Gegenwartsliteratur.
Live.
Nur im Internet.
Aus der Provinz.

# Startseite / Die Serie / Heartland (S9b:Ep4)

Lesen

Heartland (S9b:Ep4)

von | 2023 | 28. Juni | Die Serie, Staffel 9b - Blister

Wahrscheinlich
stammte nicht nur
Abraham Lincoln
aus diesem dann doch sehr wichtigen,
weil sehr alten,
Teil der USA,
sondern bestimmt auch noch
Mark Twain.
Jedenfalls ist ein ganzer
(seeehr großer) Wald
im Osten von Missouri
nach ihm benannt.
Und in dem saß ich gestern Abend,
als einziger (it’s funny because it’s true)
und erster ausländischer (funny, huh?)
Gast auf einem Campground,
der erst seit dem Frühjahr
inzwischen der Bäume steht.
Und der so fresh und progressive ist,
dass es schon kein Wi-Fi mehr gibt.
Dafür aber einen Pond,
ein mehr oder weniger
künstlich angelegter Teich,
an dem man angeln darf,
wie es auf Campingplätzen hier üblich ist.
Gerade füttert die Betreiberin
die Fische im trüben Wasser.

Das Jagen und Angeln
sind hier mit dem Herzen
des Landes verwachsen,
in jedem Walmart
gibt es mehr Ruten als Knarren.
Jap, ich bin immer noch
im Heartland.
Und ich bleib sogar noch
drei Nächte.
Das war aber nur deshalb
nicht so geplant,
insofern ich nur nicht auf dem Schirm hatte,
dass auch Missouri
noch zum Kerngebiet
der evangelikalen Mehrheit der USA gehört.
Ich dachte mit Verlassen Kentuckys
hätte ich das hinter mich gebracht.
Schade ist das
aber ganz und gar nicht.

