„There’s a club if you’d like to go.
You could meet somebody
who really loves you.
So you go and you stand on your own,
and you leave on your own.
And you go home and you cry
and you want to die.
When you say „it’s gonna happen now“,
well, when exactly do you mean?
See I’ve already waited too long
and all my hope is gone.“
You shut your mouth, how can you say
I go about things the wrong way?
I am human and I need to be loved
just like everybody else does.“
(The Smiths: How soon is now? 1984.)
A-Seite
Abandon Hope
Kurz nach neun Uhr am Freitagmorgen sitzt der Brillenträger in der hinteren Ecke der Bäckerei Striffler, hinter ihm blubbern die Donuts im Fett, der Konditor schneidet den Teig für die traditionellen Schneebälle zurecht, und von den kleinen Tischen aus unterhalten sich die frühen Stammgäste unbeschwert mit den beiden Frauen hinter der Theke. Vor der Tür, wo die Untere Schmiedgasse zur Oberen wird, nimmt die Touristendichte in Rothenburg ob der Tauber nur langsam zu.
Einer der gerade dazugekommenen Stammtischler grüßt die jüngere der beiden Frauen und fragt sie, ob sie heute früh genug Feierabend hätt‘, dass sie später dann zum Taubertal gehen könnt‘. Der Brillenträger lächelt in sich hinein, als die ältere der Frauen sich routiniert aufregt: „Ich sag‘s Euch: Seit gestern Abend ist‘s wieder los‘gang‘n. Da sin‘ so viele Spacken unterwegs! Die ham‘ nix besseres zum tun, als imma irgendwas kaputt zu mache. Jed‘s Joar des selbe!“
Der Brillenträger und die anderen waren ebenfalls schon gestern Abend angereist. Nach über zwei Jahren Wartezeit hatten sie sich gegen den Zeltplatz über dem Festivalgelände, auf der anderen Seite des Taubertals entschieden und zwei günstige Zimmer in einem Hotel hier in der Altstadt gebucht; ebenfalls bereits vor über zwei Jahren. Ihre schier endlos aufgestaute Vorfreude war bereits seit Wochen, wahrscheinlich seit Monaten allgegenwärtig gewesen, hielt sich aber jetzt noch ehrfürchtig vor ihrer Verwandlung zurück, wohl wissend dass sie ab dem späteren Abend unendlich viele Kanäle zur Entladung finden würde, insgesamt drei Tage lang. Es war ihr erster gemeinsamer Ausflug seit über zwei Jahren, und alle waren froh, mal keine Pokerkarten in den Händen halten zu müssen, um sich zusammengehörig fühlen zu können, oder auf Schnappsideen kommen zu müssen, die sich höchstens in irgendwelchen anderen, vom Schnapps beseelten Momenten fortsetzen könnten.
Gestern hatten sich alle am Nachmittag auf dem Bahnhof in Würzburg getroffen, um das letzte Stück zum Festival gemeinsam zu fahren. Der Brillenträger hatte da bereits sieben Stunden Fahrt in den Gesäßbacken, so wie einen Zugausfall am Morgen und einen verpassten Bus. Mit dem Auto aus Tübingen war der Sonnenbrillenträger gekommen, Kurzurlaub in der Universitätsstadt, alte Kommilitonen treffen. Das Almänchen hatte sich von seiner Familie auf dem Rückweg von Wien absetzen lassen. Aus Dortmund war der T-Shirtträger zugereist, der dort bis gestern noch beruflich unterwegs gewesen war. Das letzte Wegstück an diesem Tag saßen sie zusammengequetscht in einem überfüllten Großraumabteil. In allen Ecken, auf sämtlichen Ablagen, unter fast allen Sitzen waren große Rucksäcke verstaut, auch ihre. Nach zehn Minuten hatten alle eine halbwegs erträgliche Reiseposition gefunden, noch klagte niemand über Rückenschmerzen oder erste, leichte Krämpfe. Da alle ihren Atemschutz trugen, war für die Umsitzenden schwer auszumachen, wer gerade sprach.
