Foto: Bukarest, Altstadt
„Wo willst du denn überhaupt hin?“
„Ist doch egal.“
„Wenn man wegfährt,
wär irgendwie gut,
wenn man weiß,
wohin.“
(Wolfgang Herrndorf: Tschick. 2010)
Frankfurt/Main – Bukarest, 01. Juli
Tag 1 – Jedem Anfang …
Der Himmel
über den Rollfeldern
des Frankfurter Flughafens
ist schwer mit dicken grauen Wolken verhangen,
draußen sind keine 20°C.
Am Gate 34
ist inzwischen kaum noch ein Sitzplatz frei,
unser Flug geht in einer guten Stunde,
die erste Flugbegleiterin hat gerade am Schalter Platz genommen
und den Computer hochgefahren,
die Luft hier drinnen ist irgendwie schwül.
Am Zielflughafen
sind aktuell trockenste 37°C.
Ich vermeide es natürlich,
auch nur ansatzweise irgendwelche Vergleiche
zu vor einem Jahr zu ziehen,
denn die Unterschiede
zum diesjährigen Eskapismustrip
könnten kaum größer sein:
Ich fliege an die östlichste Grenze des Westens.
Rumänien.
Nato- und EU-Mitglied,
nur eine Tagesreise von der Kriegsfront in der Ukraine entfernt
und trotzdem hoffentlich noch weit genug weg.
Ansonsten weiß ich so gut wie nichts über das Land.
In den letzten Wochen bin ich mehrfach gefragt worden,
warum eigentlich ausgerechnet Rumänien?
Die Antwort darauf suche ich also selbst
in den nächsten zehn Tagen.
Nur Ahnungen habe ich
und davon auch nur sehr wenige.
Postsowjetisches Armenhaus Europas.
Angebliche Heimstätte des europäischen Yellowstone.
Entstehungsort einer meiner Lieblingserzählungen („Orbitor“-Trilogie).
Und irgendwas mit Vampiren und/oder Horndrachen.
Meine Reisevorbereitungen
haben sich trotzdem in Grenzen gehalten:
Den schmalen Reiseführer beginne ich erst im Flugzeug,
oder den neuesten Roman von Iris Wolff.
Da ich heute Nacht wenig überraschend
so gut wie gar nicht geschlafen habe,
weiß ich jetzt immerhin noch,
dass Elena Ceauescu
angeblich noch schlimmer als ihr Mann gewesen sein soll.
Und ich weiß,
dass ich morgen doch noch
zum Public Viewing gehen werde,
denn Rumänien spielt im Achtelfinale
gegen die Niederlande.
Und das war es auch schon fast
mit allmännlicher Durchplanung,
mal abgesehen von drei gebuchten Hotels,
einem angemieteten Kleinwagen
und einem Rückflugticket.
Keine ausgeklügelten Motiviken,
keine vorgeschriebenen Absätze,
keine bereits ausgesuchten Zitate.
Und:
Absolut gar keine Erwartungen.
Außer vielleicht der gleichen
wie vor einem Jahr:
Heile wieder zurückkommen.
Meine ersten drei Worte Rumänisch sind übrigens:
„Buna“ (Hallo),
„Multumiri“ (Danke)
und „Pa“ (Tschüss).
Am Gate hat sich gerade die Schlange gebildet,
die meisten können es kaum erwarten,
einige Passagiere werden sogar namentlich aufgerufen,
meiner nicht,
mein Adrenalinspiegel steigt trotzdem;
der Zauber beginnt zu wirken.
Kurz nachdem wir in der Luft sind,
fühle ich mich umgehend
an den Rückflug im letzten Sommer erinnert:
Ich scheine ein Abo auf Plätze neben Kleinkindern zu haben.
Aber nur zwei Stunden Dauer
und beste Musik auf Kopfhörern helfen;
den Eltern steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben,
als wir wieder auf dem Boden aufsetzen,
und das Quengeln hört schlagartig auf.
Bereits aus der Luft
aber war schon zu sehen:
Die Steppe um Bukarest
besteht aus tausenden Feldern
und vielen Bauerndörfern
und ist so platt,
dass Brandenburg dagegen ein Mittelgebirge ist.
Die Fahrt ins Zentrum der Hauptstadt
würde mit den Öffis vom Flughafen Otopeni aus
mehr als eine Stunde dauern,
das Uber ist in weniger als zwei Minuten abfahrbereit.