Denn apropos Kentucky:
Bevor ich mich erneut
dem Erzählen übers herzerfrischende Rumfahren hingebe,
hier noch das Gedankenprotokoll
des Gespräches von gestern Abend,
you’re welcome:
Kurz nach 10 pm,
ich bin noch ins Schreiben vertieft,
räuspert sich jemand neben mir,
also vor der offenen Tür meines Campers
(es ist sehr schwül).
Mein Herz setzt genauso schnell aus
wie es wieder einsetzt:
City Police.
Mit Weste
und Handschellen,
und Knarre.
Alles.
In Kentucky.
Ausgerechnet.
Ich werde freundlich begrüßt,
ob ich denn hier parken würde.
Ich bejahe,
ich hätte kein Schild gesehen
und gehofft,
hier sicher stehen zu können,
in dieser Nacht
in Kentucky.
Und außerdem, you know,
„Walmartcampen“.
Ich verziehe die Mundwinkel
dabei ein wenig.
Er zieht hoch,
„Yeah, see, the thing is …“
Und er sagt, er wisse auch gerade nicht,
ob ich hier stehen dürfte,
aber er werde mal
beim Krankenhaus,
zu dem der Parkplatz gehört,
nachfragen,
mit seinem Walkie Talkie
am rechten Schlüsselbein.
Während er auf eine Antwort wartet,
fragt er mich, woher ich komme.
Und das tatsächlich erwartbare
passiert erneut:
Er kennt jemanden aus Deutschland.
Sein ehemaliger Judolehrer
(er selbst ist vielleicht so alt wie ich),
der Sohn eines Kriegsveteranen (World War 2),
war ursprünglich aus Brandenburg.
Oder wohnt jetzt hier in Brandenburg (,KY)?
So ganz kann ich nicht folgen.
Irgendwie sieht er gar nicht so aus,
aber trotzdem beginnt er
relativ schnell über sein Land zu sprechen,
während wir immer noch auf Antwort warten,
ob es okay ist,
wenn ich vorübergehend hierbleibe,
und inhaltlich wird schnell klar,
mit wem ich es zu tun habe:
Ehemaliger(!) Trumpwähler,
auch wenn er das an keiner Stelle benennt.
Er schimpft nicht auf die Demokraten da oben,
eher wirkt er
aufrichtig enttäuscht.
Ich höre zu,
stelle nur ab und zu vorsichtige Fragen
und versuche nicht an den falschen Stellen zu lachen,
was unfassbar schwer ist,
weil so vieles wie eine Parodie klingt,
über einen City Police Officer
in Kentucky.
Er hat drei Töchter
in allen Schulformen
(Elementary, Junior- und Senior).
Er trägt keinen Ring.
Er verdient 18$ die Stunde,
sein Departement besteht aus fünf Kollegen,
zuständig für ein County,
das von der Fläche her bestimmt so groß ist
wie der gesamte Harzkreis.
Er redet über seinen Job,
wie die Freundinnen seiner Töchter
ihn am Namensbatch erkennen,
was Polizeiarbeit für ihn bedeutet:
Anderen zu helfen.
Wenn er jemanden einsperrt,
der volltrunken auf der Straße rumgelaufen ist,
dann nicht, um dem zu schaden.
Ich verstehe.
Seine sonstige Klaviatur
kommt mir surreal bekannt vor:
2nd Amendement,
4th Amendement.
Patriotismus.
Die radikal linken Demokraten.
70 Millionen Amerikaner unter Waffen.
Alles Jäger.
Sein Vater hat ihn noch
mit dem Gewehr im Kofferraum,
zur Schule gebracht.
Er kann schießen seit er acht ist.
Er hat Berufsstolz,
sagt aber,
dieser wird in Washington nicht genug geachtet.
Und am schlimmsten;
da sind wir uns einig;
sind die Anwälte,
die die Polizisten
aus reiner Geldgier
quasi für alles verklagen würden.
Weswegen sie nichts mehr dürften.
Er dürfte nicht mal in meinen Camper rein,
ohne meine Einladung,
oder einen Durchsuchungsbefehl.
Dann geht es auch um Rassismus.
Zwei seiner besten Freunde,
die er von kleinauf kennt,
sind schwarz.
Die beiden größten Gemeinden des Countys
werden zur Hälfte von einem Schwarzen geführt,
zwei seiner Kollegen sind schwarz.
Es gehe bei der Migrationsfrage
nicht um die Rasse,
auch dass die amerikanische Polizei
strukturell rassistisch ist,
kann gar nicht sein.
Es geht darum,
warum und wozu
die Migranten in die Staaten kommen.
Sie dürften dann hier sofort wählen,
was die Demokraten natürlich als Lockmittel benutzen.
Und sie bringen zu viele schlechte Sachen mit.
Indirekt regt er sich sogar darüber auf,
dass sie den Schwarzmarkt kaputtmachen:
„Nobody around here
cooks Meth anymore.“
(By the way:
Alle Straßenarbeiter,
die ich bis heute hier gesehen habe,
und das waren einige,
die Straßen im Heartland sehen aus,
wie die im Oberharz vor zehn Jahren,
das waren alles ausschließlich keine weißen.)
Die eigentliche Bedrohung für das Land aber
sind die Großstädte,
er geht nicht ins Detail,
braucht er nicht,
uns ist beiden klar,
warum.
Er erkennt den Silberstreif dabei (aber nur vermutlich),
als er davon berichtet,
wie immer mehr Großstädter in die Gegend ziehen,
weil hier Land und Immobilien
ein Drittel von dem kosten würden,
was an den Küsten oder in Chicago verlangt wird,
das er übrigens als verloren betrachtet.
Er würde sich von denen niemals vorschreiben lassen,
sein Leben zu ändern
(ein guter Dad, Husband und Officer sein,
Jagen, sonntags in die Kirche gehen).
Er alleine habe dreißig Waffen zu Hause,
für die unterschiedlichen Seasons (Jagdsaisons).
Solle er die alle abgeben?
Wenn er dann
von einer unvermeidlichen Teilung des Landes spricht,
ohne dabei Civil War 2 direkt zu sagen,
sieht er aufrichtig besorgt aus,
und überhaupt nicht kampfeslustig.
Wenn es soweit kommen würde,
würde er seine Marke abgeben
(also keine Befehle mehr entgegen nehmen)
und seine Familie, sein Haus, sein Property
selber verteidigen,
bis zur Grundstücksgrenze
und nicht weiter.
Und wer würde das nicht?

Nach über einer Stunde,
er wird zurückgerufen,
reicht er mir die Hand,
wir freuen uns,
dass wir uns getroffen haben,
und er wünscht mir eine gute Reise.
Danach sitze ich eine weitere Stunde
fassungslos im Camper;
genau so hätte ich mir
so ein Gespräch gewünscht,
wäre ich so irre gewesen,
mir so etwas zu wünschen.