„Sagt mal, weiß jetz‘ irgendwer mal genauer, warum der Mützenträger nich‘ dabei ist?“
„Ich kann nur spekulieren, wir haben schon länger nich‘ wirklich gesprochen.“
„Spekuliere mal!“
„Könnte viele Gründe haben. Ich denk‘, es is‘ so ne Mischung. Kein Bock auf uns nach dem letzten Abend. Generell kein‘ Bock auf Verreisen. Kein Geld. Kein Urlaub mehr.“
„Ich denke, dem würde seine Routine zu sehr fehlen.“
„Was? Besoffen vor der Glotze einpennen?“
„Wenn du das so beschreiben möchtest.“
„Ja, sorry. Aber trotzdem man, eins der letzten Festivals, so wie wir sie kennen, einfach sausen lassen?“
„Eben! Ich find‘s einfach schade.“
„Wir schicken ihm ein paar Videos, oder?“
„Mal schauen.“
Das Almänchen, das bis jetzt noch nichts gesagt hatte, versuchte das Thema zu wechseln. Dass er mehr über die Gründe des Mützenträgers wusste, behielt er für sich, wer konnte schon wissen, wann sie das nächste Mal so sorgenfrei beisammen sein würden. Und er wollte dessen Schicksal nicht zu einer Geschichte werden lassen, die man sich mal so nebenbei auf‘m Festival erzählt. „Leute, ich hatte vorhin auf der Fahrt kurz Zeit zum Nachdenken und hab‘ ne neue Idee für ein Kartendeck.“
Alle zogen ihre rechten Augenbrauen hoch: „Na lass schon hören.“
„Schon gut, ich mach‘s kurz. Also: Man könnte auch ne jährliche Edition draus machen, nämlich: Die größten Witzfiguren des Jahres. Bedingung für die Aufnahme in den Kanon: Sie müssen in dem jeweiligen Jahr abgetreten sein, also im Knast oder pleite oder so.“
„Verstehe. Fynn Kliemann und so.“
„Ganz genau. Bock auf ne Top Ten?“
„Ne Top Five tut es auch, denk‘ ich.“
„Na gut, also ich schlage Alex Jones vor. Der erfüllt schon mal alle Kriterien. Alleine die erste Zivilklage kostet ihn 45 Millionen. Und es warten noch ein Dutzend andere Familien, die ihn wegen seiner Scheiße drankriegen werden.“
Die anderen nahmen den Vibe des Almänchens überdeutlich wahr: „Ey, einen noch höchstens, okay. Ich hab doch irgendwie zu wenig Böcke, mir die Tage mit Ablästern über Arschlöcher zu vertreiben.“ Alle nickten unisono.
„Alles klar. Aber wisst ihr, was mich richtig aufregt? Dass bei der ganzen Aufregung immer so viel untergeht. Irgendwie scheinen die meisten sich wirklich lieber mit so Scheißhausfliegengossip zu vergnügen.“
„Wieso? Wer war denn mal Thema und kein Arschloch?“
„Hallo? Bill Russel?“
„Was ist mit dem?“
„Gestorben.“
„Was?! Wann?“
„Siehste! Keine Woche her. Ich mein‘: Oberste Liga in der Basketball Hall of Fame, Bürgerrechtler der ersten Stunden, nicest person on earth! Und die bescheuerte Tagesschau berichtet über Alex Jones, Johnson, Trump, Putin, Lindner, Selenskjy. Was ist los mit diesen Leuten?“ Für einige Momente schwiegen alle. „Vielleicht ne Top Five mit Nicht-Arschlöchern?“
„Lass gut sein. Ich schalte jetzt noch mal ne halbe Stunde auf Durchzug.“ Der Brillenträger setzte seine Kopfhörer auf, und sein Blick verlor sich auf den Weiden zwischen den bewaldeten Hügeln vor dem Fenster, bevor ihm die Augen zufielen und er die gerade erst vergangenen Stunden an sich vorbeiziehen ließ.
Draußen hatte sich die Landschaft während der letzten Stunden in einen einzigen großen Wald verwandelt, aus dem immer wieder Dörfer aufgetaucht waren, die er nicht anders als zutiefst pittoresk bezeichnen konnte. Der Himmel strahlte noch ein bisschen blauer als sonst. Alles was sein Blick draußen erfasst hatte, schrie: Frieden. Jahrhunderte lang einstudierte Gelassenheit und Zufriedenheit. Wohlstand und Sicherheit. Um sich von diesen nur scheinbar potemkinschen Dörfern aber nicht zu sehr einlullen zu lassen, und weil es in keinem der Züge eine Steckdose gegeben hatte, weswegen er mit seinem akkuschwachen Laptop nicht hatte schreiben können, hatte er sich bei der ersten Gelegenheit die gerade heute erschienene Zeit und wenig später den aktuellen Spiegel besorgt. Doppelt hält besser. „Krisen haben keine Sommerpause“ hatte die Tagesschau getitelt, als der Bundeskanzler aus seinem Sommerurlaub zurückgekehrt war, und die Regierungsgeschäfte weiter führen wollte, als wäre in der Zwischenzeit kaum etwas passiert. Die Titelblätter der beiden Zeitschriften aber hielten den Krisendruck weiter aufrecht: Die Zeit fragte: „Wie kommen wir von China los?“ Im Wirtschaftsteil antwortete sie: Gar nicht. Und Der Spiegel hielt ihm ein Bild von Wladimir Putin entgegen, das auf einen Pullover gedruckt war, der von einem anonymen Russen(?) getragen wurde. Darunter die Titelstory: „Warum so viele Russen für Putins Krieg sind.“ Besonders das Wort „viele“ war es, das ankündigte, dass der Krieg auch in nächster Zeit kein Ende finden würde. Den gerade erst wieder unterbrochenen Kurzkrieg in Gaza erwähnte keines der beiden Titelblätter; Raketen auf Jerusalem, damit ließ sich anscheinend kaum noch Auflage machen. Da brauchte es in diesen Tagen schon mehr Schutt und Asche, um die Leute hierzulande noch von ihrem Glück zu überzeugen. Beide Zeitschriften hatten es auch unterlassen, allzu laut vor dem kommenden „Heißen Herbst“ zu warnen, sie wollten den Leser*innen diese letzten paar Tage in Ruhe wohl noch gönnen. Dem Brillenträger war zum wiederholten Male klar geworden, dass die Welt inzwischen in so viele tausend Stücke zersprungen war, dass niemand auch nur eine Idee hatte, wie der Trümmerhaufen jemals wieder zusammengesetzt werden sollte.
