Gegenwartsliteratur.
Live.
Nur im Internet.
Aus der Provinz.

# Startseite / Die Kurzgeschichten / The Darker the Shadow the Brighter the Light

Lesen

The Darker the Shadow the Brighter the Light

von | 2023 | 27. Oktober | Die Kurzgeschichten, Quedlinburger Kurzgeschichten, Staffel 9a - Little Oblivions

 

„Es ist schwer,
ich nehm’s leicht.“

(Helene Hegemann: Torpedo. 2009)

 

 

Prolog

Would the Real Slim Shady please stand up?

 

Seine bunt leuchtenden Haare hatte der Bunthaarige unter einem schwarzen Basecap versteckt, das sein Gesicht und seine Aufregung verschattete. Der Grenzbeamte im Bahnhof in Brüssel schaute skeptisch vom Reisepass auf den jungen Mann vor ihm, verzog seinen Mund zu einem Fragezeichen und bedeutete dem Bunthaarigen, er sollte sein Basecap mal absetzen. Der Brillenträger, der einige Meter entfernt stand, nickte ihm aufmunternd zu. Der Grenzbeamte zog die Augenbrauen in die Höhe und hob sich das Lächeln noch auf: „So, today you are blonde?“ Ein Kopfnicken des Brillenträgers verhieß dem Bunthaarigen, er hätte die Frage richtig verstanden, seine Haare strahlten kurz, beinahe weiß, im Neonlicht der Bahnhofshalle, und er setze nickend sein Basecup wieder auf. Dann lächelten alle drei fast gleichzeitig und die Zugfahrt 250 Fuß unter dem Meer konnte beginnen.

Am Tisch neben Ihnen hatte eine Unterhaltung zwischen vier deutschen Doktoranden begonnen, so viel war den beiden nach nur ein paar Worten bereits klar geworden. Der Bunthaarige nutze das kostenlose Wi-Fi des Eurostars, um bei Clash of Clans als Anführer seiner Horde dem Level-15-Rathaus wieder ein Stück näher zu kommen, während der Brillenträger es nicht lassen konnte, den Wissenschaftlern neben sich zu lauschen. Das interdisziplinäre Seminar diente schnell dem Austausch über den aktuellsten Stand der jeweiligen Forschung. In der Krebstherapie würden sich durch die KI sehr bald ganz neue Wege begehen lassen, noch aber seien die Kosten viel zu hoch für mehr als 1% der Menschen. Der Mediziner der Runde referierte gekonnt mit verschränkten Armen, bevor er hochinteressiert lauschte, was die anderen Seiten zu bieten hatten. Ah, Waffentechnik?! Da würde doch bestimmt gerade viel Geld fließen, oder? In der Antwort lag gerade genug Verschämtheit, dass der Brillenträger sich nicht räuspern musste. Er wandte sich wieder seinem Notebook zu, und machte sich kurze Notizen über den aufstrebenden Mittelbau der deutschen Universitäten im Jahre 2023. Am Fenster neben ihm lehnte der Kopf des Bunthaarigen, in beiden Ohren Earpods, die Augen geschlossen; draußen flog die Dunkelheit vorbei.

Neben dem roten Turm der Kings Cross Station stand ein halber, hell leuchtender Mond im Sonnenuntergang über der nahen Themse. London hieß die beiden grandios willkommen. Aber an der Platform 9 ¾ ging der Bunthaarige nur cool vorbei, und der Brillenträger schaffte es gerade so, einen Schnappschuss zu erhaschen, die Touristen drängelten sich in Dutzenden an der Absperrung. Das viel größere Mysterium lösten die beiden dann in der nächsten halben Stunde. Wie funktionierte eine Oyster-Card? Musste man auf Treppen wirklich links gehen? Wie kompliziert konnte ein Plan des Öffentlichen Verkehrs eigentlich sein? Wodurch unterschieden sich Underground-, Overground-, South Western Railway- und Buslinien?
Als sie in Lambeth, südlich der Themse angekommen waren, entschieden sie sich für einen Spaziergang bis zur Pension. Die Wandsworth Road machte eine unendlich lange Kurve, auf der sie an allen nur denkbaren Geschäften, Pubs und Restaurants entlangliefen, die meisten von ihnen so belebt wie es an einem Sonntagabend in London zu erwarten war.

In ihrem kleinen Zimmer im Kellergeschoss der Pension, mit Ausblick auf den Hof des Kellereingangs, besprachen sie nur noch kurz den Plan für morgen, bevor der Bunthaarige sein Basecap endlich absetzen konnte, um frisch geduscht unter der Decke seines Bettes zu verschwinden. Heimweh lag in der nasskalten Luft vor dem geöffneten Fenster, und morgen wollten sie eigentlich zu früh aufstehen, mitten in den Herbstferien. Der Brillenträger bastelte noch einige Minuten an der morgigen Route, gab sich nur kurz dem Doomscrolling hin und versuchte dann auch in einen nervösen Schlaf zu fallen. Heimweh kennt kein Alter.

 

 

Teil 1 – Teenage Angst

 

„Jede Kommunikation
fällt mir voll schwer.
Bitte nimm mir das nicht übel,
kann das erklär’n.“

(Julien Bam: Anxiety. 2022)

 

Ihr erstes englisches Frühstück bestellten die beiden im „Sweetsmile“, nur ein paar Gehminuten von ihrer Unterkunft entfernt. Der Bunthaarige hatte einen mittelgroßen Turm Pancakes vor sich, der getränkt war in dicken Sirup. Auch der Brillenträger aß gut und reichlich in Vorahnung eines anstrengenden Tages. Zehn Meilen zu Fuß und etliche mehr auf dem Oberdeck von roten Bussen. Mit dem ersten davon fuhren sie natürlich zunächst in die falsche Richtung; Anfänger machen Anfängerfehler, das würde ihnen kein zweites Mal passieren. Ihr Miniausflug nach Lavender Hill dauerte nur wenige Stationen hin und zurück, überzeugte aber besonders den Bunthaarigen davon, dass Busfahren wesentlich entspannter als alle anderen Varianten war, erst recht, weil man dabei eben immer eine Etage über den meisten anderen war, in relativer Sicherheit vor dem Chaos da draußen.

Als sie sich an der Schlange vor Westminster Abbey anstellten, rollte nicht mehr nur der Bunthaarige mit den Augen. Der Brillenträger suchte die Abkürzung mit einer App und bald konnten sie die Schlange wieder verlassen und beim Betreten der Kirche setzten beide fast gleichzeitig ihre Basecaps ab. Unter den Spitzbögen suchten sie den Boden nach bekannten Namen ab, Stephen Hawking begrüßte sie aus der Vergangenheit. Das Gedränge in den schattigen Gängen wurde bald zu viel, sie flohen auf den Innenhof, und nach einem kurzen Besuch in der Poetenecke und bei Elizabeth der Großen suchten sie schnell den Ausgang. Die Sonne empfing sie zurück in der Gegenwart, sie setzten ihre Basecaps wieder auf und marschierten vorbei an den Plätzen der Macht, vorbei an der schwer beschützten Downing Street, vorbei an den Pferdewachen, die grade von einer Parade vor dem St. James Park geritten kamen, hinter dem der Buckingham Palace von Touristen belagert wurde. Sie suchten sich eine Bank und beobachteten die Wasservögel beim Betteln und Fotografiertwerden. Dann passierten sie den grauen Palast und spazierten durch Westminster und Mayfair bis zum Hyde Park. An der Speakers Corner fanden sie dann nicht nur Postkarten, aberwitzig teure Briefmarken, süßen Kaffee und ein paar Snacks, sondern auch die Gelegenheit für eine längere Pause. Der Himmel bewölkte sich wieder, ihre Basecaps behielten sie auf.

Eine Stunde und viele Busminuten später blieben sie am Eingang zum Graffiti Tunnel kurz stehen. Unheimlich ging sicher anders, so viel Betriebsamkeit wie hier herrschte, aber Tunnel bleiben Tunnel, egal in wie viele verschiedene Farben sie getaucht sind. An der ausgeleuchteten Decke waren riesige Portraits zu sehen. Ein Frauengesicht, eingefasst in hunderte geschwungene Namenszüge: Jesus. Einige Meter weiter ein weiteres Frauengesicht, maskiert und durch die Deckenleuchten in der Mitte geteilt, so dass die Augen von der Mitte aus angestrahlt wurden. In einem Nebentunnel fanden sie hinter Plexiglas das Schwarz-Weiß Bild eines Panzers, über den in riesigen Lettern Carnival geschrieben war. Nicht weit davon ein frischer Schriftzug: Free Gaza from Hamas! Sie suchten das Licht am anderen Ende des Tunnels und traten in den leichten Nieselregen, wo die Menschen sich wieder angenehmer verteilten.

 

„Let’s be really real:
Anxiety can foggy all this stuff.“

(Neffex. 2022)

 

Im Bus zum Leicester Square fanden sie auch auf dem Oberdeck gerade noch so ein paar Plätze. Der Tag begann lang zu werden, und wie immer in solchen Momenten, sehnten sie sich nach zu Hause. Oder wenigstens nach gutem Essen. Irgendwo hinter den Strömen der Touristen versteckte sich neben einer riesigen Menschentraube, die einer Geigerin zuschaute, das Apna Adda, eine kleine Streetfoodküche, die Curry in allen Schärfen anbot. Sie suchten sich eine der wenigen Sitzgelegenheiten, wärmten sich an den Gewürzen, versuchten in all dem Trubel ihre Mitte zu finden und waren dann bereit, auch noch eine Runde um den Picadilly Circus zu drehen, bevor sie endlich den Weg zurück in ihr momentanes Zuhause antraten, wohin der Weg, für heute, nicht mehr das Ziel war. Die Mienen der beiden entspannten sich zu einem Lachen, als sie dann am Abend gemeinsam, in der Sicherheit ihrer Betten, einen Kurzausflug nach Hyrule machten, um wieder etwas mehr Licht ins Land der Prinzessin zu bringen; Drachentöten, leicht gemacht.

 

 

 

Teil 2 – Mind the Gap

 

Die letzten Regentropfen an den Zugfenstern waren gerade getrocknet, als sie am nächsten Morgen in Salisbury auf den Bahnsteig traten. Gute zwei Stunden südwestlich von London hatte sich die Sonne bereits gegen die Wolken durchgesetzt; Basecaps passen zu jedem Wetter. Der Bus nach Stonehenge stand nur wenige Gehsekunden entfernt. Auf dem Oberdeck machten sie sich mit dem Audioguide vertraut und lauschten nur einige Minuten später der ersten Geschichte über die Kathedrale der Stadt. Sagenumwobenes altes Papier irgendwo unter einem sagenhaft hohen Turm. Der Bus fuhr gemütlich durch die engen Kurven der Innenstadt, die sie fast ein wenig zu sehr an ihre Heimatstadt erinnerte, zumindest was das Alter anging. Dann fuhren sie durch sanfte Hügel und weniger sanfte Kurven; der Busfahrer kannte die Strecke ein bisschen zu gut; alle paar Minuten vorbei an einer anderen historischen Stätte, die sie mal mehr, mal weniger erfolgreich in all dem Grün ausmachen konnten.

Der Parkplatz und das Besucherzentrum waren noch nicht allzu sehr überfüllt, den Giftshop ließen sie links liegen und hielten lieber nach Kaffee und einer Karte Ausschau, bevor sie sich auf den wenig beschwerlichen Fußmarsch nach Stonehenge begaben. Ringsumher liefen Menschen auf den Wiesen, unter den riesigen Wolken grasten Schafe und Kühe und ließen sich dabei fotografieren.
Die Versammlung der Besucher*innen am berühmten Steinkreis fiel überschaubar aus, gegen Mittag hielt sich die Mystik des Ortes in Grenzen. Unter ihren Basecaps beobachteten sie die entweder zu großen Krähen oder zu kleinen Raben, die sie widerum ihrerseits von den höchsten Stellen des mystischen Ortes aus beobachteten, ohne sich sonderlich für sie zu interessieren. Menschen kommen und gehen, wo Steine seit Jahrtausenden stehen; nichts was ein waches Auge nicht schon lange bemerkt hätte. Der Bunthaarige schoss seine erste Instastory. Pics or it didn’t happen.

Den Sonnenuntergang im Rücken, fuhren sie am Nachmittag nach London zurück und spielten über die Hälfte der Zeit Stonehenge Top Trumps, natürlich auf Englisch, sie waren lange genug im Land, die Schilde ihrer Basecaps waren nach oben gerutscht. Der Brillenträger fand auf der Bordtoilette dann sogar etwas für seine Instastory: „Please don’t flush – Nappies, sanitary towels, paper towels, gum, old phones, unpaid bills, junk mail, xour ex’s sweater, hopes, dreams or goldfish – down this toilet“, und sogar der Bunthaarige musste darüber schmunzeln.

Sie waren kaum einige hundert Meter in Whitechapel unterwegs, da verdichtete sich die Luft zu einer Wolke, die nach Essen roch, nach Lackfarbe, und nach Gras, willkommen auf der Brick Lane. Die Laternen leuchteten ihr bestes London Licht, die Schaufenster strahlten dunkel genug, tausende Graffitis waren perfekt ausgeleuchtet, für so eine belebte Straße war es angenehm schattig. Nach einer halben Stunde hatten sie sich für das Masala entschieden, das im inneren überraschend hell war. Bei Bier und Cola warteten sie nicht lange auf ihr Essen, das zwar nicht das bestellte war, aber trotzdem schmeckte; mit der Schärfe von gestern konnte es jedoch nicht im entferntesten mithalten, worüber zumindest der Brillenträger sich nicht beschwerte.
Unbeschwert wie seit ihrer Ankunft nicht suchten sie danach den Bahnhof im East End. An der riesigen Backsteinüberführung fanden sie, in weißen Lackbuchstaben, eine erwartbare Begrüßung: East Endead. Da sah sah der Bunthaarige plötzlich erschrocken auf. Vor lauter Unbeschwertheit hatte er seinen Rucksack im Masala stehenlassen. So hofften die beiden jedenfalls, als sich sich auf den Rückweg nach Whitechapel machten, den sie auch ohne Karte fanden. Die Türsteher sahen inzwischen wachsamer aus, die Seitenstraßen lagen in beinaher Dunkelheit. Aber schon vom Eingang aus konnten sie den schwarzen Rüstungsteil unter dem Tisch stehen sehen. Unerwartete Bonusquest abgeschlossen. Erneut wanderten sie, wieder ein bisschen weniger furchtlos, von einem Schatten zum nächsten, unter den Londoner Laternen zum Bahnsteig.

 

 

 

Teil 3 – Shake Hands With Shadows

 

Nur was,
wenn es keine Schatten,
sondern die Dunkelheit?

 

Auch am dritten Abend hatten sie die letzten Minuten vor ihren je eigenen Schwarzen Spiegeln verbracht, bevor sie sich eine gute Nacht und einen erholsamen Schlaf wünschten. Kurz zuvor aber hatte sich der Brillenträger vom Bunthaarigen die Pixelwars auf Reddit erklären lassen, und fragte sich nun, als er die neuesten Meldungen über die ukrainische Bodenoffensive las, ob das Internet nicht doch noch seine guten Seiten hatte; könnten doch nur alle Kriege virtuell verlaufen. Oder wenigstens ähnliche Auswirkungen haben wie Clash of Clans, dann hätte der Brillenträger vielleicht auch daran noch Spaß haben können. So aber verbrachte er nicht mehr all zu lang in seiner eigenen Bubble, seinen eigenen Feeds and Needs, und hielt sich selbst und die Welt tatsächlich irgendwie leichter aus. Die Schatten der Nacht konnten kommen.

Ihr letzter Tag in London begann im Nebel über der Themse. In der Tube zur Tower Bridge war es auffällig ruhig gewesen, die meisten waren auf Noise Canceling, die Kopfhörer absichtlich eine Nummer größer. Dafür standen die beiden ein paar Meter voneinander entfernt eingekeilt zwischen mehr Menschen als die Wagen eigentlich aufnehmen sollten. Das eine der Top Wahrzeichen ließen sie dann aber links über der Themse auf seinen gigantischen Pfeilern liegen und umrundeten stattdessen den Tower selbst, aber erst kurz nachdem sie ein kleines Frühstück und Kaffee gefunden hatten. Die Schlange am Eingang zu den Verließen und Schatzkammern der Stadt war von auszuhaltender Länge, und ohne weitere Verzögerungen betraten sie den bis jetzt größten Dungeon ihres Trips. Folterkammern, Waffenkammern, Rüstungskammern, sogar ein kunsthandwerklicher Drachen auf Top Level versuchte vergeblich ihnen Angst einzujagen und seinen Schatz zu beschützen, den er schön behalten konnte. Auch bei den Kronjuwelen war noch wenig los und sie konnten ohne anzustehen auf den Laufbändern an den britischen Kronen der letzten 1000 Jahre vorbeifahren, um abschließend noch in einen der Kerker zu steigen, an deren Wänden Botschaften aus der Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen hatten, die keiner von ihnen verstand, die aber wohl des öfteren vom Ende eines Abenteuers zeugten.

Zurück auf dem Oberdeck, und endlich auch in der Frontreihe, fuhren sie am frühen Nachmittag in Richtung Norden durch London, das auch nach fast einer Stunde einfach kein Ende nehmen wollte, allein die Main Street durch Halloway musste viele Meilen lang sein, ihre Beine entspannten sich zunehmend, gute drei Meter über dem Boden.
In der Nähe des Highgate Cemetery stiegen sie aus und spazierten vorbei an Wiesen, Teichen und unzähligen Parkbänken, die Sonne stand im Süden über der Stadt und das Licht drängelte sich an den Wolken vorbei bis zu den Enten und Gänsen, die Squirrel hatten begonnen, ihr Winterlager zu füllen. Als sie den Eingang passiert hatten, hielten sie die nächste Karte in den Händen. Bis zu Douglas Adams war es nur um die erste Ecke. Und als sie Marx erreichten, unterbrach der Bunthaarige den Brillenträger, als dieser zu einem Vortrag über das Philosophieren und das Interpretieren und das Verändern anhob. Er wusste das doch schon. Und zwar seit Jahren. Vom Känguru. Der Brillenträger verstummte gerne, dann wanderten sie im Kreis bis zum Eingang zurück.
Als sie später die St. Paul’s Cathedral umkreist hatten, und das Wetter wieder mehr London war als ihnen lieb sein konnte, entschieden sie sich doch lieber für den nahegelegenen Burgerladen. Keine Kathedrale der Welt kann solche Lächeln auf hungrige Gesichtern zaubern. Ihre Basecaps lagen neben ihnen auf dem Tisch, die Getränke hätten süßer nicht sein können, und als die Oberin sie fragte, ob denn etwa in Deutschland gerade Ferien seien, nickten sie zufrieden; sonst wären sie ja nicht hier. Sie leckten sich heimlich die Finger ab und verabschiedeten sich in die hereinbrechende Nacht, sie wollten gepackt haben, bevor die Müdigkeit sie einholte.

 

 

 

Teil 4 – Mockingbird

 

Bis zu ihrer Abreise war also das meiste gut gegangen, und nun hatten sie nur noch die letzte und wichtigste Quest vor sich: Das sichere Erreichen der Heimat. Nur wollte London sie nicht so ohne weiteres gehen lassen; in game Zahlungen gab es auch im real life. Sie waren unwissentlich zu spät am Gate, der Brillenträger hatte das Kleingedruckte auf ihren Tickets ignoriert. Also mussten sie weitere zwei Stunden warten (und eine ansehnliche Summe zahlen), bevor sie den Eurostar wieder betreten konnten. Beim letzten Sicherheitscheck fehlte dann auf einmal das Basecap des Bunthaarigen. Sie blieben auf der Stelle stehen: „We’re missin’ a hat, a black one.“ Nichts wichtiges geht verloren, wenn es wichtig genug ist.
Den größten Teil der Rückfahrt schaute der Brillenträger immer mal wieder dabei zu, wie der Bunthaarige eine Geschichte entdeckte, die in dessen Geburtsjahr das erste Mal erzählt wurde: Ein Old Dude und ein goofy Hero mischen die internationale Drogenszene auf. Jedes Mal, wenn der Brillenträger den Bunthaarigen anbuffte, sagte dessen Blick nur: No Spoiler!
Erst spät am Abend wartete die Brillenträgerin, die ihre Brille zum Autofahren nicht brauchte, am Braunschweiger Bahnhof auf sie, und auf der letzten Rückfahrt nach Quedlinburg lauschte sie den müden Erzählungen der Abenteurer. Im Rückspiegel lagen die hell leuchtenden Haare im Schatten und wurden nur selten von entgegenkommenden Scheinwerfern angestrahlt. Und über die Felder des Harzvorlandes flogen die letzten Vögel nach Hause und in einen neuen Morgen.

 

„No more games,
I’ma change
what you call rage.
Tear this motherfuckin‘ roof off
like two dogs caged.
I was playin‘ in the beginning,
the mood all changed.“

(Eminem: Lose yourself. 2002)

 

 

 

The End

 

2 Kommentare
  1. Göran

    Klingt nach einem gelungenem London-Trip. War sicher auch für den Bunthaarigen ne tolle Erfahrung….

    Antworten
  2. Mathias

    „Erfahrung“ trifft es in vielerlei Hinsicht sehr gut.

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert