„This time it’s on my own.
Minutes from somewhere else.
Somewhere I made a wish
with lucky Denver Mint.“
(Jimmy Eat World. 1998)
Happy 4th of July!
Nein, USA,
Euch meine ich nicht,
das müsst Ihr schon selber feiern.
Ich meine mich.
Denn zufälligerweise
werden wir den Unabhängigkeitstag
ab heute
jedes Jahr gemeinsam feiern,
und ich dann nächstes Jahr
zum aller ersten Mal.
Denn das eigentliche Kernziel
dieser Reise
habe ich heute erreicht:
Ich binwirklich in Montana angekommen.
Noch genauer
in Paradise Valley.
Und zwar ganz von alleine.
Kein Erbe.
Kein Stipendium.
Kein Highperformer Gehalt.
Keine Mission.
Keine Karriere.
Reiner Wille.
Wer bis jetzt mitgelesen hat,
weiß, dass ich ab Nebraska
tatsächlich nicht mehr jederzeit erreichbar war.
Was seit dem geschehen ist,
folgt gleich,
setzt Euch schonmal hin.
Aber erst noch ein letzter Satz zu Nebraska:
Über das Verhältnis
zwischen diesem traumhaft schönen,
weil fast leeren Bundestaat
und meinem Funkanbieter
gibt es
bitterböse Memes
im Internet.
Einige.
Was ich schnell festgestellt habe:
Das Kontakthalten war aufgrund der Zeitverschiebung
auch vorher schon irgendwie reichlich verzerrt.
Momentan ist es nur ortsgebunden möglich
(da wo es Wi-Fi gibt),
und somit also meist nur zu Unzeiten.
Das führt schnell zu einer noch größeren Distanz,
die es noch mehr Kraft kostet zu überwinden.
Aber mit einer Handvoll Menschen gelingt es,
wofür ich unwahrscheinlich dankbar bin,
denn nach zwei Wochen
ausschließlich unter Fremden,
ist mein Heimweh nicht kleiner geworden.
Von wegen Unabhängigkeit 😉
Mein ganz eigener Film
(ich nenne meine Produktionsfirma
„Independent MF“),
der sich von dem in den Köpfen
aller zu Hause
maximal unterscheiden muss,
lief in den letzten 36 Stunden
jedenfalls so ab
(jetzt bitte anschnallen):
Die Route:
500 Meilen
von Walmart
zu Walmart.
Kaum verlasse ich Nebraska,
sind die Straßen sofort deutlich besser,
hier wird also wieder mehr gefahren.
In South Dakota
wird es auch schnell wieder hügeliger,
auf den endlosen Weiden stehen vereinzelt auch Bison.
Meinen ersten amerikanischen French Toast
bestelle ich in Hot Springs,
am Fuße der Black Hills,
im Wandering Bison Coffee.
Überall wird man hier nach seinem Namen gefragt,
damit der dann vom Tresen aus gerufen werden kann,
wenn die Bestellung fertig ist.
Die Kellnerin hier
spricht als erste meinen Namen perfekt deutsch aus,
fragt aber zunächst,
ob ich aus Spanien oder Italien komme.
Dann wird klar: Sie hat natürlich in Frankfurt studiert.
Nachdem ich auf dem Weg hierher,
ich will ja eigentlich nach Wyoming,
etliche Billboards gesehen habe,
die für den Mt. Rushmore
und Umgebung die Fahne hochhalten,
schaue ich nach,
wie weit das Nationalmonument entfernt ist:
Eine gute Autostunde.
Was soll’s,
Independence Day ist ja erst morgen,
da wird heute noch nicht so viel los sein.
Aber: Brückentag.
Keystone, das Basislager vor dem Aufstieg
zum ersten Weltwunder für patriotische Steinmetze
ist ein Alptraum für Tourismusfreunde wie mich.
Alles ist zugebaut mit Spiel, Spaß und Schokolade,
noch am schrägsten Hang stehen Hotels und Lodges.
Dann fällt mir auf:
Hier ist anscheinend auch noch im Winter die Hölle los,
an einigen Hängen entdecke ich Skilifte.
Stellt Euch also Ischgl vor,
im Sommer,
in den USA.
Aber: Endlich gibt es Postkarten!
Der Verkäufer bestätigt meinen Verdacht endgültig:
„You know what?
There is no money in postcards.“
Ich fahre weiter Richtung Westen,
durch den Custer State Park,
wo die Rangerin mich freundlich durchwinkt,
nein, wenn ich nirgends anhalte,
dann keine 20 Dollar.