Irgendwann hatte er die Zeitschriften weggepackt und kurz darüber nachgedacht, ob er sie später gleich wegschmeißen würde, oder doch mit nach Hause zu nehmen, um sie zu den anderen Titelblättern des Jahres zu sortieren. Für‘s erste gab er das Nachdenken darüber auf. Draußen schwebte gerade das nächste Dorf vorbei, der Himmel war irgendwie noch ein wenig blauer geworden, als der Sonnenbrillenträger den anderen bedeutete, dass sie in ein paar Minuten da wären.
Zwei gute Stunden später standen sie an der oberen Stadtmauer, das nächste Burgtor nur einen Steinwurf entfernt, die Sonne würde bald von den gegenüberliegenden Bergen verschluckt werden, und schauten hinunter ins übergrüne Taubertal. Der Sonnenbrillenträger hatte für jeden ein Glas auf die Mauer gestellt, in deren Schliff sich die Abendsonne brach und schenkte Rum ein, der Brillenträger reichte dazu ein anschauliches Beispiel eines Meisterwerks der modernen Baukunst herum. T-Shirtträger und Almänchen lehnten mit dem Rücken an der Mauer und schauten die ansteigende Gasse vor ihnen hinauf, an dessen oberem Ende ihr Hotel lag.
Ihr einhelliges Urteil über die bayrische Kleinstadt hatten sie bereits gefällt. Dem Vergleich mit Quedlinburg hielten die Gassen und Häuser mehr als stand. Alles sah aus wie aus dem Reisekatalog, jede Ecke hübscher als die andere. Ohne Unterlass reihten sich Gasthäuser und Traditionsgeschäfte aneinander, nirgends merkte man dem Ort sein Alter an; als wäre alles erst vor wenigen Tagen neu renoviert worden.
„Ganz ehrlich: Auf den erst‘n Blick würd‘ ich sag‘n: Dafür brauch‘ Quedlinburg noch so zwanzich bis dreißich Jahre, mindestens. Und dieses Hoch und Runter der Jassen is‘ janz klar noch ein bisschen mehr Mittelalter. Ne eindeutige Neunkommadrei.“
„Und? Neidisch oder was? Dafür is‘ bei uns alles viel älter, also okay, nur hundert Jahre. Abber dann noch die Vernachlässigung im Sozialismus, und überhaupt!“
„Ja, komm wieder runter. Ich sag‘ doch nur, was ich sehe. Und das is‘ schon doch noch mal ne andere Liga hier.“ Der Brillenträger fragte sich kurz, wie diese Nestbeschmutzerei wohl in Quedlinburg ankommen würde, nippte dann aber an seinem Rum und ließ seinen Blick wieder über das „Zaubertal“ schweifen. Aus dem Kessel weit unter ihnen wehten die ersten Klänge von der Hauptbühne nach oben, von dort wo heute noch bis spät in die Nacht die Techniker mit den Feineinstellungen beschäftigt sein würden. Die Vorfreude kletterte die nächste Stufe nach oben.
In diesem Moment summten die Handys von allen gleichzeitig. Alle schauten nach und sahen sich umgehend auf eine Art und Weise an, die zu gleichen Teilen aus Entsetzen und sofortiger Resignation bestand. Endlich war es also passiert: Hunderte Kilometer von hier entfernt, nur wenige Kilometer von ihrem Heimatort entfernt, hatte der Harz unterhalb des Brockens Feuer gefangen, erst am übernächsten Tag würde das Feuer halbwegs unter Kontrolle sein. Die ersten Bilder breiteten sich in ihren Familienchats aus. Begleitet vom Bangen um die nächsten Tage. Erst zu Beginn der nächsten Woche, also in drei Tagen, sollte Regen kommen, vielleicht. Vorher würde noch der Wind drehen. Die Feuerwehren stellten sich auf schlaflose Nächte ein. Schweigend steckten alle ihre Handys wieder weg. „Scheiße.“
Über dem Taubertal war die Sonne jetzt untergegangen, die dicht stehenden Bäume leuchteten in der Ferne an einigen Stellen in Discofarben, die Lichttechniker hatten mit den Generalproben begonnen. Die Vorfreude verdrängte die Sorgen um ihr Zuhause schnell wieder, sie schenkten sich noch einmal nach und entschieden sich, dann doch noch zum Warm-Up-Konzert im Steinbruch zu gehen, der auf der anderen Seite des Tales lag, eine gute halbe Stunde zu Fuß entfernt; insgesamt hatten sich fünf Bühnen im Tal verteilt. Gleich neben ihrem Hotel befand sich der so genannte Burggarten, wo an diesem Wochenende wirklich fast alles geboten werden sollte. Beeindruckende Folk-Popkonzerte nach dem Mittagessen, Chillen bei Elektrobeats, sogar ein zur Besinnung gekommener Punkrocker würde aus seinem Buch vorlesen. Und alles mit freiem Eintritt, quasi im Vorbeigehen. Der Kulturbranche schien es wieder gut zu gehen.