Und schnell wird klar:
Armenhaus?
Ist lange her.
Zumindest in der ersten halben Stunde
reihen sich Luxusautohäuser, Kongresshallen, Hotels
und wahnsinnig schicke Villen,
umgeben von noch schöneren Parks
aneinander;
wir erreichen die Altstadt aus nördlicher Richtung.
Der Hinterausgang meines ersten Hotels in den kommenden Tagen
führt direkt auf die Amüsiermeilen der Altstadt.
Zu mehr als Mici mit Pommes
und einem IPA im Irish Pub gleich um die Ecke
reicht es heute aber nicht mehr,
beim Warten auf die Rechnung
fallen mir das erste Mal fast die Augen zu.
Und überhaupt beschleicht mich das Gefühl,
dass ich dieses Jahr deutlich mehr auf Urlaub aus bin,
als auf Abenteuer.
Ganz ohne Durchschreiten von Raum auf Raum
wird aber auch das nicht abgehen.
Bukarest, 02. Juli
Tag 2 – Hai Romania
Um halb zehn sitze ich am Herastrau,
einem See im größten Park der Stadt.
Sämtliche Buden haben noch geschlossen,
einzelne Radfahrer drehen ihre Runden,
Krähen zerpflücken Müllbeutel,
in der Nähe höre ich Rasenmäher,
eine Gruppe junger Frauen wird im Laubharken unterwiesen,
Ruder*innen kreuzen eher gemütlich den See,
und selbst die wenigen Jogger*innen gehen mehr spazieren,
es sind bereits 25°C.
Am Morgen hat es kurz geregnet,
nach den dann doch 41°C gestern
wahrscheinlich nicht nur für mich eine willkommene Erfrischung,
denn auch heute wird es schnell wieder sehr warm.
Mein Hotel liegt also tatsächlich im Partyviertel der Stadt,
in Lipscani („Leipziger Zone“),
doch dazu später noch mehr.
Die Fußwege nicht nur dort
stellen meine wackeligen Fußgelenke
schnell vor einige Herausforderungen,
die Gerüchte über schlechte Straßen
machen sich bereits hier bemerkbar.
Auch deswegen habe ich die Metro bis zum Park genommen.
Bukarest verfügt über vier Haupt-U-Bahn-Linien,
die M2 nach Norden ist gegen halb 9
völlig überfüllt,
den ersten Zug lasse ich mit vielen anderen wieder abfahren,
in den nächsten drängen sich alle höflich hinein.
Die Menschen sehen nicht so müde aus
wie sie es an einem Dienstag Morgen wahrscheinlich sind
und irgendwie auch netter als in Berlin.
Hier werden die anderen unaufdringlich angeschaut
und nicht aufdringlich geguckt,
ob irgendwer aufdringlich guckt.
An der Station Aviatorilor steige ich wieder aus.
Im Aufgang und an den meisten Ecken
werden Blumen und frisches Obst verkauft.
Nach nur zwei mal Umdrehen
entdecke ich einen Starbucks
und trinke, nach dem Hotelfrühstück,
meinen ersten kalten Kaffee.
Es heißt übrigens nicht „Buna“,
sondern eher „Bunö“
und eigentlich grüßen sich die Menschen hier
mit „Salut“.
Das erste Museum meiner Reise
gehört zur Kategorie Freilicht.
An der Westseite des Herastrau
durchwandere ich einmal im Uhrzeigersinn
so ziemlich alle Regionen des Landes,
also Mutenia (Walachei),
Oltenia,
Banat,
Crisana,
Transilvania (Siebenbürgen),
Bucovina,
Moldava
und Dobrogea (Donaudelta).
Der Rundweg führt eine gute Stunde lang
an alten Bauernhäusern, Kirchen und Mühlen vorbei,
die irgendwo dort
jeweils irgendwann im 18. und 19. Jahrhundert gestanden haben
und hier liebevoll wieder aufgebaut worden sind.
Abgemagerte, streunende Katzen laufen den Touriführungen hinterher,
Jugendliche sind auf Schnitzeljagden (mit Laufzetteln oder Handys),
Kupferkochgeschirr, bunte Tücher und Schmuck
warten auf interessierte Besucher*innen.
Kurz vor elf setzt sich die Sonne langsam durch,
bald sind die 30°C wieder erreicht,
mein nasser Rücken lehnt an der Lehne einer Bank
in der Nähe des Triumphbogens,
die Zikaden in den Platanen neben dem Boulevard
sind lauter als der Verkehr.
Ich mache mich auf den Weg
zur Villa Ceaucescu,
Bukarests Straßen sind üppig mit Bäumen bewachsen,
ohne Schatten wäre es jetzt schon fast unerträglich.
Die Villa bietet nur geführte Rundgänge
und das auch erst wieder in knapp zwei Stunden;
so wichtig sind mir Diktatorenpaare dann doch nicht.
Deswegen sitze ich um 12 auch im Parcul Floraescu
und bestaune den Mut eines Jungen,
der erst eine gut fünf Meter hohe,
glatt polierte Betonrutsche hinaufklettert
(die Leitern sind gesperrt),
dann seine Mütze hinab zu seiner Oma wirft
und am unteren Ende
von seiner kleinen, jubelnden Schwester empfangen wird.
Dann laufe ich durch die immer schwüler werdende Hitze
zurück nach Süden, durch Dorobanti,
die Calea Floraesca runter.
Eine Bar an der anderen, Restaurants, Hotels,
jede menge Student*innen,
die es sich leisten können,
unter der Woche Mittags essen zu gehen,
zwischendrin ein Waffengeschäft
(im Schaufenster: deutsches Polizeipfefferspray, eine Walther P99, HK Sturmgewehre),
daneben reichlich private (Schönheits-)Kliniken
und überall Bonzenkarren,
dass der Prenz’lberg ganz neidisch würde.
Im Hotel mache ich nur kurz Pause,
ziehe die durchgeschwitzten Klamotten aus,
dusche schnell,
sortiere dann Fotos
und suche die nächsten Ziele.
Das erste erreiche ich nach einer kurzen U-Bahn-Fahrt Richtung Westen:
der Lujerului Platz.
Hier stehen sie in langen Reihen,
die sowjetischen Megabauten,
eins davon biegt sich an der großen Kreuzung entlang,
die allermeisten Wohnungen sind noch belegt.
In einer Mall,
wie sie genauso auch in Magdeburg oder Pforzheim stehen könnte,
kaufe ich Wasser, Deo und Zahnpasta
und stelle fest,
dass ich meinen Pass entweder irgendwo liegen lassen
oder im Hotel vergessen habe.
Mit erhöhtem Puls fahre ich zurück,
laufe hektisch durch die Springbrunnen auf dem Unirii-Platz
und atme erst wenige Minuten später erleichtert auf.
Zum Platz der Revolution und dem George Enescu Platz
brauche ich dann nicht lange,
die Fanzone ist bereits knapp zwei Stunden vor Anpfiff des Achtelfinales gut gefüllt,
die Gesänge hallen die Boulevards entlang.
Im Bogen laufe ich zurück durch die Altstadt,
alle Kneipen sind randvoll,
auf den Außentischen stehen überall Reserviert-Schilder.
Bei einem Griechen finde ich dann einen freien Tisch,
von dem aus ich sogar einen der vielen Bildschirme sehen kann.
Einheizer laufen die Fußgängerzone hoch und runter,
Flaggen wehen an jedem Stuhl,
die Hymne wird leidenschaftlich mitgesungen.
Nach zehn Minuten bricht endlich das Gewitter los,
doch außer mir
bleiben alle sitzen.
Noch bevor ich wieder das Hotel erreiche
fällt das erste Gegentor,
über den Dächern zucken Blitze.
Zur Mitte der zweiten Halbzeit,
die Dächer sind gerade wieder getrocknet,
rollen die nächsten Donner über die Stadt,
und fast fällt das zweite Gegentor.
Trotzdem schwallen die Gesänge bis an mein Dachfenster,
immer wieder Ansätze von Jubel.
Der Regen setzt dann eine viertel Stunde vor Abpfiff auch wieder ein,
das zweite und dritte Gegentor fallen doch noch,
und das Tosen des Sturms
schiebt sich langsam über die abklingende Euphorie.
Nach Spielende ist das Gewitter abgezogen
und eine ganz normale Bukarester Nacht
nimmt ihren Lauf.
Bukarest, 03. Juli
Tag 3: Falling Empires, Triumphant Provinces
Um kurz nach 18 Uhr bin ich zurück,
9 Stunden zu Fuß unterwegs war ich heute,
gefühlt 30 Kilometer,
und davon circa die Hälfte innerhalb von historischen Gebäuden;
meine Sohlen sind fast taub,
mein linker großer Zeh war bis eben noch blutverschmiert;
aber der Reihe nach…
Am Morgen ist es richtiggehend frisch,
es sind gerade so 20°C,
der Himmel ist bedeckt,
es weht ein angenehmer Wind,
an den Bordsteinen lungern noch die Pfützen von gestern Abend.
Ich habe schlecht geschlafen,
auch wegen einer Mücke,
die ich erst erlegt habe,
nachdem sie mir beide Fußsohlen zerstochen hat.
Auf denen schlurfe ich um kurz nach 10
durch das erste Museum des Tages,
das Muzeul National de Istorie,
die weit klaffenden Lücken
in meinem rumänischen Geschichtswissen zu schließen.
Bis zur Ceauscescu-Diktatur
stand das Land anscheinend immer unter der Herrschaft
irgendwelcher anderen Imperien:
Zuallererst eroberten die Römer
beinahe alles rund um die Karpaten.
Die Säule des Tarjan,
beziehungsweise eine aufwendige Kopie davon,
erzählt diese Geschichte maximal anschaulich.
Eine Schulklasse (Grundschule) stürmt mit ihren Handys in die Halle
und fotografiert wild drauf los.
Da ich am Einlass gleich zwei mal gebeten wurde,
doch die Schatzkammer im Keller nicht zu verpassen,
bewundere ich danach
den Schmuck und die Kronen aller anderen Monarchen,
die sich hier mal breit gemacht hatten;
Habsburger, Hohenzollern, Ottonen, Osmanen;
nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Anscheinend hat sich im Jahre 1881
auch eine Königin Elisabeth hier krönen lassen,
aber die Briten hatten damit nichts zu tun.
In einem etwas abseitigen Flügel entdecke ich noch ein Spielzeugmuseum,
dass sich als richtig gut herausstellt,
auch weil ich einige Exponate genau so
noch auf meinem Dachboden habe.
Als unaufmerksamer Touri
oute ich mich dann beim Verlassen,
ich habe mir die Nummer meines Schließfaches nicht gemerkt
und probiere deshalb so gut wie alle aus,
bevor ich dann endlich fündig werde.
Nur zehn Minuten entfernt
liegt die Nationalgalerie.
Wie sich schnell herausstellt,
sind im ehemaligen Königspalast
mindestens drei Gallerien.
Hinter der Pforte des mittleren Eingangs
werde ich,
wie auch die beiden nach mir folgenden Besucher*innen,
persönlich begrüßt,
mein Rucksack wird freundlich in einem Büro verstaut,
und dann wird uns gemeinsam erklärt,
wo wir hier gerade gelandet sind:
Dort der ehemalige Speisesaal,
hier der ehemalige Thronsaal.
An den Wänden verteilt
sämtlichste Herrscher und ihre Gattinnen
der letzten zwei- bis dreihundert Jahre;
Carol der Erste,
der draußen auch auf einem riesigen Bronzepferd sitzt,
ist mehr als einmal vertreten;
sogar die Ceaucescus haben ihren Platz bekommen.
Im linken Flügel des Palastes finde ich
bekannte Klassiker der europäischen Kunst
vom Mittelalter bis fast zur Neuzeit.
Wäre da nicht ein interessanter Twist,
ich wäre sehr schnell wieder draußen;
ikonographische Werke,
und seien sie noch so kunstgeschichtlich relevant,
holen mich überhaupt gar nicht ab
(obwohl ich es immer wieder versuche).
Hier aber mischen sich unter die Darstellungen
von biblischen Szenen
und endlosen, oft düsteren Portraits
die Werke eines zeitgenössischen Fotografens:
Danielle van Zadelhoffs Bilder
fallen erst beim zweiten Blick auf,
ist es ihm doch gelungen,
die Intensität der Vermeers und Rembrandts
in neues Licht zu setzen.
Im rechten Flügel dann endlich rumänische Kunst.
Das Obergeschoss durchfliege ich
aus eben schon beschriebenem Grund ziemlich schnell,
unten aber wird es deutlich interessanter:
Ausgestellt sind zeitgenössische Künstler*innen
aus Bessarabien, also dem heutigen Moldava,
die Skulpturen und Gemälde von Ion Vlasiu
und ein ansehnlicher Haufen italienischer Kunst,
kuratiert von einer rumänischen Kennerin.
Gegen halb 3 wäre ich schon wieder fast umgekehrt,
als ich das Museum für zeitgenössische rumänische Kunst
dann doch noch finde.
Angekommen am Parlamentspalast,
laut Reiseführer das zweitgrößte Gebäude der Welt
(450.000 Quadratmeter),
bin ich zunächst enttäuscht,
ein Schild informiert die Besucher*innen,
dass wegen Bauarbeiten und anderer Umstände,
erst in ein paar Tagen wieder geöffnet wird.
So schnell will ich aber noch nicht aufgeben,
umrunde das „Haus des Siegs über das Volk“,
dass Ceaucescu hat bauen lassen,
und finde nach drei Ecken
endlich den Eingang.
Auch hier ist heute der Eintritt frei,
lediglich für die Fotoerlaubnis zahle ich 15 Lei (ca. 3 Euro);
billiger hätte ich richtig gute Kunst nicht haben können:
Das ganze, sich über vier Stockwerke erstreckende Museum
ist nämlich selbst das reinste Kunstwerk.
Über ein enges Treppenhaus,
das übersäht ist mit Graffitis,
erreiche ich die Dachterasse und erspende mir einen Cafe Americano.
Dann taumele ich durch unzählige Räume
voll von irrwitzigen Installationen,
stolpere in einer davon
über lose am Boden,
zwischen alten Fernsehgeräten,
verstreute Steine
und verstehe, warum
die gesamte Ausstellung unter dem Namen „Rasucirea“ (The Twist) firmiert:
Hier ist wirklich alles nebeneinander:
alt und neu,
hässlich und schön,
trivial und genial,
steif und dynamisch,
aufstrebende Provinzkunst und gefallene Kunstschätze;
mein eklektisches Herz triumphiert.
Mit qualmenden Füßen flaniere ich danach zurück
über den Boulevard Unirii:
Die eine Hälfte der Geschäfte hier steht leer,
die andere Hälfte könnte noch neben denen
auf der Champs Élysées oder dem Ku’Damm bestehen.
Die sehr breiten Fußwege
unter den sehr vielen Bäumen
sind in einem katastrophalen Zustand,
doch den blutigen Zeh
hole ich mir an einem kleinen Ast,
der sich in meiner Sandale verkantet;
jetzt weiß ich,
warum ich Pflaster eingepackt habe.
Pünktlich zur Kaffeezeit sitze ich im Starbucks
auf der Strada Lipscani (Leipziger Straße)
und entscheide mich dagegen,
auch noch die gegenüberliegende Dalí-Ausstelung zu besuchen,
auch weil ich bezweifle,
dass es dort echte Werke des Surrealisten zu sehen gibt,
es ist ja gerade in,
mit Werkschauen, bestehend aus funky arrangierten Kopien,
den Kunstbanausen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Also besuche ich lieber noch schnell
den schönsten Buchladen der Stadt (Carturesti),
score ein „Sandman“-Comic
und eine rumänische Ausgabe
von Cartarescus „Warum wir die Frauen lieben“
und beobachte einen der jungen Mitarbeiter,
wie leise er Taylor Swifts „Florida“ mitsingt.
In der Kunst gibt es weder den Westen noch den Osten,
weder die Provinz, noch Imperien,
nur Schönheit.
Jetzt ist es bereits 21 Uhr,
die Sonne vor meinem Hotelfenster
ist gerade hinter den Kuppeln der Altstadt verschwunden,
und ich nehme also schon wieder Abschied
von Bucuresti.
Nach ganzen zwei Tagen kann ich mir selbstverständlich
ein weltmännisches Urteil erlauben:
Eine östliche Hauptstadt der westlichen Provinz.
Irgendwo zwischen dem Berliner Prenz’lberg der 00er Jahre,
einem Wien mit bröckelnden Fassaden,
einem deutlich saubereren Glasgow
und einem Washington mit genauso breiten,
aber viel löcherigen Straßen.
Dafür aber mit Menschen,
die den Blick genauso kurz/lange halten,
wie es zwischen Menschen normal sein sollte.
Die genau so freundlich sind,
dass es nicht peinlich,
und genauso unfreundlich,
dass es nicht auffällig ist.
Morgen geht die Reise dann weiter,
mit dem Auto in die Karpaten
und zu Fuß auf noch zu findende Gipfel.
Mein Schwesterherz wird mich sicher noch mal
vor den Bären warnen,
bevor ich die Sandalen
wieder gegen Wanderschuhe tausche.

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