Wieder sehe ich Buffalos,
die wie in Zeitlupe
die Weiden
nach den grünsten Halmen durchgrasen.
In Custer City ist ordentlich was los!
Hier sieht es aber auch noch so aus
wie im Film.
Im Calamity Jane
(eine lokale Revolverheldin, Ende 19. Jh.)
gibt es Kakao, Wi-Fi
und freundliche Leute.
Dann steige ich das letzte Mal in den Camper,
ohne nicht irgendwo die Rocky Mountains zu sehen:
Gegen drei Uhr überquere ich den Pass der Bighorn Mountains
und sehe am Ende des Basin
(der Ossi spricht es Basseng aus)
riesige Gipfel in den Wolken verschwinden.
Je näher ich komme,
desto mehr Silhouetten von Bergzügen
sind zu erkennen.
Zwischen die einzelnen Schichten
schieben sich tiefe dunkle Wolken.
Ich werde wohl erneut mit Regen empfangen.
Als ich den ersten kleinen Gletscher sehe,
klappt mir tatsächlich der Kiefer runter.
Und bleibt da für einige Momente.
Den Berg hinunter lasse ich nur rollen,
am liebsten würde ich noch langsamer fahren.
Dann sehe ich rechts etwas,
dass ich seit dem Heartland nicht mehr gesehen habe:
Einen Autofriedhof,
der sich so sehr in die Hügel eingepasst hat,
dass es geradezu schön aussieht.
Das sage ich auch den beiden Männern,
die mich plötzlich von hinten,
aus ihrem Auto heraus fragen,
was ich denn hier mache.
Ihr Argwohn (und mein Schiss)
sind schnell verflogen.
Der jüngere fragt sich,
wie man Trash schön finden kann,
der andere lacht,
als ich ihm von meiner bisherigen Reise erzähle.
Ich fahre weiter hinein ins Becken,
durch Weiden, auf denen das erste Mal auch Schafe stehen.
Der Highway US-16 wird auf Billboards
als „most scenic way to Yellowstone“ angepriesen.
Aber auch cinematic wäre eine
komplette Untertreibung.
Auf meiner Fahrt durch die Bighorn Mountains
habe ich vermeintlich alles schon mal kurz sehen können,
was mich vor mir
in unbeschreiblichem Ausmaß erwartet:
Eine Elchkuh,
unglaublichste Felsformationen,
ein wilder Fluss,
ein paar Schneegipfel weiter weg.
Aber mich umgaben dichte Wolken,
ein Gewitter,
Blitze,
aber noch kein Regen.
Der dichte Tannenwald
jagt mir zusätzliche Ehrfurcht ein.
Die super lange Abfahrt nach Tensleep
ist umso spannender,
da die Tanknadel beängstigend nahe des E(mpty) steht.
Am Stadtausgang dann
ein letzter Schreckmoment
am Straßenrand:
Polizei.
Am I speeding already?
Ringsum stehen jetzt Berge,
die ich nicht wirklich sehen kann,
und hinter mir
beginnt es endlich und heftig zu regen.
Und da die Sonne vor mir untergeht,
habe ich Regenbögen im Rückspiegel.
Am Walmart
(kurz vor dem Buffalo Bill Damm)
stehe ich dann endlich drin im Gewitter,
es schüttet Katzen und Hunde bis spät in die Nacht.
Feuerwerk gibt es trotzdem,
happy 4th of July.
Und nein,
ich habe mir natürlich
keine Parade angesehen.
Außerdem standen schon am Vorabend
sämtlichste Straßenränder mit Campingstühlen voll.
Hinter dem Damm
erwarten mich am Morgen
immer noch tief hängende Wolken,
bei guten 2000 Metern Höhe aber auch relativ.
Auf den flacheren Hängen
verteilen sich Zeltplätze, Viehweiden und Ranches.
Ich fahre den Shoshone River hinauf,
überall sind Straßenarbeiten,
der Buffalo State Park tut was er kann,
als letzter Park vorm Yellowstone
ist man genauso viel befahren.
Im Shoshone National Forest
gibt es dann nur noch Wildnis:
wunderschön zerklüftete Felsen
auf denen sich die ersten Sonnenflecken zeigen,
es hört kurz auf zu regnen,
dann beginnt es wieder.
Die Berge rücken immer näher an die Straße,
werden dabei immer nur noch höher,
oben blitzt Schnee durch die Wolken,
ich fahre allein,
würde so gern alles teilen,
muss weiter,
weine.
