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„Nie wieder ist jetzt.“ (S9a:Ep14) (Teil 1)

von | 2023 | 11. November | Die Serie, Staffel 9a - Little Oblivions

 

„This is not a parable.
This is a terrible,
this is a terrible thing.
Yes, I will rhyme that after,
after all I’ve done today.“

(R.E.M.: It happened today. 2010)

 

 

Teil 1 – Gestern war heute noch morgen

 

*ernst klingendes Räuspern*

So.
Ne?
Sind wir also
schon wieder
im Jetzt angekommen.
Im Jetzt,
das es nie wieder geben sollte.
Oder habe ich da was falsch verstanden?
Denn schließlich sind wir doch
in einem Jetzt,
das es noch nie gegeben hat
(so wie all die anderen Jetzte
davor und danach auch).

Und deswejen
spring ich
jetze einfach so ma kurz
stilistisch
zu den ersten Jetzten
von #DieDoppeltenZwanziger zurück,
in eine vergangene Jejenwart,
als die #Fiebertexte noch
noch keine Absätze brauchten,
weil allet noch
so überschaubar erschien.
Willkommen also zurück
in der Gleichzeitichkeit,
im Taumel durch die Weltlage,
der Zeitgeist immer
eine Überleitung voraus;
nie wieder Jetzt!

Über Bayern
stehen magentafarbene Polarlichter
und die Tagesschau
hat den Klimaliveticker
wieder im Header,
„Migration“ hat kurz mal Pause.
Denn, wenig überraschend,
war 2023
das wärmste Jahr
der letzten 125.000 Jahre.
In Neu-Delhi
sind die Grundschulen
seit einer Woche geschlossen
(Smog).
Und auf Island
herrscht der Notstand:
Mega Vulkanalarm!
Alarm ist auch an den Schulen:
In Hamburg
rückt die Polizei
zu einem Großeinsatz aus.
Erstmal nur Spielzeugwaffen,
Fehlalarm.
Dann aber:
Offenburg.
Ein 15jähriger erschießt einen Mitschüler
an einer Förderschule.
Womit wir auch schon
bei den Faschos sind.
Denn die mögen Förderschulen
ja gerne,
auch wenn nur,
weil sie Inklusion nicht so mögen.
Oder eben Kindergärten,
die „Anne Frank“ heißen.
Dagegen gibt es in Tangerhütte
gerade mächtig Widerstand!1!11
Den gab es aber auch
von der Gegenseite:
Landesverfassung kommt!
Die AfD-Sachsen-Anhalt
gilt ab sofort als gesichert rechtsextremistisch.
Das kann man auch daran erkennen,
dass Robert Farle
noch einige Tage vorher ausgetreten ist;
einen Nazi laden nicht mehr so viele Demoanmelder ein,
da kommen dann immer so viele Bullen…
Polizisten müssen auch in Blankenburg
die Lager auseinander halten:
Der Verfassungsschutz legt noch einmal nach
und lädt zur Bürgersprechstunde (Thema: Gemeindewahl in Wienrode),
was natürlich direkt
Rabbatz und Propaganda zugeführt wird,
viele kommen gar nicht ins Rathaus,
weil die Völkischen
schon zu viele Plätze besetzt haben.
Ansonsten ist rechts ja aber inzwischen normal,
nur wenn Antisemitismus dabei ist,
dann wird halt noch geschimpft.

Und gemahnt.
Und erinnert.
Und gewarnt.
In Berlin, wie immer,
besonders ernsthaft:
Bundestagspräsidentin
und Innenministerin
sprechen am Neunten November das offensichtliche aus:
„Nie wieder ist jetzt.“
Und können nur hoffen,
dass das niemand falsch versteht,
denn das sollten doch immer alle
niemals vergessen.
Der Kanzler steht in der Berliner Synagoge
und stellt fest:
„Der Antisemitismus
vergiftet unsere Gesellschaft.“
Derweil wird den Juden
im Internet inzwischen
jegliche Schuld unterstellt:
Kapitalismus?
Die Juden!
Kommunismus?
Die Juden?
Kulturkrieg?
Die Juden!
Krieg im Nahen Osten?
Die Juden!
Die andere Seite der digitalen Volksfront
hält mit plakativem Anti-Antisemitismus dagegen.
Ändern tut das,
wie immer:
Nichts.
Fluch und Segen der Heimatfront.

Die Truppen der IDF
sind inzwischen in Gaza-Stadt,
der Streifen ist in Nord und Süd geteilt,
Israel ist auf dem Höhepunkt der Kämpfe,
sagt Benjamin Netanyahu,
so wie auch,
dass der Krieg den Winter überdauern wird.
Im Libanon hat die Hisbollah
auch weiterhin „alle Optionen auf dem Tisch“.
Im Westjordanland
zerstören israelische Siedler
palästinensische Brunnen und Häuser.
Unter weiter wachsendem internationalen Druck
plant Israel kleine,
stundenweise
taktisch/humanitäre Pausen,
kündigt aber zeitgleich an,
dass bald die Sicherheit
im Gazastreifen garantiert werden müsse,
wozu Israel bereit wäre.
Dagegen aber
sind die USA,
warum nur,
warum?
Die IDF ist derweil
im Zentrum von Gaza-Stadt angekommen.
20 von 36 Krankenhäusern
sind dabei kaputt geschossen worden,
berichtet die WHO.
Das Internet ist sich nicht sicher,
ob es Netanyahu mit Churchill
oder mit Hitler vergleichen soll,
die israelische Luftwaffe
mit der der Alliierten,
oder die IDF
mit der SS.
Irgendwo dazwischen
wird dann sogar noch differenziert,
Jetzt ist,
„wenn der UN-Generalsekretär
den israelischen Terrorkrieg brandmarkt,
Belgien Sanktionen gegen Israel fordert,
Schlagstock-Präsident Macron
sich zu scharfem Tadel der Inhumanität
der israelischen Kriegführung genötigt sieht
und quasi alle britischen
und amerikanischen Großmedien
den Gazakrieg als ein Massaker charakterisieren,
während in Deutschland
die Hälfte der „radikalen Linken“
Unbehagen über den Vernichtungskrieg gegen Gaza
als regressiven Antisemitismus analysiert
und SPD und Grüne
Abschiebungen wegen mangelnder Loyalität zu Israel fordern.“
(Fabian Lehr, Facebook. 10.11.)
Und falls sich jemand gefragt haben sollte,
wo sich die Berliner Volksbühne positioniert hat,
der*die interpretiere doch bitte
deren Ausladung von Jeremy Corbyn.

Für jetzt
dann nur noch eine kurze Erinnerung:
Es ist immer noch möglich,
ganz gegen den Krieg zu sein.
Die junge welt titelt:
„Streik für den Frieden“.
Das schwarz-weiß Bild darunter
ist mit einer weiteren Parole unterschrieben:
„Wir führen Krieg gegen den Krieg“.
Die Topstory des Wochenendes
ist die über Hafenarbeiter
in Genua,
in Sydney,
in San Francisco
und Seattle,
an einigen der vielen Orte also,
an denen der Krieg beginnt,
dort wo Waffen auf die Reise geschickt werden.
Dazu das italienische Arbeiterkollektiv (CALP):
„Während in der Ukraine
seit fast zwei Jahren
ein Krieg zwischen Blöcken
kapitalistischer Länder tobt,
während der Staat Israel
die Palästinenser massakriert,
während ein Atomkrieg vor der Tür steht,
zeichnet sich der Hafen von Genua
weiterhin als Drehscheibe
der Kriegslogistik aus.“
Es könnte auch jetzt
alles so einfach sein …

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