Die Mutter des Brillenträgers schickte ihm am späten Abend noch einen letzten Zeitungsartikel. Und nicht etwa zu den Flammen am Brocken: „Festivalbranche vor dem Kollaps.“ Der mdr machte mächtig Wind, denn erst/schon nächstes Jahr sollte sich die Branche schon/erst wieder erholt haben. Der Brillenträger hatte in diesem Moment seine Brille bereits abgesetzt. Er antwortete nur kurz, bevor er seine Augen schloss und sich dem Tanz vor der Bühne im Steinbruch hingab: „Eben deswegen drum.“
Kurz nach 14 Uhr am Freitag Nachmittag liegen der Brillenträger und die anderen unter den großen Linden im Burggarten und warten maximal entspannt, die ersten Gläser Rum haben sie soeben geleert, auf die zweite inoffizielle Eröffnung des Festivals. Hinter seinen Augenlidern malen Lanzen aus Sonnenlicht, die durch das dichte Blätterdach brechen, leuchtend bunte Muster in den kleinen Park neben der Burgmauer über dem Tal.
Vor ihren geistigen Augen malen sich die vier Freunde die nächsten Tage aus. Jeder freut sich auf andere Höhepunkte, die ein Festival eben zu einem Festival machen: Adrenalinschübe bei 200+ dB. Selbstvergessenes Zappeln und Tanzen. Lachen, Staunen, heimlich (manchmal auch offen) Lästern. Trinken, Rauchen, sich keine Sorgen um gar nichts machen. Der ununterbrochene Anblick von Menschen, die exakt genau das selbe machen. Das gute Leben eben.
Der Brillenträger ist dabei schon einen Schritt weiter; die Geschichte seines „Taubertal 2022“ ist in seinem Kopf bereits vorskizziert und mit so vielen Details angefüllt, dass er befürchtet, sie niemals wirklich schreiben zu können, jedenfalls nicht, wenn er sie nicht überhaupt erst erleben will. Einen Kompromiss allerdings braucht er nicht lange zu suchen: Er würde sich seine Geschichte einfach jetzt und hier selbst erzählen, mit geschlossenen Augen und stummen Lippen. Zunächst allerdings fehlt ihm noch ein Titel. Vielleicht mal nichts gestohlenes, höchstens etwas geremixtes. Nach einigen Minuten entscheidet er sich vorerst für: Liebesgrüße aus der Alten Welt. Darin würde es natürlich um das große Ganze gehen. Darum, wie sich Ereignisse zusammen denken lassen, die sich so unüberwindbar widersprechen: Der Himmel (Festival) auf Erden (Gegenwart des Jahres 2022). Er würde sich ausschließlich für den Himmel entscheiden, als so eine Art Kampfansage an die Gegenwart! Living well is the best revenge! Auch, oder erst recht weil die Gegenwart ihm noch gar nicht wirklich etwas abverlangt; dafür aber so vielen anderen um so mehr. Er würde seine Privilegien trotzdem voll auskosten, sich für nichts schämen, nicht einmal dafür, sich nicht dafür zu schämen. Immer mit dem Hintergedanken, dass es womöglich das letzte Mal sein könnte. Der Brillenträger hat jetzt sogar schon eine Lösung für ein weiteres Problem seiner Geschichte gefunden, auch wenn diese dann doch ziemlich offensichtlich geklaut ist. Aber hey, denkt er sich, geile Ideen sind zum Klauen da, zu mal wenn sie es ermöglichen, dem Chaos, aus dem Sterne geboren werden, Struktur zu verleihen. Und so würde er seine Geschichte wie David Mitchell erzählen, eine schier endlose Aneinanderreihung von Eindrücken, Gedankengängen, Erinnerungen und Gesprächsfetzen, die nicht erst am Ende Sinn ergibt. Das besondere an seiner Erzählung würde aber sein, dass diese ganzen „Chots“, wie er die Eindrücke, Gedankengänge, Erinnerungen und Gesprächsfetzen jetzt nannte, allesamt aus wirklich echten, also keinen ausgedachten bestehen würden. Denn irgendwie kommt ihm diese Gegenwart nun mal so vor, als sei sie ganz wirklich in mehr als tausend Stücke zersprungen. Also macht er sich zu seinem eigenen Ghostwriter, erzählt sich innerhalb weniger Minuten gleich mehrere Varianten, und ist dann endlich frei genug, irgendeine davon, oder alle, wirklich zu erleben. Wozu Eskapismus in Texten, wenn es auch so geht?
Bevor sich die vier Freunde erheben, um ein erstes Mal den Weg zur Hauptbühne anzutreten, und bevor sie jeder noch einen Shot trinken, lässt der Brillenträger noch einmal ganz bewusst seinen Blick schweifen, bevor er noch vier seiner eigenen „Chots“ einfängt; Trophäen aus der Alten Welt – in vierhebigen Trochäen: Sauber ist der Rasen hier / Sicherheit ist kein Problem / Sorgen schwimmen auf dem Bier / Zeit hat heute kein System.