Ich weiß jetzt schon:
Ich werde nie wieder
durch einen Wald laufen oder fahren,
ohne hieran zu denken.
Das berühmte Holzschild
am Eingang des Yellowstone
ist völlig zugestellt mit Selfiemacher*innen,
ich halte nicht an.
Der Ranger kontrolliert kurz meine Pässe:
„All set!“
Hinter jeder Kurve ist es noch atemberaubender,
kleine Wasserfälle sprudeln neben die Straße,
die Wolken reißen endgültig auf.
So oft anhalten,
um festzuhalten,
kann ich gar nicht.
Überall dichte oder abgebrannte Fichtenwälder,
die bereits nachwachsen.
So.
Vor lauter schriftstellerischer Unabhängigkeit
überspringe ich jetzt einfach mal die Datumsgrenze,
was ist schon Zeit?
(In Wirklichkeit war ich gestern einfach nur viel zu müde.)
Welcher Tag ist heute?
Wie spät ist es?,
und für wen?
Wo bin ich?
Wo war ich?
Wo werde ich sein?
Meine own private crossroads
sehen jetzt in diesem Moment so aus:
Ich sitze im Campingstuhl
am Yellowstone River,
immer noch in Paradise Valley, Montana.
Nach zwei Wochen im Land
liest sich das gar nicht mehr so unglaubwürdig.
Der Fluss fließt in Millionen kleinen Wogen,
ist hier vielleicht 75 Meter breit
und strahlt eine ungemeine Kraft und Ruhe aus.
Eben war ich kurz mit den Füßen drin.
Dafür, dass er gerade aus 3.000 Meter Höhe kommt,
ist er ungewöhnlich warm.
Die Strömung ist offensichtlich enorm,
nach nur wenigen Metern
ist der Fluss schon viele Meter tief;
rüber schwimmen könnte eine schlechte Idee sein.
Auf der anderen Seite
werden gerade Schlauchboote an Land gezogen,
in einem davon war ein Hund,
der sich jetzt glücklich im Staub wälzt.
Was für eine Unabhängigkeit Wasser doch hat.
Man muss schon eine Menge aufbringen,
um es wirklich, wirklich festzuhalten.
Behaltet diese Metapher ruhig mal im Hinterkopf,
denn im zweiten Teil der Episode
könnte sie noch weitere Erleuchtung bringen.
Also,
wo war ich?
Am Yellowstone Lake,
oben im Park,
gute 70 Meilen
vom Campingstuhl entfernt.
Der See ist riesig und tiefdunkelblau.
Neben mir frühstückt eine Familie,
ein Rabe bettelt um Brot.
Nicht weit entfernt steigt Dampf
in kleinen Wolken
vom Ufer auf.
Ja, Schwefelgeruch
liegt ich der Luft
wie schweres Parfum.
Jetzt, wo ich ihn in der Nase habe,
werde ich ihn bis spät in die Nacht nicht los.
Auf meiner ersten Runde durch den Park
überquere ich als nächstes eine Brücke,
die über eine dicht mit Schilf bewachsene Fläche gebaut ist,
vielleicht zehn Acre (ungefähr Fußballfelder) groß ist.
Enten und Gänse gründeln vor sich hin,
auf einer freien Fläche landen Schwäne.
Nein, Pelikane.
Wieder halte ich an,
um Bilder mitzunehmen,
wie ich es heute und morgen
noch so viele Male machen werde.
An zwei Stops bin ich schon gefragt worden,
was mein Camper so kostet.
Die Männer schienen mit meiner Antwort einverstanden.
Hinter der nächsten Kurve
dann wieder dichter Wald bin an den Straßenrand.
Nach einer halben Stunde
stockt der Verkehr.
Auf der linken Seite blinkt es rot-blau.
Ich fahre an einem schweren Unfall vorbei,
bei dem aber scheinbar niemand schwerer verletzt wurde.
Das Auto steht völlig zerbeult in den Bäumen.
Der Fahrer hat seine Ellbogen auf den Kofferraum gestützt
und starrt ins Leere.
Erleichtert fahre ich vorbei.
Die Straßenmarkierungen
sind in diesem Teil des Parks
eher so freihand aufgebracht,
und ich bin schon wieder völlig fasziniert.
Nach zwei Stunden Rundfahrt
erreiche ich das Herz des Waldes:
Die Geysire (Vorsicht! Heißes Wasser!).
Die gibt es zwar auch an anderen Stellen,
aber nirgends so dicht gedrängt und hochaufschießend wie hier,
am Old Faithful.
