„You are not the one
you say you are.“
(Lord Huron: The Stranger. 2012)
Nee, sorry, falsches Zitat…
„And this hidden truth, that the fountains whence all this river of Time, and its creatures, floweth, are intrinsically ideal and beautiful, draws us to the consideration of the nature and functions of the Poet, or the man of Beauty, to the means and materials he uses, and to the general aspect of the art in the present time.“
(Ralph Waldo Emerson: The Poet. 1844)
Djiesis!, das ist es auch nicht.
Ah, jetzt, das hier
sollte es werden;
sorry, not sorry:
„There is nothing more thrilling than the first days of a long journey on wheels into the slavering mouth of an incredible country. I shouted as I drove, exceeded speed limits, quoted poetry and folksongs.“
(Don DeLillo: Americana. 1971)
Gerade eben,
es ist viertel 8 am Abend,
über dem Walmart geht die Sonne unter,
habe ich das erste Mal
leicht panisch mein Handy gesucht.
Aber nur ein paar Sekunden lang.
Es lag friedlich in der Sonne,
auf dem Bordstein.
Daneben steht „mein“ RV,
Van, Motorhome, Camper
auf dem Parkplatz der Notaufnahme
am Ortsausgang von Hardinsburg,
mitten in Kentucky.
Heute bin ich seit einer Woche unterwegs,
und, toi, toi, toi,
das eben war der erste Patzer
(mal abgesehen
vom Lincoln Memorial Zwischenfall,
aber da hatte ich
außer meinem Gleichgewicht
ja noch nichts verloren).
Heute hätte ich das Teil
eh nicht mehr gebraucht;
das Wi-Fi vom Walmart reicht bis hier rüber
und zu Hause schlafen alle friedlich.
Viele Sorgen weniger.
Zu Hause
fühlt sich
in der Ferne
übrigens viel größer an.
Aber mit Relativitätstheorien
will ich hier nicht den Text versauen.
Nur so viel:
Zuhause
ist gerade mehr als Quedlinburg/Thale.
Zuhause ist gerade auch
der Harz,
Sachsen-Anhalt,
Leipzig,
Bremen,
Iserlohn.
Zuhause ist auch wieder Berlin.
Zuhause ist,
oh Schreck,
Deutschland.
Nein.
Zuhause ist nur da,
wo ihr seid,
alle, an die ich gerade
schmerzlich/herzlich denke;
wenn ich nicht dabei bin,
immer weiter und weiter
nach Westen zu fahren.
Heute habe ich damit
fast den ganzen Tag verbracht
(300 Meilen/500km).
Die Zwischenstopps waren kurz,
außer in Elizabethtown
(dazu gleich mehr),
und das Fahren
in dieser Umgebung
weiterhin ein Traum.
Die Wälder haben sich gelichtet,
die Berge und Hügel werden langsam flacher,
manchmal sieht es aus
wie im Oberharz,
nur komplett ohne Nadelbäume…
Ab Mittag waren es wieder 80°+ F
und ich bin jetzt
mit einer Klimaanlage befreundet.
Die Route für diese Woche ist vergleichsweise noch kurz:
Aus West Virginia kommend,
bin ich um Lexington, KY drumherum gerollt,
dann nach Elizabethtown
(einen kurzen Moment noch),
um schließlich hier,
auf besagtem Parkplatz,
kein Walmartcamping zu machen.
Morgen früh,
sehr wahrscheinlich mit dem Sonnenaufgang,
fahre ich weiter nach Owensboro,
überquere den Ohio River,
rolle durch Indiana
und Illinois,
über Vienna
nach Cairo,
wo der Ohio
in den Mississippi mündet.
Und weil das alles
schon viel zu schön klingt,
übernachte ich dann natürlich
im Mark Twain National Forest.
– Mit jedem Tag,
der sich so (oder so ähnlich) entwickelt,
wie ich es mir erhofft hatte
(nämlich ohne Zwischenfälle),
werde ich zuversichtlicher,
dass das bis zum Ende so weiter geht.
Die Angst sitzt mir trotzdem im Nacken,
dass irgendwas schiefgeht,
dass ich dem Leben doch nicht vertrauen kann,
dass ich auszog,
das Fürchten zu lernen,
nur um von ihm verschlungen zu werden.
