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… Watching the World Burn (S11:Ep10)

von | 2024 | 10. November | Die Serie

Bild: Auf Abstand

 

 

„Die Moderne träumt davon, ein für alle mal mit den Verlusten fertigzuwerden, die den vormodernen Menschen plagten. Tatsächlich ist sie aber eine Gesellschaft, die um ihr ungelöstes, ja unlösbares Verlustproblem kreist und aus diesem Grundproblem im Quadrat der Verlustparadoxie eine erhebliche Energie bezieht. Im Arrangement der modernen Gesellschaft ergibt sich so eine prekäre Balance zwischen Fortschrittsorientierung, Verlustreduktion, Verlustpotenzierung, Verlustinvisibilisierung und Verlustbearbeitung. Man muss dieses grundsätzliche moderne Verhältnis verstehen, um auch die Spätmoderne zu begreifen – gerade, weil diese Konstellation in ihr dabei ist, aus dem Gleichgewicht zu geraten.“

(Andreas Reckwitz: Verlust. 2024)

 

 

… und das ist ja sogar
noch vorsichtig formuliert,
denn „im Gleichgewicht“
ist ja wohl gar nichts mehr;
aber na ja,
das Buch ist ja auch
schon wieder
älter
als ein paar Wochen.

Apropos „Woche“:
Noch nie (wirklich jetzt!)
in den ersten fünf Jahren dieses Jahrzehnts
wurden so viele relevante Wochenrückblicke
damit begonnen,
was das wohl (wieder)
„für eine Woche“ war.
Und noch nie
wurde das
mit so viel Berechtigung behauptet;
weswegen ich mir das also sparen kann
und einfach ohne weitere Vorrede
direkt anfange,
irgendwo noch vor
dem 5/6th of November 2024;
ohne Zweifel die „Zeitenwende“ 2.0;
#DieDoppeltenZwanziger steuern
eher zu schnell
als zu langsam
auf ihren absoluten Höhepunkt zu.
Oder wie es Christian Y. Schmidt
irgendwo immer Internet
maximal lakonisch geschrieben hat:
„Jetzt wird’s lustig.“
Aha, also erst jetzt.
Na dann:

Zunächst zum Wetter,
denn das ist ebenfalls
maximal suboptimal:
Die ganze Woche schon
steht das Weltkulturerbe in dicker kalter Brühe,
die wie ein nasses Handtuch
auf den Dächern liegt.
Bereits um Zwei beginnt es
gefühlt schon wieder dunkler zu werden:
November in Hochform!

Aber damit zu Beginn
nicht gleich ein falscher Eindruck entsteht,
konterkariere ich dieses
doch sehr subjektive Erleben der Lage
logischwerweise mit der Klimalage:
Es war zu erwarten.
Laut einem prominenten Klimawandeldienst (Copernicus ECMWF)
wird das Jahr 2024
weltweit das wärmste Jahr
seit Messbeginn.
Damit ist es auch so gut wie sicher
das erste Jahr,
in dem wir eine Abweichung von mehr als 1,5°C
im Vergleich zum vorindustriellen Mittel
erreichen.
Nochmal zur Erinnerung:
Laut Pariser Klimaabkommen
(aus dem die USA übrigens
Anfang nächsten Jahres wieder …
ich greife vor …)
sollte die Erde
eben diese Marke
erst 2100 erreichen,
also in 75 Jahren.
Läuft also.
Maximal symbolisch
also auch die Katastrophenmeldung der Woche:
In Kalifornien sind anscheinend
immer noch Wälder übrig,
die abfackeln können,
im tiefsten Herbst;
10.000 Häuser werden evakuiert,
und Unmengen an Lebensraum
bis auf weiteres vernichtet.