Deswegen gibt es hier auch ein ganzes kleines Highwaysystem,
mit Überführungen und mehreren Spuren.
Und obwohl (oder gerade weil)
überall im Land gerade die Paraden abgehalten werden,
wimmelt es nur so von Menschen.
Ich höre innerhalb kürzester Zeit
mindestens zehn verschiedene mir bekannte Sprachen
und dutzende andere.
Ich sehe alle Arten von Hautfärbungen,
nur nicht eine schwarze.
Die Stores sind gut gefüllt,
die Mitbringsel nicht alle kitschig.
Alleine der Fußweg durch diesen Teil des Parks,
würde man sich alle Geysire
und Pools (dampfende Wasserbecken in schillernden Farben)
anschauen wollen,
würde mindestens zwei Stunden dauern.
Eltern motivieren ihre Kinder weiterzugehen,
ältere Ehepaare sitzen auf den Bänken,
Fotografen ergötzen sich ein einem Bison,
das wie hingestellt aussieht,
sich beim Grasen aber nicht stören lässt.
Da mich mehrere Leute von zu Hause aus gefragt haben,
wie es dem Morning Glory Pool geht,
wähle ich diesen unter den vielen aus,
um ihn näher zu untersuchen.
Ein Schild erzählt die bekannte Geschichte,
wie jemand irgendeinen Unrat hineingeworfen hatte,
woraufhin er seine Regenbogenfarben
gegen hässliches Braun tauschte.
Es sind Fotografien von den Säuberungsarbeiten ausgestellt, die aufwendig und teuer waren.
An der tiefsten sichtbaren Stelle des Pools
schimmert es wieder strahlend türkis.
Bei meiner Jagd nach Postkarten
werde ich im großen General Store natürlich schnell fündig,
obwohl die Auswahl mehr als überschaubar ist.
Ich muss mich tief hinhocken,
um die schönsten Motive zu finden.
Beim Aufstehen
wird mir plötzlich brutal schwindelig.
Hungerast?
Oder Nachwehen der Überwältigung?
Niedriger Blutdruck?
Dünne Höhenluft?
Ich richte mich an mir selbst auf
und gehe zum Camper,
Wasser trinken,
viel Wasser.
Mein nächster Hike
führt mich aus der Sonne,
weg von den Massen,
wieder hin zum Wasser.
Zum Abschluss meines ersten Tages im Park
bin ich zwei Stunden (there and back)
durch eng stehende
junge Fichten und Tannen unterwegs.
Gerade habe ich den größten Pool des Yellowstone passiert,
selbst die Dampfwolken über der Oberfläche leuchten türkis.
Zwischen den Bäumen sind einige Leute unterwegs,
Väter tragen ihre schlafenden Kinder durch den Schatten,
größere Kinder versuchen nicht zu laut zu sein.
Der männliche Teil eines Paares
trägt Antibärenspray am Gürtel
und martialische Tattoos auf den Waden.
Die Fairy Falls fallen aus einer Höhe
von sicherlich fünfzig Metern vor mir zur Erde.
Die Kaskaden sind dünn und filigran,
ein dünner Schleier aus einem uralten Märchen.
Auf dem Rückweg kommen mir Quäker entgegen,
deren Kinder mir
ob ihres Dress- und Frisurencodes
tatsächlich kurz leid tun,
was für altbackene Farben und Schnitte.
Die Mädchen
tragen wirklich „Wings“ (weiße Kopfhauben).
Den Parkplatz bei den nächsten Wasserfällen
lasse ich aus,
mein Durst ist für heute gestillt,
die Fahrt ins Valley wird noch einmal lang.
Und am Abend sitze ich
am Fluss, zwischen den Bergen,
und kann mein Glück so langsam fassen.
Gleichzeitig wäre in Cody,
der Welthauptstadt des Rodeos
(inzwischen 24 Stunden zurück),
auch genau das zu bestaunen gewesen.
Und ich hätte meinem Vater
davon berichten können.
Aber hier, in Paradise Valley,
habe ich
noch nicht einen einzigen Cowboy gesehen.
Vielleicht ja morgen,
oder in den nächsten Tagen,
wie gesagt, Montana war und ist der Kern dieser Reise,
weswegen ich noch einige Gelegenheiten dazu werde.
Der Zeltplatz ist auch jetzt noch,
kurz vor Sonnenuntergang,
lebhafter als alle anderen bisher.
Der Grund sind Kinder.
Bis heute war ich auf Zeltplätzen umgeben von Rentnern
und Veteranen,
die sich immer noch vom Irak erholen,
oder von Afghanistan.