Oder dass ich einfach nur
irgendwas total wichtiges verliere
und nicht wiederfinde
(Handy, Autoschlüssel, Portmonee).
Wäre nicht das erste Mal.
Über die anderen Ängste schreibe ich dann,
wenn es sich ergibt. –
Am Mittwoch geht es dann in die Ozarks.
Urlaub machen
vom Urlaubmachen.
Am See sitzen,
am See lang wandern,
vielleicht im See baden.
Und natürlich am See schreiben,
über Ruth Langmore
und darüber,
dass die besten Kunstfiguren
immer Trotzköpfe sind.
Bevor ich in Elizabethtown
riesige Kreise gefahren bin,
habe ich in Mt. Sterling gefrühstückt,
im Camper,
um dann bei einem kurzen Spaziergang
durch die Stadt,
die Grundstruktur der meisten Städte bis jetzt
zu verstehen.
Alles ist um eine Mainstreet herum gebaut,
das berühmte Downtown,
also die erste Straße,
die irgendwelche Siedler angelegt hatten.
Die City Limits (Stadtgrenzen) allerdings
sind grundsätzlich sehr weitläufig,
großzügig besiedelt
und verteilen sich meist auf ein ganzes County
(so etwas wie Landkreise),
oder einen größeren Teil davon.
Und überall dazwischen
verteilen sich,
Kentucky,
riesige Pferdekoppeln.
Genau,
die mit den weißen Zäunen.
Ein ganzes System davon
ist Keeneland.
Alles sieht danach aus,
dass man hier mit seinen Pferden Urlaub machen kann,
damit die auch mal andere Pferde kennenlernen.
Mit Hotel und Ställen
und Rennstrecken.
War Thomas Shelby jemals in Kentucky?
Oder in Lawrenceburg?
Wo die Mainstreet
vor lauter Stars and Stripes
schon gar nicht mehr zu erkennen ist.
Warum der da gewesen sein könnte?
Na wegen dem Whiskey!
Obwohl, der würde, glaube ich,
mit Bourbon nicht so viel anfangen können.
Ich bin nämlich heute
auch ein Stück auf
dem „Kentucky Bourbon Trail“ gefahren.
Die Bilder von der „Wild Turkey“ Destillerie
sind zu Hause gut angekommen.
Inzwischen vermeide ich Interstates
nicht nur wegen des undurchsichtigen Mautsystems.
Die hügeligen Landstraßen
sind einfach zu hinreißend.
Im Autoradio läuft der erste Johnny Cash Song,
den ich hier höre:
Walk the Line.
Klar.
Ansonsten wird
aus dem Worship Power Rock der letzten Tage
langsam Worship Country.
Bissl herzlicher alles:
Es dürfen,
neben Jesus,
jetzt auch noch
andere Menschen geliebt werden.
Das Fahren wird selbstverständlicher:
Speed Limits sehe ich inzwischen kommen,
die Fahrspurenlogik habe ich durchstiegen,
die Billboards rauschen
nur noch im Augenwinkel vorbei,
ich fahre mit einer Hand.
Besonders in den Städten und Siedlungen fällt auf:
Das wirkliche Land der Autofahrer
ist nicht Deutschland.
Sondern das sind die USA.
Mit sehr großem Abstand.
Fußgänger sehe ich so gut wie nie.
Dafür gibt es ohne Ende Parkplätze.
Und, hier in Kentucky,
auffallend viele Orte,
die auf -burg enden.
Nur Quedlinburg ist mir noch nicht untergekommen.
Und ob ich morgen
über Brandenburg (30 Minuten von hier) fahre,
das weiß ich noch nicht.
Huch,
jetzt habe ich doch noch fast
Elizabethtown vergessen:
Alles, wie eben schon beschrieben,
nur etwas größer.
Einwohner hat die Stadt so viele wie Aschersleben.
Die verteilen sich aber überall,
nur nicht in der Innenstadt.
Denn die ist,
ohne Übertreibung,
so gut wie gestorben.
