Würde jemand
ungefragt nach so etwas
wie der „Stimme unserer Generation“
fragen,
die größte Zustimmung würde
mit großer Sicherheit
Farin Urlaub einfahren.
Ich will jetzt nicht zu weit ausholen,
aber 2015 veröffentliche dieser
als B-Seite auf „iDisco“
„Welche Krise?“,
und brachte es
wie niemand anderes
auf den Punkt:
„Die Angst geht um wie nie zuvor,
seit Deutschland den Verstand verlor;
Jehovas Zeugen ziehen von Tür zu Tür.
Wie du schon in der Schule lernst:
Die Lage war noch nie so ernst!
Das Schöne ist:
Wir können nix dafür.
Wo fängt der nächste Weltkrieg an?
In Nordkorea, im Iran?
Ein kleines bisschen ratlos sitz‘ ich hier
und ich frag mich:
Was ist mit den Leuten los?
Wovon reden die denn bloß?
Welche Krise darf’s denn sein?“
Dass diese Haltung
schon fünf Jahre später
auf Instagramm –
und den anderen Portalen,
auf denen alles über 25
letztlich schon „Boomer“ ist,
und deswegen scheiße gefunden wird -,
als #Boomerhumor belächelt wird,
gefällt sicher nicht nur Farin nicht.
Vor allem aber,
weil da was dran ist.
Und das schon seit langer Zeit.
1995, zum Beispiel,
stellte das Kursbuch fest,
dass es mal wieder
einen Generationenbruch gibt.
Unter den Beiträgen
findet sich schon
damals die gleiche Philosophie,
damals war die Welt
ja auch schon
kurz vorm Untergang.
Und unsere Eltern
waren so alt wie wir jetzt.
Sie hatten gerade den Umbruch
eines ganzen Gesellschaftssystems
hautnah miterlebt
und versuchten
uns durch diese Zeit
zu begleiten.
Die letzte „Generation Mitte“ (30-55),
hat es also auch schon
nicht leicht gehabt.
Also relativ gesehen,
schließlich reden wir hier
vom turbokapitalistischen Mitteleuropa
kurz vor der Jahrtausendwende,
wahrscheinlich einer der sorglosesten Zustände,
in denen Menschen jemals gelebt haben.
Für uns waren die Krisen immer woanders:
im Fernsehen,
dann im Internet;
so sind wir aufgewachsen:
„Die kleinen und die großen
Katastrophen sind für uns
Programmvorschläge
von quotengeilen Fernsehmachern.
Das Fernsehen ist der Anbieter,
wir sind der Kunde,
die Ware ist die Wirklichkeit.
Und die Fiktion.
Auseinanderhalten kann das keiner.
Wir konsumieren alles, was kommt.
Wir schauen es uns an.
Mitspielen wollen wir nicht.
Man kann ja sowieso nichts machen.“
(W. Wüllenweber: Die Hornhautgeneration. Kursbuch 121. 1995.)
Tja, und jetzt sind es eben
nicht mehr nur
die quotengeilen Fernsehmacher,
sondern wir alle.
Jeder kann seine Weltsicht
auf unzählige Arten und Weisen
der Welt mitteilen,
und die vermeintlich Neunmalklugen
machen das auch. (cheers!)
Und dabei sind wir ja unzufrieden,
und zu wenig einverstanden,
und enttäuscht,
und wütend.
Das sagt sogar die,
Mitte der Woche erschienene
Allensbach-Studie
zu den Zukunftserwartungen
der aktuellen „Generation Mitte“
(also uns).
Aber zu jedem Punkt davon
habe ich dieses Jahr
schon mindestens einmal
ausführlicher geschrieben…
Und: Aber:
„Kaum wird die Wirklichkeit
in einen Clip verwandelt,
schon wird sie erträglich.
Frühere Generationen
mussten saufen,
um auszuhalten,
was man nicht aushalten kann.
Wir glotzen.
Das Saufen verändert die Leber,
das Glotzen die Seele.
Durch das ununterbrochene
Drüberschrubben, über die Seele,
ist uns langsam
eine Hornhaut gewachsen.