Feuerwerk ist in Paradise Valley
heute übrigens verboten,
es gilt Waldbrandstufe 1.000.
Aber die Massen des Yellowstone
ermutigen nach Sonnenuntergang
dann doch noch einige patriotische Pyromaniker*innen.
The Land of the free.
Gerade eben (switching to now)
geht ein Angler vorbei,
den Fluss runter.
Ohne umständliches „Hi, how you doin’?“
sagt er:
„I like your office.
I don’t know if I’ve seen a better one.“
ich kann nur lachen:
„Yeah, me too!“
Hinter mir hackt jemand Holz
für das Feuer am heutigen Abend,
an dem die Feuerwerke endlich schweigen.
Zurück im Yellowstone
verfahre ich mich zunächst,
ich war mir meiner Sache zu sicher,
oder die Schilder waren zu uneindeutig.
Also besuche ich zunächst
die zweite Herzkammer des Parks,
die Upper and Lower Falls.
Bald hundert Meter tief
stürzt das glasklare Wasser
und vernebelt den Canyon.
Für Regenbögen steht die Sonne
schon oder noch zu hoch.
Die Schaulustigen hält das nicht ab,
jeder will sich sein eigenes Bild machen.
Der Canyon ist genauso überwältigend
wie ich ihn mir vorgestellt hatte.
Goldene Sandsteinklippen
fallen fast gerade zum Fluss hin ab,
der weiß schäumend ins Tal stürzt.
Es ist unmöglich sich daran satt zu sehen,
also fahre ich bald weiter.
Weiter an dampfenden Bergen,
von denen ich vermute,
dass hier die weißen Wolken entspringen,
um sich am Nachmittag an den Gipfeln versammeln,
um die Sonne kurz auf fluffige Kissen zu betten,
bevor sie ihre Reise um die Welt wieder endlos fortsetzt.
Auf meiner Abfahrt ins Tal halte ich noch dutzende Male an,
das Panorama auf der Nordostseite
liegt im schönsten Sommersonnenschein,
leichter Wind, der immer noch Schwefelgeruch birgt,
lässt mich ihre zerstörerische Kraft für Momente vergessen,
meine Blicke verlieren sich in der Weite des Gebirges.
An einem letzten Wasserfall
will ich mich wehmütig vom Park verabschieden.
Die Undine Falls
sind die verführerischsten Wassermassen,
die ich jemals gesehen habe:
Über drei Stufen,
in der Mitte am vollsten,
flüstert die gute Fee des Yellowstone mir zu:
Du wusstest,
dass du mich niemals vergessen wirst.
Ich nicke schweigend,
stehe auf und gehe,
drehe mich noch einmal um,
und noch einmal
und noch einmal.
Ich wusste es.
Ich wollte es.
Der Abschied fällt mir leicht.
Am Tag nach dem 4th of July, gegen halb sieben abends,
werden jetzt auch in Paradise Valley
die Grills wieder angeschmissen.
Und ich habe die Wahl:
Vielleicht doch noch Rodeo?
Weiter ganz einsam am Fluss sitzen?
Auf dem kleinen Basketballplatz nachschauen,
ob jemand spielt?
Auf Netflix das zweite Staffelfinale von „Sweet Tooth“ schauen,
in dem die hybride Rasselbande
es auch endlich in den Yellowstone schafft?
Um mich schneit es Pusteblumensamen.
Ich wünsche mir was.
Dann entscheide ich mich.
Wofür?
Das bleibt ganz bei mir.
Endnote und Schlussakkord:
Während des Schreibens gestern
hatte ich übrigens den Soundtrack
zu „Legends of the Fall“ (James Horner) laufen,
Breitbandversion.
Wem das nicht zu viel Kitsch gewesen wäre,
bei denen entschuldige ich mich,
Euch diesen Tipp
nicht gleich zu Beginn gegeben zu haben.
Für heute aber galt:
Die Geräuschkulisse in meinem outdoor „Office“
(übrigens ohne Schreibtisch,
ich schreibe auf den verschränkten Beinen)
ist einzig und allein
das Rauschen
des Yellowstone River.
„The river to the ocean goes.
A fortune for the undertow.
None of this is going my way.
There is nothing left to throw
of ginger, lemon, indigo,
coriander stem and rose of hay.
Strength and courage overrides
the privileged and weary eyes
of river poet search naïveté.
Pick up here and chase the ride.
The river empties to the tide.
All of this is coming your way.“
(R.E.M.: Find the River. 1992)

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