Aber:
Egal.
Weil:
Diese Woche hätte eigentlich
mindestens drei Spezialepisoden verdient gehabt.
Kurz habe ich überlegt,
die Episode aufzuteilen,
dann aber hat die Deadline auf der Couch
nur angefangen zu lachen,
wobei es noch nicht mal um Zwei ist;
draußen ist es heute einfach gar nicht mehr hell geworden.
Der erste dieser nicht zu schreibenden drei Episodenteile
hätte sich dann zunächst
ausschließlich in der Provinz zugespitzt.
Denn auch hier war die Woche
im totalen Eskalationsmodus:
Das Bodetal ist ab sofort,
wahrscheinlich bis Anfang April,
für Wanderer*innen
komplett gesperrt,
die veränderten Witterungsbedingungen
machen ein Durchqueren des Tals
hinter dem Hirschgrund lebensgefährlich;
die Thalenser Touribranche ist froh,
genug anderen Krimskrams hingestellt zu haben,
damit die Besucher*innen nicht ausbleiben.
Denn ansonsten geht es dem Arbeitsmarkt
in der ehemaligen Industriestadt
mal wieder schlechter.
Noch nicht 1990/91,
aber bergauf geht anders:
Der VW-Zulieferbetrieb Schunk
ist direkt von der Megakrise in Wolfsburg bedroht.
Nach einem Aufruf der IGM
wird zunächst aber nur bei Thaletec gestreikt;
irgendwer erinnert sich doch noch
dunkel an Arbeiterrechte.

Deutlich weniger links
geht es dagegen
hier im bunten Quedlinburg zu.
Während die Kulturveranstaltungen,
zumindest in ihrer Quantität,
schon wieder auf einem neuen Rekordhoch angelangt sind,
sich mein geliebtes linksliberales Bildungsbürgertum
also immer schneller um sich selbst dreht,
werden die Weichen für die Zukunft
im Stadtrat immer weiter nach rechts gestellt.
Und das geht so,
setzt Euch gerne hin,
es wird maximal deutsch:
Der jetzt ehemalige Vorsitzende des kommunalen Bauausschusses,
Stefan Helmholz (Die Linke)
wird aus dem Amt gedrängt.
Ein fast völlig unbegründeter Antrag
(Warum? Weil wir es können!)
der AfD-Fraktion
wird durch alle(!) CDU-Stimmen angenommen,
woraufhin der Vorsitzende des Bauausschusses
neu gewählt wird,
und jetzt, tada!, ein AfD-ler ist.
Wieder mit allen(!) CDU-Stimmen,
das ist auffällig mehr als dreist.
Zeigt aber auch die inzwischen zu große Macht
einiger weniger CDU-ler.
Bürgermeister Ruch und Fraktionschef Thomas
müssen sich „unangenehme“ Fragen gefallen lassen,
wobei letztgenannter sicher wieder weniger heimlich
von der „Wiederversöhnung des Sozialen mit dem Nationalen“ phantasiert,
oder wenigstens von Schrebergärten,
die sich endlich wieder zu Bauland umwidmen lassen könnten,
ohne dass irgend so ein Linker
gleich Wind davon bekommen würde.
Mein geliebtes linksliberales Bildungsbürgertum,
also zumindest der Teil,
der Bildung wenigstens ein bisschen ernst genommen hat
und/oder im Tausenderbereich
auch ohne Taschenrechner halbwegs zurechtkommt,
hält tapfer, öffentlich und geschlossen dagegen.
Die Machtverschiebung ist Stadtgespräch
an jeder Gassenecke,
die MZ berichtet ausführlich,
das Flüstern in der Reiche wird lauter,
Kommunalpolitiker*innen klären durch Social Media auf,
zeigen Rückgrat,
als ob Jan Böhmermann persönlich
dazu aufgerufen hätte,
und Brillenträger verbrennen sich
im Internet gerne die Hände.

