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It‘s reigning men! (S5:Ep2)

von | 2021 | 18. April | Die Serie, Staffel 5 - How does it feel?

„Don‘t call it a comeback,
I been here for years.
I‘m rockin‘ my peers,
puttin‘ suckers at fear.“

(LL Cool J: Mama said knock you out. 1990.)

Der Abgesang erhebt sich
bereits stumm
auf allen Kanälen.

Na ja, auf fast allen.
Denn in den unzähligen
rechten Bubbles der Republik
ist gerade nur noch von
„Merkels Griff nach der Macht“ die Rede.
Die „Bundesnotbremse“
ist für zu viele wieder mal
das neue „Ermächtigungsgesetz“.
Und wieder mal,
dieses Mal aber wirklich,
der endgültige Beweis
für die Errichtung
der nächsten deutschen Diktatur.
Ohne mit der Wimper zu zucken
wird Angela Merkel dort momentan
in eine Reihe
mit Hitler und Honecker gestellt.
Die Realität einiger Leute
bleibt wirklich ein absurder Albtraum.
Sorry, aber da zähl ich lieber
weiter Schafe zum Einschlafen.

Oder Inzidenzzahlen.
Ja, es ist mal wieder Zeit
für den neuesten Stand
und den nächsten Sonntag
mit Kerze im Fenster.
Fassen wir uns kurz:
Nach 14 Monaten zählt die Pandemie
mehr als 3.000.000 Opfer weltweit.
Die täglich gemeldeten Neuinfektionen
bewegen sich auf 1.000.000 zu,
mehr als jemals zuvor.
Seit November werden jeden einzelnen Tag
mehr als 10.000 Tote gezählt.
Besonders schwer betroffen
sind momentan
Brasilien
(seit über 3 Wochen
täglich mehr als 3.000 Opfer),
der Iran
(die aktuelle vierte Welle ist jetzt schon
doppelt so groß wie die dritte)
und Indien,
wo gerade richtig
das Licht ausgeht.

Angesichts dieser Zahlen
bin ich beinahe versucht,
denjenigen Recht zu geben,
die behaupten, dass es doch
hierzulande ganz gut laufe.
Sogar im Vergleich mit den wenigen Ländern,
die momentan wirklich durch sind
(Israel, Portugal und der UK),
ist die Bilanz noch ok,
und außerdem konnte „die Wirtschaft“
fast störungsfrei weiterlaufen.

In den USA hat man auch
schon wieder reichlich große Fresse,
sogar die Late Night Hosts
werden wieder unsympathisch.
Die Impfrekorde werden herausgekehrt
und der Fokus kann sich wieder
auf die globale Vormachtstellung richten;
schnell vergessen die Zeiten,
als selbst die Demokraten erkennen mussten,
dass große Teile eher
einem „Dritte Welt Land“ ähneln.
Aber zu denen später mehr.

Warum es hier so „gut“ läuft?
Gegenfrage:
Wie viele der schwer getroffenen Länder
haben eine Frau als Topentscheider?
Genau, mir fällt auch keins ein.

Aber es fühlt sich auch erträglich an,
weil es den meisten eigentlich
doch scheißegal geworden ist.
Ja, die Masken werden getragen,
zum Impfen kann man sich auch durchringen,
Abstandhalten hat ja auch was für sich,
und der nächste Urlaub
wird dann eben umso üppiger.
Nur noch 200 bis 250 Opfer am Tag
sind lange nicht mehr so schlimm
wie die 1.000 nach Weihnachten.
Wird schon irgendwie werden.
Weitermachen.

Ein Beispiel:
Die Inzidenz in Halle an der Saale
liegt seit Wochen über 200.
Die Intensivbetten sind seit Mitte der Woche voll.
Aber einige Gymnasialdirektoren
bestellen ihre Schüler trotzdem:
Immerhin im Wechselunterricht.
In den Oberstufen guckt man nicht so genau hin,
auf Abiturienten ist schließlich Verlass.
Die danken diesen Vertrauensvorschuss
mit regelmäßigen Hauspartys.