Hornhaut auf der Seele.
Uns macht das nichts mehr aus.
Wir ertragen alles.
Leicht.“
(ebenda.)
Vor 25 Jahren sagte sich das
aber offensichtlich leichter.
Heute haben wir diese Haltung
derart kultiviert,
dass wir nicht nur aushalten,
sondern auch noch
drüber lachen,
denn wir haben ja schließlich
wichtigere Dinge zu tun:
Alltag und so.
Vielleicht ist das
der viel gesuchte
deutsche Humor:
Nur dann zu lachen,
wenn es eigentlich
absolut nichts mehr
zu lachen gibt.
Wie sonst erklärt sich
der unaufhaltsame Aufstieg
der Investigativen Satire
(Böhmermann, von Wagner, Hogesatzbau, … )
zum moralischen Fixpunkt
der „Generation Mitte“?
Der nächsten „Generation Mitte“,
die heute noch keinen
ernstzunehmenden Namen hat
(denn „Generation Z“ kann ja
wohl nicht alles gewesen sein),
fällt dazu eben nicht mehr viel ein
als #boomerhumor.
Ist auch klar,
ich zumindest fand Kabarett
früher auch blöd.
Wenn alles so scheiße ist,
was gibt es da noch zu lachen?
So,
da kann man also nichts machen,
außer zu lachen?
Schauen wir doch mal.
Wenn eh alles egal ist,
kann man wenigstens
ohne jeglichen Zusammenhang
einige Ereignisse festhalten,
über die hoffentlich
die nächste Generation
nicht mehr nur
lachend den Kopf schüttelt,
sondern irgendwas draus lernt.
Zum Beispiel, wie nah
Angst und Hoffnung
in den Zwanzigern
beieinander liegen.
Am Montag warnte die Bundesregierung
vor der unvermeidbaren dritten Welle,
am Freitag wurde dann,
mit Blick auf die Impfstoffe,
vom Licht am Ende des Tunnels gesprochen.
Prima, jetzt können mir ja nur
noch die Impfgegner
den Festivalsommer 2021 versauen.
Die haben sich derweil
wieder auf ihr Kernthema verlegt.
Spätestens nach dem Verbot
einer „Querdenken“-Demo
durch das Bundesverfassungsgericht
(inklusive anschließender
Strafbefehlwelle in Bremen)
und der unvermeidbaren Erkenntnis,
dass sie alle irgendwelchen Rattenfängern
(„Das Volk gegen Corona“ (sic!))
ins Netz gegangen sind,
die ihr Spendengeld
in irgendwelchen niederländischen
Bordellen zwischenlagern.
Also, seit ein paar Tagen
ist zumindest in meiner Bubble
Ruhe eingekehrt.
Die Querdenkerversteher
blubbern nichts mehr
von wegen nur ner Grippe.
Top.
Hat nur neun Monate gedauert.
Ab jetzt wird dann
wieder sachlich diskutiert…
Über das Impfzentrum vielleicht,
das demnächst in
einem alten Supermarkt
in der Quedlinburger Süderstadt
eröffnet werden soll.
Ich freu mich schon
auf die erste Kundgebung dagegen.
Auch in Sachsen dürfte dann
langsam mal Vernunft einkehren.
Seit Dienstag befindet sich der Freistaat
im harten Lockdown,
der 200er Grenzwert ist weiter weg
als die nächsten Ausgangssperren.
Die Kliniken in Dresden sind voll,
im Erzgebirge gibt es Straßenkontrollen.
Ausgangssperren sind sowieso das neue Ding.
Erst so ne Modesache in Resteuropa,
jetzt auch schon in Rheinland-Pfalz.
Zusätzlich wird den Coronaleugnern
die Beobachtung durch
den Verfassungsschutz angedroht.
Selbst in der Türkei
hat man den Ernst der Lage
anscheinend endlich erkannt.
Und sogar Schweden
schließt wieder
die Gymnasien.
Der Paukenschlag der Woche allerdings
hätte fast die Experimental-Koalition
in Sachsen-Anhalt gesprengt.