Früh am nächsten Morgen fahre ich weiter.
Gerade als mir im Programm des Autoradios,
am besten empfange ich immer noch
die lokalen Worshipsender,
auffällt, dass es ziemlich oft
nicht nur um heile Familien,
sondern auch um Singles geht,
die ihre Stärke
auch aus der Liebe zu Gott schöpfen können,
und als mir wieder einfällt,
dass der Police Officer wahrscheinlich geschieden ist,
beginnt eine baptistische Talkrunde,
in der es um ein Buch geht,
das der geladene Autor „Kingdom Single“ genannt hat.
In einem Nebengedankengang wünsche ich mir,
dass die AfD diese Zielgruppe
nicht als nächstes für sich entdeckt,
vor allem nicht in Ostdeutschland.

Um mich herum allerdings
sieht es zunehmend
ganz genau so aus,
nur eben alles mindestens drei Nummern größer
und in, sagen wir mal, 20 Jahren.
Maximal ausgedehnt liegen die Felder,
Mais und Soja,
zwischen den spärlichen,
aber noch sattgrünen Wäldern.
Ich habe den Ohio das erste Mal überquert
und rolle durch die südlichen Spitzen
von Indiana und Illinois.
In Vienna haben die Temperaturen
die 90°F bereits überschritten,
in Cairo steige ich kurz
aus dem aufgeheizten Camper
in die früh sengende Nachmittagssonne.
Downtown Cairo ist buchstäblich eine Geisterstadt.
Dort wo der Ohio in den Mississippi mündet,
haben noch zwei Diner geöffnet,
dutzende Geschäfte auf der Mainstreet
wirken wie seit Jahren verlassen.
So blühend die Landschaften auch sind,
so tot sind die Innenstädte.
Das Leben spielt sich nur noch
in den Geschäftsgebieten,
den Schulen
und zu Hause auf dem eigenen Acker ab.

Passend zu dieser Verwüstung
führt der Mississippi auffallend wenig Wasser.
Vor mir aber erhebt sich schon seit einiger Zeit
der nächste große Wald.
Missouri ist genauso grün
wie es Virginia und West Virginia waren,
und wieder fast ganz ohne Nadelbäume
(Pinien mischen sich darunter),
alle anderen sind dafür umso höher und gesünder;
der Sommer hat gerade erst begonnen.
Ich fahre zum ersten Mal
mehr als eine Stunde auf der Landstraße,
ohne nur eine nennenswerte Siedlung zu durchqueren.
Warum es die obercoolen Schulbusse gibt,
und warum in den Supermärkten
alles in so riesigen Packungen vorhanden ist,
leuchtet mir jetzt vollumfänglich ein.

Eine halbe Stunde bevor ich den Zeltplatz erreiche,
überfällt mich der Hunger,
seit dem Frühstück
habe ich nur den Trailmix aus der Mittelkonsole genascht.
Die nächste, nicht geschlossene Möglichkeit
ist ein McDonalds.
Dann eben ein Double Quarterpounder mit Käse,
so einen wollte ich seit Pulp Fiction
eh schon immer mal gegessen haben.
Hamburger beim McDonalds in Halberstadt
haben mit dem hier übrigens
absolut gar nichts zu tun,
für solche Dinger muss man zu Hause schon
beim Burgerspezialisten mindestens 15 Euro hinlegen.
Und, bei der Menge an Kühen,
die hier überall glücklich rumstehen,
kann ich mir auch
weniger Sorgen ums Tierwohl machen,
das Fleisch ist frisch.
Auf dem großen Bildschirm
laufen die Nachrichten von CBS:
Reisechaos in New York,
Severe Weather lässt tausende in New York am Boden bleiben.
Dann: News Alert!
Ganz in der Nähe sind zwei Kinder entführt wurden;
das teilt mir sogar mein Handy per Pushnachricht mit.
Herzlich willkommen
im Solarplexus der Republik.