Und überhaupt!
Es kann ja wohl nicht sein,
dass immer nur dieses Gesundheitsding
im Vordergrund steht.
Liberale Werte
geraten ja völlig in Vergessenheit.
Vermieterrechte nämlich!
Das Bundesverfassungsgericht
hat sich in dieser Woche
den seltenen Vorwurf
der Klassenjustiz redlich verdient,
als es den Berliner Mietendeckel
für verfassungswidrig erklärte
und den hauptstädtischen Wohnungsmarkt
den Heuschrecken zum Fraß vorgeworfen hat.
Und die dürfen sogar an die Vorräte,
denn das ganze gilt auch noch
über ein Jahr rückwirkend.
In Charlottenburg wird langsam der Sekt knapp.
Die Mieter steigen dagegen
wieder auf Rohrperle um,
in Berlin bekanntlich
ein besonderes Vergnügen.
Lediglich die Hoffnung bleibt,
dass eine Begründung ist,
dass der Deckel nicht bundesweit gilt;
das Thema kommt also sicher wieder,
und dann hoffentlich grundgesetzlich.

Aber auch diese soziale Ungerechtigkeit
kann sich nur kurz
bis auf die Titelblätter drängeln,
das einzig wirklich wichtige Thema
bis zum Herbst
ist ab dieser Woche:
Wahlkampf, Wahlkampf
und immer wieder Wahlkampf.
Und zwar auf allen Ebenen.

Sämtliche Teilnehmer
haben die Baracken verlassen,
jetzt geht es Runde um Runde,
fünf Monate lang
auf das Ende zu.
Das Ende der „Ära Mutti“
lässt dabei keinen kalt,
und die Weichenstellungen
sorgen für ohrenbetäubendes Quietschen,
egal an welcher Stelle der Gleise man steht.

Das Teilnehmerfeld ist bunt
und offen wie nie.
Besonders die Alphamännchen
sehen ihre Stunde gekommen,
und davon gibt es, wie immer,
viel zu viele.

Beginnen wir Ort,
denn, wie so oft,
zeigt sich das Große
im Kleineren und Kleinsten.
Bis zur hiesigen Landtagswahl
sind es keine drei Monate mehr,
also wird mehrere Gänge hochgeschaltet,
denn die Umfragen zeigen das gleiche Bild
wie bei der letzten Wahl.
Was auch heißt,
dass die AfD in Sachsen-Anhalt
immer noch
bei über 20% liegt,
weshalb Hans-Thomas Tillschneider
sicher schon begonnen hat,
die Strategien und Reden
für den nächsten Landtag vorzubereiten,
die Partner in spe sind schon ganz aufgeregt.
Da kommt also eine Menge
streng riechender,
brauner Soße auf uns zu.
Denn als („ehemaliger“) „Flügel“-Wadenbeißer
wird er zu den lauteren Verstärkern
des frisch beschlossenen
Parteiprogramms gehören,
dem eigentlich nur noch die Forderung
nach der Inhaftierung von politischen Feinden fehlt,
um als 100% nationalsozialistisch durchzugehen.
Mehr als vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden,
geht halt nicht.
Und ist der Ruf erst ruiniert,
dann putscht es sich ganz ungeniert.
Die Antifa drückt heimlich die Daumen,
dass es bei der CDU nicht doch noch
zum Bruch mit der Bundeslinie kommt,
und wir noch vor der Bundestagswahl einen
schwarz-blauen Landtag erleben.

Dagegen fast noch gesittet
wirkt die erste Offensive der CDU
gegen Die Grünen hier im Harzkreis.
Als Reaktion auf die Kritik der letzteren
an den Modellprojekten in nicht wenigen Städten,
wird der Koalitionspartner
öffentlich als „Gilft (sic!) für den Harz“ bezeichnet.
Was ziemlich unlogisch
und deswegen äußerst billig ist.
Als ich das letzte Mal geschaut habe,
war der Harz in großen Teilen
noch Naturschutzgebiet,
eher so die Kernkompetenz der Grünen.
Und mit Tourismus verdient man hier
auch gutes Geld,
was dann eher so die Kernkompetenz der CDU ist.
Eine enge Zusammenarbeit
drängt sich hier doch mehr als auf.
Welches Ziel dieses Manöver verfolgt hat,
oder ob das nur ein unbedachter Schnellschuss
der hiesigen Vorreiter in Öffnungsfragen war,
das werden wir noch früh genug erfahren,
immerhin ist der entsprechende FB-Post
seit gestern wieder gelöscht.
Also fast,
denn die Volksstimme sekundiert
in ihrer Wochenendausgabe,
mitsamt Screenshot
und Verteidigung
des verantwortlichen Landrats.
Wie gestört dieser Wahlkampf bereits ist,
kann man auch daran erkennen,
dass hier gerade im Internet kommentiert wird,
wie eine Zeitung darüber berichtet hat,
was im Internet veröffentlicht wurde.

