Schwarzen Spiegel,
während sein Freund an der Theke
auf Cappuccino und Espresso wartet.
Ich kann von hier aus erkennen,
dass er ein Video sieht,
eine Weltraumaufnahme eines unfassbar riesigen Sturms,
sehr wahrscheinlich der,
der gerade auf Florida zurast,
und der nach einem, ach was,
nach dem apokalyptischen Barockdichter überhaupt benannt ist:
Milton wird in den kommenden Stunden auf Land treffen,
eine der größten atmosphärischen Wassermassen
der Geschichte,
wie immer, Paradise Lost.
Joe Biden sagt extra seinen Deutschland-Trip ab;
in Ramstein kommen sie wohl auch ohne ihn zurecht.
In großen Teilen Floridas laufen seit gestern
Massenevakuierungen.
Weiter südlich,
unterhalb des Äquators
ist gerade der Rio Negro ausgetrocknet,
der größte Nebenfluss
des größten Flusses der Welt,
in der Jahrhundertdürre
verkohlen millionenfach Existenzgrundlagen.
Und auch auf Europa
kommt der nächste große Sturm des Jahres zu,
vor den Panoramafenstern hier im dritten Stock
hat es sich eingeregnet.
Ich habe mein Wasser unterdessen ausgetrunken,
auch der letzte Tisch in der dritten Etage
ist inzwischen besetzt,
das schlechte Wetter
und der Kuchenappetit
treiben die Menschen von den Straßen herein.
Da ich auf meinem Weg hier hinauf
trotz bemühtem Hinschauen
nirgends auch nur ein Exemplar
der Projektoren prominent ausgestellt gesehen habe,
begebe ich mich jetzt noch mal auf die Suche,
das kann ja gar nicht sein.
Und falls doch,
werden hier wohl gleich
ein paar Bücherstapel umkippen,
sorry,
not sorry.
Es ist kurz nach Vier,
und im Thalia in Düsseldorf
wurden keine Bücherstapel umgekippt,
jedenfalls hatte ich dann
damit nichts zu tun.
Ich warte am Bahnhof auf meinen Zug zurück nach Iserlohn,
am Kino hängen riesige Plakate,
mit denen die allerdeutscheste
aller deutschesten Heldensagen beworben wird,
die seit diesen Tagen
das globale Cineastentum beleidigt,
mein erster Zwischenhalt
wird Hagen sein,
im Foyer des Multiplexlichtspieltheaters
löffelt eine Frau
mit abgespreitztem kleinen Finger
Erdbeeren und Vanilleeis aus einem schlanken Glas,
im Burger King läuft irgendein Radiosender,
in den Nachrichten geht es um die fortdauernde Rezession,
der Export schwächelt wohl.
In meinem Rucksack befinden sich drei neue Comics,
es gibt genau noch einen Laden in Düsseldorf,
der nicht nur ausschließlich Mangas führt,
und zwar, genau, mitten drin in „Little Tokyo“,
wie die Immermannstraße seit einigen Jahren
auch genannt wird;
„Silver Surfer – Worlds Apart“,
„Sandman – Traumland“
und „Der alltägliche Kampf“,
passt,
draußen regnet es weiter
ohne Pause.
Es ist bereits Freitag, kurz nach Mittag,
der Interregio von Dortmund nach Minden
ist bis auf wenige freie oder markierte Sitze voll,
und ich schreibe den letzten Teil dieser Staffelunterbrechung
zunächst auf Stufen sitzend.
So schnell vergehen die Tage also immer noch,
wenn man sie mit den richtigen Menschen verbringt;
vorgestern noch in Düsseldorf,
Hauptsitz der Deutschen Rentenversicherung,
gestern dann im Renterparadies Hochsauerland
(Sole-Therme, Sauna, Panorama-Ruheräume mit Kamin),
am Abend einfach mal nichts machen,
kein Kommunikationsdruck,
denn das wirklich wichtige war ja am ersten Abend schon dran,
die Umarmung zum Abschied wurde wiederholt;
und heute sitze ich schon wieder
zwischen Student*innen und jungen Familien
auf dem Weg zurück in den noch viel überalterten Osten.
Aber noch haben wir Zeit,
das Älterwerden hat doch gerade erst angefangen,
das Herbstlaub schimmert erst
golden auf den draußen vorbei
rasenden Baumkronen.
Bis nach Hause sind es noch sechs Stunden,
wenn nichts dazwischen kommt.
Kriegsprotokoll. Schreibtisch. Deutsche Heimatfront. Letzte Reihe.
Wochen 134 und 135.