Downtown gibt es noch ein paar Cafés und Diner,
sämtliche Geschäfte aber sind entweder geschlossen
oder leer.
Das gesamte soziale Leben
spielt sich an den Ausfallstraßen ab,
meilenlangen Aneinanderreihungen von
Fast Food Läden,
Autohäusern,
Supermärkten,
Turnhallen,
Tankstellen.
Am Ende einer von diesen
esse ich meine ersten Chickenfinger und -wings,
mit Pommes, zwei Saucen, einer dicken Toastscheibe
und so viel süßer Brause
wie ich trinken kann.
Inzwischen habe ich die Namen
von bestimmt hundert verschiedenen Futter-Ketten gelesen,
es ist uferlos.
Und ja,
hier im Walmart gibt es Waffen.
Allerdings keine Sturmgewehre.
Die gibt es im Baumarkt/Gartencenter,
gleich neben dem Anglerbedarf.
Davon gibt es in Elizabethtown ungefähr 20
(bei einer Einwohnerzahl wie oben beschrieben).
Dafür gibt es in Elizabethtown
aber absolut nirgendwo
Postkarten.
Glaubt mir,
ich habe zwei Stunden gesucht
und mich durchgefragt.
Die letzte Rettung,
die Touri-Info,
ist bis auf weiteres geschlossen.
Nachmittags.
Im Sommer.
Hier in Hardinsburg,
Breckinridge County,
knapp 2.500 Einwohner,
also etwas mehr als Westerhausen,
herrscht die gleiche Situation:
Am Stadtausgang ist am Abend
Normalbetrieb.
Und ich ringe damit,
mit nicht zu früh ein Urteil
über die Menschen hier zu bilden,
so weit bin ich irgendwie noch nicht.
Vielleicht aber schon mal so viel:
Zumindest hier im Heartland
scheinen die Menschen nach der Devise
live and let live
zu leben.
Jede*r geht seinen Dingen nach,
mensch lässt sich in Ruhe
und ist freundlich zueinander.
Von dem ganzen anderen shallow Quatsch
habe ich bis jetzt noch nichts mitbekommen,
muss wohl erst in Kalifornien so sein…
Und:
Man sieht den Unterschied
zwischen Reich und nicht Reich
sehr deutlich.
Eine Mittelschicht
habe ich noch nicht gesehen.
Dafür eine Working Class,
aber die ist angesichts der Preise
(alles ist noch etwas teurer als in Deutschland)
eher das Gegenteil von Reich.
Aber dazu sehr bald etwas mehr,
denn gerade habe ich mich
über eine Stunde lang
mit einem Polizisten unterhalten…
Nach einer Woche
habe ich momentan
nur noch eine näherliegende Angst:
Von Mücken aufgefressen zu werden,
wenn ich morgen nach Missouri komme.
Sobald morgen der Walmart aufmacht,
werde ich aber auch diesbezüglich vorsorgen.
Zum Schluss für heute
eine kleine Szene
aus einem kleinen Winkel
von Rural America:
Ich sitze am Ess/Arbeitstisch im Camper
und schaue auf die Straße.
Neben mir liegt der National Examiner,
offensichtlich eine Promizeitung
für Veteranenfamilien.
Bunte Bilder,
mittellange Texte (Gesundheit, Stars und Troops)
im zweiten Teil ist jede zweite Seite Werbung.
Schlechtes Papier.
5.99$.
Was kostet die Bunte zu Hause?
Hinter mir probiert die Nachbarschaft
schonmal das Feuerwerk für nächste Woche aus.
Vor mir, an der Straße:
Drei in Neon gekleidete Ladies (Middle School)
laufen, die Hände in die Hüften gestemmt
und laut diskutierend,
auf dem Sidewalk entlang,
hinterdrein ein Junge (Pre School),
der mit dramatischen Stürzen auf den Rasen
um ihre Aufmerksamkeit buhlt.
Sie ignorieren ihn gerade genug,
um noch aufzupassen,
dass er nicht vor Übermut auf die Straße rennt,
auf der tonnenschwere Pickup Trucks vorbeirollen.
Er ist aus dem Gröbsten raus,
das Fürchten muss er selber lernen.

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