Erst auf den letzten Drücker
hat der Landesvater
seinen Kronsohn
geschasst,
was viele schon seit Monaten fordern:
nämlich das Ende der Macht
des wirklich hässlichen Teils
der hiesigen CDU,
deren Verzweigungen
bis hier nach Quedlinburg reichen.
Die AfD-Sympathisanten um Ulrich Thomas,
die sich mit ihrem Wunsch
nach Wiederversöhnung
des Sozialen mit dem Nationalen
schon vor einiger Zeit
mit braunem Ruhm bekleckert hatten,
stehen also nun vor der Entscheidung,
sich noch weiter zu radikalisieren,
oder mal endlich den Ball flach zu halten
und legislativ zu arbeiten.
Zum Beispiel darüber zu entscheiden,
ob 86 Cent mehr pro Haushalt
für Qualitätsjournalismus
(und anderen Quatsch)
in diesen Zeiten
vertretbar sind,
ohne dabei eine Schmierenkomödie
mit Nazis in der Nebenrolle
aufzuziehen.
Wir haben alle besseres zu tun.
Denn wir,
das sind die Ungeduldigen.
Die, denen das mit
der Impfstoffentwicklung
zu langsam geht,
die mit dem Kopf schon
„nach Corona“ sind.
Die, die nie lange
bei einem Thema bleiben.
Da kann man doch eh nichts machen.
Iran, Atomprogramm,
war da was?
Das Parlament in Israel
steht kurz vor Auflösung,
ach ja?
Mensch, wenigstens fallen
noch keine Bomben…
Was wundern wir uns eigentlich,
dass gerade zu viele durchdrehen?
Auf nichts hiervon
waren wir wirklich vorbereitet.
Wir sind es zwar schon lange gewöhnt,
dass die Welt eine einzige Krise ist,
aber unsere Hornhaut
ist inzwischen so abgebrüht,
dass wir den Schmerz
nur noch lachend zur Kenntnis nehmen.
Über 1,5 Millionen,
täglich 10.000 neue Covid-19-Opfer,
in den USA inzwischen Todesursache Nr.1.
Kann man nichts machen.
Der UN-Generalsekretär stellt diese Woche
völlig zu recht fest:
„Unser Planet ist kaputt.“
Tja, na und?
Was sollen wir denn machen?
Den Klimanotstand ausrufen?
Demonstrieren gehen?
Haben wir schon,
hat‘s nicht besser gemacht.
Generalstreik?
Geht auch nicht,
es muss ja laufen.
Revolution?
Etwa außerhalb des Internets?
Also, wen wundert es,
dass das Geraune
vom nächsten Generationenbruch
wieder anhebt.
Ich würde uns
als 20jährige
auch lächerlich finden.
Aber muss das jetzt
auch noch sein?
Und sind die neuen
dann wirklich
widerstandsfähiger?
Die, deren Zukunft
gerade platt gemacht wird,
die sich zurecht fragen,
wozu denn überhaupt?
Und die trotz alledem
weitermachen,
zur Schule gehen,
in online Seminare und Vorlesungen,
zum Ausbildungs-/Arbeitsplatz.
Die jetzt schon
mehr Verantwortung übernehmen müssen,
als wir es nicht mussten,
bis wir 30 waren?
Etwa die, die am Montag
in Frankfurt am Main
den ersten kleinen Schulstreik
gegen Beschulung in einer Pandemie
durchgezogen haben?
Oder die, die gerade erste größere Erfolge
mit internationalen Klimaklagen haben?
Klingt alles gut,
macht alles Hoffnung,
wenn es nur ein bisschen
schneller gehen könnte,
schließlich haben wir
nicht mehr so viel Zeit.
Und Geduld,
na ja, das ist für die wenigsten
ein echtes Wort.
Für Boomer vielleicht,
die können sich den Absturz
in Ruhe im Fernsehen angucken.
Wir Millenials
sind mittendrin
und wissen einfach nicht,
was wir noch machen können,
außer aushalten,
die Bedeutung des
Wortes „woke“ kennen,
und bitterlich
lachen;
welche Krise darf‘s denn sein?
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