Wer, wenn nicht ich?
Wann, wenn nicht heute?
Und wie schon sonst,
wenn nicht zu vorschnell.
Aber: Über welches Rock-Album
sollte ich denn schon schreiben,
wenn nicht,
verdammt noch mal,
über dieses?
Ich weiß, ich weiß:
Platten“kritiken“ klingen
doch immer nur
nach Reißbrett und Struktur,
nach verschmierten Bleiresten
aus dem Anspitzer,
und nach Gedanken,
so flüssig wie die Ruhr.
Ich verspreche deshalb,
daraus kein regelmäßiges Feature machen zu wollen
(no except due to popular demand).
Manchmal aber muss es einfach sein.
Zum Beispiel heute.
Vor allem heute.
Ich gebe zu,
dass ich mal eine Zeit lang davon geträumt habe,
mein Leben damit zu verbringen, Musik zu hören,
um dann darüber zu schreiben.
Aber dann kam mir die Weisheit dazwischen,
dass über Musik zu schreiben so wäre,
wie zu Architektur zu tanzen.
Ich erkannte schnell:
Das ist nicht nur eine Weisheit,
sondern schlicht die Wahrheit.
Und langweilig sind Platten“kritiken“
ja sowieso ganz schnell,
denn spätestens ab der zehnten
wiederholt sich zwangsweise das Vokabular.
Deswegen schreibe ich auch in erster Linie
nicht über die Musik,
sondern über die Texte.
Buckle up!
Here. We. (fuckin‘) Go.
Das heute erschienene, neunte Studioalbum
der Band, die den Rockolymp
seit zwanzig Jahren
mit Blut und Tränen vollrotzt,
ist, wie nie zuvor:
Alles auf einmal.
Heavy wie nichts.
Zerbrechlich wie alles.
Ein Konzeptalbum,
das vor Verzweiflung und Leidenschaft
nicht aufhört zu zittern.
Fünfzig Minuten Krieg
um die Liebe
in der Gegenwart.
Biffy Clyro,
das Zwillingsrhythmusgeschoss James und Ben Johnston
und ihr Texter, Komponist, Gitarrist
und Leadsänger, Simon Neil,
sind inzwischen auch alles:
Distortion Nobelpreisträger.
Schattenmeister des anspruchsvollen Stadionrocks,
so wie auch der Lagerfeuerromantik.
Zauberer des Magengrubensounds.
Immer zwischen tanzbar und untanzbar.
Immer Energie, und niemals Banalität.
Das Liebeskind von Queen und Nirvana;
und das nicht selten
innerhalb nur eines Songs.
Zählt man die B-Seiten-Alben
und die offiziellen Livemitschnitte zusammen,
blicken die drei Schotten
auf inzwischen fast 20 Platten zurück.
Ich habe jede davon gehört,
nicht wenige unzählige Male.
Ja, ich bin der,
der auf dem Konzert
hinter Euch stehen würde,
und (fast) jedes Lied
(fast) komplett mitsingen kann.
Der dabei sogar (fast) alle Töne trifft
und auch (fast) alles komplett mit-“tanzt“.
Deswegen erlaube ich mir,
zu Beginn dieser „Kritik“
zwei einfache Prämissen zu formulieren,
um dann endlich (nicht) schreiben zu können,
warum zur Hölle
diese Platte schon wieder
ein grandioses Meisterwerk ist.
Wie irgendwann schon einmal erwähnt,
singen die drei Schotten
fast ausschließlich
über die (Un)möglichkeit
der exklusiven Liebe
zwischen (zwei) Menschen,
dem eigentlich einzigen,
wirklichen Thema
jeder echten Rockmusik.
Von der ersten Hit-Single …
„I don‘t believe
there‘s love anymore,
it‘s all inside.
We always said it‘s forever
in this beautiful life.“
(57. 2001)
… über ihre bis heute größten Erfolge …
„I am the mountain,
I am the sea,
you can‘t take this
away from me.
Nothing lasts forever
except you and me,
you are my mountain,
you are my sea.“
(Mountains. 2008)
… und …
„When we collide
we come together,
if we‘re not
we‘ll always be apart.
I‘ll take a bruise,
I know you‘re worth it.
When you hit me,
hit me hard.“
(Many of Horrors. 2009)
… bis heute …
„We are individuals
looking for something meaningful.
But the world‘s full of holes.
The Myth of the Happily Ever After.“
(Witch‘s Cup. 2021.)
Wem da nicht das Herz blutet,
der atmet nur noch.
Zur zweiten Prämisse,
die eigentlich zwei Prämissen ist:
Nach weit über zehn Jahren
des Studiums der Texte von Simon Neil,
denke ich, folgendes sicher sagen zu können:
Zumindest in seinen Texten ist er tief anti-atheistisch,
aber eben auf diese angepisste Art.
Verzweifelt darüber,
dass sein Glauben keine Erlösung bringen wird,
Gott nicht verneinend,
aber auch nicht gerade selten verfluchend.
Jeder Song kann als Transzendierung
dieser Zerissenheit verstanden werden.
Das Gegenmotiv dazu ist die Ehe mit Francesca.
Die beiden sind auch noch Highschoolsweethearts.
Sie ist inzwischen langjährige Englischdozentin in Glasgow,
er der halbnackte Gitarrenvirtuose
mit der heiseren Werwolfstimme.
Und gemeinsam
mit den beiden rothaarigen Hooligansofties
singt er auf diesem letzten Geniestreich
jetzt,
also im Herbst 2021,
ihr wisst schon,
so was hier.
Und zwar
Song für Song,
von denen keiner
wie der andere klingt:
Seite A
„Everything‘s great,
it‘s all been a pleasure.
Nothing has changed.
Love couldn‘t be better.
I will ignore all the bodies
piled up at my door.“
(Dum Dum.)
„I am taking pleasure in the storm.
Brace yourself here‘s a slap across the jaw.
Can you find any hunger in your haunt?“
(A Hunger in your Haunt.)
„I need somebody to love.
I need somebody to care for
and it‘s you.
It‘s always been you,
and may all our denials come true.“
(Denier.)
„Listen to the sound
of the promises broken.
The silence comes around
cause you reap what you sow
and it hurts.“
(Seperate Missions.)
„Oh I just hope
when we go
that there is something deeper.
Only light in the sky
no rivers below.
I won‘t deceive at all.“
(Witch‘s Cup.)
„If we could talk about it
sing a song about it
throw our arms around it,
we could make a change.
Or we could shout about it
start a fight about it
spill some blood around it
and make the same mistakes.
We‘re the intimate ones.
They won‘t look past.
They will only look through
these infinite worlds
between me and you.“
(Holy Water.)
Seite B
„There‘s a mystery at large
and the story should be beautiful.
(but) We‘re errors
in the history of god.
We‘re just another species
to explore
in this symphony of god.
I know that it‘s horseshit
just something to applaud.“
(Errors in the history of god.)
„Realize we‘re in a new dimension
our lives dripping down a hole.
Sometimes I wonder about confession
Our lies are always gonna show.“
(Haru Urara.)
„Jump out to the unknown.
I‘ll catch you on the way down.
Hold tight
I won‘t let go.
We‘re on our way,
together into the unknown.“
(Unknown Male 01.)
„Please pick a side
or you don‘t belong.
The enemy‘s only a friend
done wrong.
You don‘t have to play,
but somebody‘s gotta win.“
(Existed.)
„Before the rhythm stops
before it ends
please give love to everyone.
Before you burn your words
please don‘t pretend
just love everyone.“
(Slurpy, Slurpy, Sleep, Sleep.)
Schwer zu verdauen, was?
Ich denke, das dürfte Absicht gewesen sein.
Den Mythos des ewigen Glücks
seziert man ja auch nicht so nebenbei.
Und, wie angekündigt,
werde ich jetzt ne Menge tun,
aber ganz bestimmt nicht im Ansatz versuchen,
auch noch über die Musik zu schreiben,
das werden schon andere machen.
Ich höre lieber noch mal von vorne,
mit einer Wärmflasche auf dem Bauch.
Herbst 2021.
Es ist wieder Zeit.
Also: Los!
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