„Kurz vorm Ende der Welt lass ich lieber los,
kurz vorm Schluss stört das bloß.“
(Ami Warning: Kurz vorm Ende der Welt. 2021.)
***
„Ancient Rome,
we built that fucker stone by stone.
Our fingers bled, our feet were worn,
but we stayed strong
and carried on.“
(Biffy Clyro: Sounds like balloons. 2013.)
B-Seite
Tales from under a Black Chandelier
(reporting from the last festival on earth)
Der Biergarten zur mittelalterlichen „Trinkstube Zur Höll“ ist auch am Freitag Nachmittag noch geschlossen. Wo es nicht überall Höllen gibt. Der Brillenträger fängt die geschlossene Gaststube mit seinem schwarzen Spiegel ein. Ein paar Meter weiter warten die anderen auf ihn. Sie tragen ihre ersten Festivalshirts. Dunkelrot auf Schwarz: K(l)assen(ab)sturz 2022. Schwarz auf noch schwarzer: Ein schwarzer Kronleuchter mit schwarzen Flammen auf schwarzen Kerzen. Golden auf Weiß: Ein kleines Stück Scheiße auf der linken Brust. Der Brillenträger selbst trägt hellblau, auf dem Rücken: Silhouetten von Raben, die vom Himmel scheißen.
„Nee, lass mal, ich hab grad schon genug Spaß.“ Die vier Freunde sitzen wieder auf dem Rasen des Burggartens. So wie viele andere auch. Nackte Füße wippen. Bier wird versehentlich umgestoßen. Dann ist ja alles wie immer. Die entspannte Stimmung wirkt nur halb real. Der Tontechniker steht hochkonzentriert am Mischpult; mit Erfolg: Die Band groovt vor sich hin. Man traut sich loszulassen.
Kinder beginnen zu tanzen. Ihre Eltern auch. Der Techno vertreibt die Freunde aus dem Burggarten. Die Sonne steht noch hoch über dem Tal. „Also dann? Auf geht‘s?“ „Ganz genau.“ „Dann sach ich ma: Bis Montag, ne?“ Das Almänchen ext sein Wegbier. Der Brillenträger braucht sein Feuerzeug, der T-Shirtträger atmet tief ein, der Sonnenbrillenträger lacht. Der Weg ins Tal geht auf die Knie. Wie oft werden wir hier wohl hoch und runter laufen? Die Hauptbühne grüßt von unten: Irgendein Lärm.
Auf der Brücke über die Tauber stehen die ersten Ordner. Auf der Kreuzung dahinter eine Wanne; die Polizisten freuen sich offensichtlich über die Abwechslung. Am Einlass wird moderat kontrolliert. Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit!
Der Brillenträger holt seinen schwarzen Turnbeutel aus seiner Herrenhandtasche und stopft sein gesamtes Hab und Gut hinein. „Kannst Du meine Sonnenbrille auch da mit rein tun?“ Logisch. Die vier stehen vor der Hauptbühne. Zwei schütteln mit dem Kopf. Auf der Bühne hat sich der Sänger eine Art Rampe gebaut. In der Mitte einen Boxenturm. Auf dem steht der Sänger. Der Refrain setzt ein. Er springt. Und landet unglücklich. Nix passiert. The show must go on. Nicht wenige lachen. Die Musik wirkt dreißig Jahre alt.
An den Theken stehen die Leute Schlange. Die Barkeeper arbeiten wie Uhrwerke. Bedient wird nur, wer den Mund aufkriegt. „Caipi irgendwer?“ „Mojito!“ „Check. Ich fang an.“ „Ich nehm‘ dann die nächste Runde.“ Die Menschen gehen überall eng aneinander vorbei. Zwischen den beiden Bühnen liegen höchstens fünf Minuten.
„So, ich hoffe, Du hast nicht zu viel versprochen.“ „Hab ich mich schon mal geirrt?“ „Hä? Etwa schon ma‘ nich‘ ?“ Die Leoniden erfinden das Rad mal wieder neu. Den allermeisten gefällt das. „Sind das die, wo du dich mal so richtig wirken lassen wolltest?“ „Hm, klappt so mittel.“ „Das sehe ich! Wir sind offiziell alt geworden.“ Die jungen Menschen lassen sich mitreißen. Die alten wippen mit, ziehen Vergleiche, verlieren sich in Muckergesprächen. Die Sonne geht langsam unter. Die Lichtshow beginnt, ihre Magie zu entfalten. Roter Strobo im Bühnennebel. Kaum jemand raucht. „Will noch wer?“ „Immer her damit, wenn‘s kein Olli is‘.“ Der Abschlussapplaus ist laut. Die Band geht grinsend von der Bühne. Leise setzt das Playback ein. „Wegen dem Wirkenlassen noch mal: Kennt ihr die Szene aus der Scholl-Doku, wo er von diesem Abend in einem Club erzählt? Der wollte sich auch mal wirken lassen.“ „Und?“ „Gleiches Ergebnis.“ Sie wollen anstoßen. Ihre Becher sind leer. Die Schlange an der nächsten Theke ist nicht zu lang. Das Almänchen stellt sich an. Die anderen verschwinden in Richtung Pissoirs.
