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Ein Tagebuch mit Geschmäckle (Spezialepisode)

von | 2023 | 14. November | Die Serie, Staffel 9a - Little Oblivions

 

So.
Ist es also soweit.
Der Ortschaftsrat
des bis vor kurzem noch
beschaulichen Vorharzdorfes Wienrode
hat dann ab bald eine Rätin,
die Mitglied in einem Verein ist,
der seit dem letzten Jahr
als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft ist,
sein Name: „Veda Eylsia“,
Teil der „Anastasia“-Siedlungsbewegung,
bekannt vor allem
durch richtig widerlichen Antisemitismus
und mindestens Protofaschismus.
Darüber wurde bekanntermaßen
noch einige Tage vor der Wahl
im Blankenburger Rathaus aufgeklärt.

Und genau das aber
kann die neue Rätin
nicht einfach so auf sich sitzenlassen,
und setzt deshalb
noch kurz vor ihrer Wahl
in ihrem „Tagebuch“ (öffentlich, weil Internet)
zur Opferrolle an.
Vieles darin ist altbekannt,
aber in seiner Überheblichkeit
einen erneuten Blick wert,
zumal es so nahe liegt,
also Wienrode.
Überschrieben ist der Zweiteiler
mit „Eine Veranstaltung mit Geschmäckle“
und dazu gespickt mit Fotos der Verräter,
also dem Referenten des Verfassungsschutzes
und einem mdr-Jornalisten,
besser die Leser*innen wissen,
wie die Feinde aussehen.
Zunächst beklagt sie sich
über die Sicherheitsmaßnahmen
und darüber, dass sie nicht mal ihr Parfüm
mit ins Rathaus nehmen durfte;
eine „Frechheit“!
Dabei suggeriert sie,
dass suggeriert worden wäre,
dass an gesichertem Rechtsextremismus
irgendwas gefährlich wäre,
und fragt rhetorisch,
wer das alles überhaupt wieder bezahlen muss.
Mit den Argumenten des Referenten
gibt sie sich nicht weiter ab,
denn ad hominem verstehen wenigstens alle:
Er hat eine undeutliche Aussprache,
benutzt zu viele Ähs und Ähms,
und verbreite nur Unterstellungen und Vermutungen.
Welche das sein sollen,
lässt sie ebenfalls unerwähnt.
Stattdessen erregt sie sich darüber,
dass man nichts mehr richtigstellen dürfe,
und ausreden dürfe man auch nicht.
Den ihr aufgezeigten Mitteln eines Rechtsstaates
zeigt sie auch die kalte Schulter,
schließlich sei man ärmer
als die meisten Kirchenmäuse,
für einen Rechtsstreit
könne man die ganzen Spenden nicht ausgeben,
zumal das ganze gekaufte Land
ja auch nicht billig gewesen sein dürfte.
Egal, was sie also versucht hat,
der Verfassungsschutz bleibt unbelehrbar
und hält sich an irgendwelchen „Fakten“ fest.
Empört ist sie auch darüber,
dass sie sich von Nazis distanzieren sollte,
wo komme man denn dahin,
man sei doch weltoffen und rede mit allen.
Und überhaupt,
diese „Distanzeritis“ sei doch sowieso
einer der schlimmsten „Krankheiten der Gesellschaft“,
für „Volkskörper“ war es wohl noch zu früh.
Dabei sei es ihr auch vor lauter Erinnerungen
an die DDR
die ganze Zeit schaurig über den Rücken gelaufen,
der „gesunde Menschenverstand“ fasse das alles nicht mehr.
Und trotzdem hat man der Lügenpresse
noch zwei „hörenswerte“ Kommentare gegeben,
herausgekommen sei aber wieder nur
ein „tendenziös diffamierender Beitrag“.

Den wirklichen „Skandal“ hebt sich die baldige Rätin
dann aber für den zweiten Teil auf,
es folgt faschistische,
demokratie- und ausländerfeindliche Feindmarkierung
in Reinkultur:
Verfassungsschutz
ist ja gleich
Innenministerium
ist gleich
Nancy Faeser
ist gleich
Linksradikale Antifa.
„Andersdenkende“
können in dieser Logik
ja nur noch Rechtsradikale sein.
Aber, aber!
Das eigentliche Problem
kommt endlich zur Sprache
und hat weder mit der Ortsschaftsratswahl etwas zu tun,
noch mit der Veranstaltung mit Geschmäckle.
Es heißt
(ich übersetze nur unwesentlich):
Ausländer!
Die ganze „Gemengelage“
sei doch an Absurdität nicht mehr zu übertreffen!
Denn, „wie paßt das zusammen,
daß auf der einen Seite
bewußt und/oder vorsätzlich (sic!)
Terror, Antisemitismus und Gewalt
ins Land geholt wird
und im Auftrag der gleichen Institution
auf der anderen Seite so ein Theater
um eine kleine Gruppe von 5 – fünf!!! –
Familien gemacht wird,
die sich erlauben,
ihre Heimat Deutschland zu lieben
(anstatt sie Scheiße zu finden,
wie so mancher vereidigte Volksvertreter),
die Kultur ihres Heimatlandes pflegen,
fleißig sind,
etwas aufbauen und schön machen
– und – entgegen aller Suggestionen
von Medien und Verfassungsschutzmitarbeitern –
es ehrlich und aufrichtig meinen,
mit dem, was sie tun.
Und! – trotz aller Repressalien, friedlich bleiben.“

Mehr Opferrolle geht also nicht mehr,
deswegen gibt es zum Abschluss ihres Tagebucheintrags
auch noch ein überbordendes Zitat,
aus keiner anderen Hetzpostille
denn aus „Tichys Einblick“,
das noch einmal klarstellen soll,
der Verfassungsschutz ist im Grunde
schlimmer als die Stasi.
Besonders seriös daran ist,
dass der Autor dieser Einschätzung
den total transparenten Namen „Gastautor“ trägt.
Aber die Rätin hat sich endlich ausgekotzt,
und in wessen Interesse das denn alles sei,
das überlässt sie
in bester Antisemit*innenweise
den Leser*innen ihres Tagebuchs.

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