Selenskyj sucht Sicherheit im Westen während der Osten weiter kollabiert. Montag: Ukrainische Truppen beschießen ein Umspannwerk des AKW Saporischija. Über Kiew ertönt erneut Luftalarm. Stoltenberg schließt bei seinem Abgang eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht aus. Die Lage an der Front ist laut Selenskyj „sehr, sehr schwierig“. Putin antwortet: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Alle gesetzten Ziele werden erreicht werden.“ Dienstag: Auf dem Marktplatz in Cherson schlagen russische Geschosse ein, mehrere Menschen sterben. Krutyi Yar (Donezk) und Vyshneve (Charkiw) werden „befreit“. In Rumänien wird ein neuer Marinestützpunkt gebaut, auf dem auch ukrainische Soldaten ausgebildet werden sollen. Wuhledar ist gefallen. Mittwoch: Putin hat ein Gesetz unterzeichnet, die es Angeklagten in Strafverfahren ermöglichen, einer Strafverfolgung zu entgehen, wenn sie dem Militär beitreten. Die letzten ukrainischen Truppen ziehen sich aus Wuhledar zurück. Donnerstag: In Charkiw wird erneut ein Wohnhaus getroffen. Insgesamt 113 Drohnen werden von der russischen Luftabwehr über den Regionen Belgorod, Kursk, Woronesch und Brjansk abgeschossen. In Kiew, Odessa und Iwano-Frankiwsk wird die Stromversorgung weiter attackiert. Der neue Nato-Chef Rutte besucht Kiew: „Die Ukraine ist der NATO näher als jemals zuvor, und sie wird weiter diesen Weg gehen, bis sie die NATO-Mitgliedschaft sicher hat.“ In Donezk sind momentan eine viertel Million Menschen ohne Wasserversorgung. Freitag: Die russische Armee steht nur noch sieben Kilometer vor Prokowsk, wo die Infrastruktur in großen Teilen zerstört ist. Eine ukrainische Ärztin hat Millionen damit verdient, Männern die Wehrunfähigkeit zu bescheinigen. Selenskyj überreicht in Sumy neue Orden: „In einem langen Krieg geht es nicht nur darum, das eigene Personal zu motivieren. Es ist notwendig, die ganze Welt zu motivieren und sie davon zu überzeugen, dass die Ukrainer stärker sein können als der Feind.“ Samstag: Schelanne Druhe ist das nächste „befreite“ Dorf im Donbas. Norbert Röttgen (CDU) gibt sich mutiger als der Kanzler: „Ein Kanzler darf nicht von Angst geprägt sein. Er darf sie nicht zum Motiv seines politischen Handelns machen.“ Sonntag: Ununterbrochen nächtliche Drohnen- und Raketenangriffe. Montag: ACAB auf Konfrontationskurs mit Scholz: „Das Recht auf Selbstverteidigung für die Ukraine bedeutet nicht, dass eine Rakete erst die Grenze überschreiten oder eine Stadt wie Charkiw getroffen haben muss, bevor man sich wehren darf.“ Erneut wird die Krim angegriffen: In Feodosia werden Menschen evakuiert, ein Öldepot brennt. Über Kiew werden Kinschal-Rakete abgeschossen, der Luftwaffenstützpunktes Starokostjantyniw wird getroffen. Hrodiwa (bei Pokrowsk) wird „befreit“. Dienstag: Odessa wird erneut mit ballistischen Raketen angegriffen. Russische Truppen beginnen Toresk (Luhansk) einzunehmen. Charkiw und Cherson stehen ebenfalls weiter unter Beschuss. Mit Sorjane und Solota Nywa werden in Donezk die nächsten Dörfer „befreit“. Victor Orban sieht „keine Möglichkeit für die Ukraine, gegen Russland auf dem Schlachtfeld zu gewinnen.“ Selenskyj hält an der Kursk Offensive fest: „Wir halten den notwendigen Druck auf Russland in diesem Gebiet aufrecht.“ Mittwoch: Ausnahmezustand in Brjansk, ein russisches Waffenlager mit attackiert. Das Ramstein-Treffen wird verschoben, weil Joe Biden zu Hause wichtigeres zu tun hat („Milton“). In Kursk werden die Dörfer Nowaja Sorotschina und Pokrowski zurückerobert. Olaf Scholz in Leipzig: „Das Erbe der friedlichen Revolution gebietet uns auch, uns für die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer einzusetzen, für ihr Recht auf Demokratie und für ihr Recht auf Frieden.“ Selenskyj auf dem Ukraine-Südosteuropa-Gipfel in Dubrovnik: „Im Oktober, November und Dezember haben wir die Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen.“ Das Nachrichtenportal „Ukrajinska Prawda“ beklagt Druck vonseiten des Präsidentenbüros in Kiew. In Odessa sterben beim nächsten Raketenangriff sechs Menschen. Donnerstag: Selenskyj auf Europatour, heute: London, er trifft sich mit Keir Starmer und dem neuen Nato-Chef Rutte, wegen Langstreckenwaffen. Kiew erhöht die seit 2014 bestehende „Kriegsabgabe“ für abhängig Beschäftigte von 1,5 auf 5%, für Soldaten gilt das nicht, über Selbstständige wird nichts bekannt. Am Nachmittag trifft Selenskyj in Paris ein. Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ schreibt ohne Quellenangabe, dass Selenskyj zu einem Waffenstillstand an der aktuellen Frontlinie bereit sei, ohne diese als offizielle Grenze anzuerkennen. Im Gegenzug solle der Westen sich zu Sicherheitsgarantien und einem schnellen EU-Beitritt der Ukraine verpflichten. Am Abend reist er weiter nach Rom. Freitag: Die letzte noch ukrainische Ecke von Luhansk (Lyman) wird mit Sturmangriffen überzogen, auch bei Pokrowsk läuft der Fleischwolf frei, die Luftangriffe auf Odessa werden ebenfalls fortgesetzt. Der Heilige Stuhl ist besorgt wegen der humanitären Lage im Kriegsgebiet. Die Dörfer Nowaja Soroschina und Pokrowskij in Kursk werden zurückerobert. Selenskyj erreicht Berlin, erreicht aber keine Langstreckenwaffenzusage des Kanzlers, stattdessen fordert eine Friedenskonferenz, mit Russland. Torezk ist zu mehr als 50% unter russischer Kontrolle.
In „Bielefeld“
steigen Student*innen ein,
die als nächstes eine Linguistikklausur bestehen müssen,
aus Richtung der Zugtoilette riecht es auffällig nach Gras,
der Zugführer weist zum x-ten Mal darauf hin,
sich doch bitte nicht im hinteren Zugbereich zu stapeln,
wenn vorne noch so viele Sitze frei sind.
Und ich habe ganz vergessen,
über meine neue Brille zu schreiben,
was ich bis Minden noch schaffen sollte,
wir haben aktuell gut zehn Minuten Verspätung.
Also:
Nach drei hochprofessionellen Untersuchungen
und einer erfolglosen Suche in Düsseldorf,
ist es dann doch bei Fielmann geblieben.
Immerhin:
Noch keine Retinopathie,
noch keine Makuladegeneration
und auch noch kein Glaukom in Sicht,
dafür die ersten Gleitsichtgläser,
ein Blaulichtfilter
und ein Gestell,
das allen Trends gegenüber erhaben ist,
bei sehr gutem Lichteinfall
irgendwo zwischen rot und aubergine,
ansonsten: schwarz.
Übrigens scheint
seit meiner Abfahrt in Iserlohn
die Sonne,
das erste Mal seit drei Tagen;
die Wolken aber
sind noch lange nicht verschwunden.
„Nun, das Verschwinden einer Ostidentität hat sich als falsche Erwartung herausgestellt, wir beobachten auch hier Verstetigung und so etwas wie eine nachholende Bewusstseinsbildung. Ostdeutsche Identität is alive and kicking, allerdings hat sie sich von den alten Anhaftungen gelöst und ist mit neuen Inhalten gefüllt worden (…).“
(Steffen Mau: Ungleich vereint. 2024)
Kurz vor Hannover
steigen einige junge Paare ein,
allesamt in Trachtenmode,
an diesem Wochenende wird
ein letztes Mal öffentlich gesoffen,
bevor die mehrwöchige Pause
bis zu den Weihnachtsmärkten beginnt,
was freue ich mich schon auf’s Weltkulturerbe,
noch drei Stunden,
wir haben bereits eine Verspätung:
Im Westen war noch nie alles Gold.
Die erste ostspezifische Nachricht,
die ich auf dem Schwarzen Spiegel heute lese:
„Die Stadtvertretung
des 64.000 Einwohner*innen zählenden Neubrandenburg
hat am Mittwochabend beschlossen,
dass künftig keine Regenbogenfahne mehr
vor dem Bahnhofsgebäude gehisst werden darf.
Dem Antrag des für seine Homophobie berüchtigten
Ratsherrn Tim Großmüller
von der Wählervereinigung „Stabile Bürger für Neubrandenburg“
stimmten laut NDR die rechtsextreme AfD,
die stärkste Partei im Stadtparlament,
sowie Mitglieder des BSW
und der rechten Wählervereinigungen „Projekt NB“ und „Bürger für Neubrandenburg“ zu.