„Cheers!“ Noch eine halbe Stunde. Der Platz ist voll. Fast 20.000 auf gut fünf Fußballfeldern. Zwei davon auf einem gar nicht mal so unsteilen Hang. Das Playback ist voll aufgedreht. I-I follow. I follow you. Die meisten summen mit, einige singen. Der Himmel ist inzwischen schwarz. Keine Sterne zu sehen. Hier leuchtet es zu hell.
„Ey! Randale! Ey, ey! Randale!“ Ein riesiges K hängt über der Band. K wie Karl. K wie Kommunismus. K wie Kinderkacke. Auf der Bühne steht ein Glücksrad. „Alter, in der Zeit hätten sie zwei Songs spielen können.“ Die Glücksfee aus dem Publikum erdreht 500K. Alle sind happy. Der Bass zieht auch noch dem letzten die Schuhe aus. Im Publikum brüllen einige: „Ostdeutschland!“ Die vier Freunde antworten: „Maul da drüben!“
Dann sind die Lichter aus. Die Ordner schmeißen die Staubsauger an. „Kommt noch wer mit?“ „In den Steinbruch?“ „Das würde heißen: einmal hoch, dann wieder runter, dann nochmal hoch. Und keiner weiß, wie cool die Mad Caddies noch sind.“ Über dem Taubertal steht inzwischen ein noch ziemlich voller Mond. Auf der Brücke teilt sich der Strom. Zwei von ihnen reihen sich links ein, die anderen rechts. „Bis morgen! Vielleicht.“
Die Yogamatten im Burggarten werden zusammengerollt. Samstag Mittag. In der Mittelalterstadt kriegt niemand noch einen Tisch. Auf dem Rasen wischen die mesiten über ihre Schwarzen Spiegel. „Leute! Heute is och HC-Unity-Fest inner Reiche!“ Das Almänchen bläst Rauch durch die Nase aus. „Jedem das seine.“
Auf einer kleinen, beschatteten Bühne sitzt Monchi im Lesesessel. „Wollt ihr da noch länger zuhören?“ „Ich schon. Hattes schlimmer erwartet. Und gemütlich isses hier auch.“ Immer mehr Menschen setzen sich und hören zu. Immer wieder wird gelacht, ernst genickt oder zwischenapplaudiert. Monchi geht es gut. Gut so. Das Buch kann man bestellen. Wenn man will. Es sind 30°C.
Auch vor der Hauptbühne. Die liegt schon im Schatten und ist ein einziges riesiges Grafitti. Verstärker, Boxen, Basedrum, Backdrop, alles zusammen ergibt Sinn. Arme sind in die Höhe gereckt, die Masse aus Köpfen und Körpern wippt im Takt. Oder pogt:
„Du-bist-nicht-der-Mit-tel-punkt-des-Unniväärsums!
Du-bist-nur-ein-ArschimRaumderZeeeiit!“
Beinahe drei Generationen singen lückenlos mit. Bier verkauft sich gerade am besten. Punkrock never dies. Bald gehen die ersten in Richtung zweite Bühne. Und machen sich schon mal in den Beinen warm.
Faber steht in einem Nelkenmeer. Seine Band auch. Davor ist es rappelvoll. Schon vor dem ersten Takt steht kaum noch jemand still. Die meisten rasten aus. Am Stück. Ein Circlepit öffnet sich. Warum weiß niemand. Dann fällt der Sound aus, die Band spielt weiter, der Circlepit fällt in sich zusammen, der Sound ist wieder da. Alle rasten weiter aus. Keine Circlepits bei Faber! Gut so. Es liegen doch innerlich eh alle schon am Boden.
„Wer spielt als nächstes?“ Die vier Freunde stehen wieder am Fuße des Hanges, es ist bereits schon wieder dunkel. Wieder knapp 20.000. Windjacken und dünne Pullis werden aus Taschen und von Schultern geholt. „Als nächstes? Lass Dich mal überraschen.“
Die Show beginnt. Alles zwischen der Bühne und der Leinwand in der Mitte des Platzes davor ist trunken vom fetten Beat. Gehirne werden ausgeschaltet. Die Theken haben nur kurz Pause. Polonäsen Schlägeln sich durch die Masse. Nüchtern war hier vorgestern. „Wo war-ich-in-der-Nacht-von-Freeeeitaag-zu-Mooooontaag?“ Der T-Shirtträger steht wie versteinert da. „Alter! Ist das deren Ernst?“ „Wen meinst Du? Die Band oder das Publikum?“ „Na beide! Alter, was? Das wird ja sekündlich schlimmer!“ „Was meinst Du? Die Musik oder die Texte?“ „Alter! Beides natürlich!“ Erleichtertes Gelächter in allen Gesichtern. „Wer will noch was zu trinken? Ich stell mich an.“ Die Menge vor der Bühne taumelt weiter. Wie egal doch alles ist.