Inzwischen ist die Sonne untergegangen,
im Pond quakt ein Singlefrosch,
und in den Camper
hat sich eine ziemlich große Stubenfliege verirrt.
Ich lese dann mal noch Mark Twain,
bis mir die Augen zufallen
und lausche dem Springbrunnen,
der wasserknappheitsbewussterweise
erst nach Sonnenuntergang
den Teich durchlüftet.
Mein Herz schlägt gleichmäßig
und in den Eichen
rauscht der Nachtwind …

 

„ … while the kingdoms and empires
of fourthousand years
have risen to life,
enjoyed their little season of pride and pomp,
and then vanished
and been forgotten.“

(Mark Twain: The Innocents Abroad. 1869)

 

 

So langsam denke ich zu realisieren,
was ich hier eigentlich wirklich mache.
Und ich denke,
ich habe das hoffentlich letzte Level Kitsch
meiner Erzählung vorerst erreicht:
Ich habe mich
in ein Einhorn verwandelt.
So werde ich jedenfalls an jeder Rezeption angeschaut.
Aber nur kurz.
Ich stelle mir vor,
wie sich aus dem Data Trail,
den ich hier hinterlasse,
ein Rumor erwächst,
das mich bald von hinten einholen wird,
um mir dann
als Ruf in den Westen
vorauszueilen…
– I promised you Kitsch.

Am Ende der Woche aber
wird es wieder ernst.
Nach drei Nächten in den Ozarks,
begebe ich mich wirklich in ein Gebiet,
mit dem mich eigentlich nur eins verbindet,
und über das ich sonst sehr wenig weiß:
Die US Independent Folk Rock Szene
(aka Mid Western Emo+)
der letzten dreißig Jahre.
Allerdings muss dieses blutende Herz
noch bis nächste Woche warten,
um sich erneut die Narben aufzukratzen.

Aber noch, sage ich,
natürlich noch,
nur für ein paar Augenblicke
bleibe ich hier.
Ich bin heute Vormittag
zwei Stunden lang
mit 50 Meilen pro Stunde
real life Rollercoaster gefahren.
Name der Strecke:
Durch den Wald!
Wenn ich das nicht lieben soll,
was dann? (edit: eine Menge)
Rainbow Road,
Yellow Brick Road,
ihr habt fertig,
mehr Spaß machen
kann Auto fahren gar nicht.
Das steile Auf und Ab,
die wirklich geneigten engen Kurven,
der gelegentliche Gegenverkehr.
Zum Juchzen!
Manchmal geht die Straße so steil bergab,
dass ich für einen Bruchteil einer Sekunde
sehr heftig daran erinnert werde,
wo sich mein Solar Plexus befindet.
Ich stelle mir vor,
was in den gelben Schulbussen los war,
als der Busfahrer
mit dem ersten Jahrgang
das erste mal
„zu schnell“ gefahren ist.

Ich befinde mich am vorläufig südlichsten Punkt meiner Route.
Die Anzahl der Roadkills,
die hier einfach niemand wegzuräumen scheint,
nimmt weiter zu,
es liegen Gürteltiere am Straßenrand.
Oder die Reste von Rehen.
Einen 4 bis 5 Ender habe ich auch schon gesehen.
Und schwarze Vögel, keine Geier,
die erstaunlich lange am Kadaver bleiben,
egal wie stark der Verkehr auf der Straße ist.
Die Luft brummt vor Hitze,
Feuchtigkeit und kleine(st)en Flügelschlägen.
Das muss dieses Sub Tropische sein;
und ich bin nicht mal wirklich im Süden,
wenn auch deutlich südlicher als im Vergleich zu Europa,
denn da wäre ich auf diesem Breitengrad
wahrscheinlich irgendwo
auf der Außengrenze (Mittelmeer).

Viel mehr Funknetz als dort
habe ich hier aber auch nicht,
das ist eher so die Liga Brandenburger Seenplatte.
Aber halt
tiiiief im Wald,
mittendrin in hundert Bergen.
Beim Frühstück
war das Funknetz
mal für 20 Minuten komplett weg.
Ich will noch nicht von Panik sprechen,
aber ich war kurz davor,
auf eine echte Karte gucken zu müssen.

Hier, auf dem nächsten Zeltplatz,
ist jetzt früher Nachmittag,
zu Hause beginnt der spätere Abend.
Ich sitze zwei Meilen entfernt
vom Hauptsee der Ozarks
und wische mir den Schweiß von der Stirn
Morgen und übermorgen sollen es
über 100°F werden,
bei konstant 95%+ Luftfeuchtigkeit.

An dieser Stelle eine kleine Eselsbrücke,
die ich ganz alleine gefunden habe:
28°C und 82°F
sind ungefähr dasselbe.
Zahlenspiele beruhigen mich,
wenn mein Herz
chronisch schneller schlägt.
Nach inzwischen drei verschiedenen Zeltplätzen
kann ich übrigens sagen,
dass hier offensichtlich nur eine Regel gilt:
Ruhe.
Und alles darüber hinaus,
ist from the heart.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert