„Take your instinct by the reins.
Better best to rearrange.
What we want and what we need
has been confused, been confused.“
(R.E.M.: Finest Worksong. 1987.)
So.
Endlich wieder Sonntag.
Im Moment versuche ich zu verhindern,
dass sich irgendein bedeutungsloses Essay
über die Bedeutung
und vor allem die Wichtigness
von Arbeit
für den Menschen als solchen
aus meinem Kopf
über meine Fingerspitzen
und die Tasten meines Notebooks
irgendwie ins Internet wurschtelt.
Irgendwas mit Ordnung vs. Chaos,
Bewusstsein vs. Eskapismus,
Fleiß vs. (Denk-)Faulheit,
Struktur vs. Zerfall.
Das Ganze natürlich garniert
mit weisen Zitaten von Wolfgang Herrndorf
und Gustav Freytag
(letzterer natürlich nur,
um ihn schlimm zu finden),
und on top ein edgy Gedankenspiel
zum urdeutschen Slogan „Arbeit macht frei“;
warum nur skalieren,
wenn man doch auch gleich eskalieren kann? –
Warum sich das alles hier ausbreiten will?
Ehrlich?
Keine Ahnung.
Muss wohl Intuition sein.
Der Mensch ist also doch,
auch ohne es zu wollen,
zuerst ein arbeitendes Wesen.
Welchen Sinn könnte ein Leben
ohne Tätigkeit
schon auch haben?
Was söllte das denn
für ein low perfoming Mindset sein? –
Aber für so ein Essay
aus dem Hamsterrad der multitaskenden Neo-Philosophie
habe ich ganz einfach mal wieder
keine Zeit,
denn ich habe eine Chronik zu schreiben,
die mit den folgenden Zeilen,
in ihrem dritten Band,
immerhin die 500-Seiten-Marke durchbricht,
cheers!
Eine Ursache für diesen ungeschriebenen Essay
ist aber sicherlich auch,
dass ich nach nicht vorgesehener, längerer Pause
wieder voll gearbeitet habe.
5+ Stunden am Tag unterrichten,
3+ Stunden am Tag vor- und nachbereiten,
+ Unterricht vertreten,
+ Pausen beaufsichtigen,
+ Zusammenarbeit organisieren,
+ Tage strukturieren,
und kommunizieren,
kommunizieren,
kommunizieren.
Social Engineering ist ein hartes Business,
so viel kann ich inzwischen absolut bestätigen.
Mich wundert es deswegen gar nicht,
dass Außenstehende da wenig Bock drauf haben.
Und dann erst noch die ganzen Kinder!!
Wäre es nicht meine Berufung,
ich hätte längst einen schlecht laufenden Buchladen.
Jedenfalls hat mich die letzte Woche
wieder so sehr zurück zur geliebten Struktur geführt,
dass ich am Freitag Morgen kurz davor war,
Deo auf meine Zahnbürste zu sprühen.
Dementsprechend wenig Zeit
hatte ich somit auch für
#DieDoppeltenZwanziger,
was denen aber, wie immer,
völlig egal ist.
Nicht mal ein Ausflug
zur Norddeutschen Basketballmeisterschaft der Senioren
hat in den Terminplan gepasst.
Der Vollständigkeit halber
hier aber trotzdem das Ergebnis:
Die „Grauen Panther“ der TSG Guts-Muths
haben zumindest nicht alle Spiele verloren,
und den Bildern in der geschlossenen Whats-App Gruppe nach,
hatten sie außerdem einen gelungenen
Best-Ager-Trip nach Hamburg.
Schön, wenn es mal um nichts geht,
außer darum,
eine gute Zeit zu haben.
Denn ansonsten drängt sich immer weiter der Verdacht auf,
dass es nichts mehr gibt,
und ich meine absolut gar nichts,
was nicht irgendwie auch ein Business ist
oder zumindest mit einem Business-Mindset anzugehen wäre.
Die Logik der Märkte
hat sich in allen Fasern des Zusammenlebens festgesetzt
und verkleistert die Risse,
die sie selbst verursacht hat.
Alles ist nurmehr Performance.
Wer nicht irgendwie performt,
ist eigentlich tot.
Glücklicherweise sind wir Menschen wahre Meister darin,
uns unsere Arbeit gleichzeitig zu erleichtern
sowie auch zu erschweren.
Nämlich mit Werkzeugen.
Beispiel: KI.
ChatGPT zerfickt nämlich gerade das Kreativbusiness,
also zunächst dessen schreibenden Teil.
In den Werbeagenturen gibt es nichts mehr zu tun,
was nicht sogar ein Prototyp hinkriegen würde.
In den Redaktionsstuben
überbieten sich die Schreiberlinge
nicht mehr mit Qualität,
sondern mit Quantität;
wozu es bis heute fünf Paar Hände brauchte,
da reicht jetzt auch eins,
also muss skaliert werden,
wenn man nicht nutzlos werden will.
Bei Amazon ist ChatGPT
den Schlauberger*innen sogar schon voraus:
Es gibt bereits eine ansehnliche Menge
an Büchern über ChatGPT,
geschrieben von: ChatGPT.
Die Zukunft der Literatur
liegt also wahrscheinlich auch
bald endgültig bei den Leser*innen,
denn die können sich die Bücher,
die sie lesen wollen,
demnächst ganz einfach selber schreiben
lassen.
Wenden wir uns also wieder wirklicher Arbeit zu.
Was hätten wir denn da?
Es muss doch noch etwas geben,
das nicht auch die Technologie erledigen könnte.
Ach ja, hier:
Leben.
Denn für dieses Nebenbusiness,
dafür braucht der Mensch gegenwärtig
immer noch vor allem eins:
Geld.
Lohn für seine Arbeit.
Und weil dieses Geld immer schneller
immer wertloser wird,
vor allem für diejenigen,
die nicht so viel davon haben,
ebbt die derzeitige Streikwelle auch weiter nicht ab.
Von irgendeiner Art Flut
sind wir noch weit entfernt,
aber die Wogen bleiben in Wallung:
Die Post kündigt als erstes unbefristete Streiks an,
wie flächendeckend, bleibt abzuwarten.
Mitte der Woche legten dann
auch die Leipziger Verkehrsbetriebe die Arbeit nieder,
ein kaum angekündigter Warnstreik.
Der RBB sendet bald nur noch bis 22 Uhr,
aber das könnte auch einfach nur mangelnder Content sein.
Verdi jedenfalls hat das erste Angebot
für den Öffentlichen Dienst
mit der kalten Schulter abgelehnt:
Nicht mal die Hälfte der geforderten mindestens 10%
und irgendwelche Einmahlzahlungen
im unteren vierstelligen Bereich.
Auch in meinem Sektor
werden die nächsten Warnstreiks
also nicht lange auf sich warten lassen.
Aber von dieser Art Arbeitskampf
hört und liest man dieser Tage
eher nur seltener,
denn verbrüderungsmäßig
ging es in dieser Woche
vor allem um den Frieden.
Nur wie dieser zu bewerkstelligen ist,
darüber sind sich alle uneinig.
Sinnvolles Networken könnte so einfach sein.
Aber ehrlich,
wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen,
was sollten dann sämtlichste Volksvertreter*innen machen?
Arbeiten?
Deswegen wurde am Samstag
in Berlin auch richtig rangeklotzt.
Da sind endlich mal welche in die Aktion gegangen.
Sogar extra aufgestanden sind die dafür.
Vor dem Brandenburger Tor,
auf der Straße des 17. Juni,
stehen also mehr als 10.000 Menschen
bei leichtem Schneeregen und um die 0°C.
Wie viel mehr,
vor allem darüber
wird in den nächsten Stunden gestritten.
Der öffentlichen Verlesung
des „Manifest für Frieden“,
durch deren Verfasserinnen,
lauschen laut Polizei 13.000 Menschen,
nicht wenige nicken und/oder klatschen dabei.
Und noch viel mehr wird darüber gestritten,
wer da alles so nickt und/oder klatscht.
Den mitgebrachten Schildern und Fahnen nach zu urteilen:
Alle.
Also auch Nazis.
Zuletzt hatte ja sogar noch
Sachsen Anhalts worst,
Hans-Thomas Tillschneider
„zähneknirschend“ das Manifest unterschrieben.
Dann hatten also auch
die Freien Sachsen, die AfD, die NPD
kein schlechtes Gewissen mehr,
diese Linken zu unterstützen.
Hauptsache keine Grünen!!1!
Und Sahra Wagenknecht hat auch bis zuletzt
ihre Einladung an „alle“ aufrechterhalten,
sowohl auf den „Nachdenkseiten“
als auch bei „Lanz“.
Ich hab mich ja gefragt,
warum sie gerade bei letzterem
nicht einfach mit nem Antifa-T-Shirt rumsitzt,
dann bräuchte sie gar nichts weiter zu sagen.
Gut, hat sie nicht,
aber wenigstens zeigt sie bei ihrer Rede in Berlin klare Kante,
gegen Nazis und sogar gegen die AfD;
auch wenn das medial natürlich eher nicht so gepusht wird.
Angemeldet zum „Aufstand für den Frieden“
waren jedenfalls vorsichtshalber nur 10.000,
das schlechte Wetter war abzusehen.
Alice Schwarzer hat am Ende durchgezählt
und ist auf knapp 50.000 gekommen.
Darunter waren wohl zwischenzeitlich
auch Jürgen Elsässer und sein Team,
mitsamt Ex-Volkslehrer Nerling.
Zwischenzeitlich dann auch deswegen,
weil die Antifa einfach
ganz selbstverständlich ihren Job gemacht hat:
Erkennen, Benennen,
zum Gehen auffordern;
„Nazis raus“
ist also ein dokumentierter Schlachtruf dieser Veranstaltung.
Ins Bild gedrängelt hat sich dabei
auch noch die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen,
eine muss es ja machen.
So richtig Querfront ist die Party
also eigentlich nicht,
das gibt später sogar die tagesschau zu.
Gebracht haben wird sie aber genauso wenig,
wie die andere Veranstaltung,
wegen der Jürgen Elsässer
früher aus Berlin abgereist ist.
Wir schalten live
nach Ramstein:
Ein Meet and Greet der Antiimps.
Die Plane des Anhängers,
der die kleine Rednerbühne stellt
flattert im kalten Wind.
Zu Trommelschlägen
skandieren die Anwesenden „Ami go home!“,
„Wir sind das Volk“
und „Die Mauer muss weg!“
Auf einem Schild steht:
„Grüne Waffennarren –
weg vom Steuer.“
Es wehen Wirmerflaggen,
neben Russlandfahnen,
neben Gold-Rot-Schwarz,
neben Schwarz-Weiß-Rot,
neben Stars und Stripes,
neben „Gerussia“.
Ein Pressefotograf trägt Fellmütze,
ein Hippiepaar trinkt,
auf dem kalten Bordstein sitzend Tee,
überall bimmeln Kuhglocken.
Vor der Bühne wird Bier aus Flaschen getrunken,
dann muss diese nochmal umgestellt werden.
Das Banner hinter den Mikrofonen ist rot
und will eine „Zukunft ohne Impfpflicht“.
Das Marschgetrommel wird gegen 15 Uhr ohrenbetäubend,
sogar Trompeten dröhnen.
Grob geschätzt haben sich 2.000
vor der US-Basis versammelt.
Eine Querfront ist auch hier nicht festzustellen,
das sieht schon eindeutig rechts aus.
Vielleicht auch deshalb
macht sich auch kurz nach 15 Uhr so langsam Frust breit,
es geht irgendwie nicht voran;
die ersten gehen bereits wieder,
zum Dummrumstehen ist es offensichtlich viel zu kalt,
wer morgen arbeiten will,
geht wohl lieber zurück ins Warme.
Auf der Bühne scheint die Mikrofonanlage ausgefallen,
es wird versucht ein Megaphon zu benutzen,
die Menge ruft: „Lauter!“
Dann wird einfach weiter getrommelt.
Die Videoblogger halten weiter drauf,
vielleicht passiert ja no…
Brrrring.
Brrrrring.
Brrrrrrrrring.
– Kann das sein?
Ja,
Brrrrrring,
das rote Telefon klingelt wirklich.
Hello? …
London? …
Is this you? …
You’re calling! …
Yes, I’m glad you do …
What took you so long? …
Work? …
Don’t you say! …
What? … That will change? … How? …
A what? … a 4 day workweek? …
You sure? …
And companies support this? …
They do? …
Lucky you! …
What? … Come again … no? … not lucky? …
Why? …
Oh yeah, I’ve seen the pictures. …
Empty shelfs all over Britain … no tomatos, no cucumbers …
No problem? …
You sure? …
London? …
You still there? …
London? …
Aufgelegt.
Strange.
In Ramstein halten die Trommler weiter durch,
aber auch gegen halb vier warten immer noch alle
auf die Kundgebung.
Wo ist Jürgen Elsässer?
Dann geht es doch noch los!
Und gleich mit der Empörungskeule:
„Wir durften nicht auf amerikanischem Boden aufbauen!“
Buh!!
„Sie können uns nicht aufhalten!“
Yeah!!
„Ami – Go – Home!“
Die Pauken brauchen eine Weile,
bis sie den Takt gefunden haben.
Und zack, ist das Mikro wieder ausgefallen,
was ist das alles spannend;
Marder? Sabotage? Inkompetenz?
Egal,
weiter trommeln.
Am nahen Busbahnhof schlagen die Hunde an,
viele sind schon wieder auf der Abreise.
Dann geht das Mikro wieder.
„Die da oben kriegen es nicht hin.
Ramstein ist erstes Ziel der russischen Atomkräfte.“
Aber nochmal:
Wo ist Jürgen Elsässer?
Auf dem Kundgebungswagen
prangt ja nicht mal ein Compact-Banner.
Ich denke, ich schalte wieder weg,
verpassen würde ich eh nichts
und habe ja auch noch andere Reden zu dokumentieren.
Leider.
Denn für die wichtigsten Speaker unserer Zeit
war die letzte Woche ebenfalls Schwerstarbeit.
Ein kaum zu überblickender Wust
an höchstwichtigen Worten und Fastentscheidungen.
Absolut kein 9-5 Job.
Erst recht nicht für Chronisten,
aber was soll’s:
Während es immer weniger Meldungen von der Front gibt,
obwohl die Tötungsmaschine nahtlos weiter rattert,
wenden sich die Nachrichten wieder mehr
den Rednerpultworker*innen zu.
Zum Beispiel:
Giorgia Meloni.
Die war jetzt auch in Kiew.
Sogar noch vor Joe Biden.
Und sie hat schwer an ihrem Text gewerkelt,
damit der noch natokonform bleibt.
Ihre Erkenntnis:
Alles, was Putin sagt,
ist die pure Propaganda.
Als Profi weiß sie,
wovon sie redet.
Hingehört haben aber vergleichsweise wenige,
denn nur Stunden später kam schon Joe Biden
beinahe überraschend vorbei
und hatte den alten Schlager im Gepäck:
„Amerika ist gekommen um zu bleiben.“
Da wittert die Sueddeutsche gleich den Beginn
der „Endphase des Krieges“,
und die US-Medien vergleichen diesen Kurzbesuch
direkt mit Kennedys Berliner-Outing.
Der Erzfeind des Westens
hält derweil seine eigene State of the Union.
Am Dienstag im Luschniki-Stadion
hält er fest:
Russland rüstet auch atomar wieder auf,
also vielleicht,
der New Start Vertrag wird ausgesetzt.
Heißt: Sobald die USA testen und/oder aufrüsten,
zieht Moskau umgehend nach.
Oder genauer: Kalter Krieg,
die x-te Fortsetzung.
Der Westen ist böse,
die russische Tradition gut,
und im Übrigen sei es der größte Sieg,
dass die transatlantischen Turbokapitalisten
endlich aus dem Land vertrieben sind.
Der tagesschau-Faktenfinder nennt dieses Gewäsch
„ein Feuerwerk der Desinformation“.
Ganz ohne Feuerwerk,
dafür aber unter einer Lichtstrahlershow,
die Albert Speer neidisch gemacht hätte,
geht dann wieder Joe Biden seinem Tagewerk nach:
In Warschau verkündet er parallel zu Putin,
die Nato,
„vielleicht das bedeutsamste Bündnis der gesamten Geschichte“
werde niemals wanken,
und Autokraten verstünden nun mal nur ein Wort:
Nein.
Denn es gebe nun mal
„kein höheres Ziel als die Freiheit.“
Dazu nur eine kurze Frage:
Was war eigentlich zuerst da?
Die Freiheit oder der Frieden?
Egal,
und der eigentliche Hauptfeind
ist ja sowieso immer noch China.
Bidens Außenminister Blinken
hat bereits Anfang der Woche unterstellt,
die chinesischen Waffenlieferungen
seien nur noch eine Frage der Zeit.
Es gibt dafür keine Beweise,
aber wer braucht die schon,
schließlich sind die USA in solchen Dingen besonders geflissentlich.
Weswegen China
auch umgehend die diplomatischen Beziehungen
zu Russland intensiviert,
ein Staatsbesuch nach dem anderen wird angekündigt.
Businessweeks bei der Achse des Ostens.
Sogar Prigoschin (Wagner)
als auch Kadyrow (Tschetschenien)
müssen sich noch zu Wort melden,
nicht dass da noch jemandem die Arbeit ausgeht.
Ersterer fühlt sich von der russischen Armee verraten,
weil die ihm keine weitere Munition liefert,
zweiterer denkt gleich mal laut darüber nach,
demnächst eine private Konkurrenzarmee zu Wagner aufzumachen.
Krieg belebt das Geschäft.
Am Mittwoch Abend rücken russische Truppen
dann in Kremmina ein.
Auch deswegen ist am Donnerstag
Sondersitzung der UN-Vollversammlung,
die Redenschreiber haben sich erneut wundgeschrieben.
Hier nur eine kurze Review des deutschen Beitrags,
vorgetragen von Außenministerin Baerbock.
Und natürlich wirbt sie
für die neue Resolution.
Und ihre Rede ist mindestens
auf ChatGPT-Niveau;
gute Reden zu schreiben,
ist ja sonst harte Arbeit gewesen.
Im Grunde sagt sie:
Wir würden ja gerne
mit unserer ganzen Kohle
die Welt retten,
geht aber grade nicht,
jetzt brauchen wir erstmal Waffen,
wegen: Putin!
Ach, wenn das doch
die volle Wahrheit wäre.
Immerhin hat ihre Rede
eine wirklich berührende Klammer:
Sie beginnt mit dem Bericht
über Kinder in der Ostukraine,
für die es ganz selbstverständlich geworden ist,
täglich mehrfach bis 45 zu zählen.
Solange braucht nämlich eine russische Rakete
nach ihrem Abschuss
bis sie einschlägt.
45 Sekunden,
um Schutz zu suchen.
Anna Lenas Rede endet
mit einer kurzen Erinnerung daran,
wie lange 45 Sekunden dauern,
und damit,
dass der Verteidigungskrieg gegen Russland
auch die UN-Charta beschützt.
Mit Panzern für den Frieden unter den Völkern.
Dazu passt einer der makabersten Übersetzungsfehler
in der Geschichte der UN-Vollversammlung,
denn in der Ukraine gebe es „gähnende Wunden“.
Und das jetzt nur mal ganz kurz sacken lassen.
Die besagte Resolution jedenfalls fordert
den kompletten Rückzug der russischen Truppen!
Dagegen stimmen:
Belarus, Nordkorea, Eritrea,
Mali, Nicaragua, Syrien und Russland.
Enthaltungen gibt es 32,
unter anderen: China, Indien, Südafrika und der Iran.
Dafür sind 141 von 193 Staaten,
auch Brasilien,
womit die BRICS-Staaten erste Zerfallserscheinungen zeigen.
Aber immerhin gibt es wieder ein internationales Zeichen,
das Russland egal sein kann.
Und da hilft es auch nichts,
dass zeitgleich zur UN-Vollversammlung
der Bundeskanzler auf einer heimischen PK ankündigt,
dass er
„irgendwann
demnächst
auch
mal
wieder“
mit Putin reden würde.
(Die Stilistikabteilung
von #DieDoppeltenZwanziger
macht sich nach über drei Jahren
den ersten Sekt auf:
Endlich hat mal einer verstanden,
wie man in diesem Jahrzehnt
zu sprechen und zu schreiben hat,
wenn man wirklich konkret sein will.)
Zum Wochenende wird dann noch etwas nachgearbeitet,
nach der Abstimmung darf Anna-Lena Baerbock
noch ein weiteres Mal versichern:
„Wir sind nicht im Krieg mit Russland.“
Gut zu wissen.
Und am Sonntag wird noch nachgeschoben,
dass auch kein europäischer Verteidigungspakt
für die Ukraine in Arbeit wäre.
In Frankreich, Großbritannien und Deutschland
hat anscheinend niemand großes Interesse
an Verteidigungsarbeit,
die Ukrainer*innen sind wohl fleißig genug.
Und apropos konkret:
Obwohl (oder weil)
„Im Westen nichts Neues“
bei den diesjährigen Baftas
alle nennenswerten Trophäen abgeräumt hat,
lässt sich Bernhard Torsch
(der gleich noch mal ausführlicher das Wort erhält)
im konkret-Magazin zu einem Urteil hinreißen.
Der fast bolschewoke Netflix-Experte aus Österreich
meint, dass höchstens noch dumme Lehrer
den in Zukunft werden zeigen müssen;
mit dem Buch, oder der ersten Verfilmung,
hätte dieser Kriegsporno nichts zu tun.
Und die offensichtliche Botschaft,
dass Krieg absolut sinnlos ist,
die hätte ihn emotional so gar nicht erreicht.
Vielleicht erreicht sie ja aber andere.
In der gleichen Ausgabe
wird übrigens ein Jahr Heimatfront gefeiert,
natürlich nur sarkastisch.
Und: Auf Seite fünf dieser historischen Ausgabe
steht für immer der Name
des Autors von #DieDoppeltenZwanziger,
als Leserbrief und zu einem ganz anderen Thema, cheers!
Bevor wir dann zum Arbeitszeugnis
für den ersten Jahrestag des Ukrainekriegs kommen,
nur noch kurz der Hinweis,
dass es auch im Westjordanland
weiterhin genug Arbeit gibt,
allein in der letzten Woche
sind ein gutes Dutzend Palästinenser erschossen worden,
die israelische Polizei
macht ihren Job derzeit wieder besonders gründlich.
Aber schnell zurückgehustelt
auf die große Bühne.
Vor der russischen Botschaft in Berlin
steht seit vorvorgestern Nacht
das Wrack eines ausgebrannten russischen T-72,
mittlerweile geschmückt mit hunderten roter Rosen.
Für dieses Jubiläumsgeschenk
bedankt sich der Bundesuhu
auf der Gedenkfeier zum Kriegsbeginn
mit einer Feststellung:
„Putin hat schon verloren“,
also moralisch.
Die ukrainischen Highperformer im Durchhaltereden-Halten,
Resnikov und Selenskyj begehen den Jahrestag
mit zwei Versprechen:
Sie bleiben das „Schutzschild Europas im Osten“,
und 2023 wird das „Jahr des Sieges“.
Es wirkt fast so,
als gebe es etwas zu feiern,
dabei sollten die doch alle arbeiten.
Zwischen Münster und Osnabrück
stehen nach Feierabend am Freitag
tausende in einer Friedenskette,
und hier,
auf dem Markt in Quedlinburg
immerhin 100,
nur nicht in einer Kette.
Zwischen den Menschen vor der Rathaustreppe
steht dafür eine Polizeikette.
Zur Mahnwache,
zu der das Jugendforum aufgerufen hatte,
gibt es tatsächlich eine Gegendemo.
Störschweine, eingehüllt in Russlandfahnen.
Es gibt also wirklich Leute,
die echt nichts besseres zu tun haben.
Wirklich mal was zustande gekriegt
hat dafür China.
Zum Jahrestag gibt es endlich
einen „Friedensplan“ aus Fernost.
Nichts wirkliches überraschendes,
immerhin aber mal handfest:
Waffenstillstand,
Friedensverhandlungen,
Ende der Sanktionen,
kein notwendiger Abzug
der russischen Truppen.
Da ist der Westen „skeptisch“,
anstelle selber mal etwas konkretes vorzulegen.
Aber noch reicht es,
gebetsmühlenartig zu wiederholen,
es sei doch Putin,
der nicht verhandeln wolle.
Stattdessen gibt es als Abschlussgeschenke des Jahrestages
noch vier Leos extra
und ein neues Narrativ:
Der Krieg wird ja gar nicht nur ein Jahr alt,
der hat ja schon vor neun Jahren begonnen.
Als Hobbyhistoriker rollen sich mir da die Fußnägel hoch.
Die eigentliche Botschaft dabei ist aber sicherlich:
Alles ganz normal,
wir sind nämlich schon in der Endphase des Krieges.
Und es sagt ja niemand,
wie lange die noch dauern wird.
Na ja, außer Stoltenberg…
Dazu Wladimir Putin,
nur zwei Tage später:
„Unter den heutigen Bedingungen,
da alle führenden NATO-Staaten
ihr Hauptziel erklärt haben,
uns eine strategische Niederlage zuzufügen,
damit unser Volk leidet,
wie sie sagen,
wie können wir unter diesen Bedingungen
ihre nuklearen Fähigkeiten ignorieren?“
Der Westen wolle Russland liquidieren,
sagt Putin:
„Sie haben ein Ziel:
die ehemalige Sowjetunion
und ihren wesentlichen Teil – die Russische Föderation –
aufzulösen.“
Der Westen sei ein indirekter Komplize
der von der Ukraine begangenen Verbrechen.
Was von solchem Schwachsinn
wirklich zu halten ist,
das einzuordnen,
hat Bernhard Torsch bereits getan,
die Arbeit kann ich mich sparen:
Zu abstoßendem Militär-Techno, der so klingt, wie Nazi-Soldatenlieder mit heutiger Technik klingen würden, wird das Sterben verherrlicht und das Morden gefeiert. Mit viel Pathos schwingt man grotesk revisionistische Reden, in denen man zum Beispiel behauptet, „Russland“ habe im Zweiten Weltkrieg gegen „den vereinten Westen“ gekämpft und gewonnen.
Und dann wird eine Gruppe von Kindern vorgeführt. Verängstigt, teils weinend, angeblich aus Mariupol, der Stadt, die von Russland eingeebnet wurde, und sie müssen sich bei ihren „russischen Rettern bedanken“. Nur ein älteres Mädchen spricht, und an einer Stelle sagt es: „…“Entschuldigung, ich habe vergessen, wie es weitergeht.“
(Berhard Torsch auf Facebook. 25. Februar 2023.)
Gut.
Reicht.
An irgendwelchen Reden
habe ich mich für diese Woche
genug abgearbeitet.
Sämtlichste Aschermittwochsreden
werden deshalb ignoriert,
denn in die wäre ja noch weniger Sinn
reinzubekommen gewesen.
Deswegen jetzt nur noch ein Blick
auf einen Arbeitsbereich der Chronik,
der in letzter Zeit viel zu kurz gekommen ist,
mit steigenden Temperaturen
aber sicher wieder mehr Aufmerksamkeit verdient:
Das Klima.
Die Natur performt im Moment
schon wieder next level.
Heavy Rain in Brasilien (Notstand),
gar kein Regen in Frankreich
seit über einem Monat,
die Kanäle in Venedig trocknen aus
(im Februar!),
in Kalifornien toben Schneestürme.
Das Uhrwerk der Doomsdayclock am Times Square
steht aktuell bei:
6 Jahre,
352 Tage
und ein paar Stunden
bis zum letzten Tipping Point.
Zum Glück ist meine Arbeit hier
dann schon beendet.
Bis dahin aber
geht der zumindest der Aktivismus weiter.
Am Montag klebten sie sogar
im verschlafenen Halle (Saale).
Und am nächsten Freitag
nimmt auch „Fridays for Future“
wieder global die Arbeit auf:
Streiken für das Ende
der „fossil finance“.
Ein viel zu langer Arbeitskampf,
der vielleicht trotzdem
wenigstens ein wenig
Sinn macht.
Die Stechuhr von
#DieDoppeltenZwanziger
schlägt bereits Alarm,
die Deadline für diese Woche ist seit einer Viertelstunde abgelaufen.
Dann bleibt eben ein bisschen Restarbeit liegen.
Zum Beispiel die immer wieder
steigenden Covid-19-Inzidenzzahlen
(bundesweit sind wir bereits wieder
bei weit über 100 angelangt),
obwohl nur noch jede*r zehnte Infektion erfasst wird.
Als Rausschmeißer
hätte es dann noch eine Glosse
über die neue Monetarisierung bei Facebook gegeben,
wo man jetzt auch Geld bezahlen soll,
wenn man verifiziert sein möchte.
Sie hätte damit geendet,
dass ich lieber weiter Werbung wegscrolle:
Swipen macht frei.

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