Henning May trinkt auf der Bühne. Was genau, das ist schwer zu erkennen; es ist Samstag, spät am Abend. Noch später würde eine wegen irgendetwas enttäuschte Redakteurin in der ersten online Festivalreview (bei laut.de) schreiben, dass hier gerade der schwächste Auftritt des Festivals erlebt worden wäre. „Oberflächlich. Versnobbtes Publikum.“ Missgunst, Neid und Eifersucht. Offensichtlich aber ist diese Redakteurin überall, aber nur nicht hier. Hier spielt immer noch die gleiche geilste Straßenband aller Zeiten, nur eben mit einem riesigen Publikum, einem halben Orchester und unfassbar guten Songs, die auch die letzten hier auswendig können. „Sacht ma, zählen die eigentlich auch schon mit zu dieser Neuen Volksmusik?“ „Ich hoffe nich‘.“ „Aber der Chor is schon geil!“ „Damit de Kind‘r die mer kriieeje könn, alle in Kölle jebo-ohohoooo-re sin.“ Tränen. Viele, ehrliche Tränen. Und Schwarze Spiegel, die aus Respekt wieder weggesteckt werden. Darauf noch ein letztes Bier. „Oder kommt noch wer mit auf den Rest Rum im Burggarten.“ „Als ob da noch was los wäre!“ „Wer kann das schon genau wissen? … If we shadows have offended, think but this, and all is mended, that you have but slumb‘red here while these visions did appear!“ „Alter! Dein Ernst? Shakespeare oder wer?“ Sommernachtsträume traut sich niemand mehr; der Kontrast schmerzt einfach zu sehr.
Vor der kleinen Bretterbühne, auf der Monchi gestern gelesen hatte, ist nichts mehr los. Vereinzelt stehen noch einige Ordner unter den Bäumen oder sitzen mit Bier oder Cola an den wenigen Tischen. Der Mond über den Linden ersetzt die künstliche Beleuchtung. Die vier Freunde schleichen auf die Bühne, niemand scheint sie zu bemerken. Der Rum übersteht kaum wenige Minuten. Der Sonnenbrillenträger zaubert eine Bluetoothbox aus seinem Beutel. „Los! So jung komm‘ wir…“ „Alter! Wirklich? Du willst hier und jetzt steppen?“ „Das hast du jetzt gesagt. Aber bitte! Gerne doch!“ Die Freunde lachen sich fast bis in die Besinnungslosigkeit. „Ham‘ wir denn nu schon einen richtigen Namen?“ „Gefällt dir der jetzige etwa nich?“ Die Musik beginnt leise zu spielen. Ihre Füße machen sich locker. „Doch, is auch cool. Aber einen Vorschlag haben wir komischerweise immer wieder vergessen.“ „Ach ja? Und der wäre?“ „Na der Name des Songs zu dem wir immer proben.“ Der Sonnenbrillenträger wischt über seinen Schwarzen Spiegel und drückt Play. Dann legen sie los. Als ob sie nie etwas anderes gemacht hätten. Im Neun-Sechstel-Takt, damit es nich‘ zu einfach wird. Niemand versteppt sich. Luna verschluckt sich und lacht ungläubig. Das monatelange Proben ist ihnen in Mark und Bein übergegangen. Dionysos tanzt Reigen mit Eurydike.
„One, two, three, four!
We’re Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band.
We hope you have enjoyed the show.
Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band.
We’re sorry, but it’s time to go.“
(The Beatles: Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band. 1967.)
Die letzten Takte sind noch nicht verklungen, da brandet leiser Applaus auf. Die Ordner sind neugierig näher gekommen, Menschen, die immer noch aus dem Tal zurück kommen, sind stehen geblieben. Die vier auf der Bühne sehen sich schwitzend und grinsend an. „Dann wäre die Sache mit dem Namen also beschlossene Sache?“ „Auf jeden Fall!“ Der Sonnenbrillenträger tritt vorsichtig an den Bühnenrand. „Noch eins?“ Ermutigender Applaus von allen Seiten. Ein junger Mann mit einer Ukulele, den man in der Dunkelheit nur schwer erkennen kann, tritt vor die Bühne. „Könnt ihr auch Hip-Hop?“ „Wieso?“ Der junge Mann schlägt seine Ukulele an und nur Momente später beginnen alle im Chor zu rappen: „Kleidung ist gegen Gott!“ Die ersten beginnen sich wieder auszuziehen. Bierflaschen werden zischend geöffnet. Rauschschwaden wabern in der Luft. Unter dem perfekten Veitstanz der Männerstepptanzgruppe aus Quedlinburg erzittert die gesamte Rothenburg. „Und wir singen im Atomschutzbunker: Hurra, diese Welt geht unter!“ Die Stimme des jungen Mannes übertönt alle, aber nicht die Schuhe der vier Freunde auf der Bühne. Dann zerschmilzt sogar die Zeit in der Luft dieser Sommernacht.
Am Sonntag Vormittag kann sich niemand mehr an nichts erinnern. Und wenn doch, dann kann man in den Gesichtern der Menschen nichts davon lesen. Sonnenbrillen sitzen dicht auf allen Nasen.
Im Burggarten steht Ami Warning ihre Frau, groovt sich locker und lässt dann los. Die Luft wird so leicht und warm, dass Federn darin aufsteigen könnten. Die vier Freunde sind schon wieder begeistert und können ihr Glück schon wieder nicht fassen. „Es ist echt nicht alles Gold, was beim Taubertal so glänzt.“ „Aber wenn, dann so richtig!“ Das Publikum erklatscht sich die einzig echte Zugabe des Wochenendes.
Der Rest des Nachmittags schwindet dahin. Der Höhepunkt überschattet bereits alles. Und am späten Sonntag Abend stehen keine 20.000 mehr vor der Bühne. Das Fest geht schon zu Ende. Nur eine Band bleibt übrig. Kein Viertel des Publikums kennt die letzte Band. Wie das mit den allerbesten Bands nun mal so ist. Denn was jetzt folgt, ist unbeschreiblich, und wird es auch bleiben.
Im Hotelzimmer der vier Freunde ist es am frühen Montag Morgen noch stockdunkel. Von draußen sind kaum Vögel zu hören. Der Brillenträger setzt seine Brille noch nicht auf, tippt aber bereits eine SMS an die Brillenträgerin, die ihre Brille gar nicht mehr sooo ungern trägt: „When we collide we come together. If we don‘t we‘ll always be apart. Hätte so gern von Dir geträumt heute Nacht. Aber: Adrenalin/Serotonin/Dopamin/repeat und höllische Nackenschmerzen ließen mir keine Chance. Wann sehen wir uns?“ Halb unter der Bettdecke summt sein Handy nur wenige Minuten später: „Bald.“ Er tippt hastig: „Ich hätt‘ ja gern ein Video geschickt, aber ich denke, den Chor krieg ich bald noch mal besser.“ „Die besten Dinge kriegst du eh nie eingefangen.“
Am Frühstückstisch rühren alle langsam in ihrem Kaffee. „Kann sich von euch irgendwer inzwischen mal erinnern, was Samstag Nacht eigentlich passiert ist?“ „Ich kann mich nur noch an gestern Abend erinnern.“ Für immer. Auf dem Nebentisch liegt eine frische Lokalzeitung. Der Brillenträger greift träge danach und blättert sie gemächlich durch. Plötzlich hält er inne. „Leute! Das glaubt ihr nicht!“ „Ich glaub sowieso schon lange nichts mehr!“ „Nee, ohne Scheiß jetzt mal, hört zu: „Sensation auf dem Taubertal! Die Smithereens aus Quedlinburg.“ Löffel werden in Tassen fallen gelassen, das Porzellan zerspringt beinahe, als die Untertassen scheppern. „In der Nacht von Samstag auf Sonntag gab es einen dieser Momente, die umgehend zu Legenden werden. Kurz nach eins kommt es im Burggarten zum geheimsten Secret-Gig der jüngeren Musik- und Tanzgeschichte. Ungefragt kapern vier Männer aus einer Kleinstadt namens Quedlinburg die kleine Bühne. Was folgt, zieht im Laufe der nächsten drei(!) Stunden bis zum Morgengrauen hunderte in ihren Bann. Ein Stepptanzkonzert, wie es sicherlich noch niemand jemals erlebt hat. Am Ende liegt nicht nur die Bühne im Burggarten in Schutt und Asche. Wer es nicht erlebt hat, wird es nicht glauben. In einem kurzen Spontaninterview nach der Show konnte uns die Gruppe allerdings noch keinen endgültigen Namen nennen. Sie erlauben uns aber, einen vorübergehenden zu erfinden. Verehrte Damen und Herren: Das nächste große Ding in Sachen kontemporärer gesellschaftskritischer Kunst kommt ebenfalls aus einer Mittelalterstadt. Machen sie sich gefasst auf die Smithereens aus Quedlinburg! Vielleicht schon bald auch in ihrer Stadt.“ Keiner der vier traut sich zu lachen. Minutenlang kauen sie still ihr Frühstück. „Das hast du dir jetzt gerade ausgedacht?“ „Hast du doch, oder?“ „Oder??“ Der Brillenträger lächelt. Die anderen auch. Sie stehen geschlossen auf. Wahrscheinlich, um ihre Rucksäcke zu holen. Abreise. Zuhaauusee bist immer nur du.
***
(hidden bonus track)
Der Brillenträger und der Sonnenbrillenträger stehen am nächsten Tag wieder vor einer Bühne, dieses Mal in Hamburg. Wie so Groupies. Und sie erleben, dass Biffy Clyro wirklich alles können. Sogar ganz normale Konzerte mit schlechtem Sound spielen. Für den besseren Chor ist das mehr als genug. Einfangen konnte der Brillenträger den aber wieder nicht wirklich. Gut so.
„Don’t want to waste no more time.
Time’s what we don’t have.
Everywhere I look someone dies.
Wonder when it’s my turn.“
(Biffy Clyro: Living is a problem because everythings dies. 2007.)

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