Teil 1 – Far From Home
„ … along the countryroads I began to wonder how real the landscape truly was, and how much of a dream is a dream?“
(Don DeLillo: Americana. 1971.)
Hier nur eine
meiner jüngsten
Lieblingserinnerungen:
Als (und wie) der Grenzer
am Übergang zwischen Kanada und den USA
gesagt hat:
„Welcome back.“
Dieser Moment hatte zu viele surreale Ebenen,
um überhaupt erst damit anfangen zu können,
sie erklären zu wollen;
also zumindest mit meinem Kopf.
Sorry, not sorry.
Deswegen:
Endlich wieder in Montana!!
Heute,
am Ende der dritten
und am Anfang der vierten Woche,
habe ich den eigentlichen Ort des Bergfestes
bereits erreicht,
zur Fete geht es aber erst morgen…
Im Moment,
kurz nach Mittag,
ist es inzwischen auch im hohen Norden der USA (abgesehen von Alaska)
wie weiter südlich schon vor zwei Wochen:
90+°F, schwüle Hitze,
immer wieder kleine Schauer, wenig Wind.
Wahrscheinlich aber besser als ein ganzes Gewitter.
Denn so trocken wie auch hier alles ist,
könnte jeder Blitzeinschlag
der eine zu viel sein.
Die letzten Tage
habe ich den Blog
mal Blog sein lassen
und mich lieber ohne Chronikstress
meinem Traum hingegeben.
Um hier aber nichts auszulassen,
habe ich ein kleines Logbuch im Logbuch angelegt
(siehe weiter unten),
mein Speicher wäre sonst sicher geplatzt,
und vielleicht helfen die Notizen ja auch
bei irgendwelchen anderen Kunststückchen,
oder unterstreichen unnötigerweise
die Authentizität dieses Berichts.
Denn außerdem erwische ich mich
immer noch dabei,
wie ich mir die ganze Reise immer noch
nur vorstelle.
Als ob ich 24/7
in einem US-Film
rumlaufe/fahre/vermisse/schreibe/lebe/schlafe.
Ein Film übrigens,
der im Durchschnitt
an allen Drehorten
ungefähr ein paar Jahre nach dem Vietnamkrieg,
höchstens noch 1989,
stehengeblieben ist.
Nur die Karren sind ein bisschen aktueller,
und generell gibt es
viel mehr
von allem.
Aber die Lebensstruktur
erscheint mir wirklich genau so
wie ich sie mir in den frühen Neunzigern
schon vorgestellt habe.
Oder erliege ich da nur dem Vorurteil,
dass es hier wirklich, wirklich
genauso wie im Fernsehen ist?
Aber:
das ist es ja auch nicht.
Nach drei Wochen kann ich sagen,
bis auf zwei Autofahrer,
denen mein Fahrstil nicht gepasst haben muss,
sind alle,
fast ausnahmslos,
in den allermeisten Situationen
ziemlich
zurückhaltend
und lassen anderen gerne den Vortritt.
Das Image des ständig den Ton angeben wollenden Amis
ist hier verschwindend in der Minderheit.
Das trifft auch auf die zu,
die von weitem noch genau so aussehen,
was eine unglaubliche Wohltat ist,
und mir die Gelegenheit gibt,
das auch sein zu können,
ohne ein schlechtes Sozialgewissen haben zu müssen.
Die Rückkopplung der Fremde ist immer da,
übersteuert aber so gut wie nie.
Vom Pedal gehen
muss man hier nur ganz selten,
und wenn,
dann angenehm oft,
um rollen zu lassen
(mein Campvermieter
heißt übrigens „Cruise America“.
Also: Bitte sehr!).
Das Dröhnen der Rumble Stripes am Fahrbahnrand
hält alle in der Spur.
Anyway,
Ihr könnt Euch denken,
was es jedes Mal für ein Schock ist,
wenn ich bemerke:
Ach nee,
das ist ja gar kein Film,
das passiert ja wirklich.
Das sind übrigens auch genau die Momente,
in denen mich die Verunsicherung so derart überwältigt,
die Angst wieder so sehr da ist,
dass sie sich auch noch
die Nervenenden meiner Fingerspitzen
bemerkbar machen.
Wahrscheinlich würde das aber
den meisten so gehen.
Und bei einer anderen
sehr nachhaltigen Erinnerung
bin ich mir noch nicht ganz sicher,
ob sie mich für immer bis in den letzten Traum verfolgen wird,
oder ob sie mein endlich entdecktes ASMR ist:
The Sound of Heavy Cars on Loose Gravel
at Night.
Jetzt aber zum angekündigten Logbuch,
ich muss noch mal downtown heute Abend,
bisschen Platten durchstöbern,
bisschen Kino nochmal.
Gestern saß ich nämlich schon das erste Mal
vor einer US-Leinwand.
Der fünfte Teil der Reihe
kommt 42 Jahre nach dem ersten in die Kinos,
und bis jetzt sieht es nach einem Fast Flop aus.
Schlecht ist der Film aber nicht,
und Indiana Jones
kann immer noch
auf Dächern von fahrenden Güterwagons
die Peitsche schwingen.
Wie das?
Na ganz einfach:
Zeitreisen.
Das Genre
ist also offiziell
im Zeitalter der Archäologie angekommen.
Springen wir also zurück,
um vier Tage
und lauschen dem Echo der Erinnerung
aus den Bergen von Montana.
Donnerstag, 6. Juli:
– morgens, ich habe das erste Mal durchgeschlafen,
ist die Euphorie der ersten beiden Wochen irgendwie verflogen,
die Unsicherheit ist wieder da,
und das Heimweh
– mein heutiges Ziel ist Helena, Montana,
nur gute 100 Meilen entfernt, also ein Klacks
– ein Billboard heißt mich noch einmal willkommen:
„Get lost in Montana“
– die Landschaft bleibt atemberaubend,
zwischen den Städten und Dörfern
liegen gerne auch mal 30, 40 Meilen,
bis zum Horizont scheint es genauso weit
– Helena selbst ist nur innen halbwegs hübsch,
und das riesige Gewerbegebiet davor
löst ein erstes Mal echtes Unbehagen aus
– ich sehe auffällig viele Casinos und Spielhallen
– dann finde ich ein Steakrestaurant
und hake den nächsten Punkt auf der to do Liste ab:
Sirloin, medium
– draußen geht ein Wolkenbruch
mit erbsengroßen Hagelkörnern nieder
– auf dem Walmartparkplatz stehen zwar etliche Camper,
aber überall sind auch Schilder angebracht:
„No overnight parking“
– ich finde einen Shop meines Funknetzanbieters
und bin kurz darauf wieder online
– der Parkplatz für die Nacht
ist in der Nähe von downtown,
gegenüber des Courthouses,
um die Ecke das Jail,
die Straßen rauf ein Kino,
ebenfalls in einem ehemaligen Jail
– am Abend scheint wieder die Sonne,
locker 80°F
– eigentlich hatte ich geplant eine Rodeo Show zu besuchen,
aber ich habe mich im Datum geirrt
– stattdessen besuche ich ein Konzert zum Sonnenuntergang
und begreife, warum Montana
auch der „Big Sky State“ genannt wird:
„Montana, Montana,
Where the skies are always blue
M-O-N-T-A-N-A,
Montana, I love you.“
– ich schließe vorerst Frieden mit meinen zu hohen Erwartungen:
die Kapelle ist bemüht, das Publikum höflich,
irgendwie ist das alles sehr anrührend,
vor allem für die vielen älteren Menschen hier
– und ganz langsam begreife ich,
dass in den USA vieles herrscht,
aber ganz sicher keine Konformität,
keine*r sieht hier aus
wie die/der andere,
nicht einmal die Häuser…
Freitag, 7. Juli:
– 200 Meilen zum Glacier Nationalpark
durch endlose Schönheit
– dann noch viel mehr davon,
auf 12 Meilen Hike durch das Gebirge
(ich versuche gar nicht erst,
das in Worte zu fassen)
– abends finde ich den sichersten Platz
in Browning, Monatana (Blackfeet Reservation)
vor einer Schule,
es ist Freitag Abend,
der Lärm von zwei Großveranstaltungen
dröhnt über der Stadt (Mega Pow Wow + Fair (Rummel))
Samstag, 8. Juli:
– früh aus dem Zentrum von Native Land,
über Kanada,
auf die weiße Seite der Rockies.