Um also den Schlachten
in den nächsten Wochen und Monaten
nicht zu viel Platz einräumen zu müssen,
müssen die Frontlinien heute
etwas raumfordernder abgelaufen werden.
Sorry, not sorry.
Denn im Grunde
sind die Optionen auf dem Tisch,
mehr als ein paar Kreuze
können die meisten von uns
eh nicht mehr beisteuern.

Und alle fragen sich natürlich:
Quo vadis CDU?
Mutti geht,
weißer Mann kommt.
Und nicht nur einer.
Die Angst vor einer Kampfabstimmung
macht sich breit,
die Partei steht vor der nächsten Zerreißprobe.
Zwei Silberrücken streiten um die Kandidatur,
wie nur sie es können:
Skrupellos der eine,
hinterhältig der andere,
aber eigentlich beide beides.
Auf den hinteren Reihen
lachen sich die Hyänen schlapp:
Hans-Georg Maaßen kandidiert in Thüringen,
Friedrich Merz im Sauerland.
Der Bundes-Schulterschluss
mit der AfD ist vorbereitet.
Ein Scheitern der eigenen Partei,
also Grün-Rot-Rot,
wegen eines zu schwachen Kandidaten,
wird hier schon heimlich als Chance abgefeiert,
bereitet es doch den Weg
für Schwarz-Blau in vier Jahren,
während denen man sich in der Opposition
sicher sehr schnell und sehr gut verstehen würde.

Wenn sogar Der Spiegel bei dieser Demontage hilft
(„Frau Baer, zerstört Söder die CDU?“)
und selbst Politico im Rückblick entdeckt,
dass der richtige Markus Söder
opportuner Machtmensch durch und durch ist,
bleibt nur noch die Frage,
ob dieser schlau genug sein wird,
früh Freundschaft mit den Grünen zu schließen.
Was dann zur Folge hätte,
was eh alle schon seit Jahren voraussagen,
und nur die rechtsoffene Flanke der CDU
verhindern will:
Schwarz-Grün im Bund.

Das bedeutet konkret und allem Anschein nach:
Vizekanzlerin Anna-Lena Baerbock.
Es seie denn,
das ist eine ganz raffiniert geplante Strategie
vom Philosophenkandidaten
mit dem grauen Dreitagebart.
Morgen sollen wir Bescheid wissen.

Hinter den Frontlinien rollt der Scholz-Zug zuverlässig,
nur die Weichen sollten mal geölt werden.
Noch gibt sich die SPD besonnen,
was auch bloß wieder wie ein Fehler aussieht.
Die Forderungen nach Privilegien für Geimpfte
machen da sowohl beliebt als unbeliebt.

Die Linken haben derweil viele Probleme,
das größte allerdings bleibt Sahra Wagenknecht.
Mit Fischerstiefeln bis über die Knie
steht sie am rechten Ufer
und hofft ein paar Verlorene zurückholen zu können.
Was noch nie geklappt hat,
denn die wählen nun mal lieber das Original.
Funkstörungen also auf allen Seiten.

Zum Wahlprogramm der FDP
gibt es auch nichts wichtiges zu sagen,
Neoliberale kennen eben nur eine Richtung.
Der Parteichef allerdings faselt davon,
den Leuten den Pilotensessel zurückzugeben.
Als ob „die Leute“ jemals drin gesessen hätten.
Überraschend allerdings ist,
dass sich hinter dieser Sternstunde
der hohlen Wahlversprechen
die abgegriffene Parole
„Take back control“ versteckt.
Hat ja aber beim Brexit auch funktioniert,
und lässt darüber hinaus
auch noch die Tür zum,
Dexit offen,
wie von der AfD bestellt.

Es soll ja Menschen geben,
die Anna-Lena Baerbock diesen Kampf zutrauen.
Für ihre Gegner allerdings
werden höchstens noch die Genfer Konventionen
als Spielregeln anerkannt.

Die Menge an Kriegsrhetorik in dieser Episode
kommt nicht von ungefähr,
so ist das eben,
wenn die Männer wieder
denken am Drücker zu sein.
Wir brauchen den Gegenwind,
ansonsten wissen wir nicht,
wo genau der Feind steht.

Wo das allerdings wieder überdeutlich
und hegemonial zu Tage tritt,
nämlich in den USA,
da zeigt sich an zwei Beispielen
zwei mal mehr,
worin das Problem besteht.

Als in Minneapolis
kurz nach dem Jahrestag
der Ermordung von George Floyd
erneut ein unbewaffneter Schwarzer erschossen wurde,
dauerte es keine drei Tage, bis die Anklage erhoben war;
geschossen hatte dieses Mal
eine Polizistin.