Denn:
Es interessiert keinen,
es kann auch niemanden interessieren,
denn:
Der diesjährige 6th of November
ist der neue 5th of November,
und zwar for fucking real.
Der Mittelteil dieser Episode
müsste mit einer ausführlichen Neuerzählung
des Guy Fawkes/V/Anonymus/QAnon-Topos beginnen,
wenn er sich nicht darauf verlassen könnte,
damit nur noch mehr Eulen nach Athen zu tragen.
Und weil jede Neu-Umdeutung der Geschichte
auch eine Vorgeschichte hat,
folgt erstmal ein bisschen Geplänkel,
das Große im Kleinen und so:
In Chemnitz eröffnet ein NSU-Dokumentationszentrum,
die ersten rechten Anschlagspläne dürften bereits fertig sein.
Obwohl:
In Dresden und Umgebung
werden die „Sächsischen Separatisten“
(wohl ziemlich ernst gemeint) gesprengt,
der „Tax X“ zum x-ten Mal verhindert.
Ein Mit-Separartist und AfD-Heini
hatte sogar eine Knarre,
sogar ein Schuss ist gefallen,
der AfD-Heini hat sich anscheinend
selber in die Fresse (Kiefer) geschossen.
Die Hinweise für diesen Anti-Terror-Coup
kamen dabei wohl tatsächlich vom FBI,
weil irgendeiner der Separatisten
wahrscheinlich irgendwo bei 8chan oder Dischord
seine große Fresse zu weit aufgerissen hatte.
Und wenn wir einmal im tiefsten Dreck stecken,
die internationale „New Right“
ist derweil schon bei Bonhoeffer-Vereinnahmung angelangt.

Wir bleiben noch einen Moment
am Vormittag des 5th of November stehen,
denn bevor am Abend die Wirklichkeit endgültig implodieren wird,
gibt es noch normale Nachrichten:
Die Ampel ist immer noch schon am Ende,
der Knall kann nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Die Sondierungen in Sachsen sind ebenfalls gescheitert,
dann eben Groko, Version Minderheitsregierung,
man kann ja schon mal üben,
ist ja nur Sachsen.
Die kommende Bundestagswahl
besteht dann also nur noch aus:
Faschismus
oder
Friedrich Merz.

Apropos Faschismus:
Benjamin Netanyahu
feuert am Morgen des 5th of November
seinen Kriegsminister Gallant,
sein viel engerer Vertrauter Katz folgt nach,
Gideon Saar ist dessen Nachfolger im Außenministerium.
Gallant behält sich einen Rest Würde,
„The security of the State of Israel always was,
and will always remain my life’s mission“,
und gibt zumindest noch nicht ganz auf.
Inzwischen sind über 40% der Agrikulturflächen in Gaza zerstört,
70% der Opfer in Gaza sind Frauen und Kinder (laut UN).
Nicht mal der „Antisemitismusvorfall“ beim internationalen Fußball
(Tel Aviv in Amsterdam)
schafft es noch,
die internationale Solidarität mit Kriegsverbrechern
wieder wachzurütteln,
Quatar zieht sich endgültig
als Vermittler zurück.
Der Iran wartet noch in Ruhe
die US-Wahl am Abend ab.

Und damit dann also endlich, endlich
zur friedlichen Machtübernahme
von Kamala Harris!
Sorry,
not sorry,
ich wollte es nur noch ein letztes Mal schreiben.
Keine Ahnung,
wie viele Wetten ich verloren habe
oder wem ich jetzt was genau schulde,
aber es ist
wie es ist:
Der nächste Präsident
der Vereinigten Staaten von Amerika
heißt Donald J. Trump,
wirklich und allen Ernstes.
Kurz bevor ich die Liveübertragungen am Abend abbreche
und mich zukunftsfroh ins Bett begebe,
amüsiere ich mich noch
über den letzten Post von Elon Musk
vor den ersten Ergebnissen:
„PATRIQTS“,
der „New Right“
fällt auch nichts neues mehr ein.
Am nächsten Morgen dann (6th of November)
ist eigentlich schon alles klar,
die noch ausstehenden Ergebnisse bis heute
werden nichts mehr ändern,
im Gegenteil:
Der Frisurensohn und die Republikanische Partei
haben das Land im Sturm genommen.
Alle Swing States weg,
Congress und Senat weg.
Die Popular Vote
mit mehr als 10% Vorsprung gewonnen;
Good Morning,
America.
Die kleinen Siege fallen spärlich aus:
Zum ersten Mal sitzen zwei schwarze Frauen im US-Senat,
und in nur drei der elf Staaten,
in denen das Abtreibungsrecht auf dem Zettel stand,
hat die Pro Choice Bewegung verloren.
Ansonsten geht es sofort steil bergab,
abgesehen von der Börse.
Russland und Israel frohlocken.
Die US-Faschos ebenfalls:
„He’ll launch
the „largest mass deportation operation“
of undocumented immigrants on Day 1.“
(Campaign Press Secretary Karoline Leavitt).
Zur Sicherheit ungern nochmal auf Deutsch:
„Die größte Massen-De-Por-Ta-Tion“.
Wer Schuld an dieser Katastrophe ist,
ist auch schnell klar
und überrascht niemanden:
Dumme Männer,
die (ihre) Frauen unterdrücken.
Den New York Stock Market freut das jedenfalls,
und Horkheimer behält recht,
wer vom Faschismus schweigen will,
kauft einfach schweigend Aktien:
Tesla legt 12% zu,
die 120 Millionen Wahlkampfhilfe
hat Elon mehr als locker wieder eingespielt,
weil: knapp 20 Milliarden plus.
Andere Aktien schmieren dagegen gnadenlos ab (Clean Tech, Green Energy),
Bitcoin klettert auf ein new All Time High,
die Digitale Dystopie hat begonnen.
Die hundertausend Strafverfahren des Donald J. Trump
haben sich ebenfalls in dieser Nacht in Nebel aufgelöst,
nur der Chef der Federal Reserve kündigt noch an,
nicht zurückzutreten,
falls Trump ihn darum bitten sollte,
was den kaum stören wird.
Project 2025 ist also On.
Stephen Miller (zu dem dann also auch bald leider wieder mehr)
wird wohl Chef der Homeland Security
und also Chef der erwähnten Massendeportation.
Und wohin die Reise
für Frauen
und/oder Menschen geht,
die sich Sex auch ohne Fortpflanzungspflicht vorstellen können,
das gefällt also der Mehrheit der US-Männer.
Ob die schon wissen,
dass Project 2025 auch Pornographie ober evil findet?

Soweit,
so Scheiße,
die nächsten vier Jahre Trump
sind also unvermeidlich,
sogar die Deadline
zieht einen angewiderten Flunsch.

Aber,
der 6th of November
ist ja noch lange nicht vorbei.
Denn erst jetzt,
wie bereits erwähnt,
wird es erst richtig „lustig“:
Noch bevor das Chaos
auch in Deutschland ausbricht,
schleicht sich noch schnell
eine nur ganz unwesentliche Neuerung vorbei:
Grünes Licht für den neuen Wehrdienst:
Das Bundeskabinett beschließt
noch am Morgen einen Gesetzesentwurf,
wonach laut der Vorlage
von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
der Wehrdienst zwar weiter freiwillig bleiben,
Auskunft über Bereitschaft
und Fähigkeit
zum Militärdienst
aber verpflichtend sein soll.
Auf Deutsch:
Mit Erreichen des wehrfähigen Alters
– in der Regel zum 18. Geburtstag –
muss jeder Deutsche
einen Online-Fragebogen beantworten,
laut Gesetzesentwurf also
innerhalb von etwa 15 Minuten entscheiden,
ob man Bock hätte,
für sein Land zu sterben.
Auch Frauen bekommen den Fragebogen zugeschickt,
für sie soll das Ausfüllen allerdings freiwillig sein.
Von den Männern, die sich bereit erklären,
soll ein Teil verpflichtend zur Musterung eingeladen werden.
So sollen zunächst rund 5.000 junge Männer eingezogen werden
– zusätzlich zu den aktuell rund 10.000
freiwilligen Wehrdienstleistenden.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung
soll immerhin noch erhalten bleiben.

Die dann darauf dann folgende Meldung
stiftet dann sofort neues Chaos:
Was? Irgendwas mit Neuwahlen?
Beim Koalitionstreffen in Berlin
scheint es irgendwie gekracht zu haben?
Nur langsam ordnen sich die Ereignisse,
noch sind zu viele
mit den US-Wahlergebnissen beschäftigt,
die zu diesem Zeitpunkt
auch noch nicht zu eindeutig sind.
Christian Lindner,
der noch nichts von seinem endgültigen Glück weiß,
slidet grinsend durch die Newsfeeds,
nachdem durchgestochen wird,
dass er großzügig Neuwahlen angeboten hat,
und sogar noch weiter gute Zusammenarbeit
beim immer noch unfertigen Haushalt.
Dann muss er allerdings plötzlich lesen,
dass er gefeuert wurde.
Olaf Scholz tritt zwar erst am Abend
vor die Kameras und Mikrofone,
aber er lässt schonmal wissen,
dass er dem Christian noch ein letztes Top Angebot gemacht hätte.
Davon berichtet er dann auch später ausführlich,
aber nicht ohne vorauszuschicken,
dass er „ein solches Verhalten (Lindners)
„unserem Land“
„nicht länger zumuten“ will.
Und dann, ja dann,
dann poliert er dem Christian
aber mal so richtig seine neoliberale Fresse,
also für Kanzler-Verhältnisse.
Kurz und nicht unnötig polemisch:
Christian und der unersättliche
deutsche Konzern- bis Mittelstand
verhalten sich wie Arschlöcher,
die es nicht schaffen,
über den hohen Rand
ihrer eigenen Bedürftigkeit hinauszuschauen;
mit Asozialen kann die SPD
also traditionell doch eher schlecht.
Sowas finden sogar so Liebknechtianer wie ich
wenigstens mal ehrlich.
Der jetzt dann scheidende Kanzler
kündigt die Vertrauensfrage für Januar an,
Wahlen, wenn, dann bis Ende März.
Mit Merz will er sich auch schnell treffen.
Lindner heult zwar vorher noch
auf einer Spontan-PK rum
(abgekartetes Spiel!, Schuldenbremse aushebeln
ging einfach nicht!, aber mein Porsche!, etc.)
und wanzt sich auch gleich noch an die CDU ran,
aber am nächsten Tag
sind gleich mal alle FDP-Minister
aus der Ampel raus
(also auch die FDP-„Bildungs“ministerin!).
Alle, außer Volker Wissing,
der ist lieber aus der FDP raus,
und dann auch gleich noch Justizminister,
by now anything goes.
Lindner hört leider einfach nicht mehr auf zu heulen,
denn er sei jetzt „in einer Lage“ (sic),
er spricht sogar von einer „Entlassungsinszenierung“.
Und damit hat er sogar recht.
Aber, immerhin:
Absolut geile Inszenierung!
Am nächsten Tag,
dem dann doch endlich 7th of November,
versucht Merz noch schnell,
eine noch frühere Vertrauensfrage zu erreichen,
was Olaf aber schnell wieder gewohnt kühl werden lässt.
Eine deutliche Mehrheit der Deutsch*innen
sieht die Schuld für das Scheitern der Ampel
übrigens auch bei der FDP,
sogar Provinzlehrer lassen sich zu deutlichen Worten hinreißen,
denn es geht eben immer noch schlimmer:
Robert Habeck ist „back for good“ auf X.
Jürgen Elsässer und André Poggenburg
sehen Alice Weidel derweil
schon wieder im Kanzleramt…

Also ja,
Holy Shit!!,
the 6th of November
is the new 5th of November!,
was werden sich Historiker*innen
noch die Augen reiben.
Was mir übrigens in der vergangenen Woche
wirklich Kraft und so etwas wie Zuversicht gegeben hat?
Nun, ich habe das Privileg,
meine Tage mit wirklich jungen Menschen zu verbringen,
und was soll ich sagen?
Es gibt nichts erbauenderes
als noch ehrlich fassungslose Gesichter,
wenn über fassungslos machende Ereignisse gesprochen wird.

Den Kopf hochgehalten
hat natürlich auch Kamala Harris.
Noch vor ihrer Konzessionsrede
hat z.B. der „Don’t Look Up“-Regisseur Adam McKay
seiner Wut Luft gemacht:
“Who would have guessed
lying about Biden’s cognitive health for 2 yrs,
refusing to do an open convention for a new nominee,
never mentioning public healthcare
& embracing fracking,
the Cheneys & a yr long slaughter of children in Gaza
wouldn’t be a winning strategy?”
Vor der Bühne ihrer Alma Mater, der Howard University, D.C.,
dudeln dann kurz vor ihrem Auftritt
JayZ und Beyoncé vom Band,
bevor sie mit tapferem Lächeln auf das Podium zugeht.
„Good afternoon, I love you!
(…) My heart is full of gratitude,
full of love for our country.
(…) The light will always burn bright,
as long as we keep fighting!
(…) The principle of accepting the election results.
(…) Loyal to the constitution.
(…) Not conciding the fight for freedom and dignity!
(…) I will never give up the fight for our principles!
(…) Waging the fight by living our life!
(… ihre Stimme bricht …)
When the fight takes a while
that doesn’t mean we won’t win!
(…) A time to roll up our sleeves.
(…) Only when it’s dark enough you can see the stars.
(…) Thank you!“
– Jap, when they go low
we go high!
Joe Biden legt am nächsten noch mal nach:
„You must love your country
even if you lose.“
Ohne verzweifelten Patriotismus geht es nun mal nicht,
erst recht nicht in den USA,
sogar die Reihen der Talkshow Hosts
taumeln noch zwischen Depression
und Durchhalteparolen,
egal wie erbauend sie auch sind.
Selbst meine Lieblings-Variante dieser Wahl
hat sich in neblige Novemberluft aufgelöst:
Kamala verliert,
zieht sich aus der Politik zurück,
wird dafür (wieder) Generalstaatsanwältin
und zerfickt den Frisurensohn
kreuz quer durch den Supreme Court.
Aber noch ist ja auch
noch nicht 2029,
auch wenn wir alle
bis dahin nur weiter fassungslos zuschauen können …

 

Kriegsprotokoll. Schreibtisch. Deutsche Heimatfront. Letzte Reihe.
Woche 138.
Fast 1.000 Dienstage. Montag: Die Luftabwehr über Kiew und Charkiw bleibt aktiv. ACAB besucht Kiew: erin ein Bild von der aktuellen Lage im ukrainischen Abwehrkampf machen. „Fast 1000 Tage erschüttert Putins Krieg den Alltag der Ukrainerinnen und Ukrainer – nicht aber ihren Mut und ihre Hoffnung auf ein sicheres Leben in einer freien Ukraine.“ Die ukrainischen Verteidigungslinien im Süden werden zunehmend durchbrochen. Nordkoreas Außenministerin Choe Son Hui und Putin reichen sich die Hände, Kim Jong Un lässt grüßen. Selenskyj spricht von mittlerweile 11.000 nordkoreanischen Soldaten in Kursk. Am späten Abend verkündet Kiews Bürgermeister routiniert: „Bleiben sie in den Schutzräumen.“ Dienstag: Drohnenangriffe auf Sumy und Charkiw, Saporischija steht unter Artilleriebeschuss. Mittwoch: Das russische Oberhaus ratifiziert einen militärischen Beistandspakt mit Nordkorea. Selenyskyj ist einer der ersten, der dem neuen US-Präsidenten gratuliert. Maksymiwka und Antoniwka sind „befreit“. Putin wird Trump nicht gratulieren, „Vergessen wir nicht, dass wir von einem feindlichen Land sprechen, das direkt und indirekt an einem Krieg gegen unseren Staat beteiligt ist“ (Peskow). Donnerstag: Acht Stunden Luftalarm in Kiew, auch über Odessa werden Drohnen abgeschossen. Cherson steht unvermindert unter Artilleriebeschuss, Sumy wird von Gleitbomben getroffen. Selenskyj besucht den Europa-Gipfel in Budapest. Kreminna Balka ist „befreit“. Peskow erinnert daran, der Westen sei „mit einer Wahl konfrontiert“, weiterhin die Ukraine „und die Vernichtung der ukrainischen Bevölkerung zu finanzieren oder die gegenwärtigen Realitäten anzuerkennen und mit Verhandlungen zu beginnen.“ Freitag: Sämtliche Liveticker haben frei, war wohl ein bisschen viel diese Woche. Samstag: Die Regionen vor Pokrowsk und Kurachowe werden mit Angriffen überzogen (über 100 allein in den letzten zwei Tagen). Im Hafen von Odessa schlagen russische Drohnen ein. Über Brjansk wird ein Drohnenangriff abgewehrt. Im russischen Tula wird eine Munitionsfabrik attackiert. Moskau ist bereit, sich Trumps Pläne anzuhören, welche unter anderem den Verzicht auf die Krim vorsehen. Sonntag: Vor Moskau werden mehr als 30 ukrainische Drohnen abgefangen. Über der Ukraine wird ein neuer Rekord aufgestellt: 145 Drohnenangriffe in einer Nacht. Westlich von Donezk wird das Dorf Wowtschenka von der russischen Armee eingenommen. In Moskau freut man sich auf Deals mit Trump.

 

Was tun?,
fragt da doch schon wieder
irgendein Lenin.
Fabian Lehr übrigens fragt
nach den Obsessionen
seiner Hörer*innen,
die US-Wahl betreffend,
weil: China und überhaupt.
Andere Brillenträger antworten:
Weil sie nun mal wie dieser eine Unfall ist,
bei dem man einfach nicht wegschauen kann,
auch weil man irgendwie weiß,
dass man selbst nicht unbedingt
außerhalb der Kollateralzone ist,
aber eben grade noch weit genug weg,
um auch einfach nur fasziniert zuzugucken.
Ach ja,
und weil:
Know. Your. Enemy.
Wahrscheinlich auch deswegen
wird in diesen Tagen
die 30. Rosa Luxemburg Konferenz angekündigt:
»Das letzte Gefecht
– Wie gefährlich ist der Imperialismus im Niedergang?«
Rhetorische Fragen
bleiben der Wahrheit letzter Schluss.

Um kurz vor Sechs
und also nach vier Stunden
Schreiben an einer Chronik,
die einfach nicht besser werden will,
denke ich dann auch langsam ans Schlussmachen,
also für heute.
Dafür habe ich mir einen Rant überlegt,
der ausnahmsweise mal nach unten tritt,
wenn Ihr versteht,
wie er gemeint ist.
Es geht nochmal um Clemens Meyer,
und mal wieder nicht um seinen Roman,
denn der kann sich von den 10.000 Euro Preisgeld,
die der Bayrische Literaturpreis
doch noch für den Ossi überhat,
nichts kaufen.
Aber wenigstens kann der Clemens
jetzt wenigstens einen Teil
seiner Steuerschulden zurückzahlen.
Er ist übrigens
„dezidiert der Meinung,
dass Literatur,
und das in unserer Zeit,
wehtun muss.“;
you’re welcome.
Verwirrendes aber auch von Steffen Mau,
der den gleichen Preis, aber für sein „Sachbuch“ bekommt:
„Ein Buch über Ostdeutschland
bekommt den bayrischen Buchpreis
– die deutsche Einheit ist vollendet.“
Ich glaube,
ich höre die bayrischen Sporen
in meiner diskursiven Vergangenheit
gerade mächtig frotzeln.

Gut,
zum Schluss
war dann gestern
auch noch der 9th of November,
Schicksalstag,
Ihr wisst schon,
der Tag an dem bei MDR-Kultur
gefühlt gar keine Musik mehr läuft,
sondern nur noch Erinnern.
Und während also Westbam
wirklich und tatsächlich
in die Berliner Columbiahalle einlädt,
um sich an die 90er zu erinnern,
erinnert sich hier im Weltkulturerbe
das ehemalige DDR-Bürgertum
ans Neue Forum
und wird vom Post-DDR-Bürgertum daran erinnert,
dass Nie Wieder jetzt ist.
Die letzten News aus dem Weltkulturerbe allerdings
hat sich erneut der Schwarze Poet gekrallt:
Am gestrigen schicksalsschweren Tag
wurde nämlich auch sein „Poesie Salon“ eröffnet,
gerüchteweise hier um die Ecke,
in der Pölle,
am Schaufenster wird wohl noch gearbeitet.
Auf dem Laden(schreib)tisch
liegen dann aber wohl ab bald
handgeschriebene Unikate
– Gedichte aus der schwarzen Feder
des Neu-Quedlinburgers –
für lächerliche zwölf Euro das Stück.
Gequälte Seelen
verkaufen sich anscheinend besonders gerne.

Ich aber strecke jetzt
noch ein letztes Mal für heute
mein Rückgrat durch,
bleibe für’s Schlusslektorat
am Schreibtisch sitzen
und schaue mir selber
noch ein bisschen beim Kopfschütteln zu;
living well is the best revenge.

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