– landschaftlich noch mehr mitten in den Bergen
– an der Grenze zurück in die USA dann
über eine Stunde gewartet,
hier wird jeder persönlich begrüßt
– der Unterschied zu den Ost-Rockies fällt sofort auf:
keine Natives, gar keine,
dafür Golfplätze zwischen den Anglerteichen
von Whitefish,
bei fönartigen 86°F
– hinter den Bergen im Osten stehen am Abend
typische Montana-Wolken:
Immer wunderschön
– Hinter den Baseball Feldern in Kalispell
heben Flugzeuge zu Rundflügen ab
– abends: Junior League Baseball,
Endspiel der Vorrunde:
Kalispell Lakers vs Tri County Cardinals
– Zwischenbemerkung:
Hier ist es überall
auffallend sauber,
der Grund: Bären,
können jegliche Reste meilenweit riechen
Sonntag, 9. Juli:
– Ashlyn Lake (…)
– abends Movie in Kalispell
Montag, 10. Juli:
– drei Stunden Fahrt
durch den etwas flacheren Teil der Rockies,
wo demzufolge die etwas größeren Seen liegen,
das Panaroma ist durchgehend zu schön,
um anzuhalten
– sehr ernst zu nehmendes, spätes Frühstück
im Oxford in Missoula, Montana
(dt.: Gefügel Hackschnitzel
unter derbster Schinken-Sahne Sauce
an Hash Browns (lose Kartoffelpuffer ohne Zwiebeln),
dazu zwei dünne Omelett und geröstetes Brioche.
Wasser gab’s ohne Worte dazu,
später Kaffee (na ja),
5 Spirelli Sterne.)
– am Nachmittag bin ich immer noch satt
– die Menschen auf den Campingplätzen
werden insgesamt etwas jünger
– Zum Feierabend heute:
Higgins Ave.
Plattenladen, Essen (wenn nötig),
Kino again: Ziggy Stardust (!)
„All of this could (have) happen(ed), more or less.“
(Kilgore Trout, zeitkontingenterweise)
Gut,
dann also noch kurz
und wieder mal
zurück in die Gegenwart,
und zum Realitätscheck:
Eine der wenigen
für selbstverständlich gehaltenen Erinnerungen,
die ich bis heute
nämlich noch absolut gar nicht gesammelt habe,
das sind die an echte Cowboys.
Alle anderen Stereotype
waren mehr oder weniger
(und niemals wirklich konform)
schon präsent,
die US Landbevölkerung
ist anscheinend nur
in jedem Landesteil
anders divers.
Überall sind weiße Christen,
überall bietet die Evangelikale Kirche
Jesus als Erlöser an.
Da was klar.
Aber je nach dem,
wo ich bis jetzt war,
ist sie jeweils nur eine Gruppe
von sehr vielen
und höchstens noch an Hotspots
(Countryclubs, Bankenviertel in Innenstädten, etc.)
in der Überzahl.
Dass man denen aber landesweit
mit Überfremdung Angst machen kann,
überrascht mich überhaupt nicht mehr.
Aber, ganz ehrlich,
Jungs,
also so richtige
auf Pferden,
die irgendwas
mit Kühen machen?
Absolute Fehlanzeige.
Wenn es hochkommt,
habe ich bis jetzt
nicht mal zehn Hüte gesehen.
Vielleicht halte ich mich deshalb auch so zurück,
meinem Vater auch mal ein Bild mehr zu schicken;
es würde sein Amerika
ganz einfach niemals bestätigen,
und ich möchte ihm ersparen,
denken zu müssen,
„das ist nicht (mein) Amerika“,
denn das wäre
ein sehr dummer Gedanke.
Ach, und ja,
im Wasser war ich hier immer noch nicht;
nur mit den Füßen.
Aber das kommt bald.
Der Pazifik ist nur noch
eine Woche entfernt
und schon kann ich mir
das rhythmische Echo der Ozeanbrandung
in Nordamerika fast nicht mehr nur vorstellen.
Es vibriert in jeder Wolke,
die von Westen kommt.
Oder wie man hier sagt:
Good Chances of Rain and Thunderstorms.

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