Keine 24 Stunden nach dieser Entscheidung
kündigte der offen schwule Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos)
auf Facebook seinen Rücktritt an.“
Es wächst weiter wieder zusammen,
was schon immer zusammengehört hat.
Was übrigens auch das TV-Duell
bei Welt-TV bewiesen haben soll,
das ich nicht gesehen habe,
das zwischen Alice Weidel und Sarah Wagenknecht,
für das es schon so viele „lustige“ Wortspiele im Internet gibt,
dass ich mir ein eigenes gerne erspare;
Bei der Anstalt, vor zwei Tagen,
wurden beide von Antonia von Romatowski gespielt,
die Unterschiede waren augenfällig marginal.
Aber genug jetzt mit Einheitsliteratur,
wir haben genug gemeinsame Probleme.
Zum Beispiel Volker Wissing (FDP-Verkehrsminister),
der jetzt für die Flugtaxilobby arbeitet.
Oder Kevin Kühnert (SPD-Generalsekretär aD),
der erst mal gar nicht mehr arbeitet.
Oder seinen Nachfolger, Matthias Miersch,
der bis jetzt so wenig gearbeitet hat,
dass die Tagesschau fragen muss,
wer er denn eigentlich wäre.
Oder den Öffentlichen Dienst,
der die Tarifrundensaison
mit der Forderung nach 8% mehr eröffnet,
und zwar flächendeckend.
Und damit auch Schluss mit Lokal-, Regional- oder National Politik,
die Staffelpausenunterbrechung ist eh schon viel zu lang geraten,
es bleibt nur noch wenig chronisch verstetigtes,
zum Beispiel Basketball:
Die WNBA-Finals laufen,
die Minnesota Lynx
ringen die New York Liberty
im ersten Spiel nieder,
Sabrina Ionescu braucht es spannend.
Und auch die NBA-Preseason hat begonnen,
zum Auftakt gab es gleich zwei Remachtes der vergangenen Finalspiele,
beide in Abu-Dhabi.
Bron und Bronny haben auch das erste Mal zusammen gespielt
und das erste Vater-Sohn-Duo der Ligageschichte
geht mit jeweils vier Turnovern im selben Spiel in eben diese ein.
Und auch die übernächste Sensation
spielt sich warm:
Cooper Flag startet für die Universität Duke.
Gut,
ein letzter kurzer Blick in den Nahen Osten,
jetzt wo der heimatliche keine Stunde mehr entfernt ist.
Gestern haben die IDF
u.a. eine UN-Einrichtung in Beirut bombardiert,
einige Blauhelme haben das nicht überlebt.
Und währenddessen beschwert sich Greta Thunberg
darüber, dass in Deutschland immer noch
Gewalt angewendet wird,
wenn es darum geht, pro-palästinensische Protestcamps zu räumen,
selbst das, das sie besuchen wollte,
vorgestern in Dortmund.
“Police said they would arrest me if I went there.
All this just because the students had invited me
to speak at their event,
and I had been to a protest in Berlin
the day before that police has stormed.
Germany is threatening and silencing activists
who speak out against
the genocide and occupation.”
Ihr könnt Euch vorstellen,
wie sehr der Mob im Netz schon wieder tobt,
Bellizisten unter sich.
Der Friedensnobelpreis geht dementsprechend gestern schon
an eine japanische Organistaion,
die sich gegen Atomwaffen engagiert,
und die folgendes zu Protokoll gibt:
„Gaza is like Japan 80 years ago“,
also noch vor der Bombe,
kurz vor dem Ende des Krieges;
vielleicht geht es ja nur so.
Sowas könnte man ja mal die KI fragen,
jetzt, da ihre „Erfinder“ (Hopfield und Hinton)
den Nobelpreis für Physik einheimst haben.
Der Preis für Literatur
ging übrigens auch in diesem Jahr
wieder nicht an Haruki Murakami,
Autor und Fans scheinen sich damit abgefunden zu haben;
es gibt inzwischen besseres.
„Herkunft sind die süß-bitteren Zufälle,
die uns hierhin, dorthin getragen haben.
Sie ist Zugehörigkeit,
zu der man nichts beigesteuert hat.“
(Saša Stanišić. 2019)
Und am Montag
wird dann auch noch endlich geklärt,
mit viel Einstimmigkeit
sich die Jury bei der Vergabe
des diesjährigen Deutschen Buchpreises einig ist.
Inzwischen ist es mit schon wieder egal,
Hauptsache niemand redet mehr
über Christian Kracht oder Uwe Tellkamp,
außer vielleicht Faschos mit Abitur,
also auch nur Arschlöcher.
Bella,
der Weg ist noch sehr lang.

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