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Just the new normal (S4:Ep2)

von | 2020 | 15. November | Die Serie, Staffel 4 - The times they are a changing

So.
So, so!
Der neue Landrat ordnet also
eine Urlaubssperre im Gesundheitsamt an,
und stockt die Belegschaft auf.
So weit, so richtig.
Bei momentan knapp
über 40 (7-Tagesdurchschnitt)
täglich nachgewiesenen Neuinfektionen
im Harzkreis
dann aber auch
höchste Eisenbahn.
Da haben also wenigstens die Beamten
ihren zweiten
Freitag, den 13.
in diesem Jahr gehabt:
Weihnachten im Büro.

Für die meisten anderen
war dieser aber mit Sicherheit
eine Verbesserung im Vergleich
zum ersten,
im März dieses Jahres.
Überhaupt, diese ganze Woche hat sich
fast schon normal angefühlt,
auf diese neue Art eben irgendwie.
Was ein neuer US President-elect
so ausmachen kann…
Und dann auch noch ein Impfstoff!
90% effektiv!
Alle Verträge sind schon unterschrieben,
die Debatten um die Verteilung
laufen auf Hochtouren.
In Russland wirkt Sputnik V sogar zu 92%!

Jahr Eins n.C.
kann nicht schnell genug beginnen.
Da lacht man sogar wieder,
über lustige Medikamentennamen,
wie Bamlanivimab.
Und als ob das nicht alles
schon erfreulich genug wäre,
kündigt auch noch
Hyperevilsoziopath Dominic Cummings
seinen Rückzug als Berater von Boris Johnson an.
Kann der sich dann mal
um was wichtigeres als Wahlkampf kümmern,
regieren vielleicht.

Immerhin hat er als erster der Bad Guys
(Erdogan, Putin, Bolsonaro, Lukaschenko, Orban, Xi, …)
dem künftigen Handelspartner Nummer eins
zum Wahlsieg gratuliert,
mit der EU will er halt nicht;
oder vielleicht ja doch noch?

Wir schalten sicher irgendwann später
wieder auf die Insel,
die schwimmt ja nicht weg,
und immerhin war
auch hierzulande genug los.
Zum Beispiel,
wie nicht anders zu erwarten,
am 9. November.
Während der Rest der Republik
noch dabei ist,
die Ereignisse vom Wochenende in Leipzig
zu verarbeiten,
legt Sachsen einfach brutal nach:
Der jüdischen Gemeinde in Dresden
wird nicht gestattet,
den Pogromopfern von 1938 zu gedenken,
dafür darf sich der in Brandenburg geschasste
„Flügel“-Nazi Andreas Kalbitz bei Pegida
in ermüdendsten Neuauflagen
von Holocaustrelativierungen
und banalster Hetze versuchen.
Immerhin einige hundert
tun sich das immer noch
regelmäßig montags vor Ort an.
In Bochum wurde es
dagegen schon deutlicher:
Am selben 9. November wird dort
eine Ausstellung zu jüdischen Sportlern
geschändet.
Dass zwei Tage später in Warschau
erneut tausende Nazis
für ihre „Unabhängigkeit“ marschiert sind
und sich Straßenschlachten
mit der Polizei geliefert haben,
ist inzwischen auch
irgendwie normal geworden.
Berichte über Rechtsextremismus
als mediale Ablenkung
fühlen sich inzwischen
eben schon richtig heimelig an,
über irgendwas muss man sich
ja noch aufregen können,
ohne nicht doch irgendwie
auch mit drin zu hängen
(an alle VW-Fahrer: Liebe Grüße!).

Diese „Querdenker“ sind ja aber
auch krasse Revoluzzer!
Dieser eine Lehrer in Berlin zum Beispiel,
wieder einer mit einem eigenen Youtube-Kanal,
klärt seine Schüler nämlich mutig auf:
Diese Masken, also das seien ja eigentlich
die neuen Hakenkreuze!
Hätten diese Spinner nicht seit Jahren
gegen die Antifa gehetzt,
sie würden sich glatt Antifa nennen müssen.
Einige Kollegen vertragen das Lacksaufen
wohl einfach doch noch zu gut…
Und sogar in Quedlinburg
macht Nazikram gut Schlagzeilen:
Die Erwin Baur Straße steht zur Debatte.
Mit QR-Codes am Straßenschild
soll Kontext
(Vordenker der Eugenik im Dritten Reich)
angeboten werden.
Einfaches Überlackieren des Vornamens
und Ersetzen durch „Fritz“ wäre allerdings
die charmantere Variante.
Das dann fehlende „e“ im Nachnamen
würde eh keinem auffallen,
es ist nur eine Straße.
Und solange keine Nazis
drauf rummarschieren,
dürfte es wichtigere Debatten geben.

Schalten wir also kurz weiter,
nach Belarus,
das auch schon wieder
zum Hintergrundrauschen geworden ist.
Dabei ist die Revolution
da immer noch in vollem Gange,
mitsamt Konterrevolution.
Ein Beispiel?
Am 11. November ist dort
Raman Bandarenka
von Nazis so schwer
zusammengeschlagen worden,
dass er einen Tag später starb.
Nichts besonderes mehr, ich weiß,
denn:
Passiert ist das ganze ja nur,
weil er die Gedenkstätte
für zwei Demokratie-Aktivisten (Musiker)
wieder herrichtete,
die seit zwei Monaten
ganz gewohnheitsmäßig
immer wieder zerstört und
aufgebaut wird.