Kyle Rittenhouse hingegen freut sich
hinter Gittern über reichlich Spenden.
Der blasse Highschoolnazi,
der im letzten Jahr
zwei schwarze Demonstranten
auf offener Straße erschossen hatte,
um den Einzelhandel
durch Waffenunterstützung zu beschützen,
wird von mehreren Polizisten und Beamten
finanziell unterstützt
und schaut den Gerichtsreportern stolz in die Kamera.
Breivik hat sicher schon
einen Brief aus Norwegen geschrieben,
Kameraden bis in den Tod,
Männer mit einer Mission.

Und weil richtige Männerthemen
also wieder up and coming sind,
spitzen auch die alten, weißen Redakteure
bei Welt, FAZ, Bild und Konsorten
die Federn und tauschen Tinte gegen Blut.
Es riecht förmlich schon nach Explosionen,
nach Mündungsfeuer
und Antiseptikum.
Also nach Geschichte.
Bei der man wieder mitmacht,
und nicht im Kanzleramt die Pazifistin gibt.
Und schließlich brauchen die Redakteure
nach Trump und Corona
auch noch was zu tun.

Am besten was,
über das täglich berichtet werden muss,
nicht so was langwieriges
wie der Klimawandel.
Und etwas,
das den Leuten irgendwie vertraut ist,
was einfaches,
das alle verstehen,
wo nur noch der Frontverlauf
bestimmt werden muss.
Und das geht momentan so:

US-Präsident Joe Biden
beendet zunächst den Natoeinsatz in Afghanistan,
und zwar historisch genau zum 11. September 2021.
20 Jahre Krieg sollen dann Geschichte sein.
Da werden also allerlei Kapazitäten frei.
Als nächstes verkündet Nato-Generalsekretär
Jens Stoltenberg:
Die Nato steht an der Seite der Ukraine,
und die US-Truppen in Deutschland
werden überraschend aufgestockt.
Gut, wenn Russland ein Militärlager
an der Grenze zum Donbass baut,
wo bereits hunderttausende
russische Pässe verteilt wurden,
und dazu noch 15 Kriegsschiffe
ins Schwarze Meer schickt,
was soll die Nato denn sonst machen?
Sanktionen wurden natürlich verhängt,
auf die mit Ausweisungen
von Diplomaten aus Russland
reagiert wurde,
noch ist also nichts passiert.
Säbelrasseln kann sich hinziehen.

Aber ja,
der lang erwartete Endkampf
um die Ukraine nimmt Gestalt an.
Und als wäre das nicht gruselig genug,
schraubt der Iran auch noch hemmungslos
das Uran hoch.
Dazwischen sitzen dann
auch noch Erdogan und EU-Ratspräsident Michel,
für die Kommissionspräsidentin
darf es immerhin die Couch sein.
Bei den Oberkommandos
liegen die Generalstabskarten
schon ordnungsgemäß auf dem Tisch.
Endlich wieder Männerabend.

„I know the boys
wanna grow
their dicks
and fix
and fire things.
Drown in the river!“

(Pearl Jam: Dance of the Clairvoyants. 2020.)

Von einem Mann aber,
der von seiner Befehlsgewalt
eher selten Gebrauch gemacht hat,
hat die Welt in der letzten Woche
Abschied genommen:
Der Ehemann der Regentin des Commonwealth,
Prince Philip, Duke of Edinburgh,
wurde gestern zu Grabe getragen.
Die Queen wartet nun
ohne ihren Rückhalt auf das Ende,
und ihr Nachfolger wird wieder ein Mann.
69 Jahre trägt sie jetzt schon die Krone,
das sind bereits zwei mehr
als bei Rekordhalterin Victoria
und 24 mehr als es die erste Elisabeth getan hat.
In den Top Five der Langzeitthronhocker
finden sich somit mehr Frauen als Männer.
Welche wirkliche Rolle das spielt,
bleibt ebenfalls abzuwarten.
In absehbarer Zeit heißt es dann
für das Inselreich:
Boris und William.
Was das wohl für Unterhaltungen werden?

Zum Abschied der ersten Frau
im deutschen Chefsessel allerdings
wird es im laufenden Jahr
noch einiges zu schreiben geben.
Wirklich warten werden aber alle
auf die erste autorisierte Biographie,
die mit Sicherheit
das erfolgreichste Buch des 21. Jahrhunderts wird,
weil alle wissen wollen,
was sie wirklich gedacht hat.
Über Macht,
über Politik,
über Krieg
und über deren Verursacher.

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