„And I know that you’re busy too
I know that you care
You got your finger on the pulse
You got your eyes everywhere“
(Bloc Party: Like Eating Glass. 2005.)
Nach zwanzig Minuten
habe ich mich gestern Abend,
wie viele andere auch,
dann doch mal ans Fenster begeben,
um zu schauen,
was denn da jetzt schon so lange
rumnervt.
Ein Helikopter, so viel war klar.
Aber warum so lange, und warum so tief?
War das grün, oder nicht?
Da, eindeutig grün: Polizei.
Da musste was passiert sein.
War ja dann auch:
Schüsse auf offener Straße, ein Toter.
Die Internetforen liefen
erwartungsgemäß schnell heiß,
alle waren in Alarmbereitschaft.
Das Knattern der Rotoren hielt weiterhin an.
Täter anscheinend auf der Flucht.
Am Polizeihelikopter konnte man deutlich
die Kamera erkennen:
Luftüberwachung.
Am nächsten Morgen:
Alles wie immer,
nur dass der Schütze
noch nicht gefasst war.
Schon irgendwie gruselig.
Aber (hier ein äußerst zynisches)
„Hey, was soll‘s?“,
momentan lauert ja eh
an jeder Türklinke
der Tod.
So normalisiert
hat sich der Ausnahmezustand schon,
dass konkrete Tragödien
ihren bedrohlichen Charakter einbüßen.
Erstaunlich (und ein bisschen
auch tröstlich) eigentlich.
Wäre so etwas vor 20 Jahren passiert,
wären alle tagelang komplett ausgeflippt,
auch ohne social media.
Aber heute ist es eben
eine Meldung
von vielen.
Sehr vielen.
Denn im Grunde herrscht
für mindestens die nächsten zwei Wochen
eine neue Terrorwarnstufe
(Neben der aktuellsten Pandemiewarnstufe).
Denn der „Sturm auf den Reichstag“,
so lächerlich er im Moment auch erschien,
hat seine Wirkung sicher nicht verfehlt.
Bei Höckes, Kubitscheks, Tillschneiders und Elsässers
haben die Korken bestimmt
die ganze Nacht geknallt.
Typische Foto-Op-Nazis eben.
Bei dieser neuen Terrorwarnstufe
handelt es sich aber um eine,
durch die das Risiko des
stochastischen Terrorismus‘* angezeigt ist.
Etwas, das den eben erwähnten Nazis
auch sehr wohl bewusst ist.
* Das Wirken dieser Art von Terrorismus ist anhand der Massenmorde auf Utoya (Norwegen 2011, 81 Tote), in Las Vegas (USA 2017, 59), Christchurch (Neuseeland 2019, 51 Tote), Hanau und Halle (Deutschland 2019, 11 und 2 Tote + versuchter Massenmord in einer jüdischen Synagoge) ganz gut zu erklären. Der bei einer solchen Tat aufgewirbelte mediale Staub ist in den letzten Jahren so enorm dicht geworden, dass er genutzt wird, um weitere solcher Taten zu motivieren. Je mehr diese Dinge geschehen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Täter sich inspirieren lässt und hunderte mehr sich zunehmend radikalisieren. Und das wissen Leute wie Jürgen Elsässer nicht erst seit gestern, und deswegen reicht ihnen auch so eine peinliche Aktion wie am Wochenende. Die Bilder fressen sich durchs Netz und finden die Menschen, die darauf nur gewartet haben, und die sich dann denken: „Jetzt ist meine Zeit gekommen.“ Und wenn es nur einer ist ,von Millionen, der eine reicht (siehe Beispiele).
Ohne hier rum zu unken,
aber wundern braucht sich niemand,
wenn in den nächsten beiden Wochen
wieder irgendwas krasses
mit Nazis und Waffen passiert.
(Gestern sind wohl am Brandenburger Tor
die ersten diesbezüglichen Ermittlungen
gegen Reichsbürger eingeleitet wurden.
Und ja, auch Reichsbürger sind Nazis.)
Gut, wird sich wahrscheinlich auch keiner
groß wundern können,
ist ja alles normal geworden.
Fuck off, „new normal“!
Die ersten schulischen Quarantäneanordnungen
im, ach so verschonten Sachsen-Anhalt
schon am dritten Schultag?
Is halt so.
Und um dem Ganzen dann mal
so richtig Ausdruck zu verleihen,
schrillen in neun Tagen bundesweit
sämtliche Alarmglocken.
Nur Probealarm,
kein Grund zur Panik.
Alles gut.
Am Abend nach den tödlichen Schüssen
nur ein bis zwei Katzensprünge entfernt,
stehen heute LKA-Beamte entspannt neben
ihren schwarzen Audis
vorm Palais Salfeldt,
die Polizei und der MDR stehen
ebenfalls bereit.
Die Gäste im Benedict hinter der Marktkirche
können sich also sicher fühlen,
hier wird der Schütze schon nicht herkommen.
Der Appetit allerdings
dürfte den meisten vergangen sein.
Auch wenn die Sirenen schweigen,
ab jetzt ist erst mal Alarm.
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