Normalität eben,
in einer echten Diktatur.

Hier in der „Corona-Diktatur“
sorgen sich die Herrscher
aber schon noch um ihre Untertanen.
Per „Salami Lockdown“ werden inzwischen
über 300.000 Schülerinnen
und über 30.000 Lehrerinnen
dazu gezwungen,
unter größten Mühen
von zu Hause aus
gegen den unsichtbaren Feind zu kämpfen.
Inzwischen dürfte sich auch
bis zum letzten rumgesprochen haben,
wie man „Quarantäne“ richtig ausspricht.
Gewerkschaften, Lehrer- und Elternverbände
rufen zu einer Rückkehr
zum hybriden Unterricht auf,
und noch ist nicht mal durchgesickert,
ob die Minister darüber morgen
überhaupt nur beraten werden.
Auch „Intensivbetten“ ist
eine ganz beiläufig
gebrauchte Vokabel geworden,
immerhin werden die
langsam aber sicher knapp.
Da ist es auch nicht mehr alarmierend,
wenn die Bundesregierung
jetzt schon per Videoclip
in den sozialen Medien
auf den „Corona-Winter“ einstimmt.
Und nicht nur hier zeigt sich
die neue Normalität
täglich drastischer:
Bereits Mitte November stehen
mehrere große EU-Länder
auf der klinischen Belastungsgrenze,
wieder machen die ersten Aufnahmen von
einfach erstickenden Menschen
ihre Runden durchs Internet.

Und in Dänemark werden mal eben so
15 Millionen (sic) Nerze getötet,
wegen einer Sars-Cov-2-Mutation.
Warum es in Dänemark
15 Millionen (sic!) Nerze gab,
und wer die alle wie
in dieser kurzen Zeit getötet hat,
das bleibt in der Hektik ganz unerwähnt.
Sind ja nur Tiere,
dafür hat grade keiner Zeit.

Weswegen, z.B. auch der Autobahnbau
durch den Dannenberger Forst
ganz wichtig ist;
10 Minuten kann man da einsparen,
um von irgendeiner Stadt
in irgendeine andere zu kommen.
Dass aber der alte Fortschritt
nicht mehr
normal ist,
verwirrt die Menschen anscheinend nur.
Die wahre Gefahr sind also
die Umweltschützer
in den Bäumen,
die somit ganz selbstverständlich
von der Polizei aus dem Wald
getrieben werden müssen;
kennt man schon,
ist halt so.

Und wie jede neue Normalität
braucht auch diese
ihren eigenen Stellvertreterkrieg,
irgendwo,
am liebsten etwas weiter weg.
Immer nur Pandemie,
Klimakrise,
Demokratiekrise,
irgendwann muss auch mal wieder
ganz schlichte Geschichte her:
Nachdem mit der
mehrheitlich armenischen Stadt Shusha
der erste strategisch wirklich wichtige Punkt
in Bergkarabach
durch aserbaidschanische Truppen
erobert wurde,
reden alle sofort von Frieden (außer Erdogan),
obwohl sogar noch ein russischer Heli
vom Himmel geschossen wurde.
Die Eile, mit der Armenien
dann irgendein Abkommen unterzeichnet hat,
lässt viele Armenier auf die Straßen gehen,
um gegen diese vermeintliche
Kapitulation zu protestieren
und den sofortigen Rücktritt
des verräterischen Präsidenten zu fordern.
Nur Tage später beginnen die ersten,
die jetzt vor der Entscheidung
zwischen Exil oder Gefängnis/Lager stehen,
ihre Häuser selbst in Brand zu setzen,
damit sie nicht
in die Hände des Feindes fallen.
Ganz normale Geschichte eben.

Und apropos Krieg:
Dazu dann jetzt mal noch,
passend zur eigentlich doch
ganz normalen Woche,
zwei richtig gute Meldungen,
eine davon hat sogar
mit dem noch
amtierenden US-Präsidenten zu tun.
Erst mal dachten ja alle,
klar, es geht jetzt richtig los,
der kann jetzt nur noch
den Pokertisch umschmeißen,
oder ganz unmetaphorisch
irgendeinen Krieg vom Zaun brechen,
China, Mexiko, Iran, Kanada, Seychellen,
egal, seinen Beratern wird schon was einfallen.
Nach dem Rausschmiss des Verteidigungsministers
schrillen jetzt sämtliche alarmistischen Glocken,
aber:
Neu eingesetzte Verteidigungsminister
können nicht nur Truppen irgendwo hinschicken,
sie können auch welche zurückholen.
Und immerhin war das
das einzig sinnvolle Wahlversprechen von Trump:
„We‘re bringing our troops home!“
Und wo keine Soldaten sind,
da ist per Definition weniger Krieg.
Im Gespräch sind:
Afghanistan, Irak und Syrien.
Nur ist es eben Trump,
da fällt es leicht zu glauben,
dass auch das nur wieder Show ist.
Zum Abschluss für diese Woche
dann noch das zweite gute Gerücht:
Joe Biden scheint allen Ernstes
sein Kabinett mit echten
Politikern zu besetzen.
Und der schillerndste Name ist der,
der für das Außenministerium kursiert:
Barack Obama.
Der weiß mindestens,
wie man Abrüstungsverträge formuliert.

Hatten wir auch schon mal,
war auch schon mal
eine ganz normale Geschichte.

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